REZENSION


LUTHER

von Andreas Leder



Deutschland 2003
Regie: Eric Till
Buch: Bart Gavigan nach einem Stück von John Osborne
Musik: Richard Harvey
Darsteller: Joseph Fiennes, Alfred Molina, Jonathan Firth, Claire Cox, Peter Ustinov, Bruno Ganz, Uwe Ochsenknecht, Mathieu Carrière

Länge: 121 min


Wir schreiben das Jahr 1505: Der junge Martin Luther (Joseph Fiennes, Shakespeare in Love) gerät in ein grauenvolles Unwetter, ein Blitz verfehlt ihn nur knapp. Zu Tode geängstigt gibt er sein Studium der Rechte auf und wird zum Missfallen seines Vaters Mönch im Augustiner-Kloster zu Erfurt.

Nach seiner römischen Pilgerfahrt im Jahr 1510 geht er zum Theologiestudium nach Wittenberg. In Rom hat er erlebt, wie sich mit der Furcht vor der Autorität Gottes prima Geschäfte machen lassen. Wer brav seine mühsam zusammengesparten Taler der Kirche ablieferte, musste nicht in die Hölle. Diese Garantie gab es sogar schriftlich in Form von Ablassbriefen. Dem aufrechten Mönch war dieser klerikale Betrug, den Papst Leo X. (Uwe Ochsenknecht) initiiert hatte, derart zuwider, dass er 1517 seine 95 Thesen als Protest dagegen an die Tür der Schlosskirche schlägt.

1518 verlangt Rom den Widerruf der Thesen. Doch Luther bleibt standhaft. Auch vor Kaiser Karl V. auf dem Reichstag zu Worms (1521) erkennt er nur eine Autorität an: die Bibel.

Vom Papst exkommuniziert und vom Kaiser geächtet, wird Luther zum Ketzer erklärt. Um sein Leben zu retten, (durch die Ächtung des Kaisers ist er vogelfrei und kann daher von jedermann straffrei getötet werden) lässt der Kurfürst von Sachsen, Friedrich der Weise (Sir Peter Ustinov), ihn auf die Wartburg entführen. Dort übersetzt Luther innerhalb von nur elf (!) Wochen das Neue Testament aus dem Griechischen ins Deutsche. Die Schrift geht 1522 in Druck und erreicht einen hohen Bekanntheitsgrad. Sie stellt überdies einen wesentlichen Beitrag zur gemeinsamen deutschen Schriftsprache dar.

Luthers Lehren finden immer mehr Anhänger. Was er nicht beabsichtigt hatte, waren die darauf folgenden Glaubenskriege, bei denen viele tausend Menschen ums Leben kamen. Der Preis ist hoch: Entsetzt muss Luther erkennen, dass nicht nur die Bauern ihn gründlich missverstanden haben. Der Aufstand wird von den deutschen Landesfürsten blutig niedergemetzelt.

In dieser dunklen Stunde findet Luther Trost und Unterstützung bei seiner späteren Frau Katharina von Bora (Claire Cox), einer ehemaligen Zisterzienser-Nonne. Doch der Kampf um die Reformation hat erst begonnen.

"Luther" spannt einen weiten Bogen von Martin Luthers Zeit als Mönch und dann Prediger über die Bauernaufstände bis hin zum protestantischen Glaubensbekenntnis der deutschen Landesfürsten in Augsburg. Der Film deutet die psychologische Entwicklung des jungen Luther vom selbstzweiflerischen Mönch zum hartnäckigen Freigeist an, versucht sich an einem Sittengemälde des frühen 16. Jahrhunderts und wirft Schlaglichter auf das kirchliche und politische Geschehen im Hintergrund.

Regisseur Eric Till ("Bonhoeffer - Die letzte Stufe") hat das historisch Belegbare inszeniert und das Persönliche eher klein gehalten. So kommen beispielsweise die Beziehung Luthers zu seiner Familie und die Heirat mit Katharina von Bora nur am Rande vor. Stattdessen entdeckt Till im historischen Stoff eine ganze Reihe hochinteressanter Themen wie den Kampf eines Einzelnen gegen den Überbau, die ungeahnten Auswirkung rein akademischer Überlegungen auf das politische Geschehen, oder die panische Todes- und Jenseitsangst der Bevölkerung, die vom Klerus gnadenlos ausgebeutet wird.

Leider lässt sich dabei kaum eine klare Perspektive erkennen, die das viele Material bündeln, verdichten und mit dem Heute in Bezug setzen könnte. Sein Luther ist nicht nur ein getriebener Fanatiker, sondern auch ein sensibler Schüler, ein glasklarer Theoretiker und ein sehr kluger Politiker.

Ebenso unentschlossen pendelt die Erzählung zwischen spannungsreichem Drama und distanzierter Betrachtung hin und her, nimmt einen Szenenweise gefangen - z.B., als der junge Luther naiv und dickköpfig auf den Gesandten des Papstes trifft, nicht ahnend, wie ernst die Lage wirklich ist, oder in allen Szenen mit dem großartigen Peter Ustinov als gewieftem Kurfürst von Sachsen - um dann wieder zum großangelegten Geschichtspanorama zu werden. Das Illustrative überwiegt, ist allerdings ziemlich hübsch: liebevoll ausgestattet, sorgfältig arrangiert und überzeugend besetzt.


LUTHER - EINE BETRACHTUNG

Wittenberg im Jahre 1517: Ein Bauarbeiter baumelt am Strick. Es ist Selbstmord - eine Todsünde! Martin Luther beerdigt den Toten trotzdem mit kirchlichem Ritus auf dem Friedhof in geweihter Erde und nicht, wie damals üblich, anonym, weit vor den Toren der Stadt.

Augsburg 1530: Kaiser Karl V. herrscht die versammelten Fürsten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation an, sie sollten den lutherischen Irrlehren abschwören, sonst würden sie sein Schwert zu spüren bekommen.

"Lieber lasse ich mir den Kopf abschlagen, als gegen das Wort Gottes zu handeln", widerspricht ihm tapfer einer der Kurfürsten, kniet nieder und senkt den Kopf. Wenige Augenblicke später liegen alle sieben Kurfürsten samt den anderen hohen Herren auf den Knien vor dem Kaiser, der sich genötigt sieht, vor diesem gewaltlosen Protest zu kapitulieren und die "Confessio Augustana" anzunehmen.

Der Haken an der Sache: Beide Histörchen sind fiktiv, zumindest ist von einem Begräbnis eines Selbstmörders durch Luther nichts bekannt, und ein kollektiver Kniefall der Kurfürsten vor Kaiser Karl hätte es sicher in die Geschichtsbücher geschafft. Ärgerlicher als diese Fiktionen sind in diesem Film, dass die im Grunde harmlosen Wittenberger Unruhen von 1521 mit den Massakern des Bauernkrieges 1524/25 zu einem blutigen Gewaltbrei verquirlt werden.

An diesen und noch anderen Ungenauigkeiten des Filmes "Luther" werden sich historisch-theologisch gebildete Geister scheiden. Doch das ist gar nicht so wichtig. Denn eine historisch korrekte, minutiöse Verfilmung von Luthers Leben und Wirken der Jahre 1505 bis 1530 wäre zu epischer Breite ausgewuchert und eignete sich nicht für das Genre des unterhaltsamen Kinofilms. Ein Genre, das auch ein breites, intellektuell nicht so vorgebildetes Publikum ansprechen soll.


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