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ES WAR NICHT LEICHT, EIN EHEMANN ZU SEIN

von Thomas Kager



Es war nicht leicht, ein Ehemann zu sein.

Wenn Markus zurückdachte, war sein Leben früher sehr viel einfacher.

Er konnte mit den Kollegen nach der Arbeit einfach in eine Bar gehen und so lange bleiben, wie er wollte, räumte seine Wohnung auf, wann ihm danach war, ließ die Pizza auch einmal einen Tag offen in der Küche stehen, war der Herr über die Fernbedienung seines Fernsehers und konnte ohne schlechtem Gewissen den knackigen Praktikantinnen hinterher gucken.

Aber dann war Patricia in sein Leben getreten und alles hatte sich verändert. Sehr viel mehr, als er es sich jemals vorstellen hatte können.

Aber wenn er das Gesicht seiner schlafenden Frau musterte, schien es ihm doch nicht schwer. Sie gab ihm so viel zurück, daß er die Einschränkungen gerne in Kauf nahm.

Als sein Blick auf die Uhr auf dem Nachttisch fiel, seufzte er leise.

Um diese Zeit war er früher schon im Büro gewesen. Doch seit sein Boss von einem Tag zum anderen zu dem Schluß gekommen war, daß Markus nicht die Leistung brachte, die er von ihm erwartet hatte, mußte er nicht mehr so früh aufstehen.

Schade. Ihm hatte seine Arbeit gut gefallen und er vermißte seine Kollegen.

Obwohl es im Grund eine veraltete Wertvorstellung war und auch etwas machohaft, hatte Markus doch hin und wieder das Gefühl, von Patricia ausgehalten zu werden und zu wenig zu ihrem Lebensunterhalt beizutragen.

Aber das war töricht. Sie verdiente weit mehr, als er früher und das große Penthouse im obersten Stock des Hochhauses konnte sie sich leicht leisten.

Patricia hätte ihm zwar mit ihren Beziehungen sicherlich schnell eine neue und gut bezahlte Stelle verschaffen können, aber dafür war er doch etwas zu stolz.

Und irgendwie war Markus froh über den Verlust seiner Arbeit. So konnte er immer für Patricia da sein und jede Minute ihrer spärlichen Freizeit gemeinsam verbringen. Früher hatte sie sich manchmal tagelang nicht gesehen. Was aber in erster Linie an den sehr unregelmäßigen und unvorhersehbaren Arbeitszeiten von Patricia gelegen hatte.

Gestern war es wieder sehr spät geworden und er wünschte ihr, daß sie heute endlich einmal richtig ausschlafen kannte. Hoffentlich übernahm sie sich nicht eines Tages. Am liebsten wäre es ihm, wenn sie etwas kürzer treten würde. Zumindest eine Zeitlang. Aber darauf würde Patricia wohl niemals eingehen. Es war nun einmal ihre Bestimmung, wie sie immer sagte. Und sie war stark, sehr stark.

Noch ein paar Minuten lag Markus neben ihr und beobachtet sie, wie sie sich von ihrer anstrengenden und verantwortungsvollen Arbeit erholte.

Die kleinen Falten auf ihrer Stirn waren geglättet und auch der harte Zug um ihren Mund, der sich in letzter Zeit gebildet hatte, war verschwunden.

Gut, für den Moment hatte sie wohl alle ihre Sorgen vergessen und schlief den Schlaf der Gerechten, wie man so schön sagte. Bei nur sehr wenigen war dieser Ausspruch gerechtfertigter, als bei Patricia.

Vorsichtig stand Markus auf und verließ leise das geräumige Schlafzimmer.

Im Wohnzimmer nahm er Patricias Kostüm von der Couch, auf die sie es spät abends übermüdet hingeworfen hatte und musterte es aufmerksam.

Obwohl sie es am Morgen erst frisch angezogen hatte, wies es schon wieder deutliche Gebrauchsspuren auf. So widerstandsfähig, robust und schmutzabweisend der Stoff auch war, bei Patricias anstrengender Arbeit mußte sie es jeden Tag wechseln. Manchmal brauchte sie sogar mehrere am Tag, denn wenn man so oft in der Öffentlichkeit stand und in den Medien auftauchte, war ein korrektes Aussehen sehr wichtig.

Aber zumindest war das Kostüm nicht beschädigt. Wie es zu pflegen und waschen war, hatte Markus inzwischen schon gelernt (und es machte auch nichts, wenn einmal einer seiner roten Socken mit in die Wäsche kam), doch für Ausbesserungsarbeiten hätte er es zu dem Spezialschneider bringen müssen.

Markus legte das Kostüm zur Seite, holte ein neues aus dem Schrank und platzierte es griffbereit im Umkleideraum.

Es war eine große Umstellung für ihn gewesen, daß er sich um den Haushalt kümmerte. Aber auf diese Weise hatte er eine Aufgabe und eine Beschäftigung. Personal hätte die Situation nur verkompliziert und Patricia noch mehr belastet. Daher war aus dem erfolgreichen und rastlosen Techniker ein aufmerksamer und tüchtiger Hausmann geworden. Und so unglaublich es für Markus früher erschienen war, er hatte Spaß daran.

Wenig später hantierte Markus in der Küche, um ein reichliches Frühstück zuzubereiten. Er mußte fast lachen, wenn er daran dachte, wie er früher bestenfalls eine Tasse Kaffe hinuntergestürzt hatte und in die Arbeit gehetzt war. Inzwischen konnte er weitaus mehr.

Marmeladen- und Wurstbrote, Müsli, Yoghurt, ein paar Scheiben Toast, Milch, Tee, Fruchtsaft, Eier mit Speck, ein paar Datteln, frisch aufgeschnittenen Käse und so weiter.

Alles was Patricia schmeckte, machte er zurecht, denn er war stolz drauf, sie zu bekochen.

Das Geräusch von nackten Füßen ließ ihn von seiner Arbeit aufblicken.

Liebevoll lächelte er Patricia zu, die in ihren flauschigen Morgenmantel gehüllt in der Tür stand. Sie fuhr sich mit der Hand durch die verwuschelten Haare und blinzelte verschlafen in das helle Sonnenlicht.

Oh, wie liebte er diesen Anblick. Diesen Augenblicke, wo Patricia wirklich nur Patricia war. Die Frau, die er kennen und lieben gelernt hatte.

Markus war einer der wenigen Menschen, die sie ohne ihrer Maske kannten, die um die Frau hinter der starken Fassade wußten. Und er war sicherlich der Einzige, der sie jemals so sah, wie sie nun vor ihm stand.

Es war ein sehr schönes Frühstück im Licht der Morgensonne und sie unterhielten sich ausgezeichnet, während Patricia genüsslich das reichhaltige Angebot verspeiste.

Früher hatte sich Markus immer über ihren unglaublichen Appetit gewundert, und sich nicht erklären können, wie sie dabei so schlank und athletisch bleiben konnte.

Plötzlich schrillte das Alarmtelefon und beendete brutal den angenehmen Morgen.

Bereits beim ersten Ton war Patricia in das Umkleidezimmer geflitzt und mit dem letzten Wort der Durchsage stand sie in ihrem Kostüm, gekämmt und zurechtgemacht wieder in der Küche.

"Ich liebe dich", flüstert sie und küsste ihn sanft auf die Lippen.

"Ich dich auch", antwortete Markus und konnte sich gerade noch ein "paß auf dich auf" verkneifen. Er wollte nicht, daß sie sich unnötige Gedanken darüber machte, daß er sich um sie sorgte. Sie sollte sich ganz auf ihre Arbeit konzentrieren können, denn diese war auch so schon schwierig genug.

Sie lächelte ihn glücklich an, dann setzte sie ihre Maske auf.

Schnell lief sie hinaus auf die Terrasse, sprang über das Geländer und flog mit hoher Geschwindigkeit davon.

Markus blickte ihr noch nach, bis sie außer Sicht war. Dann schloß er die Terrassentür und machte sich daran, die Reste des Frühstücks wegzuräumen.

Es war nicht leicht, der Ehemann einer Superheldin zu sein.

ENDE



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