STORIES


IN DIE SCHATTEN

Folge 9

von Thomas Kager



Was bisher geschah:

Sven wurde von Unbekannten entführt und mußte Schaukämpfe austragen. Als er gemeinsam mit Wildfire und Moonshadow endlich in frei kommt, stehen sie in Seattle ohne Habe und ohne Identität praktisch vor dem Nichts. Durch die Vermittlung von Ghost, dem Anführer einer Straßengang, erhalten sie den Auftrag einen Frachtzug zu bewachen.




"Es gibt Ärger."

Fluchend fuhren Wildfire und Sven aus den Pritschen und legten raschest ihre Körperpanzer an.

Die Fahrt von Seattle aus durch die nördlichen Rocky Mountains war die letzten beiden Tage ereignislos verlaufen. Tinkerbell hatte den Lastwagenzug mit schlafwandlerischer Sicherheit durch die großteils noch immer intakte Umwelt gesteuert. Da sie nicht einen der Haupttransitwege durch die Native American Nations benutzen, war der Verkehr spärlich und die Siedlungen selten.

Ein trügerisches Gefühl der Sicherheit und des Friedens hatte sich über die Gruppe gelegt. Ein Gefühl, das nun jäh beendet worden war.

Durch Wildfires Reflexbooster und Svens magisch verstärkten Bewegungen dauerte es nur wenige Sekunden bis sie fertig ausgerüstet waren. Während sie sich die Helme überstülpten und die Sturmgewehre luden, hielt die kleine Elfe das Fahrzeug.

"Was ist los", kam Franks Stimme brummend über die Komverbindung.

"Da steht so ein komischer Typ", meldete sich Tinkerbell wieder und zeigte das Bild der Frontkamera auf dem Terminal.

Kaum 200 Meter vor ihnen stand ein Mann in abgerissenen Lumpen reglos mitten auf der Fahrbahn. Er hielt den Kopf gesenkt, sodass sein Gesicht nicht zu sehen war. Die ausgemergelten Arme hingen kraftlos an den Seiten herab. Mit keinem Zeichen ließ er erkennen, ob er die Anwesenheit des riesigen Gefährtes wahrgenommen hatte.

"Vielleicht will er gar nichts von uns persönlich", mutmaßte Frank.

"Ja, kann sein. Vielleicht hat er sich auch in der Wildnis verlaufen und sucht nun nach einer Mitfahrgelegenheit in die nächste Stadt." Es war Tinkerbell deutlich anzuhören, daß sie nicht wirklich an diese Möglichkeit glaubte.

Langsam setzte sich der Lastwagenzug wieder in Bewegung und näherte sich allmählich der Gestalt. Diese zeigte weiterhin keinerlei Reaktion. Keine 20 Meter vor ihm hielt Tinkerbell wieder an und hupte laut. Selbst wenn er vollkommen taub wäre, mußte er sie bemerkt haben.

"Und jetzt?" fragte Tinkerbell, als der Mann sich immer noch nicht rührte. "Solange der da mitten auf der Straße steht, komme ich nicht an ihm vorbei, ohne ihn über den Haufen zu fahren."

"Gefällt mir nicht", murmelte Wildfire und sprach damit das aus, was alle dachten. "Gefällt mir ganz und gar nicht."

Mit den Kameras suchten sie das Gelände seitlich der Straße ab. Doch sie konnten keine Anzeichen eines Hinterhalts entdecken.

"Aber was wollte ein Einzelner gegen einen verstärken und bewaffneten Truck ausrichten?" fragte Sven.

"Ich werde mal aussteigen und ein paar Takte mit ihm reden", knurrte Frank und ließ die Finger knacken.

In dem Moment hob der Typ langsam den Kopf. Seine blassen Augen hatten etwas Beunruhigendes an sich. Seine Lippen begannen sich zu bewegen und stimmten einen unverständlichen Singsang an, der rasch lauter wurde.

"Ein Schamane", rief Moonshadow über das Terminal alarmiert.

Wind kam auf, der ebenso rasant anschwoll, wie der Gesang des Medizinmannes lauter wurde. Laub, Zweige, Erde, Steine. Alles mögliche wurde durch die Kraft den Sturmes vom Boden hochgewirbelt und gegen den Lastwagenzug geworfen. Sven spürte, wie das riesige Fahrzeug unter der Macht der gelenkten Naturgewalt zu schwanken begann.

Der Schamane streckte seine Arme gegen den Himmel und sein Gesang wurde zu einem schrillen Kreischen, während der Sturm wild an seinem Gewand zerrte.

Tinkerbell ließ dem Motor aufheulen, doch noch bevor sie weiter als einen Meter gekommen war, knickte ein großer Baum und krachte unmittelbar vor der Stoßstange zu Boden. Bockend kam der Lastwagenzug wieder zum Stillstand. Im gleichen Moment bewegte sich die Erde beiderseits der Straße und bildete zahlreiche kleine Gestalten, die träge auf sie zugestakst kamen.

"Okay, er will es scheinbar nicht anders", meinte die kleine Elfe. "Jetzt könnt ihr was tun für euer Geld."

Wildfire und Sven eröffneten durch kleine Luken in den Kabinentüren das Feuer auf die magisch geformten Gebilde. Eines nach dem anderen spritze unter dem Kugelhagel auseinander und die lose Erde fiel wieder dorthin zurück, woher sie gekommen war oder wurde von dem Sturm mitgerissen. Als auch noch Moonshadows Stimme durch den Krach des Sturmes zu hören war und sich lautstark Franks Zwillingsgeschütz vom Ende des Wagenzuges meldete, schien die Gefahr abgewendet.

Doch dann schwoll der Sturm erneut an. Blitze zuckten durch die Luft und schlugen in das Chassis ein. Es roch beißend nach Ozon und der Fahrzeugboden schwankte immer stärker. Vernünftiges Zielen war kaum noch möglich.

Zu beiden Seiten der Straße schichtete sich die Erde diesmal haushoch auf und formte sich zu zwei mächtigen Gestalten.

Das waren keine einfachen magisch geformten Gebilde mehr. Das waren nun echte Geister in ihrer Großen Gestalt, die sich von dem Feuer der weltlichen Waffen nicht sonderlich beeindruckt zeigten. Franks Geschütz riß zwar große Brocken aus den Erdgestalten, doch das bremsten ihren Vormarsch kaum und die entstandenen Löcher schlossen sich sofort wieder.

"Den Schamanen, den Schamanen", rief Moonshadow über Funk, bevor sie ihre magischen Energien den beiden Kolossen entgegenschleuderte.

"Er steht im Toten Winkel", erwiderte Frank hektisch.

Somit war es an Sven und Wildfire. Sie öffneten die Kabinentür und stürmten nach draußen, wo sie von der Macht des inzwischen herrschenden Tornados hilflos von den Füßen gerissen und zu Boden geschleudert wurden. Während Sven am Rücken liegend mühsam nach Luft rang, konnte er einen Blick auf Moonshadow erhaschen. Wie eine Rachegöttin stand die schwarzhäutige Elfe mit weit ausgebreiteten Armen auf dem Dach ihres Frachtmoduls. Der Sturm zerrte wild an ihrem langen weißen Haar und dem Umhang während sie versuchte, den Krach mit ihrer Stimme zu überschreien und magische Formeln zu bilden.

Franks Geschütz bellte und mähte einen mächtigen Baum nieder. Anders als dem Metall der Kugeln, mußte der Geist dem lebenden Gewächs ausweichen, um keinen Schaden zu erleiden und das verschaffte ihnen wieder ein paar Augenblicke.

Wildfire packte Sven am Fußgelenk und zerrte ihn unter das Fahrzeug. Hier war es zwar etwas windgeschützt, trotzdem wurden von den Seiten laufend Trümmer hereingeschleudert.

Mühsam robbten die beiden unter dem schwankenden Lastwagenzug nach vorne. Sie mußten ihre Köpfe dabei tief nach unten nehmen. Als sie aus dem Windschatten des Fahrzeuges krochen, mußten sie höllisch aufpassen, um nicht davon geblasen zu werden. Wildfire zog sich an einen starken Ast des querliegenden Baumes hoch, legte ihr Sturmgewehr an und feuerte eine Salve in Richtung des Schamanen. Die Kugeln prallten knapp einen Meter vor ihm von einer unsichtbaren Wand ab.

"Magische Barriere", fluchte Wildfire. "Hätte ja darauf wetten können."

Eilig kroch Sven den Stamm entlang und wurde trotz aller Vorsicht in das große Erdloch geblasen, das die Baumwurzeln beim Umstürzen gerissen hatten. Mühevoll kämpfte er sich wieder nach oben. Dort packte ihn der Sturmwind und fegte ihn gegen die Barriere des Schamanen. Der schien entweder zu sehr auf das Wirken seiner Magie konzentriert zu sein oder er stufte Sven schlichtweg nicht als Gefahr ein.

Mit halbgeschlossenen Augen kreischte er weiter seine Beschwörungen.

Sven fühlte die magische Barriere, die für weltliche Gegenstände genauso undurchdringlich war, wie eine Wand aus Panzerglas. Sven schloß die Augen und versuchte sich zu konzentrieren, was gar nicht mal so einfach war bei dem Weltuntergangsszenario, das um ihn herum tobte.

Dann stieß er seinen Arm mit einem lauten Schrei nach vorne. Seine Faust wurde zwar von der Barriere gestoppt, doch die magische Energie, die in seinem Schlag gebündelt war, konnte sie nicht aufhalten.

Getroffen taumelte der Schamane etwas zurück. Die Wucht war sehr viel geringer gewesen, als Sven gehofft hatte. Diesen Distanzschlag hatte er schon lange nicht mehr durchgeführt und er war auch nie besonders gut darin gewesen. Aber es hatte gereicht, um die Konzentration des Schamanen zu stören. Die Barriere brach zusammen und Sven fiel überrascht vorne über.

Jetzt stufte der Schamane Sven als Bedrohung ein. Kreischend reckte er seine Arme über Sven in die Höhe ...

... und stürzte plötzlich nach hinten.

Ebenso plötzlich lösten sich seine Beschwörungen auf und der entfesselte Sturm ebbte ab. Prasselnd landeten die aufgewirbelten Äste und Steine auf dem Boden. Sven drückte sich schutzsuchend zu Boden zog die Hände unter den Körper. Er war froh, daß er Körperpanzerung und Helm trug. Selbst durch diesen Schutz waren die Treffer schmerzhaft.

Franks Geschütz krachte noch ein paar Mal und pulverisierte die beiden Erdhügel die wieder nur mehr normale Erde waren, nachdem die beschworenen Geister sich in ihre Dimension zurückgezogen hatten.

Dann war es ruhig. Die plötzliche Stille wirkte nach dem ganzen Tumult unnatürlich und bedrückend. Sven blickte vorsichtig hoch und konnte die Schuhsohlen des Schamanen sehen. Sie bewegten sich nicht.

Sven stocherte mit dem kleinen Finger in seinem Ohr herum bis sich knackend der Druckausgleich wiederherstellte. Danach rappelte er sich hoch.

Der Schamane war tot. Das Einschussloch in seiner Stirn war trotz der Wunden, welche die herabstürzenden Trümmer gerissen hatten, nicht zu übersehen. Ein seiner Hand hielt er noch das lange Messer, das er Sven in den Rücken stoßen wollte. Auch die Körperpanzer hatte noch genügend schmale Lücken, wo ein Wissender die gezackte Klinge durchstoßen hätte können.

Wildfire trat neben Sven und musterte ebenfalls den Toten.

"Danke dir."

Wildfire nickte mit verschlossenem Gesicht nur knapp, dann musterte sie Sven von oben bis unten und ein schiefes Grinsen stahl sich auf ihre Lippen.

"Du schaust aus! "

Durch seinen Ausflug in das Erdloch und dem anschließenden Trümmerhagel war er über und über mit Schlamm und Dreck beschmiert. Sven kratzte etwas Schlamm von sich und klatschte es Wildfire auf die Wange.

"Du braucht was sagen ... "

Wildfire setzte schon zu einer heftigen Erwiderung, doch dann lachte sie nur erleichtert.

Gemeinsam gingen sie zu dem Lastwagenzug zurück.

Moonshadow sah ziemlich mitgenommen und erschöpft aus. Ihre Augen waren blutunterlaufen und zwischen ihren strahlend weißen Zähnen, war etwas Blut zu sehen. Das lange Haar war schweißnaß, verschmutzt und klebte an ihrem Gesicht. Trotzdem lächelte sie triumphierend.

"Der war sehr mächtig", schnaufte sie. "Ein starker Initiant. Darum hatte ich ihn auch erst erkannt, als er seine spirituelle Maske fallen hat lassen. Das hätte leicht schief gehen können."

"Aber was wollte der nun wirklich?" brummte Frank, das Geschütz wieder versenkt hatte.

"Er war ein Indianer, vielleicht wollte er nicht, daß wir die Natur weiter mit unseren stinkenden Fahrzeugen traktieren und uns aus seinem Stammesgebiet jagen", mutmaßte Tinkerbell.

"Möglich wäre da alles", meinte Moonshadow müde. "Das war nämlich ein Giftschamane."

Giftschamane? Sven warf einen unbehaglichen Blick in Richtung der Leiche. Fast rechnete er damit, daß sie sich wieder erheben müßte.

Schamanen folgten einem Totem in Form eines Tieres, das ihre Sicht des Lebens und der Magie symbolisierte.

Schlange für Weisheit; Bär, der Heiler; Wolf, der Beschützer; Waschbär, der Trickser.

Aber Giftschamanen ... Die waren irgendwie ... durchgeknallt. Sven konnte es irgendwie nicht beschreiben. Scheinbar ging es ihnen immer nur um das Zerstören und Verderben. Aus welchen Gründen auch immer.

Während sich Moonshadow in ihre Kabine zurückzog, um sich auszuruhen und wieder zu Kräften zu kommen, bemühten sich die anderen, den Lastwagenzug wieder flott zu bekommen. Der Dreck, den der beschworene Sturm aufgewirbelt hatte, bedeckte die Straße stellenweise bis zu einem halben Meter. Genauso auf den Dächern und den Verbindungsgängen der Module. In den Räumen zwischen den Achsen und Reifen und den Radkästen hatte sich so viel angesammelt, daß ein Weiterkommen vorerst unmöglich war.

Wildfire, Sven und Frank machten die Straße wieder passierbar. Unterdessen überprüfte Tinkerbell den Lastwagenzug an sich. Sie hatten Glück. Abgesehen von jeder Menge Kratzer im Lack, Beulen und ein paar zerbrochenen Lampen, hatte er nichts abbekommen. Die Elfe war mit ihrer Arbeit sehr zufrieden.

Die Leiche des Giftschamanen verscharrten sie in dem Erdloch, das die Baumwurzen gerissen hatten. Den Baumstamm an sich mußte sie mit 3 kleinen Sprengladungen zuerst zerkleinern, um ihn beiseite schaffen zu können.

Nach knapp 3 Stunden setze sich der Lastwagenzug wieder in Bewegung.

***

Der letzte Tag der Reise verlief ebenso ereignislos, wie die beiden ersten.

Am Grenzübergang von den NAN in die United Canadian and American States wurden sie weitaus genauer kontrolliert, als bei der Seattler Grenze. Doch auch hier gab es keine Schwierigkeiten. Der Aufenthalt wurde nur dadurch hinausgezögert, daß es sich der Grenzbeamte nicht nehmen ließ, hemmungslos mit Tinkerbell zu flirten und die Elfe bereitwillig darauf einging.

Wildfire und Sven, die das ganze in ihrer Kabine über das Terminal beobachteten, konnten sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. Die Kleine hatte es faustdick hinter den Ohren.

Es war bereits später Abend, als Tinkerbell mit dem Ziel ihrer Reise Kontakt aufnahm, um ihre Ankunft anzumelden. Sie wurden bereits ungeduldig erwartet und zur Eile gedrängt. Aber auch gewarnt. Diese Bemerkung über subversive und radikale Subjekte, die sich vor dem Fabrikstor versammelt haben sollten, machte Sven mehr stutzig. Er warf einen fragenden Blick zu Wildfire, die auf einem kleinen Notsitz hinter Tinkerbell Platz genommen hatte. Sie zuckte ebenso mit den Schultern wie die kleine Elfe.

Sicherheitshalber legten Sven und Wildfire wieder ihre Panzerungen an und informierten Frank und Moonshadow.

Eine halbe Stunde später kamen die Lichter der Fabrik in Sicht. Als sie sich weiter näherten, hatte Sven den Eindruck, als würden sie ein Hochsicherheitsgefängnis ansteuern. Auf hohen Türmen drehten sich Suchscheinwerfer und Schnellfeuergewehre. Vor den Mauern grenzten mehrere Sicherheitszäune das Gelände ab und über der Anlage blinkten die Positionslichter von mindestens zwei Hubschraubern.

Was ihn aber noch mehr verunsichert, war die fast unüberschaubare Menschenmenge. Mehrere Tausend Menschen unterschiedlichster ethnischer Rassen und Alterstufen standen um die Anlage herum. Mit Fackeln und Taschenlampen erzeugten sie ein beeindruckendes Lichtermeer. Auf großen Transparenten forderten sie die Schließung der Anlage zum Schutze der Anwohner und der Umwelt.

Irritiert regulierte Sven die Lautstärke am Terminal. Doch es lag keine Tonstörung vor. Keine Sprechchöre, keine plärrende Megaphone, kein wütendes Gegröle oder Schreien war zu hören. Im stillen Protest hatte sich die Menschenmenge hier versammelt.

Sven musterte sie unsicher.

Was würde geschehen, wenn sie ihren Lastwagenzug nicht passieren ließen? Was wäre, wenn sie auf den Transport losgingen, dessen Ziel zweifellos das Werk vor ihnen war? Der Auftrag lautete, die Fracht sicher und pünktlich zu ihrem Ziel zu bringen. Und laut dem Gesetz und der Extraterritorialität des Konzern für den sie arbeiteten hatten sie das Recht Waffengewalt gegen jeden Angreifer einzusetzen. Aber Sven konnte doch nicht einfach so auf unbewaffnete Zivillisten schießen? Ebenso wenig Wildfire. Er bezweifelt auch stark, daß es Frank oder Moonshadow könnten. Tinkerbell kannte er zwar noch nicht so lange, doch die kleine Elfe hatte bisher ebenfalls nicht den Eindruck auf ihn gemacht.

Was sollten sie aber dann machen, um den Auftrag erfolgreich abzuschließen?

Zum Glück wurde er nicht vor die Wahl gestellt. Denn kaum hatte sich das riesige Gefährt der Menschenmenge genähert, bildete sich eine schmale Gasse, die gerade so breit war, daß es hindurch paßte. Behutsam und im Schritttempo steuerte Tinkerbell zwischen den schweigenden Menschen hindurch.

Sven konnte durch die Kameras in die einzelnen Gesichter sehen. Sie drückten keinen Ärger, Haß oder Wut aus. Nur Trauer, Verbitterung und Hoffnungslosigkeit. In Svens Hals bildete sich ein verlegener Kloß.

Direkt hinter dem Lastwagenzug schloß sich die Gasse wieder.

Als sie nur wenige Meter vor dem Tor waren, öffnete sich dieses und eine Hundertschaft schwer bewaffneter Sicherheitsleute strömte hervor. Laute Befehle und das Bellen der Wachhunde zerschnitten plötzlich die drückende Stille. Mit Schlagstöcken und Tritten trieben die Sicherheitsleute die Demonstranten zur Seite, obwohl ausreichend Platz gewesen wäre.

Doch auch bei dieser brutalen Provokation blieben die Demonstranten friedlich. Stumm und ohne Gegenwehr ließen sie die Misshandlungen über sich ergehen und wichen nur langsam zurück. Keine Panik kam auf. Ein paar Personen, die unter den Schlägen bewußtlos zusammenbrachen wurden aus der Gefahrenzone gezogen.

Sven konnte sehen, wie es in Wildfires Gesicht arbeitete und auch ihm juckte es in den Fingern irgendetwas zu tun.

Endlich waren sie hindurch und das schwere Tor schloß sich dumpf.

Tinkerbell hielt den Lastwagenzug in der großen Verladehalle, die an das Tor anschloß. Hier wimmelte es nur so von Sicherheitskräften. Mit Spiegeln und Detektoren untersuchten sie das Fahrzeug genauestens nach unbefugten Eindringlingen. Erst dann durften die Insassen unbewaffnet aussteigen und mußten am Ende des Lastwagenzuges warten. Mehrere Sicherheitsleute behielten sie mißtrauisch im Auge.

"Ganz schön paranoid die Leute hier", brummte Frank unwillig. Sven folgte der ganzen Szene mit sehr gemischten Gefühlen.

Tinkerbell überreichte dem Wareneingangsleiter die Frachtpapiere. Nach einer kurzen Überprüfung, begannen Arbeiter mit Staplern die Fracht eilig zu entladen. Schnell verschwanden die Kisten in den Weiten der Fabrikanlage.

"Es gibt wohl Schwierigkeiten", meinte Wildfire und deutete auf Tinkerbell, die wütend auf sie zugestampft kam. Sie nahm ihre Kappe ab und boxte frustriert hinein.

"Es gibt irgendwelche Probleme bei der Fertigung oder der Endkontrolle oder was auch immer. Fakt ist, daß es keine Fracht auf den Rückweg nach Seattle geben wird."

"Ah, endlich kann ich mal meine Beine ausstrecken und muß mich nicht mehr in diesen Schlafsarg quetschen", grinste Frank, doch Tinkerbell warf ihm nur einen verärgerten Blick zu.

"Das bedeutet aber auch, daß wir nicht den vereinbarten Lohn erhalten. Gnädigerweise bezahlt die Firma uns aber zwei Drittel und nicht nur die Hälfte. Ich bekomm da kaum die Aufwendungen für den Umbau herein."

Frustriert kickte die kleine Elfe gegen einen Reifen des Lastwagenzuges, dann setzte sie sich die Kappe wieder auf und zog sie tief ins Gesicht. "Ich häng mich mal ans Kom und versuche, ob

ich nicht einen anderen Transportauftrag Richtung Seattle bekomme."

Während Tinkerbell im Führerhaus verschwand, beredeten die Gefährten den neuen Sachverhalt. Die finanzielle Einbuße kam zwar überraschend, aber da sie im Gegensatz zu Tinkerbell keinerlei Aufwendungen hatten, war der Verlust nicht so schmerzhaft.

Die Entladearbeiter schlossen gerade die Frachtmodulen, als Tinkerbell wieder aus dem Kommandomodul kletterte.

"Mein Johnson hat mir einen Transportauftrag vermittelt. Aber es ist aber Dünger." Sie spuckte das Wort aus, als würde es nach genau der Bedeutung schmecken. "Aus einer Stadt in den NAN. Die Firma hat sich gnädigerweise bereit erklärt, daß wir den Transport unter ihrem Namen durchführen dürfen. Natürlich gegen eine finanzielle Beteiligung."

Es war Tinkerbell deutlich anzusehen, daß sie nicht sehr erfreut darüber war, aber sie mußte sich damit abfinden, wenn sie das Geld nicht verlieren wollte. Mit in den Hosen vergrabenen Fäusten stampfte sie wieder nach vorne.

"Dünger. Wie tief bin ich gesunken", murmelte sie kopfschüttelnd. Sven und Wildfire grinsten sich kurz an.

Die Abfahrt aus der Fabrik verlief genau so wie die Ankunft. Die Sicherheitsleute prügelten die Demonstranten auseinander, obwohl diese bereitwillig Platz machten und Tinkerbell steuerte das große Gefährt schrittweise und vorsichtig durch das enge Spalier. Als sie die Menge hinter sich gelassen hatten, beschleunigte sie hart.

Je schneller sie von hier wegkamen, umso besser.



Fortsetzung könnte folgen....


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