SCHWERPUNKTTHEMA

MEINE PHANTASTISCHE BIBLIOTHEK

GEIST DER LAMPE

Fred H. Schütz


Daß ich nicht gehen kann, ist wohl hinlänglich bekannt. Daher sitze ich im bequemen Lehnstuhl - der ist aus China importiert und mit schwarzer, goldbestickter Seide gepolstert. Sitze mal eine halbe Stunde auf goldbestickter Seide, dann weißt du, wie bequem das wirklich ist. Ich sitze immer darauf.

Mein dienstbarer Geist wohnt in der Lampe, die auf dem Kaminsims steht. Sie ist aus Ton gefertigt und mit Salomons Siegel geprägt. Da mein Name mit dem hebräischen Salomon zu identifizieren ist - für die arabische Seele ist das Soliman - bin ich Meister der Lampe und der Geist muß mir dienen.

Mir zu Gefallen hat er die Gestalt einer lieblichen Haremsdame angenommen, komplett mit knapper Weste und Pluderhosen. Das Gesicht ist hinter einer Tüllgardine verborgen, weil so ein Dschinn menschliche Züge nicht nachahmen kann. "Trägt man im Harem immer Pluderhosen?" frage ich und er - oder sie - schüttelt das feine Köpfchen, daß die schwarzen parfümierten Locken fliegen. "Nein, Meister. Frauen tragen im Harem lange Kleider. Soll ich-"

"Nein," sage ich gönnerhaft. "Bleibe, wie du bist. Wie soll ich dich nennen?"

"Scheherezade?" fragt sie kokett, aber die grollende Stimme verrät den Afrit. Afriti sind die bösesten und schlimmsten unter den Dschinni und stehen den Dämonen nahe. Wüßte ich nicht, daß ich Meister der Lampe bin ....

Salomons Siegel schützt mich. Salomons Siegel ist der Mogen David - Davidstern - ein aus zwei ineinander verschränkten Dreiecken gebildeter sechszackiger Stern, umrandet mit kabbalistischen Zeichen. In der Mitte stehen die hebräischen Letter Gimel, Lamed und Mim für Golem, was "Leben" bedeutet. Der Afrit weiß, daß ich nur das L wegzuwischen brauche, um das Wort Gom, "Tod" zu bilden, und er wird spurlos vergehen, weil Dschinni keine Seele haben.

"Furdsch!" sage ich und stelle mir vor, daß die Visage hinter dem Tüllschleier darüber grinst.

Furdsch ist ein selbst für arabische Ohren so übler Ausdruck, daß man ihn in gemischter Gesellschaft niemals ausspricht, und deshalb sage ich auch nicht, was er bedeutet "Furdsch, das ist mir zu lang. Außerdem mußt du noch an deiner Stimme arbeiten."

"Ja, Meister," sagt sie gehorsam und mit einer Stimme, die der Bülbül, der arabischen Nachtigall, Konkurrenz machen könnte. "Ist es so gut?"

"Nicht so zuckersüß!" sage ich ungehalten. "Eine normale weibliche Stimme genügt."

"Ja, Meister." Sie beugt gehorsam den Kopf und jetzt weiß ich, daß sie heimlich fern sieht. Was soll's, denke ich, auch ein Dschinn wünscht sich Abwechslung, und wem schadet's?

Jetzt kann ich mich also ihrer Namensgebung zuwenden.

"Lilith?" fragt sie lauernd. Nach der talmudischen Überlieferung soll Lilith Adams erste Frau und ein Dämon gewesen sein. "Das könnte dir so passen," sage ich und gehe einen Kompromiß ein. "Lili." Lili ist kurz und klingt auch ganz gut.

"Das ist aber kein arabischer Name," mault sie, aber ich dulde keine Widerrede. "Mir gefällt er und dabei bleibt's!"

Dagegen kann sie nichts machen und so fügt sie sich. "Wie kann ich dir dienen, oh, mein Herr und Meister?"

Aha! Nach der langen Vorrede kommen wir endlich zur Sache. "Mit Unterhaltung," sage ich knapp.

"Soll ich für dich singen?" fragt sie eifrig und hat auch schon eine arabische Laute in der Hand. Die Dinger haben selten mehr als zwei Saiten, die mit dem Plektrum angerissen werden - und außerdem klingt die orientalische Penthatonleiter in europäischen Ohren wie Katzengeschrei. Oder, noch schlimmer, sie ist imstande und singt Lili Marleen für mich. Auf arabisch!

Der Gedanke verschlägt mir die Sprache und so schüttele ich nur stumm den Kopf.

"Ich kann für dich tanzen," schlägt sie vor und flugs hat sie die Laute gegen ein Tamburin eingetauscht. Schon klingen aus der Lampe die Töne einer arabischen Schalmei.

An sich hätte ich nichts gegen den orientalischen Tanz einzuwenden, aber die Begleitmusik geht mir auf die Nerven. Als Alternative könnte ich die Tarabukka - die arabische Trommel - zugestehen, aber ich habe keine Lust, mir die Mühe zu machen, sie darauf einzustimmen. Daher schüttele ich wieder den Kopf. "Nein. Ich möchte lesen."

Schon hält sie ein Buch in den Händen. "Ich kann dir vorlesen."

Mit Mühe entziffere ich den Titel: Der duftende Garten des Scheich Nefzaui. Um Himmels Willen, ein arabisches Sexbuch! Da steht auch drin, was Furdsch bedeutet. Wieder schüttele ich den Kopf. "Etwas europäisches. Und ich möchte selbst lesen."

Sie winkt mit der Hand und ein Teppich kommt herbeigeschwebt mit Büchern beladen, die allesamt in rotes Leder mit Golddruck gebunden sind: Prachtbände, die sich kein normaler Sterblicher leisten kann. Die sind so aufgereiht, daß ich die Titel leicht lesen kann, und wie ich sie so anschaue finde ich die großen Alten der frühen Neuzeit - Walpole, Radcliffe, die beiden Lewis, Byron, Wollstonecraft, Dunsany, Machen, Poe, Lovecraft, Tolkien, viele andere - Moderne wie Wolfe, LeGuin, Brown, Heinlein, usw. - die Deutschen wie Meyrinck, Ewers, Kafka, und Franzosen - Verne, Benoit, d'Exupèry - und Poeten: Shakespeare, Shelley, Goethe, Schiller, Heine ...

Aber allesamt sind sie greulich und schauerlich, sogar dämonisch. Auch Don Quijote beginnt düster. In einem Ort in die Landschaft Mancha, dessen Namen ich nicht preisgeben kann ...

Schließlich entscheide ich mich für die illustrierte Ausgabe von Tausend und einer Nacht, denn Märchen haben immer ein Happy End, und befehle Lili, den Bücherberg wegzuräumen und sich in ihre Lampe zurückzuziehen. Und wie sie das getan hat, lehne ich mich in meinem Lehnstuhl zurück und beginne zu lesen.

Und wie ich gerade an der Stelle bin, wo Aladins Frau ihrem Mann stolz berichtet, welch gutes Geschäft sie in seiner Abwesenheit gemacht hat, indem sie die alte nutzlose Lampe für viel Geld an einen fremden Händler verkaufte, kommt das Mörchen ins Zimmer. Sie wirft einen schrägen Blick auf die Lampe, die wie eine viel zu groß geratene Schnabeltasse auf dem Kaminsims thront, und meint beiläufig, Weißt du, dieses alte häßliche Stück sollten wir eigentlich wegwerfen ..."


ENDE


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