SCHWERPUNKTTHEMA

TRÄUME

EXPRESS NACH NIRGENDWO

Fred H. Schütz


Das Weltall ist extrem lebensfeindlich, das weiß jedes Kind. Nicht allein, daß man dort keinerlei Orientierung hat und daß man sich nirgendwo festhalten kann, wenn man den Boden unter den Füßen verliert, es gibt überhaupt keinen Boden, auf dem man stehen könnte. Zudem ist es dort sehr finster, außerordentlich kalt, und Luft zum Atmen hat man dort auch nicht. Daher braucht wer immer sich im Weltall aufhalten will einen speziell hierfür gebauten Schutzanzug, der ihn oder sie vom Kopf bis zu den Füßen rundherum einschließt.

Just solch ein Anzug schwebte mitten im Nirgendwo, weit ab von jeglicher Zuflucht. Das heißt, was immer hätte Zuflucht bieten können, war so fern, daß es nicht einmal in Sichtweite war. Das heißt, er war mutterseelenallein.

Der Anzug bewegte sich. Er drehte sich langsam, unendlich langsam, sowohl um seine Längs- wie um seine Querachse. Er beschrieb sozusagen Purzelbäume am laufenden Band. Was bedeutet, daß irgend etwas ihm ursprünglich den Anstoß gegeben hatte, der ihn durch das All trieb.

Der Anzug ruderte mit den Armen und seine Beine strampelten. Schwerfällig zwar, weil seine steifen Gelenkverbindungen es gar nicht anders zuließen, aber dennoch deutlich sichtbar. In dem Anzug steckte jemand!

Oberstleutnant Allen J. Jarvis war kein furchtsamer Mann. Das bewies der Umstand, daß er als Testpilot für die US-Luftwaffe tätig gewesen war, ehe er zur NASA ging. Unter Kollegen pflegte er zu sagen, beides sei weniger gefährlich, als Kampfeinsätze in Irak zu fliegen. Aber jetzt, den unabwendbaren Tod vor Augen, verfluchte er seine Unachtsamkeit. Sein Eifer, der ihn trieb, als Erster an das Leck zu kommen, den der verfluchte Meteorit geschlagen hatte, war schuld. Er hatte übersehen, daß seine Rettungsleine nicht richtig eingeklinkt war, und bei einer hastigen Bewegung war er von der Raumstation weg gedriftet.

Natürlich hatten sie kein Rettungsteam nach ihm ausgeschickt. Das war unmöglich. Zum einen besaß sein Arbeitstrupp keinen Düsenpack, mit dem man hätte durch den Raum gleiten können, zum anderen war er innerhalb einer oder zwei Minuten bereits außer Sichtweite. Selbst die Raumstation war gleich darauf für ihn verschwunden, vom Dunkel des Alls verschluckt. Sie hätten gar nicht gewußt, in welcher Richtung sie suchen mußten, trotz seiner gefunkten Hilferufe.

Sie würden Houston benachrichtigen und einen knappen Eintrag ins Computerlogbuch der Station machen: "Lt. Col. Jarvis bei Arbeitsunfall an der Außenhaut ums Leben gekommen."

Sein Luftvorrat ging zur Neige. Der Tank hatte eine Nominalkapazität von vier Stunden und solange war er nun wohl zur Ewigkeit unterwegs. Im Nachhinein erschien es ihm viel kürzer, aber die Vergangenheit ist ja immer rasch vorbei. Nur die Zeit, die vor ihm lag, war ihm unendlich lang vorgekommen; und nun war ihm die Entscheidung über seine Zukunft mit einem Schlag entrissen. Er war mehrmals drauf und dran gewesen, das Ventil zu öffnen und seine Atemluft entweichen zu lassen, nur damit es schnell ging und ihm die Qual langsamen Sterbens erspart blieb, aber dann hatte er es doch immer wieder aufgeschoben Selbst mit dem sicheren Tod vor Augen hängt man noch am Leben.

Cynthia würde es hart treffen. Die kleine unscheinbare Blondine aus der Oberschule hatte sich zu einer wahren Schönheit gemausert, als er sie vor ein paar Jahren auf einem Wohltätigkeitsbasar wiedertraf, zu dem ihn seine Mutter mitgeschleppt hatte. Bei beiden hatte es sofort gefunkt und das Ergebnis war ein gemütliches Heim in der Astronautensiedlung am Kap, dessen Ruhe nur durch gelegentliches Donnern einer in den Himmel schießenden Rakete gestört wurde, und die Zwillinge, nach den beiden Großmüttern Christel und Lisa genannt, ebenso blond wie die Mutter und mit einer Vorahnung künftiger Schönheit.

Ein keuchendes Stöhnen, beinahe ein Schluchzer, entfuhr ihm und sein Backenzähne mahlten hart aufeinander. Sie mußten nun ohne ihn aufwachsen. Er konnte nur hoffen, daß sich Cynthia nach einer angemessenen Zeit der Trauer wieder verlieben und für seine Kinder einen liebevollen und treusorgenden Vater finden würde. Als er unbewußt die Hand hob, um sich die Träne aus dem Auge zu wischen, klickte seine behandschuhte Faust hart gegen das Visier seines Helms. Selbst diese kleine Geste blieb ihm verwehrt.

Die Leuchtdiode in seinem Visier begann zu flackern und von grün auf orange zu springen, ein sicheres Zeichen, daß sein Luftvorrat zu Ende ging. Nun, zumindest würde er tot sein und nichts mehr spüren, ehe seine Batterien erschöpft waren und sich die Eiseskälte des Weltraums in seine Gebeine fraß.

Wie konnte Gott nur so grausam sein? Warum durfte er nicht am Steuerknüppel eines Kampfhubschraubers sterben, sondern mußte diesen schmählichen, qualvollen Tod erleiden? Seine Eltern waren strenggläubige Christen und so war er eng eingebunden in die lutherisch-evangelische Gemeinde groß geworden. Er hatte an allen Gottesdiensten teilgenommen, als kleiner Junge die sonntäglichen Bibelstunden besucht und auch sonst sämtliche Kirchenregeln seiner Gemeinde brav befolgt; er war sich keiner Sünde bewußt. Warum dann diese Strafe?

Die Ereignisse des Irak-Feldzuges hatten ihm vor Augen geführt, wie schrecklich Krieg sein kann. Er, der gläubige Christ, hatte zu zweifeln begonnen und sich schließlich gefragt, ob Gott überhaupt existiert. Nun, bald, sehr bald würde er es wissen! Es sei denn, daß mit dem Tod auch das Bewußtsein verlischt ....

Fernes Donnergrollen, das rasch zu tobendem Brausen anschwoll, riß ihn aus seiner Lethargie. Luftleerer Raum überträgt keinen Schall. Wieso hörte er dann diesen Krach? Der Helm schränkte sein Gesichtsfeld ein, und er mußte sich umwenden, wenn er sehen wollte, was passierte. Als dies ihm mit viel Mühe endlich gelang, sah er einen Eisenbahnzug heranrasen.

Es ist möglich, daß er zu überrascht war, um zu begreifen, daß es Eisenbahnen im Weltraum einfach nicht geben konnte. Er sah nur das helle Licht, das aus den Fenstern der Wagen drang und sogleich von der Dunkelheit ringsherum verschluckt wurde, sah den Kuhfänger am vorderen Ende der Lokomotive und den hohen Schlot, aus dem schneeweißer Dampf hervorquoll und wie dicke Wattebäusche über dem Zug schwebte. Dann stellte er sachlich fest, daß der Zug nicht direkt auf ihn zukam, sondern in einem Winkel an ihm vorüber fahren würde.

Ohne nachzudenken öffnete er das Ventil und ließ seine kostbare Atemluft entweichen. Der Rückstoß trieb ihn vorwärts und wie eine Rakete schoß er auf sein Ziel zu. Der Zug brauste herbei und dann schien er in einen Sog zu geraten, der ihn mitriß. Die Attraktion der Massen, dachte er geistesabwesend. Die größere zieht die kleinere an. Die kleinere Masse, das war er.

Seine Hand knallte gegen die Bordwand eines Waggons. Er spürte, wie das glatte Metall unter seiner Hand vorüberglitt und ihm fast den Handschuh abriß. Instinktiv griff er zu, fühlte die Stange in seiner Hand, schloß die Faust und krallte sich fest. Ein rasender Schmerz durchfuhr seine Schulter, als ihm der plötzliche Ruck beinahe den Arm aus dem Gelenk riß.

Im nächsten Moment war jedoch der Trägheitsmoment überwunden und sein Körper glitt mit. Sofort ließ die riesige Kraft, die auf ihn eingewirkt hatte, nach und der Schmerz wurde geringer. Die Stange in seiner Hand erwies sich als Geländer einer kleinen Plattform am hinteren Ende des Wagens. Über ihm leuchteten die roten Schlußlichter des Zuges. Hinter ihm war nichts. Er war buchstäblich auf den letzten Drücker aufgesprungen!

Die Tür in den Waggon öffnete sich mit einem schmatzenden Geräusch. Sofort strömte Luft heraus und hätte ihn fast von der Plattform geweht, wenn er nicht darauf vorbereitet gewesen wäre. Er hielt sich eisern fest bis der Luftstrom nachließ. Die Öffnung war eng und er hatte Mühe, sich hindurchzuzwängen. Aber dann stand er in dem kleinen, schwach erleuchteten Raum. Er war in Sicherheit!

Eine schwere Last drückte auf seine Schultern, wollte ihm fast den Atem rauben. Schwerkraft, dachte er. Sie haben ein Schwerkraftfeld eingebaut. Aber dann fiel ihm ein, daß sein Luftvorrat erschöpft war. Rasch schloß er das Ventil, und dann mußte er warten, bis sein Außenfühler zu grün wechselte. Die Luft war atembar. Er griff nach seinem Helm und drehte ihn, bis ein Klickgeräusch anzeigte, daß er aus seiner Arretierung gelöst war. Er nahm den Helm ab und atmete tief ein und aus. Die Luft roch nach Öl und Staub, aber ihm schmeckte sie süßer als das Paradies. Luft bedeutete Leben.

Die Tür zum Innenraum öffnete sich geräuschlos. Mit dem Helm unter dem Arm trat er ein. Der Raum war größer, als es von außen den Anschein gehabt hatte, und gut erleuchtet. Die Sitze waren in Reihen angeordnet, wie er es von Zügen her kannte, in denen er gereist war. Aber hier waren sie mit weinrotem Plüsch bezogen. In der Mitte lief ein schmaler, langer Gang durch die gesamte Länge des Waggons.

Der Wagen war gut besetzt. Die Fahrgäste, vor allem Männer, waren durchweg gut gekleidet, mit merkwürdig zugeschnittenen dunklen Anzügen und steifen Hüten auf dem Kopf. Die zwei oder drei Frauen, die er ausmachen konnte, trugen lange, umfangreiche und nicht ganz so düster gefärbte Kleider mit vielen Rüschen und enger Taille. Ihre Haare trugen sie als kompliziert aufgesteckte Hochfrisuren. Einige der Männer hielten halb oder ganz gefüllte Gläser in den Händen. Das erinnerte ihn daran, daß er schon geraume Zeit weder gegessen noch getrunken hatte, aber er verspürte keinen Hunger. Das macht die Aufregung, dachte er. Die Freude, daß er noch am Leben war.

Die Fahrgäste hoben die Köpfe, als er eintrat, und starrten ihn unverhohlen an. Bleiche oder vom Alkohol gerötete Gesichter, die meisten bärtig. Ihre Augen glitzerten feindselig.

"Junger Mann," sagte einer der näher sitzenden. "Sie stören! Sie sind der Grund für ..." Seine Stimme schnarrte arrogant.

"Das ist nicht wahr, Mister Haines," sagte der Schaffner, als er den Gang entlang heranschritt. Er trug eine dunkelblaue Uniform mit langer Jacke und Messingknöpfen daran, in zwei Reihen von den Schultern bis zur Taille angeordnet. Er trug eine Mütze mit kleinem Visier, das tief über seine Augen gezogen war. "Sie wissen, daß wir die Verspätung anderen Umständen verdanken."

Er maß den Astronauten aus engen Augen, vom militärisch kurzen Haarschnitt bis zu den dicksohligen Stiefeln, die ihn größer erscheinen ließen, als er war. Astronauten sind keine Hünen, aber das konnte der Schaffner nicht wissen.

"Was sind Sie denn für einer," knurrte er durch den gesträubten Schnauzer. "Wo kommen Sie überhaupt her? Die Idee, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen ..."

Allen spürte die nahezu greifbare Feindseligkeit, die ihm entgegensprang. Das drückte sich auch in der Haltung des Schaffners aus, der ihn aus enggeschlitzten Augen anstarrte. Er hatte längst erkannt, daß er es mit einer Gesellschaft aus dem ausgehenden neunzehnten Jahrhundert zu tun hatte - wie die in seine Zeit geraten war, ließ er im Moment außer acht, da jegliche Basis für eine Erklärung fehlte - und aus ihrer Ausdrucksweise schloß er, daß diese Leute aus dem Westen Amerikas stammten. Sie konnten nicht wissen, daß er Astronaut war - wahrscheinlich hätten sie die Vorstellung einer möglichen Raumfahrt als Hirngespinst von sich gewiesen. Er beschloß, sie mit der Höflichkeit zu behandeln, die sie nicht für ihn übrig hatten, und unterdrückte den aufsteigenden Ärger.

"Es tut mir leid, wenn ich Ihnen Unannehmlichkeit bereite," sagte er, "aber ich war in Not und-"

"In Geldnot wahrscheinlich," warf Mister Haines barsch ein. Der Mann hatte eine unangenehm schnarrende Stimme, als er ihn über sein erhobenes Whiskyglas hinweg anstarrte. "Und so wollten Sie sich durch einen Überfall bereichern! Aber wir-"

"Mister Haines, wenn Sie erlauben, führe ich die - eh, Unterredung," unterbrach ihn der Schaffner in scharfem Ton. "Sie sehen doch, daß der Mann keine Waffe trägt!" Der Zurechtgewiesene fuhr zurück, als hätte er einen Schlag ins Gesicht bekommen, wollte aufbrausen, überlegte es sich aber und ließ sich in seinen Sitz zurücksinken. Er murmelte etwas, das Allen nicht verstand. Dann schwieg er, blickte nur giftig unter seiner Hutkrempe hervor.

Der Schaffner beachtete ihn nicht weiter und wandte sich wieder Allen zu. "Ich weiß nicht, was ich mit Ihnen anfangen soll." Das Visier seiner Mütze rutschte auf und nieder, als er die Stirn runzelte. "Sie sind ein Gast, mit dem keiner gerechnet hat - nicht rechnen konnte."

"Es liegt mir fern, Sie zu belästigen." Allen bemühte sich, seiner Stimme einen ruhigen Klang zu geben, insgeheim erbost über Mister Haines widerborstiges Verhalten. "Ich werde an der nächsten Station aussteigen und versuchen, auf andere Weise heimzukommen."

Der Schaffner schüttelte den Kopf, eine knappe Bewegung, einmal hin, einmal her. "Die nächste Station ist Endstation - das heißt, wenn der Zug überhaupt hält."

"Wie das?" fragte der Astronaut erstaunt. Er hatte sich der Situation insoweit angepaßt, daß er sich nicht länger darüber wunderte, in einem altmodischen Zug durch das Weltall zu fahren, obwohl er das Gefühl, daß etwas nicht stimmte, nicht abschütteln konnte.

"Nun, wir sollten eigentlich nach Salvation fahren," erwiderte der Schaffner. "Auf dieser Strecke sind wir gegen unseren Willen. Wir-"

"Zu meinem Glück sind Sie dennoch her vorbeigekommen." Allen versuchte, mit einer heiteren Bemerkung die Situation zu entspannen, aber die Miene des Mannes vor ihm blieb toternst.

"Ja, und deswegen haben wir Verspätung," krähte Mister Haines aus seinem Sitz. Er hatte sein Glas geleert und war dabei, von neuem einzuschenken. Als er weitersprach, wurde seine Stimme undeutlich. "Wir haben bereits über eine Stunde Verspätung! Mir entgeht ein Geschäft-"

"Mister Haines!" rief der Schaffner erbost. Er sah mit strengem Blick auf Mister Haines hinunter, aber der war betrunken und beachtete ihn nicht. Sein Gesicht war hochrot und seine Augen stierten glasig, als er sein Glas schwang. Whisky schwappte über und rann auf seine Hose. "Daran ist nur er schuld!"

"Mister Haines, wenn Sie nicht Ruhe geben, muß ich Sie in Gewahrsam nehmen!" rief der erzürnte Schaffner und sein Schnauzer sträubte sich. Dann wandte er sich wieder zurück.

"Ob es ein Glück ist, muß sich erst noch erweisen," sagte er und in seiner Stimme schwang noch ein Rest von Groll. "Sehen Sie, dieser Zug wurde entführt!"

Mister Haines sah auf und setzte zu Sprechen an, aber er war schon zu betrunken, um noch wissen, was er sagen wollte. Er hatte in kürzester Zeit vier Gläser von dem starken Getränk hinuntergekippt. Nun saß er da und starrte lallend vor sich hin. Sein Kopf wackelte, als ob sein Hals zu schwach sei, ihn zu tragen.

Allen begann zu schwitzen. Raumanzüge sind nicht für gemütliches Plauschen in behaglicher Atmosphäre geschaffen. Es war Zeit, daß er wieder hier heraus kam. Aber wohin sollte er gehen? Deshalb dauerte es einen Moment, bis ihm dämmerte, was der Schaffner gesagt hatte. "Entführt?" fragte er lahm.

"Kommen Sie!" Der Schaffner drehte sich um und ging mit raschen Schritten den Gang zwischen den Sitzreihen entlang. Allen folgte ihm zögernd. Dabei trug er den Helm in beiden Händen vor sich her, um nicht überall anzurempeln. Er bildete sich ein, zu spüren, wie sich die Blicke der Passagiere in seinen Rücken bohrten. Hier hatte er die sprichwörtliche Gastfreundlichkeit des Westens nicht zu erwarten.

Am vorderen Ende des Wagens blieb der Schaffner stehen. "Gehe ich recht in der Annahme, daß das, was Sie anhaben, eine Taucherausrüstung ist?" fragte er und bedachte den Astronauten mit einem lauernden Blick.

Er hat etwas in Sinn, was mir nicht gefallen wird, dachte Allen. Laut sagte er: "Etwas ähnliches. Man kann sich damit in luftleerem Raum bewegen." Dies war nicht die ganze Wahrheit, aber wie sollte er dem Mann Begriffe wie Astronautik und Weltraumflüge begreiflich machen? Er hoffte, daß sich der Schaffner damit zufrieden geben würde.

"Dachte ich mir!" sagte der und nickte. Dann deutete er auf eine kleine schwarze Box, die etwas über Augenhöhe an der Wand neben der Tür angebracht war. Aus der Box drang undeutliches Stimmengemurmel. "Das ist eine Gegensprechanlage," sagte der Schaffner und sah ihn erwartungsvoll an.

"Wo führt sie hin?" fragte Allen. Für ihn waren Gegensprechanlagen und Nachrichtenübermittlung per Funk etwas Alltägliches.

"Zur Lokomotive," entgegnete der Schaffner. "Wenn Sie sprechen wollen, müssen Sie diesen Schalter drücken." Er deutete auf einen Knopf am unteren Ende der Box. "Sonst kann man Sie am anderen Ende nicht hören."

Das war überflüssige Information, aber für den Schaffner war die Anlage wohl eine technische Neuheit. "Sie haben also die Gangster noch gar nicht gesehen?"

"Wie sollte ich!" sagte der Schaffner in mürrischem Ton. "Um zur Lokomotive zu gelangen, müssen Sie luftleeren Raum durchqueren."

Na, das erklärt ja manches, dachte Allen. Wieso war ihm nicht gleich aufgefallen, was der Schaffner vorhatte? "Woher wissen Sie denn dann, daß Sie entführt wurden?"

Der Schaffner deutete mit dem Kinn. "Schauen Sie mal aus dem Fenster!"

Das Fenster war eine blanke schwarze Fläche, in der sich die Gesichter der davor sitzenden Passagiere spiegelten. Allen schüttelte den Kopf. "Draußen ist schwärzeste Nacht. Was-"

"Wenn wir auf dem rechten Weg wären," sagte der Schaffner, "nach Salvation, dann wäre draußen lichter Tag. Sie könnten den blauen Himmel und vielleicht weiße Wölkchen sehen.."

Allen hob die Augenbrauen. "Ich schätze, Sie erwarten von mir, daß ich hingehe und den Zug in meine Gewalt bringe," sagte er mißtrauisch. "Damit Sie Ihre Reise wie gewohnt fortsetzen können?"

"Sie haben die rechte Ausrüstung." Der Schaffner zog einen riesigen Revolver unter seiner Uniformjacke hervor. Das Ding hatte einen ungewöhnlich langen Lauf. "Nehmen Sie! Damit können Sie die Kerle angreifen. "Natürlich," setzte er hinzu und sah Allen mit scharfen Augen an. "Natürlich werden wir Sie belohnen-"

Allen schüttelte den Kopf. Das Monstrum war bestimmt seit dreißig Jahren nicht abgefeuert worden. Er hatte gesehen, was explodierende Waffen anrichten können. "Danke, aber ich will es auf friedliche Weise versuchen."

"Na, dann viel Glück," brummte der Schaffner mißmutig und ließ die verschmähte Waffe wieder verschwinden. Als er aufsah, hatte sich der Astronaut bereits durch die Tür gezwängt.

Das kleine Gemach glich in jeder Hinsicht der Luftschleuse, durch die er hereingekommen war. Er stülpte sich den Helm über den Kopf und ließ ihn einrasten. Die Anzeige in seinem Visier blinkte alarmierend, im Begriff, auf rot zu wechseln. Sein Luftvorrat war nahezu erschöpft.

Als er die Tür nach draußen öffnete, war er auf den harten Luftstrom vorbereitet. Er schlüpfte hindurch und stand alsbald auf der kleinen Plattform. Einen langen Schritt entfernt befand sich ihr Gegenstück, das zum nächsten Waggon gehörte. Da hier keine Schwerkraft wirkte, war es ihm ein Leichtes, die beiden Geländer zu überwinden.

In der Luftschleuse nahm er den Helm wieder ab, um Luft zu sparen, und trat ins Innere des Wagens. In diesem Abteil saßen schlicht gekleidete Leute, rauhe Gesellen von der Weide mit breitkrempigen Hüten und Pistolengürteln an den Hüften. Ein oder zwei Frauen waren unter ihnen. Sie trugen bunter gefärbte Kleider mit tiefen Dekolletees und die grelle Schminke verlieh ihren Gesichtern etwas maskenhaftes. Ihr Stimmgewirr brach ab und sie sahen befremdet auf, als er sich so rasch er konnte durch die Sitzreihen drängte, aber niemand machte Anstalten, ihn aufzuhalten.

Die nächsten beiden Plattformen waren schnell überwunden und schon befand er sich im dritten Wagen. Hier waren die Sitze schlichte Holzbänke und die Wände bestanden aus grünbraun gestrichenen Holzplanken. Das Abteil war voller Männer in blauen Drillichanzügen und asiatischen Gesichtzügen. Chinesische Gleisarbeiter, dachte er, die von der Schicht kommen oder zur Arbeit fuhren. Aus ihren Gesichtern waren Gefühle nicht zu lesen, als sie ihm zusahen, wie er sich durch die Reihen drängte.

Von der nächsten Plattform aus sah der den Tender der Lokomotive vor sich. An der Rückwand befanden sich Steigeisen und er kletterte hinauf. Oben fand er sich in einer tiefen Mulde. Einige wenige Holzscheite lagen darin, klafterlang geschnittene, längs geviertelte Baumstämme. Die feuern mit Holz, dachte er bestürzt. Welche Verschwendung!

Dann sah er die Lokomotive vor sich. Das Führerhaus war ringsum verglast, sodaß er hineinsehen konnte. Er sah einen Mann, der auf der rechten Seite stand. Er blickte angestrengt durch das vordere Fenster. Die rechte Hand hatte er auf den hochragenden Griff einer langen Stange gelegt. Er hatte sich die Ärmel eines Overalls um die Hüften gebunden und sein Oberkörper war nackt. Der Overall schien aus irgendeinem dunklen, solide wirkenden Material gemacht zu sein.

Links saßen zwei weitere Männer und unterhielten sich angeregt.. Worauf sie saßen, war nicht auszumachen. Sie trugen Unterwäsche. Wo waren ihre Schutzanzüge? Der Mann an der Stange wandte den Kopf und sagte irgendetwas. Die anderen lachten.

Die Leuchtanzeige in seinem Visier blinkte furios: Rot - rot - rot - rot. Es war höchste Zeit für ihn, sich in Sicherheit zu bringen - und dann mußte er auf der Lokomotive verweilen, bis sie einen Ort erreichen, der eine Atmosphäre hatte; ins Abteil zurückkehren war nicht mehr möglich.

Das Führerhaus hatte rückseitig eine Tür, wohl um das Herschaffen des Feuerholzes vom Tender zu erleichtern. Hastig riß er sie auf und schrie: "Überraschung!"

Die Männer auf der Lok konnten zwar seine Stimme nicht vernehmen, aber hören wie die Tür aufgerissen wurde, das konnten sie. Erschrocken fuhren sie herum, verloren die Balance und dann warf sie der Sog der mit Macht hinausströmenden Luft zu Boden. Währenddessen klammerte sich Allen mit der Kraft der Verzweiflung an den Türrahmen, um nicht selber weggeweht zu werden. Nicht auszudenken, wenn das passieren würde!

Einen Moment später war die Luft verpufft und die Kabine ohne Druck. Allen drängte durch die Tür und stand alsbald in der Kabine. Er schloß die Tür und dann mußte er bange Sekunden warten, bis der Außensensor in seinem Visier grün anzeigte. Erleichtert nahm er den Helm ab und tat einen tiefen Atemzug. Das war Rettung in letzter Sekunde!

Dann schaute er sich um. Die Männer lagen auf dem Boden, wie sie gefallen waren, mit aufgedunsenen Gesichtern, weit aufgerissenen Mündern und hervorquellenden Augen: Sie waren tot. Sie hatten auf einem Haufen Klafterholz gesessen, das an der linken Seitenwand aufgeschichtet war. Das mußten sie während des Aufenthaltes auf den Stationen hereingeschafft haben, um damit während der Fahrt den Kessel zu heizen - und das bedeutete, daß es auf den Stationen Atmosphäre gab. Er mußte also nur warten, bis der Zug eine Station erreichte und konnte ihn dann verlassen!

In der hinteren Ecke der gegenüberliegenden Seite lagen zwei Schutzanzüge, und drei Helme obenauf. Sie waren aus Metall gefertigt, kugelförmig, und hatten kleine runde Sichtfenster. Von der Oberseite der Helme ging ein Gewirr von Schläuchen ab. Das waren Ausrüstungen für Taucher! Sogar die dicken Bleisohlen befanden sich noch an den Stiefeln. Das erinnerte Allen an seine Ausbildung und die Belehrung über den Urspung der Schutzanzüge für Astronauten; man hatte sie den Tauchern abgeguckt.

An der Vorderseite sah er die runde Kesselrückwand mit der Feuertür und darüber ein uhrenähnliches Monstrum, das wohl irgendeine Art von Anzeiger war. Die Nadel darin vibrierte. Ein paar Hebel machte die Ausstattung komplett. Einen Sitz für den Lokführer gab es nicht. Dann gewahrte er neben dem Vorderfenster wo einer der Banditen gestanden hatte das Gegenstück zu der Sprechanlage im Abteil. Er drückte die Taste und sagte vorsichtig, "Hallo!"

Einen Augenblick später vernahm er ein knackendes Geräusch und dann die Stimme des Schaffners. Sie klang seltsam verzerrt, aber Allen war an Stimmverzerrungen im Interkom gewöhnt. "Hallo, sind Sie's?"

"Wer sonst," knurrte er und dann fiel ihm ein, daß er die Taste drücken mußte. "Ja," gab er zurück.

"Was ist mit den Piraten?" fragte der andere. Allen sah auf die Leichen hinunter. Er würde sie beiseite schaffen müssen, damit er sich frei bewegen konnte, aber Tote anzufassen war ihm zuwider. Er legte seinen Helm auf die Schutzanzüge, damit er nicht mit dem Fußboden in Berührung kam: Fuß-böden in Eisenbahnen sind alles andere als sauber.

"Die sind erledigt," sagte er knapp.

"Gut!" rief der Schaffner. Dann hörte Allen weitere Stimmen, wie sie etwas riefen, aber das konnte er nicht verstehen. Dann sagte der Schaffner, "Bleiben Sie dort, bis wir die Station erreichen. Sie müssen den Zug stoppen."

"Aber ich habe keine Ahnung, wie man das macht!" rief Allen entsetzt.

"Ach, das ist nicht so schwer," gab der Schaffner zurück. "Schauen Sie nach dem Druckanzeiger. Was sagte er?"

Er meinte wohl die runde Uhr am Kessel. "Die Nadel steht im oberen Bereich des weißen Feldes," sagte Allen.

"Gut. Wenn der Druck fällt, müssen Sie feuern. Das ist wie Holz im Kamin nachlegen."

"Das kann ich," sagte Allen mißmutig. Jetzt sollte er auch noch als Heizer arbeiten!

"Gut," sagte der Schaffner ungerührt. "Wenn die Nadel zu nahe an das rote Feld heranrückt, müssen Sie Dampf ablassen. Dazu ziehen Sie die Leine über ihrem Kopf."

Allen schaute nach oben. Über seinem Kopf verlief eine dicke Schnur von vorne nach hinten. "Ich sehe sie."

"Gut. Wenn Sie sie ziehen, öffnet sich ein Ventil und läßt Dampf ab. Aber erschrecken Sie sich nicht vor dem Pfeifton!"

"Okay," brummte Allen, ohne sich darum zu kümmern, ob der Schaffner das Wort verstand.

Der nahm es gelassen hin. "Gut," sagte er wieder. Er schien alles, was Allen sagte, gut zu finden. Langsam, dachte er, geht mir der Mann auf die Nerven. Aber er sagte nichts. Der Schaffner fuhr fort: "Jetzt müssen Sie nur noch warten, bis wir die Station erreichen. Das sollte bald der Fall sein."

"Okay," sagte Allen und der Schaffner erwiderte: "Sobald Sie das erste Signal passieren, stellen Sie den Antrieb auf Null. Dazu müssen Sie den kleinen Hebel mit Messinggriff nach oben drehen."

"Was für ein Signal?" fragte Allen und schalt sich gleich darauf einen Narren. Beim Landen eines Flugzeugs mußte er auch die Signale auf der Rollbahn beachten. Warum sollte es bei Eisenbahnen anders sein?

"Sie werden es erkennen," sagte der Schaffner ungerührt. "Sehen Sie den Hebel?"

Allen betrachtete die Kesselrückwand. Der Hebel befand sich direkt neben dem Manometer. Er war nach rechts gedreht. "Ich sehe ihn."

"Sehr gut," sagte der Schaffner. "Mit dem Hebel bestimmen Sie Vorwärts- und Rückwärtslauf. Nach oben gedreht schalter er den Antrieb auf Null."

Null hieß wohl Leerlauf. "Okay," sagte Allen.

Der Schaffner überraschte ihn, indem er seinerseits "Okay" sagte. Dann fuhr er fort: "Sobald Sie das zweite Signal erreichen, müssen Sie die Bremse betätigen. Das ist die lange Stange mit dem roten Griff."

"Wie viele Signale gibt es denn?" fragte Allen.

Der Schaffner erwiderte: "Insgesamt drei. Aber Sie müssen den Zug zum Halten bringen, ehe Sie das dritte Signal überfahren!"

"Was passiert, wenn ich daran vorbeifahre?" fragte Allen. Er war nicht sonderlich neugierig; das blecherne Krächzen aus der Sprechbox war auf die Dauer ermüdend. Aber er fuhr auf, als er die Antwort hörte.

"Dann sind wir alle verloren," sagte der Schaffner.

"Hm," sagte Allen. "Was ist, wenn ich den Zug nicht rechtzeitig zum Halten bringe? Kann ich nicht bis zur nächsten Station durchfahren? Dann hätte ich mehr Übung im Bremsen."

"Es gibt keine nächste Station," sagte der Schaffner und seine Stimme sank um eine Nuance tiefer. "Entweder Sie halten den Zug auf dieser oder wir fahren ins Limbo. Das ist das große, das absolute Nichts. Dort wollen Sie nicht sein und ich auch nicht!"

"Hm," sagte Allen noch einmal. Er wandte sich ab und brütete über dem Gedanken. Das Limbo! Grauenhaft. Dann wäre man besser tot.

Der Lautsprecher knackte noch ein paar mal und er hörte die Stimme des Schaffners, der "Hallo" sagte, aber er antwortete nicht. Er hatte mehr gehört, als er hören wollte. Er ging in dem engen Behältnis hin und her, um seine Gedanken zu ordnen, und kam zu keinem befriedigenden Ergebnis. Er dachte an Cynthia, wie sie den Schock über die Nachricht von seinem Ableben verkraften würde und wie sie wieder aufblühen würde, wenn er heimkam. Er stellte sich vor, wie er die Pforte öffnete und den Pfad zum Haus hinaufging. Piffy, der weiße Terrier, würde vor Freude jaulend an ihm hochspringen, wie er es immer tat wenn Allen nach Hause kam. Cynthia würde mit strahlendem Lächeln auf dem lieblichen Gesicht in der Haustür stehen und ihm entgegen eilen, um ihm vor allen Leuten in die Arme zu sinken. Und Christel und Lisa würden ihn bedrängen, sie auf den Arm zu nehmen und ins Haus zu tragen ...

Schließlich ertappte er sich dabei, wie er genauso dastand, wie der halbnackte Pirat, einen Fuß vorwärts, um ihn zu entlasten, die rechte Hand auf dem Bremshebel, und durch das Fenster nach vorn starrte. Draußen war es so dunkel wie in einem Kohlesack; nicht einmal die Konturen der Lokomotive zeichneten sich ab, und die waren doch direkt vor ihm ...

Und dann tauchte in der Finsternis vor ihm ein winziger Lichtfunke auf, wurde rasch größer und eilte ihm mit rasender Geschwindigkeit entgegen. Das mußte das erste Signal sein! Als es an ihm vorüberhuschte, griff er nach dem Schalthebel und versuchte, ihn nach oben zu drehen. Er stellte fest, daß er dazu Kraft aufwenden mußte und hatte Mühe, das Ding zu drehen. Als es ihm schließlich gelang, war das zweite Signal bereits da.

Hastig ergriff er den Bremshebel und zog. Das verdammte Ding rührte sich nicht! Erst als er es näher betrachtete, sah er, daß in den roten Griff eine Sperre eingebaut war. Als er diese löste, gab der Hebel nach; aber Allen mußte kräftig ziehen, damit er sich bewegte. Er zog mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, und stellte sich vor, wie die Bremsen kreischten, als sie griffen. Auf der Erde würden sie es tun. Natürlich hörte er nichts. Vielleicht hatte dieser Zug überhaupt keine Räder ...

Der Zug fuhr in eine geräumige Halle ein. Sie war hoch und weit und ihr Dach bildete einen weitgespannten Bogen über ihm. Allen hätte ihre Konturen überhaupt nicht wahrgenommen, wenn sie nicht beleuchtet gewesen wäre. Zwei Reihen heller Lampen auf hohen Masten säumten die Strecke, und jetzt sah er auch die lange, dicke Kesselröhre der Lokomotive und den hohen Schlot. Dann kamen die Stationsgebäude in Sicht, und ein Bahnsteig bildete sich auf der rechten Seite entlang der Gleise. Es waren tatsächlich Gleise vorhanden, also mußte der Zug auch Räder haben! Das Schild mit dem Stationsnamen darauf huschte so schnell an ihm vorüber, daß ihm keine Zeit blieb, es zu lesen.

Wir fahren viel zu schnell, dachte er bestürzt. Ein anderer Pilot seiner Staffel, Major James "Cougar" Corbett, hatte nicht überlebt, als er bei einem Landeanflug zu schnell hereingekommen war. Die lädierte Maschine war über das Deck hinausgeschossen und im Meer versunken. Trauer und Schmerz über den Verlust seines besten Freundes hatten sich tief in Allens Seele gefressen Er warf sein ganzes Gewicht auf den Bremshebel und stöhnte mit der Anstrengung.

Der Zug wurde tatsächlich langsamer. Das Stationsgebäude huschte vorüber, Bremsen kreischten und das letzte Signal tauchte auf, ein großer Kasten auf einem Pfahl mit einem flammenden Kreuz auf der Vorderseite. Er sah es näher kommen, immer näher und dann auf einmal stand der Zug - stand, und der Schlot war auf einer Höhe mit dem leuchtenden Kreuz.

Erschöpft taumelte Allen zurück. Er hob die Hand und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er hatte ein oder zweimal Holzscheite nachlegen müssen, als der Zeiger des Manometers sank, und als er die Kesseltüre öffnete, war ihm die Hitze des Feuers entgegengeschlagen Jetzt war es unerträglich heiß und der Schweiß troff an seinem Leib herunter..

Er ließ den Hebel in der Bremsstellung und rastete die Sperre am Griff ein, ehe er sich dem Fenster zuwandte. Menschen strömten über den Bahnsteig, eine Lawine von Menschen. Sie drängelten zur Stationstür, als alle versuchten, gleichzeitig durchzuschlüpfen.

Ein hochgewachsener hagerer Mann verließ das Gebäude durch eine andere Tür und schlenderte langsam und würdevoll heran. Er trug eine Uniform gleich der des Schaffners, mit überlangem Rockschoß und eine Mütze, die Allen an französische Polizisten erinnerte; sie war gleichfalls rot. Die Menge machte ihm respektvoll Platz, als er über den Bahnsteig schritt. Er ist wohl der Stationsvorsteher, dachte Allen leicht amüsiert. Sicher hält er sich für den Mittelpunkt der Schöpfung.

Der Schaffner hatte ebenfalls den Zug verlassen. Allen sah ihn näherkommen und den Vorsteher mit der Hand am Mützenschirm begrüßen. Seine Mütze war jedoch blau. Er blieb bei dem Beamten stehen und die beiden unterhielten sich angeregt. Dabei warfen sie bezeichnende Blicke auf die Lokomotive.

Wenn sie ihren Spaß wollen, können sie ihn haben, dachte Allen. Er hob den Helm auf und betrachtete ihn von allen Seiten - wenn sich Schmutz oder Staub am Halsring gesammelt hatte, konnte das fatale Folgen haben. Dann öffnete er die Tür und verließ den Führerstand. Diese Kabine würde ihn nicht wiedersehen! Er war mit Elektronik aufgewachsen - kein modernes Flugzeug würde fliegen, wenn seine elektronischen Geräte nicht funktionierten - und die spartanische Ausrüstung der Lokomotive erforderte den Einsatz von Muskelkraft, den er aufzubringen nicht gewillt war.

Er kletterte abwärts, vom Helm behindert, aber mit viel Mühe gelang es ihm, heil hinunterzukommen. Dabei fiel sein Blick beiläufig nach unten und - siehe da! - der Zug besaß tatsächlich Räder!

Die beiden Beamten sahen ihm erwartungsvoll entgegen, als er sich näherte. "Hallo, junger Mann," begrüßte ihn der Rotbemützte. "Wie ich höre, waren Sie es, der diesen Zug mit allen seinen Insassen gerettet hat! Dafür gebührt Ihnen unser aller aufrichtiger Dank, und wasimmer wir für Sie tun können-"

Allen beendete die langatmige Rede des Mannes mit einer Handbewegung. "Nicht der Rede wert," sagte er großzügig. "Aber ich wüßte, was Sie für mich tun können. Ich würde es Ihnen danken, wenn Sie mir eine Fahrgelegenheit besorgen würden, mit der ich heimkehren kann."

Der andere betrachtete ihn mit hochgezogenen Augenbrauen. Dann sagte er rauh: "Was denken Sie sich!" Mit dem Daumen deutete er über seine Schulter, wo der Stationsname in großen Buchstaben über der Tür stand. "Dies ist Perdition. Wer hierher gelangt, kommt nie wieder weg!"

... und die Wirklichkeit streckte ihre eisige Hand aus ...

In der Weite des Weltraumes, winzig in der grenzenlosen Finsternis, schwebt ein ehemals weißer Raumanzug. Die Anzeigen in seinem Visier sind dunkel, denn seine Batterien sind erschöpft, der Luftvorrat völlig aufgebraucht. Er birgt für alle Ewigkeit konserviert den tiefgefrorenen Leichnam eines Mannes, der für einen flüchtigen Moment unachtsam gewesen war.



(Ambrose Bierce gewidmet)


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