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MAGIE - UND DIE GRENZEN DER WISSENSCHAFT

von Fred H. Schütz



Wissenschaft ist ein Modell zur Identifizierung eines Problems, der Feststellung akzeptabler Lösungen und der Ausarbeitung wirksamer Methoden zu deren Verwirklichung. Magie "erkennt" das Problem und verwirklicht dessen Lösung durch Wunschkraft - ohne Beachtung irgendwelcher Methoden. Als Weg der Verwirklichung ist Magie ungeheuer schwierig, und Wissenschaft ist der Weg des Aufgebers.



Science + Fantasy = Fiction?



Vor fünfhundert Jahren war die Welt noch in Ordnung. Oh, ich meine nicht das soziale Elend, die Knechtschaft der Leibeigenen oder die grausame Willkür der Feudalherren. Schon gar nicht die Hexenverfolgung, die ursprünglich der Kirche diente, Andersgläubige auszumerzen. Nein, ich spreche von den Künsten, den schwarzen wie den weißen.

Die Philosophie - obwohl sie schon damals Ansätze der analytischen Denkweise zeigte - war noch die Königin der Wissenschaften - und diese wurden als Künste angesehen. Die Medizin lag zwar in den Händen von Badern und Quacksalbern, man hatte aber schon begonnen, die Kräuterweiblein und Hebammen, die ihr Handwerk verstanden, als "Hexen" zu jagen (nur, weil sie noch den alten Naturgottheiten treu waren) und klagte sie "magischer Handlungen" an. Die Astronomie war noch Astrologie; selbst Keppler, der später das Fernrohr erfand, das den Blick ins Weltall öffnete, bediente sich ihrer. Giordano Bruno, der Abt Trittheim, Abraham von Worms, Cornelius Agrippa, die alle auf ihre Weise den Grundstein für spätere Naturwissenschaften legten, übten sich in Magie. Selbst Paracelsus konnte ohne Magie keine Medizin praktizieren.

Vielleicht war es die Hexenverfolgung der Kirche, vielleicht Galilei, als er (angeblich) sagte, "Eppur si muove!" und Kolumbus, der bewies, daß die Welt rund war: Als Isaac Newton den fallenden Apfel beobachtete und neue Naturgesetze aufstellte, war schon lange eine Bewegung im Gange, die unser Weltbild von Grund auf veränderte und die ihren Höhepunkt im späten neunzehnten Jahrhundert fand. Ein hartes, materialistisches Weltbild, auf analytischem Denken beruhend, das den Geisterglauben vollends abschwor, hatte alle früheren Denkgebäude verdrängt. Nur deshalb konnte Madame Maranon sagen, als man sie fragte, ob sie an Geister glaube, "Nein, aber ich fürchte mich vor ihnen!" Und Geoffrey Household behauptet, "Wir sind Narren, wenn wir fragen, was Realität ist, wenn alles, das wir berühren und ansehen - und selbst sind - nur leerer Raum und Energie sind!" Die britische Schriftstellerin Angela Carter stellt ihre Theorie der phänomenalen Dynamik so dar: "Das Universum hat kein festes Substratrum fixer Substanzen und seine einzige Realität liegt in seinen Phänomenen."

Wissenschaft und Technik haben uns einen bis dato unbekannten - ja unmöglichen - Wohlstand geschenkt. Wir besitzen Uhren, die auf die Millionstelsekunde genau gehen, Autos, mit denen wir fahren können, wohin wir wollen, Kühlschränke, Fernseher, CD-Player und was nicht alles. Wir können uns aus aller Herren Länder importierte Genüsse leisten und niemand ist arm - keineswegs so arm, wie es die meisten Menschen des Mittelalters waren. Und wir wissen soviel; nicht alleine, daß uns die Medien über die Vorgänge in aller Welt auf dem Laufenden halten, nein, wir sind auch gebildet! Wir können tief ins Weltall schauen und wissen, was ein schwarzes Loch, ein Sternennebel, ein "weißer Zwerg" ist. Jeder Schuljunge versteht heute mehr von Medizin als Hippokrates. Aber gesünder als damals, nein, das sind wir nicht.

Sind wir denn etwa glücklicher? Warum sagt der Zentralcharakter in "Cry, Geronimo!" von Forrest Carter, "Der Mensch hat sich in die Naturwissenschaften verliebt, die, obzwar dem materiellen Progress des weißen Mannes nützlich, der Entwicklung der spirituellen Kraft feindlich entgegenstehen. Wie ein Kind, das mit Bauklötzen spielt und diese immer höher aufeinander stapelt, heult der Mensch frustriert, wenn sein Materialismus umfällt. Er hat sich im Sezieren, Abwägen und Messen des physischen Bereiches vervollkommnet. Wenn er die Welt nicht meistern kann, oder unfähig ist, sie zu verstehen, interpretiert er allein ihre materiellen Aspekte. Alles andere weist er ab."

Wer glaubt heute noch an Magie? Sie funktioniert doch nicht, oder? Es ist doch alles Aberglaube, nicht wahr? Wenn sie heute nicht funktioniert, sagt der Wissenschaftler, dann tat sie das früher auch nicht. Natürlich glauben wir ihm. Aber, wie ist es mit dem Neger im Busch? Der hat sich von seinem Leibzauberer ein "Geistergewehr" besorgt, mit dem er jemanden töten will, ohne daß der Verdacht auf ihn fällt. Also geht er mit dem Ding an eine einsame Stelle, bringt sein Opfer dar und spricht seine Gebete. Dann feuert er das "Gewehr" ab. Kurz darauf ist der Mensch, den er umbringen wollte, wirklich tot. Natürlich. Der hat von dem Vorgang erfahren und, weil sein Aberglaube so groß ist, ist er auch daran gestorben. So? Nix!

Objektivität ist der Aberglaube der Wissenschaft, sagt Christian Rätsch. Er ist gestorben, weil der Zauberer und der Mörder an die Wirksamkeit ihrer Magie glaubten. Wenn Magie in unserer Welt heute nicht funktioniert, muß das keineswegs bedeuten, daß sie früher oder in einem anderen Teil der Welt nicht doch funktioniert oder funktioniert hat. Ritual und Zeremonie sind immer die größten Quellen der Kraft gewesen. Aber es gibt etwas, was noch viel wichtiger ist: die innere Kraft deines eigenen Geistes. Wenn du voll bewußt bist - und deinen Willen kennst - wird die Zeremonie erfolgreich sein.

Langsam kommt auch die Wissenschaft dahinter, daß etwas mit unserem Weltbild nicht stimmt. Die Naturwissenschaft allein kann so vieles nicht ergründen, was im Dunkel liegt. "Eine symbolische Wissenschaft muß her!" sagt Lawrence LeShan. Schön und gut. Aber das haben wir doch schon: die symbolische Logik ist ein Teil der (naturwissenschaftlichen) Algebra. Einstein und Heisenberg haben damit schon gearbeitet. Wir müssen uns darüber klar werden, daß alle Wissenschaften, so wie wir sie heute kennen - von den Naturwissenschaften wie Medizin und Astronomie bis hin zu Religionswissenschaft, Philologie und Philosophie - analytische Denkmodelle benützen, die gewiß sehr nützlich sind, aber eben nur einen Teil aller Möglichkeiten abdecken - und die in bestimmte geistige Dimensionen überhaupt nicht eindringen können. Laß' es uns näher betrachten:

Der Analytiker denkt systematisch und erarbeitet ein Detail nach dem anderen. Wenn er sich irrt, dann ist es, weil er sich an einem Detail zu sehr festbeißt und dabei das Gesamtbild aus den Augen verliert.

Der Intuitive erfaßt im Nu das Gesamtbild und weiß Bescheid. Wenn er sich irrt, dann ist es, weil er ein Detail übersehen hat. Akademiker zum Beispiel werden zum "logischen" (das heißt analytischem) Denken erzogen. Daher mißtrauen sie der Intuition und lehnen sie als "unwissenschaftlich" ab. Sie ist deshalb aber nicht weniger wahr.

Laß uns etwas Neues erfinden. Eine Verschmelzung der beiden Denkprozesse Intuition und Logik - "Interrationalität" - führt, wo sie möglich ist, zu wahrer Erkenntnis.

Und wenn uns dann beim Lesen eines Science Fiction-Romans oder beim Anschauen eines Horrorfilms ein wohliger Gruselschauer den Rücken herunterläuft, ja, das ist dann Phantasie!


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