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SALOMES TANZ

von Fred H. Schütz



Die uralte Öllampe auf dem Kaminsims - meines Wissens seit Jahrhunderten nicht mehr im Gebrauch und ganz gewiß nicht mit Öl gefüllt - entsendet ein magisches Licht und verwandelt mein Zimmer in ein arabisches Nomadenzelt - ganz der Tradition entsprechend aus schwarzgefärbtem Wollstoff gefertigt, die Bahnen über ein schwächlich wirkendes Gestell aus dürren Hölzern gespannt und im Wüstensand verankert - ich könnte den Kamelgeruch wahrnehmen, wäre die Luft nicht weihrauchgeschwängert. Ich liebe den feinherben Duft von Weihrauch, dem man nachsagt, er beflügele den Geist.

Dem Deckel der Lampe, die aussieht wie eine überdimensionale Schnabeltasse, vorne die Tülle und hinten ein Griff, mittels dessen man die Lampe anheben und transportieren kann, ist heute noch deutlich erkennbar das Siegel Salomons - der Davidstern umrahmt mit kabbalistischen Zeichen - eingeprägt, und da Salomon nichts anderes ist, als mein Name auf hebräisch, macht er mich zum Herren des Lampengeistes. Salomon, Herr über die Geisterwelt, hatte seinerzeit einen Afrit, den mächtigsten aller Geister, in die Lampe gebannt, und der lebt heute noch darin.

Man muß wissen, daß zu Salomons Zeiten der Islam noch lange nicht erfunden war, und so waren Juden und Araber garnicht so verschieden voneinander - bestenfalls war der Unterschied, daß Araber Nomaden und Juden damals bereits seßhaft waren. David, zum Beispiel, der Vater Salomons, war nichts anderes als ein jüdischer Stammesfürst, der es aufgrund seiner Kriegskunst zum König von Judäa gebracht hatte. Er war somit Stammvater des Hauses David, dem zum Beispiel auch Jesus von Nazareth entspringen sollte; aber auch der Begründer des Christentums war noch lange nicht geboren. So gab es zu jener Zeit vom Zweistromland (heute Irak) zur Mittelmeerküste neben Chaldäern und Phöniziern die arabischen Heiden, die unter anderem den heute kaum noch genannten mekkanischen Stadtgott und dessen Weib Allah (die Schlange) anbeteten, und Juden, die ursprünglich vom Zweistromland gekommen waren und sich laut Moses Lehre als Kinder Gottes sahen ...

Als David in die Jahre kam und das Alter ihn gebrechlich machte, beschloß er, sich seine Jugend zurückzuerobern und griff zur Magie gemäß der Lehre "Wie oben so unten, oder alles ist gleich." Fortan mußte das Mädchen Sulamith sein Lager teilen. Genutzt hat es den alten König sicher nicht, aber Sulamiths Name gilt seitdem als Sinnbild der jungfräulichen Unschuld und Reinheit.

Auf der Tülle der Lampe, die jetzt in ein Makramèegeflecht eingebunden von der Zeltdecke hängt, flackert eine kleine Flamme - wie Kerzenflammen flackern die Flammen von Öllampen immer im Wechselspiel mit der zuströmenden Kaltluft - und diese ist es wohl, die das Zelt in ein geheimnisvolles Licht taucht. Mein schlichtes Bett hat sich in einen prachtvollen Diwan verwandelt und ich rekele mich darauf, gestützt von seidebezogenen Kissen - so vielen Kissen, wie sie mein Bett niemals hatte. Der Fußboden ist mit erlesenen Seidenteppichen aus Isfahan bedeckt. Von irgendwoher dringt leise Musik - ich erkenne das trockene Klopfen der arabischen Trommel und die in Tonarabesken sich windende arabische Schalmei, begleitet vom rhythmischen Zirpen der Messingschellen - orientalische Musik eben, aber gedämpft, damit sie mein Ohr nicht beleidigt.

Die Wände meines Zimmers haben sich in luftige Vorhänge verwandelt, durch die draußen in der Wüste herrschende Hitze stark gemildert hereindringt. Wie ich hinschaue, teilen sich die Vorhänge und eine verhüllte Gestalt schlüpft herein, die sich allsogleich mit schlangenhaften Bewegungen zu drehen beginnt. Sie gleitet über den Boden wie eine Windhose und wabert dabei auch wie eine solche, als ob sie keine Beine hätte. Geschmeidig windet sich die Figur der Musik folgend, und Schleier wehen. Ein Schleier weht empor wie vom Wind getragen, beginnt sich zu drehen, löst sich von der Gestalt, und segelt langsam, gleichsam flatternd zu Boden. Ein zweiter beginnt sich zu lösen wie der erste ...

Das ist orientalischer Tanz in höchster Vollendung und was mir geboten wird, ist Salomes Tanz wie sie ihn vor König Herodes aufgeführt hatte. Aber sie hatte nachher von ihm den Kopf von Johannes dem Täufer gefordert - wen würde dieser Tanz den Kopf kosten?

Nicht mich, sonst säße ich nicht hier auf dem bequemen Diwan, mit einem silbernen Tablett voll köstlicher goldenen Palmyradatteln zur Hand und Mokkaduft, der aus dem winzigen Täßchen in meiner Hand in meine Nase steigt, um meinem Schreiber diesen Bericht zu diktieren.

Salomes Tanz sei schlüpfrig gewesen, sagt die Bibel. Aber das liegt einzig an der sexfeindlichen Einstellung der christlichen Kirche. Mir wurde er hier vorgeführt und ich kann's bezeugen: Er war nichts anderes als der Welt erster dokumentierter Striptease!

Ein Schleier nach dem anderen fällt, und je schneller die Musik spielt, um so rascher fallen die Schleier. Ob's wirklich sieben sind? Ich habe sie nicht gezählt.

Je mehr Schleier fallen, um so mehr zeichnet sich die Figur darunter ab. Nur wäre Lili nicht Lili, wenn sie sich lediglich langsam entblätterte; nein, je mehr von ihr sichtbar wurde, um so transparenter wird sie. Als der letzte Schleier fällt, ist auch ihre Figur verschwunden wie in Luft aufgelöst ...

Nur ein Haufen Schleier liegt über den Fußboden verstreut.

Die Musik verklingt mit einem letzten Seufzer und das einzige Geräusch ist das leise Raunen des Windes, der Staubfontänen aufwühlt und wie Schleier gegen meine Zeltwände rieseln läßt. Dann verstummt auch der Wind, die Wände meines Zimmers treten an die Stelle der Vorhänge, und während ich noch die letzte Dattel kaue, löst die sich in meinem Mund auf. Den Kern brauche ich schon nicht mehr auszuspucken.

"Hast du gut geschlafen?" fragt das Mörchen, wie ich herunterkomme und bietet mir eine Erfrischung. Wie jeden Tag nach meinem Mittagsschläfchen. Irgendwie habe ich heute keine Lust darauf; ich habe noch den Geschmack der Golddatteln in meinem Mund ...



ENDE



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