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DER PROFESSOR

von Thomas Berger



Die kleine Gruppe von Gelehrten saß um den ovalen Beistelltisch herum und rauchte. Vier satte, schläfrige Personen, die sich zuvor das Menü der Haushälterin von Prof. Morris schmecken hatten lassen.

Einer der Gäste, Dr. Martin, gähnte zwischen zwei Zügen an seiner Zigarre.

"In der Zukunft war ich schon!"

Dr. Martin, Sieglinde Schmidt, die deutsche Privatgelehrte, und Prof. Zanussi drehten die Köpfe in Richtung ihres Gastgebers.

"Wie bitte?" fragte Sieglinde Schmidt und zog dabei den erkaltenden Rest einer selbst Gedrehten aus ihrer Elfenbeinzigarettenspitze. Gleich würde sie wieder versuchen, mit einem einfachen Pfeifenreiniger diese Spitze zu säubern. Es war ihr bis jetzt noch nie gelungen, da die Minibürsten stets zu groß für ihr handgeschnitztes Mundstück waren. Zanussi fand diese Prozedur nur unnütz und egozentrisch, darauf ausgerichtet ein maskulines Verhalten an den Tag zu legen.

Dr. Morris ignorierte ihren verbissenen Versuch:

"Sie haben schon richtig gehört, in der Zukunft war ich schon."

Sieglinde Schmidt platzierte ihren inzwischen verbogenen Pfeifenreiniger im Aschenbecher neben der ausgedrückten Zigarette und fragte mit leicht zusammen gekniffenen Augen:

"Wie dürfen wir das verstehen, teurer Freund?"

"Nun", erwiderte der Professor, "ich war bereits dort, aber mit der Zukunft verhält es sich anders, als sie denken."

Dr. Martin stemmte sich etwas aus dem Ledersessel hoch:

"Also, jetzt haben sie auch mich neugierig gemacht. Erzählen sie uns doch bitte, wie sie dorthin gereist sind.", forderte er.

"Sie kennen doch sicher alle diese Geschichte von H. G. Wells, "Die Zeitmaschine". Nun, solch ein Ding habe ich auch gebaut. War gar nicht schwer. Nur - meine Maschine ist wesentlich kleiner, nicht größer als eine Zigarettenschachtel. Sehen sie hier."

Der Professor stand auf und trat an den verzierten Schrank zu seiner rechten. Er öffnete eine quietschende Schublade, wobei er das Gesicht verzog und holte ein kleines schwarzes Kästchen heraus.

"Wenn man hier an dieser Skala dreht, bildet sich ein Feld, das einen wie eine Blase umhüllt. Dann kann man mittels des seitlichen Stellrädchens in der Zeit nach vorne reisen."

"Also mein guter Freund, ich glaube Ihnen kein Wort. Demonstrieren Sie dies doch mal. In Wells Geschichte wurde das ja auch gemacht." Sieglinde Schmidt hatte während des Drehens einer neuen Zigarette herausfordernd aufgesehen. Der Professor nickte:

"Sicher doch. Wer von Ihnen möchte es gerne ausprobieren?"

Die drei Angesprochenen sahen sich nacheinander zweifelnd ins Gesicht. Schließlich war es Dr. Martin, der sagte:

"Bevor wir uns hier drum drängeln, werde ich den Test übernehmen."

Er stand auf und nahm das vom Professor gereichte Kästchen in die Hand:

"An diesem Rädchen hier also drehen, ja? Wie ist denn die Zeiteinteilung?"

"Je schneller sie drehen, desto weiter reisen sie in die Zukunft. Es bedarf, das gebe ich zu, einer gewissen Übung um exakte Ziele zu erreichen. Drehen sie einfach langsam daran. Zurück kommen sie, indem sie das Rädchen wieder bis zum Anschlag zurückdrehen. Dann befinden sie sich wieder mitten unter uns", erklärte der Professor.

Dr. Martin sah für einen Moment so aus, als wolle er ihm das Kästchen wieder zurückgeben, dann überwog doch die wissenschaftliche Neugier. Er drehte an der Skala und verschwand in einer spiegelnden Blase, die ihn von unten nach oben aufsteigend umhüllte und gleich darauf mit einem trockenen Knacken verschwand.

Bevor der Professor zu einer weiteren Erklärung ansetzen konnte, erschien die Blase wieder und hinterließ, nachdem sie sich aufgelöst hatte einen sichtlich verwirrten Dr. Martin.

"Was ist passiert? Was haben Sie gesehen?" fragte Sieglinde Schmidt.

"Ich weiß nicht, was ich gesehen habe. Ich weiß nur, dass ich nicht mehr in die Zukunft sehen möchte." Damit überreichte er dem Professor wieder das Kästchen, der es vorsichtig in die Schublade zurück legte und sie schloss.

"Es ist sinnlos, die Möglichkeit, die Sie gerade gesehen haben, zu interpretieren. Ich hätte Sie vorwarnen sollen, lieber Freund. Man kann immer nur eine Zukunft betrachten, nie alle zusammen", sagte er ruhig zu Dr. Martin, der nervös mit einer neuen Zigarre spielte, sie aber nicht entzündete. Prof. Zanussi griff nun auch in das Gespräch ein: "Wollen Sie damit etwa die Theorie bestätigen, dass es unendlich viele Möglichkeiten der Zukunft gibt?"

Der Professor nickte:

"Ja, alles ist in der Zukunft möglich, wirklich alles. Jede Kleinigkeit verändert wieder die nächste und eröffnet neue Wege."

Sieglinde Schmidt zündete sich ihre neue Zigarette an:

"Wie sind sie darauf gekommen?"

Mit spitzen Fingern hielt sie die Zigarettenspitze wie einen Degen in Richtung ihres Gastgebers.

"Nun, bei meiner ersten Reise legte ich lediglich eine Woche zurück. Ich notierte mir dort aus einer Zeitung alle Ergebnisse der Pferderennen. Hier spielten vor allem egoistische Gründe eine Rolle. Ich benötigte dringend Geld für die Sanierung meines Daches."

Alle lachten.

"Sie können sich nicht meine Enttäuschung vorstellen, als nur etwa 10 Prozent meiner daraufhin abgegebenen Wetten tatsächlich eintrafen. Das stimmte mich äußerst nachdenklich. Also reiste ich weiter in die Zukunft. Jahre, Jahrzehnte und schließlich Jahrhunderte. Manchmal sah ich keine oder kaum Veränderungen und manchmal waren Stadt und Land verwüstet oder absolut unkenntlich - und dies, obwohl ich stets die gleiche Zeit anwählte."

"Das ist ja interessant", brummte Prof.. Zanussi, "scheint also hinzukommen, das mit den unendlichen Zukünften."

Alle nickten nachdenklich.

"Verraten Sie uns aber bitte eins, lieber Freund. Wie kommt es, dass Sie doch ein neues Dach haben und sogar noch ein neues Auto dazu, wie ich bei unserer Ankunft bewundernd feststellen konnte?", fragte Dr. Martin, der aus seiner Grübelei wieder erwacht war.

"Tja", begann der Professor schmunzelnd, "nachdem ich der Zukunft keine wirklichen Geheimnisse entreißen konnte, begann ich praktischer zu denken. Mit ihrem umfassenden geologischen Wissen können Sie, verehrte Sieglinde uns sicher erklären, woraus Diamanten bestehen."

Sieglinde Schmidt blickte zwinkernd auf. In der rechten Hand hielt sie einen neuen Pfeifenreiniger, mit dem sie gerade wieder ihre Zigarettenspitze reinigen wollte:

"Aber sicher. Diamanten bestehen aus Kohlenstoff. Im Prinzip sind sie nichts anderes als für einen langen Zeitraum unter hohem Druck komprimierte Kohlenstücke."

"Genau! Ich nahm also ein paar Stück Kohle und vergrub diese in meinem Garten. Meine nächste Reise ging dann ein paar Millionen Jahre in die Zukunft. Dort grub ich an der gleichen Stelle dann Diamanten aus. Die Kohle war ja in jeder Zukunft vorhanden, da sie ja von mir real vergraben wurde. Alles andere war ja nur fiktiv."

Der Professor lehnte sich zurück und betrachtete seine nun sprachlosen Freunde: "Sie sehen also, in der Zukunft war ich schon."



Ende



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