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MONDLICHT

von Fred H. Schütz



Als die Welt ihr Nachtgewand anlegte, begab sich Rakus zu ihrem Lichtboot, aber zur geruhsamen Fahrt über das Himmelsmeer kam es heute nicht. Auf dem Boden des Nachens lag kraftlos dahingestreckt eine Gestalt, die sich auf den ersten Blick als eine hübsche Haremsdame darstellte. Rakus ist jedoch eine Göttin, und so erkannte sie sogleich den Dschinn. Sie runzelte feine Brauen. Was tat ein Dschinn auf dem Mondschiff?

Offensichtlich nichts. Er lag nur da in tiefer Ohnmacht, und das widerfährt einem Dschinn nur, wenn er von einer größeren Macht überwältigt wird. Es gibt nicht viele Mächte, die einen Geist bezwingen können.

Zum Beispiel Rakus. Sie berührte den Dschinn an der Schläfe und der gab Antwort auf ihre Fragen, ohne aus seiner Ohnmacht zu erwachen.

"Mein Name ist Lili," sagte der Dschinn. "Das ist der Wille meines Herrn, und ebenso will er, daß ich ihm in Gestalt einer Haremsdame diene."

"Ah, dann bist du ein Flaschengeist," sagte Rakus, aber dieser bewegte verneinend den Kopf.

"Nein. Ich lebe in einer Lampe, von Salomons Siegel hinein gezwungen."

"Aber der König lebte vor dreitausend Jahren!" rief die Göttin überrascht. "Du müßtest längst frei sein!"

"Das Siegel ist noch intakt," sagte der Geist der Lampe.

"Und wie kommst du hierher?"

"Mein Herr wünschte den Mond kennenzulernen, und so brachte ich ihn her."

Die Göttin blickte sich um. "Aber er ist nicht hier. Was geschah?"

"Idriss, der Fürst der Finsternis war schon da. Er überwältigte mich und was danach geschah weiß ich nicht."

"Dieser räudige Bastard!" Rakus war bestürzt. "Den gibt's noch? Ich werde ihn vernichten!"

"Das wird nicht möglich sein." Wieder bewegte Lili verneinend den Kopf. "Solange die Hölle existiert, wird auch er bestehen."

"Dann muß Hel, meine Schwester das Höllentor besser bewachen!" rief die Göttin. Aber dann begann sie zu kichern. "Grün ärgern wird sie sich, wenn sie hört, daß er ihr einmal entkommen ist. Sie ist jetzt schon blau von der Kälte." Doch dann wurde sie gleich wieder ernst. "Du hast einen neuen Herren?"

"Ja. Stell' dir vor, nach so langer Zeit kommt einer, dessen Name mit dem Salomons überein stimmt! Endlich kann ich wieder aus der Lampe heraus." Der Geist begann zu schluchzen, aber weil er die Gestalt einer Haremsdame trug, klang es auch wie wenn eine Frau weint.

Das berührte sogar die Göttin. "Dreitausend Jahre eingesperrt in eine Lampe," sagte sie. "Es muß furchtbar gewesen sein."

"Ja."

"Möchtest du wieder ganz frei sein?" fragte die Göttin. "Ich kann das bewirken."

"Oh nein!" erwiderte der Geist. "Ich fürchte, dann würde ich vergehen wie ein Seufzer im Wind."

"Ein guter Vergleich." Rakus seufzte ihrerseits. "Und einer, der sicherlich wahr wird. Was willst du also tun?"

"Ich muß zurück in meine Lampe. Dort kann ich mich erholen."

Der Menschheit blieb ein Schock erspart, weil alle schliefen. So sah nur ein einziger, wie der Mond im Augenblick an eine bestimmte Himmelsstelle rückte. Rakus nahm Lili auf den Arm wie eine Mutter ihr Kind und glitt mit ihr über die Brücke, die sie aus Mondlicht schuf, zur Erde nieder.

In meinem Zimmer angekommen, schlüpfte Lili sogleich in ihre Lampe und die begann zu leuchten wie es Öllampen tun: mit einer kleinen, flackernden Flamme am Ende der Tülle, die der Lampe das Aussehen einer Schnabeltasse verleiht.

Als Rakus meine offenen Augen sah, schnitt sie sofort eine Grimasse und senkte das Gesicht zur Schulter. Da mußte ich lachen. "Nicht doch, Rakus, nicht bei mir! Mir verdankst du den Trick!"

Ihr Gesicht glättete sich, aber ihre Augen blitzten zornig auf mich herab. "Du warst das also! Weißt du, wie ermüdend es ist, wenn man stundenlang eine Grimasse schneiden muß?"

"Das tut mir leid, Göttin. Aber warum denkst du dir nicht etwas anderes aus?"

"Nach deiner Vorgabe kann ich das nicht mehr," zürnte sie. "Und du hast es in deiner Erzählung vom Prinzen Nesik nicht einmal für erwähnenswert gefunden! Wie geht es dein beiden eigentlich, ihm und seiner Braut - wie hieß sie noch? Simalda?"

"Nun, ich nehme an, sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr seliges Ende. So geschieht es in Märchen gewöhnlich."

"Dann bin auch ich nur eine Märchenfigur?"

"Solange Menschen an dich glauben, bist du real, Rakus!"

"Aber, wer glaubt denn noch an mich?" rief sie verzweifelt und es schien, als wollte sie vergehen wie ein Seufzer im Wind.

"Laß sie nur diese Geschichte lesen," sagte ich beschwichtigend, aber es war wohl zu spät.

Als ich aus dem Fenster schaute, stand der volle Mond am Himmel wie eine polierte Silberscheibe.

ENDE



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