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DAS TUCH

von Susanne Stahr



Bagoara schlenderte gemütlich über den Marktplatz von Maracanda. Eine frische Brise ließ ihr langes, rotblondes Haar flattern. Obwohl sie die meisten Leute hier um einiges überragten, machten sie ihr doch respektvoll Platz., wiesen sie doch ihr geschmeidiger Gang und nicht zuletzt das Schwert an ihrer Hüfte als Kriegerin aus.

Fröstelnd zog Bagoara die muskulösen Schultern hoch. Der Herbst schickte bereits seine Vorboten, kalte Winde und Graupelschauer. Deshalb suchte die junge Frau nach einem warmen Pelz. Der alte war schon ziemlich löchrig. Ihre Geldkatze barg auch mehr als genug Münzen für so eine Anschaffung. Es würde auch noch genug für Ancyra, ihre kleine Tochter bleiben. Die Kleine lebte bei ihrem Vater Wakcho in Omphis.

Hey! Diesen Lohn hatte sie leicht verdient. Der Lieblingshengst Graf Hydasios von Rhosagamba war nicht gestohlen worden, wie der Graf vermutet hatte. Statt dessen war er nur den wilden Herden gefolgt. Bagoara musste ihn nur einfangen und als Draufgabe hatte sie sogar vier Stuten mitgebracht. Das gab einen Extra-Bonus.

Eine pelzgefütterte Jacke mit Kapuze sprang Bagoara ins Auge. Wenig später war sie schon am Feilschen. Der Händler zog alle Register, jammerte etwas von acht kranken Kindern und fünf Schwestern, die er verheiraten musste, wo er doch nur Verlust machte. Die Kriegerin zeigte sich unbeeindruckt, mimte Interesselosigkeit, wandte sich mehrmals zum Gehen. Endlich, nach zähem Ringen zählte sie eine Anzahl Münzen in die fleischige Hand und schlüpfte in die Jacke. Sie war zufrieden und das kaum verhehlte Grinsen des Händlers zeigte, dass auch er auf seine Rechnung gekommen war.

Schon wollte sie den Markt verlassen, da fiel der Blick ihrer blaugrauen Augen auf eine alte Frau, die, am Boden kauernd, ein einziges Tuch vor sich ausgebreitet hatte. Zahllose Farben formten fremdartige Muster, flossen ineinander, nur um neue Muster zu bilden. Bagoara fühlte sich angezogen. Gleichzeitig drängte ein Teil von ihr zur Flucht. Ihre Nackenhaare stellten sich auf und über ihren Rücken lief ein kalter Schauer. Von widerstreitenden Gefühlen bewegt ging die Kriegerin in die Hocke und strich mit zwei Fingern über das Gewebe. Es war wollig und zugleich seidenweich. Bagoaras schwache, magische Begabung sagte ihr, dass auf dem Tuch ein Zauber lag. Sie hatte schon einiges von besprochenen Tüchern gehört. Diese Magie konnte unter Umständen sehr nützlich sein.

"Ein gutes Tuch für eine Kriegerin", sagte die Alte mit erstaunlich kräftiger Stimme. "Es wird dich gut durch den Winter bringen."

"Was willst du dafür?", fragte Bagoara und ärgerte sich, dass ihre Stimme heiser klang.

"Was du mir gibst", antwortete das Weiblein ruhig.

Erstaunt legte Bagoara den Kopf schief. So eröffnete man doch keinen Handel! Mit zusammen gekniffenen Augen musterte sie die Alte. Ihre Kleidung, ein formloses Kleid aus festen, graubraunem Stoff und ein dunkler Umhang, ließen keinen Schluss auf ihre Herkunft zu. Im Kopf überschlug sie den Wert des Tuchs. Sie ließ ihre Hand noch einmal über die Oberfläche gleiten. Wieder lief ein kalter Schauer über ihren Rücken. Kurz entschlossen nannte sie eine Summe knapp unter dem von ihr geschätzten Wert.

Ein Lächeln huschte über das runzlige Gesicht. "Ist gut", sagte sie und reichte Bagoara das Tuch.

Was war denn das nun wieder? Kein Feilschen? Kein Jammern? Zögernd zählte sie den Betrag ab und gab ihn der Alten. Diese steckte das Geld ohne nachzuzählen in einen Beutel, den sie unter ihrem Umhang hervorholte.

"Hilf mir auf!", bat sie und hielt Bagoara eine knorrige Hand hin.

Automatisch kam diese ihrer Bitte nach. "Nun sag mir, welcher Zauber auf dem Ding liegt.", forderte sie nachdrücklich.

"Du wirst deine Freude mit dem Ding haben", kicherte die Alte ausweichend und wandte sich zum Gehen.

Bagoara wollte noch mehr Fragen stellen, woher sie das Tuch hatte, von welchem Stamm sie war und noch einiges mehr. Doch die Menge hatte die kleine Gestalt schon verschluckt. Eine kleine Weile blieb die junge Frau stehen und ließ die Augen suchend über die Köpfe der Schau- und Kauflustigen schweifen. Schließlich zuckte sie die Schultern und bahnte sich einen Weg durch das Gewühl. Warum müssen nur so viele Leute Fisch oder Knoblauch essen, dachte sie dabei und rümpfte die Nase.



Der böige Wind fuhr in das Feuer und ließ eine Wolke von Funken aufstieben. Einer der Krieger, ein junger Kerl, mit dem ersten Flaum am Kinn, fuhr erschrocken zurück. Die anderen lachten, alle außer Bagoara. Vor vier Tagen hatte sie sich dieser Söldnertruppe angeschlossen. Raue Kerle, aber absolut verlässlich. Sie mochte es nur nicht, wie sie mit Neulingen umsprangen.

Graf Dogon von Rhosagamba hatte Streit mit seinem Nachbarn Baron Apsuwa von Barzagamba. Sie würden dem Baron eine blutige Lehre erteilen.

In der einen Hand hielt sie das Tuch, das sie am Markt von Maracanda auf so ungewöhnliche Art erstanden hatte. Die Finger der anderen Hand streichelten, unbewusst einer schmalen, grauen Linie folgend, über die Oberfläche. Welcher Art war der Zauber, der auf diesem merkwürdigen Gewebe lag?

Das graue Band zog ihren Blick an. Es schlängelte sich durch einen hellgrünen Fleck, dann entlang eines blauen Kreises um in einem dunklen Grün zu verschwinden. Ihr Zeigefinger hielt kurz vor dem blauen Punkt an. War da ein Schmutzfleck? Bagoara beugte sich tiefer ....



Mit ohrenbetäubendem Brüllen raste ein glänzendes Ungeheuer auf einer breiten grauen Straße an der Kriegerin vorbei. Dabei hinterließ es eine Wolke beißenden Gestanks. Ein heftiger Luftzug zwang sie einen Schritt zurück auf das Gras. Vor ihr raste eine kleinere Bestie über die graue Fläche. Eine eigenartige Straße, dachte Bagoara, die aus einer durchgehenden, grauen Masse bestand und nicht aus einzelnen Steinen wie sie es gewohnt war. Eine sehr breite Straße noch dazu, auf der nun einige kleinere Ungetüme aus der anderen Richtung kommend an ihr vorbei flitzten. Verwundert registrierte Bagoara, dass sie sich am gegenüberliegenden Rand entlang bewegten. Eine Seite für jede Richtung?

Bagoara öffnete ihre Pelzjacke und rieb mit dem Ärmel über ihre schweißnasse Stirn. Götter, war es hier heiß!

Hinter der Straße befand sich ein See. Kleine Boote schaukelten darauf, einige mit Segeln, andere mit merkwürdigen Aufbauten. Ihre scharfen Augen entdeckten darauf Menschen in winzigen Lendentüchern, die reglos an Deck lagen oder einfach dasaßen und aßen oder tranken. Wo war sie da nur hin geraten?

Magie, schoss es der Frau durch den Kopf. Das Tuch war mit einem Reisezauber belegt. Es führte seinen Besitzer in tausend verschiedene Welten. Dies hier konnte einfach nicht die Grafschaft Rhosagamba sein. Wenn ich die Alte erwische, erlebt sie ihr blaues Wunder, dachte Bagoara. Aber zuerst musste sie wieder zurück finden.

Sie sah sich um. Keiner ihrer Gefährten war ihr gefolgt. Und dieser Gestank! Diese rasenden Bestien verpesteten die Luft in geradezu unerträglichem Maße. Wo war das Tuch? Ja, hier. Sie hatte es noch in der Hand. Bagoara setzte sich kurzerhand ins Gras und breitete den bunten Stoff vor sich aus. Vergeblich suchte sie nach der grauen Linie. Dieses Muster war verschwunden als hätte es nie existiert.

Verärgert fluchte sie leise vor sich hin. Unzählbare Muster lagen hier vor ihr ausgebreitet. Welches war Rhosagamba? Hm, sie war an einem Feuer gesessen als der Zauber sie erwischte. Vielleicht diese roten Arabesken? Sie legte ihren Zeigefinger darauf und fixierte die Stelle.



Purpurner Rauch stieg aus einem Krater vor Bagoaras Füßen auf. Hustend wich sie zurück. Einige Gesteinsbrocken fielen in das Loch. Es zischte und krachte. Eine Wolke von Salpeterdampf aus einem anderen Krater ließ die Kriegerin noch einmal husten. Nur weg von hier, dachte sie. Mit zusammen gekniffenen Augen versuchte sie, etwas auf dem Tuch zu erkennen. Ein schwieriges Unterfangen in dieser rauchgeschwängerten Luft. Diese verdammte Alte! In Gedanken legte sie schon ihre Hände um den faltigen Hals.

Fluchend drückte sie das Tuch vor Mund und Nase und suchte einen Weg aus dieser Kraterlandschaft. Dort vorne! Sah es da nicht lichter aus? Nach Atem ringend stolperte sie durch die rötlichen Schwaden. Ja, der Dunst wurde schon dünner. Jetzt senkte sich das Gelände. Bagoara stieg über Lavabrocken, rutschte auf einigen losen Steinen aus, fing sich wieder und sprang auf eine stabile Felsplatte.

Hier war es heller und der Rauch zog über ihren Kopf weg. Auch das Atmen fiel schon leichter. Da kam die nächste Überraschung. Plötzlich ertönte ein scharfes Zischen. Ihre Kampfreflexe ließen sie herum wirbeln.

Aus dem Rauch kam ein Krieger auf sie zu. Seine grauschuppige Haut, der stachlige Schwanz, die gespaltene Zunge, die immer wieder aus dem lippenlosen Mund schoss, das alles ließ den Echsenabkömmling erkennen. In einer vierfingrigen Pranke schwang er drohend eine geschwungene Klinge. Wieder zischte er und Bagoara verstand das Wort: "Dämon."

Ja, wenn in dieser Welt alle so aussahen wie dieser Kämpfer, dann musste er sie wohl für einen Dämon halten. Mit einer fließenden Bewegung steckte sie das Tuch in den Gürtel, zog ihr Schwert und ging in Kampfpose. "Ich habe keinen Streit mit dir", rief sie dem Wesen zu. "Nenn mir deinen Preis und lass mich gehen." Es war allgemein üblich, dass Krieger, die sich unversehens auf fremdes Territorium verirrten, eine Maut bezahlten und unbehelligt abziehen durften.

Die Echse legte den Kopf schief und starrte sie aus geschlitzten Pupillen an. "Nicht kämpfen?", zischelte sie.

Zwei weitere Echsen schälten sich aus dem rötlichen Wabern. Als sie Bagoaras ansichtig wurden, bedrohten sie sie ebenfalls mit krummen Schwertern. Es sah genauso professionell aus wie bei ihrem Artgenossen.

Die Kriegerin schätzte ihre Chancen ab. Kämpfen oder Fliehen? "Ich will nur nach Hause!", schrie sie wütend und zog das Tuch aus ihrem Gürtel.

Nun hoben alle drei Kämpfer ihre Schwerter zu einer Art Salut. Dabei zischelten sie etwas, das wie überkochende Suppe klang. War das der Auftakt zum Kampf? So genau wollte sie es gar nicht wissen. In einem Kampf zu sterben, für den sie nicht engagiert war, war das Letzte, das sie sich wünschte. Sie hatte in ihren Verträgen immer eine Klausel, dass im Falle ihres Todes der Sold ihrer kleinen Tochter zukam.

So hob sie das Tuch nahe ans Gesicht und fixierte einen rosa Fleck mit lila Punkten. Sie sah noch wie die Echsen auf sie zu sprangen, dann verschwamm die Umgebung.



Ein spitzer Schrei ließ sie herumfahren. Schon wieder jemand, der ihr ans Leder wollte? Es war nur ein kleines, rosa bepelztes Wesen, das sich schutzsuchend an ein größeres, orange bepelztes drückte und jetzt schluchzende Laute ausstieß.

"Senke dein Werkzeug!", piepste das größere Geschöpf beschwörend. "Du erschreckst mein Kind."

"Oh, das tut mir Leid!" Blitzschnell verschwand die Klinge in der Scheide. "Meine Reflexe", fügte sie entschuldigend hinzu.

Von diesem Volk drohte ihr wohl kaum Gefahr, dachte Bagoara. Trotzdem blieb sie wachsam. Man konnte ja nie wissen. Möglichst unauffällig sah sie sich um. Die Landschaft glich einem wohl gepflegten Park mit zahllosen, geflochtenen Halbkugeln. Letztere erwiesen sich als Behausungen, denn nun strömten aus ihnen ähnliche Pelzwesen in sämtlichen Pastellfarben. Die Kriegerin unterschied sich von ihnen nicht nur durch ihre grellrote Bluse und die glänzend schwarzen Lederhosen. Sie überragte auch die Größten von ihnen noch um mehr als Haupteslänge.

"Sie hat ein Schneidewerkzeug über den Kopf gehalten", berichtete jetzt die orange Mutter einem hellgrauen Wesen, dessen räudiger Pelz hohes Alter ahnen ließ. "Mein Eu hatte Angst, es könnte ihr aus der Hand fallen."

"Sie muss unbedingt geschult werden. Holt den Indoktrinator!", rief ein hellgrüner Pelz.

"Ja! Ja! Sie braucht Hilfe!", stimmten die anderen Pelze zu.

"Vielen Dank!", wehrte Bagoara ab. "Ich kann mein Schwert sehr gut handhaben. Ich will nur nach Hause. Macht mal Platz."

"Was ist ein Schwert?", piepste ein kleiner lila Pelz.

"Na, das da!" Sie deutete auf ihre Waffe. "Mein Schneidewerkzeug." Die pelzigen Wesen wuselten um sie herum, bestürmten sie mit Fragen, kniffen ihre blitzenden Äuglein zu, wenn sie auf Bagoaras rote Bluse blickten.

"Warum hat dein Pelz keine Haare?" "Warum bist du so riesig?" "Was willst du mit so einem großen Schneidewerkzeug?" "Wo kommst du her?" "Hast du Kinder?" "Wo hast du diese Farben her?" All diese und noch mehr Fragen prasselten auf sie nieder. Vorsichtig versuchte sie, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Doch die Pelzknäuel rückten nicht zu Seite.

Als sie endlich doch den Weg freigaben, sah Bagoara vor sich einen schneeweißen Pelz. Die schwarzen Äuglein blitzten freundlich.

"Setz dich zu mir, fremdes Wesen", forderte es sie auf. "Ich bin Ux. Hast du auch einen Namen?"

"Ich bin Bagoara von Lyrness", erklärte sie stolz.

"Schön, Ba", kürzte Ux ab. "Nun sag mir, wozu du dieses große Werkzeug mit dir herumschleppst."

Während er sprach, Bagoara hatte das weiße Wesen als 'er' definiert, ging von ihm etwas Weiches, Einschmeichelndes aus. Sie kannte diese Art von Magie, die einem Krieger das Feuer nahm und baute ihren Schutz auf. "Es ist mein Handwerkszeug", antwortete sie so unbefangen als möglich.

"Und wie nennst du dein Handwerk?" Nun entströmte Ux auch noch der Duft von Kamille und Melisse. Wie machte er das nur?

"Ich bin eine Kriegerin." Bagoara zeigte lächelnd ihre ebenmäßiges Gebiss.

"Oh!" Ux kippte fast um. "Krieg ... Krieg ...", sinnierte er. "Ist das diese archaische Art Probleme zu lösen?"

"Nun, ich würde es eine sehr wirkungsvolle Art der Problembewältigung nennen", gab sie zurück. Wieder verfluchte sie die Alte, die ihr dies hier eingebrockt hatte. Das war ja noch schlimmer als die Echsen in der vulkanischen Landschaft.

"Und wozu brauchst du dieses Werkzeug?"

"Zum Kämpfen." Als sie sah, dass er nicht begriff, setzte sie hinzu: "Meine Klinge ist so scharf, dass sie glatt durch die dicksten Knochen geht. Ich kann einem Feind mit einem Hieb einen Arm abschlagen."

"Feind ...... Arm abschlagen .....", wiederholte Ux mit zitternder Stimme. "Was ist ein Feind? Und warum willst du ihm so eine schwere Verletzung beibringen? Es dauert Jahre, bis ein Glied nachgewachsen ist."

Oje! Wo war sie nun wieder gelandet? Fast sehnte sie sich zu den Echsen zurück. Dieser Pelzknäuel verstand ja überhaupt nichts. "Ein Feind ist einer, der mir die Rübe einschlagen will. Damit er das nicht tun kann, muss ich ihm zuvorkommen. Das ist doch ganz einfach, oder?"

Ux entwich eine dicke Wolke Ylang-Ylang-Aroma. "Ich sehe, du bist sehr krank", sagte er sanft. "Aber ich kann dich gesund machen. Dein Herz ist schwarz vor bösen Gedanken. Es wird lange dauern, aber eines Tages wirst du frei sein von all diesen schrecklichen Vorstellungen."

"Ich brauche deine Hilfe nicht", lehnte sie ab. "Lass mich nur ...."

"Nein, es ist meine Pflicht, dir zu helfen", beharrte er. "Wo kämen wir hin, wenn ein Pelzi unter so fürchterlichen Visionen leiden müsste!"

"Ich bin kein Pelzi und ich leide nicht", erklärte sie, fast am Ende ihrer Geduld. "Ich will doch nur ...."

"Halt einfach still, dann wirst du bald ein glücklicher Pelzi sein", versprach der Weiße und beugte sich ein wenig näher zu der Frau. Seine Augen schienen dabei immer größer zu werden.

Bevor Bagoara in diesen dunklen Seen ertrinken konnte, riss sie sich gewaltsam los. Ihre Magie fuhr wie ein Peitschenschlag auf das Wesen nieder. "Verdammter Hexer!", brüllte sie. Doch als sie die grenzenlose Trauer in Ux' Augen sah, tat es ihr schon wieder Leid.

"Wir haben noch einen langen Weg vor uns, Ba", ächzte er.

Wie wurde man mit so einem Kerl fertig? Er schlug sie mit seiner grenzenlosen Friedfertigkeit. Da half nur List.

"Oh, Ux, es tut mir Leid. Nun sehe ich, dass du mir nur Gutes willst." Sie strich das zerzauste Fell ein wenig glatt. "Lass mich mein Tuch ausbreiten. Seine Farben wirken so beruhigend auf mich."

"Wenn es dein Wunsch ist", säuselte der Indoktrinator.

Hastig legte Bagoara das Tuch über ihre Knie. Ihre Reise hatte am Feuer begonnen. Ein Feuer. Sie suchte nach einem orangeroten Fleck. Ja, hier. Und da sah sie auch zwei dunkelblaue Schlieren. Hatten nicht zwei der Krieger dunkelblaue Satteldecken gehabt? Und hier ein zittriger, weißer Strich. Der Junge, hatte der nicht den Schal seiner Liebsten um den Hals getragen? Ihr Blick fraß sich in das Muster. Von Ux kam nun der Duft von Geranien, mehr nahm Bagoara nicht mehr wahr.



Schneidende Kälte ließ sie augenblicklich ihre warme Jacke schließen. Wenige Schritte entfernt brannte ein Feuer und daran saßen vertraute Gestalten. Im Nu war Bagoara dort und setzte sich.

"Das hat aber gedauert!", grinste einer der Söldner anzüglich. "Hast du Bauchweh?"

Als Antwort stieß sie ihm den Ellbogen in die Rippen. Er grunzte und die anderen lachten.

"Du hast eben eine Eroberung gemacht", rief ein anderer.

Bagoara beachtete sie nicht. Sie ballte das Tuch zusammen und warf es ins Feuer. Hell loderten die Flammen auf und ein Schrei wie von tausend verlorenen Seelen gellte auf. In Sekundenschnelle war das ganze Lager auf den Beinen. Die Waffen kampfbereit umstanden sie die Kriegerin.

"Was war das?", fragte Cleochares, der Hauptmann, streng.

"Mein Halstuch. Es war verhext." Sie wich dem Blick der hellblauen Augen nicht aus. "Tausende Welten waren darin gefangen." Alle wussten, dass sie über geringe, magische Fähigkeiten verfügte.

Auf einen Wink stocherte einer der Männer im Feuer. Es war nichts mehr übrig von dem Tuch, nicht einmal Asche.

"Es hätte eine Gefahr für die ganze Truppe sein können", meinte der Hauptmann bedächtig und strich sich über den blonden Bart. "Ich denke, wir sollten dir dankbar sein, dass du das Ding vernichtet hast."

"Deine Dankbarkeit könnte sich in einem neuen Halstuch äußern", grinste Bagoara. "Ohne Magie, keine Pastellfarben und stinken sollte es auch nicht." Dann setzte sie sich ans Feuer und streckte ihre klammen Hände den Flammen entgegen. "Habt ihr noch etwas von dem Eintopf?", murrte sie.

Dass sich einige ihrer Kameraden bezeichnend gegen die Stirn tippten, sah sie gar nicht. Während sie Fleischbrocken und Gemüse in sich hinein löffelte, überlegte sie. Mit der Vernichtung des Tuches war es nicht getan. Sie musste die Alte finden. Vielleicht lag eine Absicht dahinter. Trachtete ihr jemand nach dem Leben? Sie hatte sich bereits einen Namen gemacht als Kriegerin. Da war es fast unvermeidlich, dass sie auch Feinde hatte.

Sorgfältig wischte sie ihre Schüssel aus und leckte den Löffel ab, bevor sie beides verstaute. Dann zog sie sich ein wenig vom Feuer zurück und versetzte sich in Trance. Die Münzen, die sie der Alten gegeben hatte, konnten einen Brücke schlagen und ihr zeigen, wo sich die Frau aufhielt. Voraussetzung war natürlich, dass sie noch mindestens eine davon besaß.

Ein Gesicht formte sich vor ihrem geistigen Auge. Ja, das war die Alte. Doch irgendetwas stimmte nicht. Hinter dem faltigen Antlitz verbarg sich ein anderes, junges. Schweiß perlte auf ihrer Stirn, als sie all ihre Kraft zusammen nahm um den Vermummungszauber zu durchschauen. Sie bemerkte es gar nicht. Schon wollte sie aufgeben, da zerfloss das alte Gesicht und sie erkannte Nasamona, die sie wütend anstarrte. So sehr hasste sie sie? Bagoara wollte es kaum glauben.

Drei Jahre waren sie Kampfgefährten gewesen. Dann waren sie beide in Liebe zu Wakcho entbrannt. Er hatte sich für Bagoara entschieden. Das hatte ihre Freundschaft und auch ihre Zusammenarbeit beendet. Bagoara hatte seither nichts mehr von ihr gehört. Nun, sie hatte sich auch nicht darum bemüht. Götter, das war jetzt acht Jahre her!

"Nasamona! wo bist du?", rief sie mit ihrer Geiststimme.

Nun verschwamm das Gesicht und eine Festung nahm Gestalt an. Das war doch Apsuwas Burg! Richtig, sein Banner flatterte am Turm.

Das hatte Bagoara nicht gewollt. Es würde nicht leicht werden, gegen die ehemalige Waffengefährtin zu kämpfen, aber es blieb ihr wohl keine Wahl. Etwas brach in ihr als sie ihren Entschluss fasste. Noch einmal tauchte das Gesicht Nasamonas vor Bagoaras geistigem Auge auf. Doch jetzt zeigte es Furcht.



Ende



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