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DIE GOLDENE NUSS
(oder Aschenputtels wahre Geschichte)

von Fred H. Schütz



Es war einmal ein reicher Kaufmann, der hatte ein wunderschönes Weib das gleich nach der Hochzeit schwanger wurde und ihm ein süßes Mädchen gebar. Leider starb sie bei der Geburt des Kindes, aber ehe sie ihren letzten Atem aushauchte, sprach sie einen wundersamen Zauber über das kleine Ding, und empfahl ihre Seele Gott.

Nun war der trauernde Kaufmann allein mit dem Baby, das er versorgen mußte, und seine Geschäfte lagen brach bis er sich wieder verheiratete. Die Heirat rettete ihn vor dem Ruin, aber mit dieser Ehe hatte er kein Glück.

Seine neue Frau war zwar nahezu so schön wie die erste, aber sie war in der Seele verdorben, und außerdem brachte sie zwei Töchter in die Ehe, die sie zu eitlen Gören verzog. Die kleine Waise aber wurde von allen dreien schikaniert und mußte alle Schmutzarbeit im Hause verrichten, sodaß man sie wegen ihres Aussehens schließlich Jolaschka (Aschemädchen) nannte. Dieser Name setzte sich rasch so fest, daß sogar das Gesinde sie so rief. Niemand mehr erinnerte sich ihres wahren Namens; dieser war Dora und das bedeutet "die Goldene."

Der leidgeprüfte Vater wurde jedoch von der Rettung seiner Geschäfte so in Anspruch genommen, daß ihm die Vorgänge im Haus völlig entgingen. So vergingen viele Jahre, in denen Jolaschka alle Erniedrigungen erleiden mußte. Währenddessen arbeitete der Vater an seinem Glück und seine Geschäfte gingen wieder aufwärts, sodaß er wiederum wohlhabend wurde.

Als Jolaschka in dem Alter war, in dem junge Mädchen sich für Männer zu interessieren beginnen, schneite eines Abends die königliche Familie herein. Es war tiefer Winter, es hatte viel geschneit und es war schrecklich kalt. Die Königsfamilie war auf einem Jagdausflug gewesen, man hatte sich verfahren, und nun kamen sie erbärmlich frierend zum Haus des Kaufmanns, um sich etwas aufzuwärmen und den rechten Weg zu erfragen.

Jolaschkas Stiefmutter witterte ihre Chance. Sie bewirtete die Familie mit guter Hausmannskost und den besten Weinen im Haus, und die Königsfamilie geriet langsam in Stimmung.

Die Stiefmutter tat ihr bestes, um ihre Töchter ins Licht zu setzen, weil sie hoffte, der Königssohn würde sich für eine interessieren. Aber der hatte Jolaschka erspäht, die still in ihrer Ecke hockte, und schlich zu ihr, um sie zu verführen.

Das arme Ding hatte hinterher gerade noch Zeit, seine Kleider zu ordnen und hastig herauszustürzen, um die Königsfamilie zu verabschieden. Sie kam gerade noch rechtzeitig, um ihnen nachzuwinken. Dann ging sie still und nachdenklich in ihr Kämmerlein zurück.

Die garstige Stiefmutter hatte den Vorgang wohl gemerkt und schwor Rache. Als in der nun folgenden Zeit junge Männer nahezu täglich im Hause des Kaufmanns erschienen, weil sie sich für die Töchter interessierten, führte sie die Frau allesamt zu Jolaschka, damit sie sich an ihr vergehen und sie in Schande stürzen sollten.

Nun hatte das Mädchen bereits den Samen des Prinzen empfangen. Dieser war überaus giftig, weil er nicht durch den Bund der Ehe geheiligt war, und hätte sie vernichtet, wenn sie nicht der Zauberspruch der Mutter geschützt hätte. Der Zauber verwandelte den Samen in eine goldene Nuß, die alle Freier abwehrte und sie unverrichteter Dinge abzogen. So blieb das Mädchen vor dem schlimmsten Unglück bewahrt.



Die Zeit verging und es wurde Frühling. Trotz allen Schmutzes blühte Jolaschka auf, sodaß ihr Schönheit alles überstrahlte und die böse Stiefmutter vor Neid und Zorn fast verging.

Zur Sonnenwende gab das Königspaar ein Fest zu Ehren des Prinzen, zu dem es alle Jungfrauen des Landes einlud - in der Hoffnung, daß sich der junge Mann verlieben würde. Dann würde er heiraten und der alte König konnte seine Krone an ihn abgeben.

Natürlich fuhr die Stiefmutter mit ihren herausgeputzten Töchtern zum Ball. Es wäre gelacht, wenn sich der Prinz nicht in eine von beiden vergaffen würde! Jolaschka mußte zu Hause bleiben und das Herdfeuer hüten. Das aber mochte der Zauber der Mutter garnicht leiden.

Kaum waren die drei Weiber in einer Staubwolke verschwinden, als die goldene Nuß zum Vorschein kam. Sie öffnete sich und darin fand Dora - wie Jolaschka eigentlich hieß - ein herrliches Kleid, das sie flugs anlegte, und der zauberhafte Schmuck der Mutter schmiegte sich um ihren zarten Hals. Und wie sie mit der Garderobe fertig war, erfaßte sie ein Wirbelwind, der sie forttrug und sacht im königlichen schloß absetzte - lange ehe die bösen Weiber von Staub bedeckt und mißgestimmt am Schloß ankamen, wo sie große Mühe hatten hineinzukommen.

Jolaschka war die erste, die den Ballsaal betrat, und als der Prinz nach einer Wartefrist, während der sich der Saal füllte, hereinkam, fiel sein Blick zuerst auf das schöne Mädchen. Sofort stand sein Herz in Flammen. Er hatte nur Augen für sie und tanzte den ganzen Abend nur mit ihr, und die böse Stiefmutter, die sich mit ihren Töchtern endlich einen Platz im Saal erkämpft hatte, mußte erbittert zuschauen, sodaß ihr bald das Herz vor Neid zersprang.

Das Königspaar in seiner Loge schaute dem Treiben mit Wohlgefallen zu; es sah ganz so aus, als hätte der Prinz die ideale Frau gefunden, und sie reichten sich die Hände und beglückwünschten sich. Der Prinz indes versuchte das Herz der Wunderschönen zu erobern, aber sie wich seinen eindringlichen Fragen nach ihrer Herkunft aus, bis sie schließlich zugab, sie sei die Tochter des Kaufmanns.

Punkt Mitternacht kam der Wirbelwind zurück, entzog sie des Prinzen Arm und setzte sie zu Hause sacht ab. Als die bösen Weiber enttäuscht und übelgelaunt vom Ball zurückkehrten - denn sie hatten nicht einmal getanzt, schon garnicht mit dem Prinzen - fanden sie das Mädchen schlafend in seinem Bett. Das mochten sie überhaupt nicht leiden, denn irgendwie mußten sie ihre Wut auslassen. Daher weckten sie Jolaschka und schickten sie in den Keller, Brot und Wein für sie zu holen. Sie gaben ihr nicht einmal Zeit, sich etwas anzuziehen, und so mußte sie auf nackten Füßen und im Nachtgewand in die eisige Gruft hinuntertappen. Jolaschka nahm es hin, wie sie alles ertrug, seitdem die Stiefmutter im Hause das Sagen hatte.

Am nächsten Morgen machte sich der Prinz schon vor dem Frühstück auf, seine goldene Braut zu suchen und kam dabei zum Haus des Kaufmanns. Die überraschte Stiefmutter empfing ihn mit süßlicher Miene und lud ihn zum Frühstück ein. Als er dann nach der Tochter des Hauses fragte, rief sie ihre Töchter eine nach der anderen herbei. Aber jedesmal sagte der Prinz "Das ist sie nicht!" und die garstige Frau mußte Gift und Galle hinunterschlucken. Aber der Prinz gab nicht so leicht auf, und als er fragte, ob nicht noch eine Tochter im Hause sei, entgegnete sie, "Mehr Töchter habe ich nicht!"

Der Prinz fühlte sich genarrt und betrogen und war drauf und dran, in tiefer Enttäuschung davonzureiten, als der Kaufmann von einer langen Geschäftsreise zurückkehrte. Er war bestens gelaunt, weil die Reise erfolgreich gewesen war und ihm guten Gewinn brachte. Deshalb überredete er den Prinzen, noch ein Weilchen zu bleiben und sie unterhielten sich über die Dinge, die Männer interessieren. Er erzählte von seinen Geschäften und der Prinz von der Jagd, und als schließlich das Eis gebrochen war und der Kaufmann nach dem Grund seines Besuchs fragte, sagte der Prinz, er sei der Tochter wegen gekommen, aber die Frau habe ihm nur Töchter vorgestellt, die er nicht kannte und die ihm gleichgültig waren. Da sagte der Kaufmann: "Aber ich habe noch eine Tochter!" und ließ Jolaschka rufen.

Als Jolaschka aus der Küche geholt und, verschmutzt wie sie war, mit zersaustem Haar und den Scheuerlappen noch in der Hand, hereingeführt wurde, jubelte der Prinz: "Das ist sie! Sie ist die Richtige!" denn er hatte sie sofort erkannt.



Da wirkte der guten Mutter Zauber ein weiteres Mal und verwandelte Jolaschkas zerschlissenes Küchengewand in ein wunderschönes goldenes Kleid. Nur ihre Füße blieben nackt.

Das war dem Prinzen gleich. Er hob Dora - denn Jolaschka war einmal - auf sein stolzes weißes Pferd, setzte sich hinter sie in den Sattel, und dann ging es im gestreckten Galopp über Stock und Stein bis zum Königsschloß!

Ei, war da die Freude groß! Sofort wurde die Hochzeit ausgerichtet und während der Trauungszeremonie übergab der König die Krone an seinen Sohn. Nun war der König und der alte konnte sich mit seiner Altkönigin zur Ruhe setzen.

Doras Vater wurde selbstverständlich zur Hochzeit eingeladen, und er kam gern - allerdings ohne Frau und deren selbstsüchtige Töchter. Die Ereignisse hatten ihm die Augen geöffnet und er verstieß sie, sodaß sie am Ende garnichts hatten. Der Mann blieb jedoch nicht allein. Er hatte genügend Reichtum erworben, daß es ihm leicht fiel, sich gut versorgt und vernüglich auf sein Altenteil zurückzuziehen.

Der Prinz wurde ein weiser und gerechter König, Dora eine gütige Königin, die das Land so gut regierten, daß alle Leute darin am Wohlstand teil hatten. Sie soll ihm auch viele süße Kinderlein geschenkt haben, aber darüber gehen die Meinungen auseinander.

Die goldene Nuß aber wurde zum Reichsapfel erkoren, nur hat sie nie mehr Wunder gewirkt.



Seht Ihr, das ist die wahre Geschichte, und das ganze Primborium mit den erbslesenden Täubchen und Blut ist im Schuh wurde aus irgendwelchen Gründen viel später dazugedichtet.

Und wenn sie nicht gestorben sind ...


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