STORIES
DER ABSTAND ZWISCHEN DEN AUGENBLICKEN
Die Geschichte zweier Zeitreisender
von Marin Balabanov
Prolog oder "1:0 für das Bundesheer" ![]() Kurischnigg klammerte sich am schwarzen Beutel fest, den er für den Auftrag mitgenommen hatte und konnte die Augen nicht weit genug aufreißen, um alle Eindrücke aufzunehmen. Er merkte nicht, wie sich Hiero neben ihm aufstellte, um ebenfalls zuzuhören. "Eine Zeitmaschine! Aber wie ist das möglich?" Von Braun grinste, als habe er auf diese Frage nur gewartet und setzte augenblicklich zur Antwort an. "Im großen Theologie-Krieg von 2222 gelang es einer Gruppe radikaler Buddhisten-Milizen, den Herrgott ausfindig zu machen. Es passte ihnen gar nicht in den Kram, dass es tatsächlich ein allmächtiges Wesen gab, deshalb beschlossen sie ihn einfach aus dem Weg zu räumen. Mit einer Singularitäten-Bombe sprengten sie ihn in die Luft." Der Doktor wirbelte mit den Armen um sich, als könne er so die gewaltige Explosion von damals besser darstellen. "Viele gingen davon aus, dass die resultierende Energieentladung zu einem neuen Urknall führen würde. Glücklicherweise aber entstand nur die Kette der zwölf Super-Novas bei Alpha Epsilon XXI. Sie befinden sich in einer Stasis und enthalten die gesamte göttliche Energie." Durch seine dicke Brille warf er den beiden ungleichen Partnern einen Blick zu. Von Braun lehnte jede Art von Augenoperation ab, weil er meinte, ein Wissenschaftler - ganz gleich ob verrückt oder nicht - brauche eine Brille. "Jetzt wissen wir sicher, dass Gott tot ist!" Er lächelte, als sei dies ein Witz, den nur er verstehe. "Als der Krieg vorbei war, haben wir das natürlich gleich zu unserem Vorteil genützt. Wir haben Zeilinger-Kanäle zu einer dieser Novas gelegt und saugen die Energie in das Zeitkraftwerk hinein. Mit der göttlichen Kraft, machen wir Reisen durch die Zeit möglich! Schließlich wollten wir wissen, ob wir nach dieser beschissenen Vergangenheit und miesen Gegenwart überhaupt noch eine Zukunft haben." Zufrieden mit sich legte Von Braun eine Sprechpause ein. Kurischnigg mochte es nicht, wenn er in einer Situation übervorteilt wurde und er mochte es noch weniger, belehrt zu werden. Er legte den Beutel mit den Biowaffen auf den Boden und baute sich vor Von Braun auf. Schroff sagte er, "Na dann, Doc, fangen wir mit der Zeitreise an." Von Braun sah ihn verdutzt an. "Was heißt hier anfangen... Sie meinen jetzt gleich?" Er rang um Worte. "Aber das geht doch nicht. Jeder Zeitreisende muss einer Jahre langen Tachyonen-Behandlung unterzogen werden. Ansonsten kann jeder Zeitsprung für ihn tödlich sein." "Ach was, Doc, machen Sie sich keine Sorgen um mich. Ich bin schon recht robust." Lächelnd sah er zu Hiero hinüber. "Ob das auch für meinen wurmigen Partner gilt?" Von Braun ruderte um sich, als wolle er den Flügelschlag eines Sternendrachen nachmachen. "Ich kann unmöglich zulassen, dass Sie ohne vorherige Behandlung durch die Zeit reisen! Sie könnten falsch materialisieren..." Kurischnigg winkte dem Doktor mit seinem Kreditchip vor der Nase herum. "Doc, wie sieht es aus, wenn ich Ihrem Institut eine kleine Spende mache? Sagen wir mal eine Million Globos..." Von Braun wurde blasser, als er es ohnehin schon war. "Eine... Million... Globos..." Er schluckte. "Das wäre schön..." Nachdem er die Hände zusammengeschlagen hatte, wurde er wieder ernst. "In diesem Fall können Sie auf eigene Gefahr das Zeitkraftwerk benützen. Ich werde es als Experiment ansehen, um herauszufinden, wie sich die Reise ohne Behandlung auswirkt. Eigentlich wissen wir bereits, was passieren kann, aber die letzten Vorfälle liegen bereits Jahre zurück und wir müssen die damaligen Ergebnisse überprüfen." Mit auseinander gerissenen Augenlidern sah er Kurischnigg an. "Wann soll es losgehen?" Kurischnigg zwinkerte Hiero zu. "Siehst du, kleines Würmchen! So macht man das!" Die Luft vibrierte vor Energie. Kurischnigg starrte unbeeindruckt vor sich. Er saß im Herzen des Zeitkraftwerkes und wollte es nicht wahrhaben, dass Hieronimus in seinem Schoß lag gleich neben dem Beutel mit den Biowaffen. "Hm, das ist aber bequem!" Hiero murmelte provokant. "Machst du das öfter?" Bevor der Kärntner antworten konnte, passierte es. In einem heftigen Blitz, glühten sämtliche Moleküle ihrer Körper wie wild gewordene Sterne. Sie summten und tanzten zur Melodie der Zeitmaschine und... einen Augenblick lang hörten sie auf zu existieren. Plötzlich erschienen sie woanders. Oder besser gesagt... wann-anders. Kapitel 2: "Der Erfolg lässt auf sich warten" Es dauerte eine Weile, bis sich Hiero in der neuen Wirklichkeit zurecht fand. Das Zeitkraftwerk hatte ihn und Kurischnigg immerhin eintausend Jahre in die Vergangenheit geschleudert. Mit ausgestreckten Beinen lag sein Partner auf dem Sand einer goldenen Küste. Hiero rollte sich über dem Beutel mit den Biowaffen zusammen und schloss die Augen. Kaum wagte er es, seiner Umgebung einen Blick zu zuwerfen. Meerwasser funkelte vor ihnen, das von der Sonne in tausend Farben getaucht wurde. Kurischnigg musste jetzt einfach etwas sagen. "Ich glaube, wir sind in Spanien... Und wir sind gesund angekommen. Der Doc hat uns einen Schwachsinn erzählt. Uns ist nichts passiert. Von wegen Jahrelange Tachyonenbehandlung!" Kurischnigg atmete tief durch und betrachtete den Himmel. "Au, Mann! Ich hätte nie gedacht, dass es damals so schön war..." Hiero rollte sich auf und schnupperte um sich. "Kurischnigg... Die Luft hier... Die Luft ist einfach so... gut!" "Ja, es ist wunderschön. Lass uns kurz hier bleiben, damit wir wieder zu Kräften kommen." Wie zwei Gestrandete lagen sie auf dem Strand und sahen auf den Horizont. Plötzlich brach der Kärntner die Stille. "Hey, Wurm. Mein alter Kameramann hat mir erzählt, dass du Angst davor hast, dich wie andere Würmer zu teilen. Stimmt das?" Hiero seufzte. Unter anderen Umständen wäre er wütend geworden. Jetzt aber war er von der Zeitreise geschwächt und von der Schönheit des Meeres geblendet. Außerdem waren das die ersten halbwegs freundlichen Worte, die sein Partner seit Beginn ihrer Zusammenarbeit von sich gegeben hatte. Zögerlich begann er zu erzählen. "Als Baby-Würmchen war ich mit meiner großen Schwester in einem Auto unterwegs. Ja, ein Auto in einer Wurm-tauglichen Ausführung. Wir hatten einen Unfall." Hiero senkte den Kopf. "Ein Geisterfahrer rammte uns frontal. Das Fahrzeug wurde derartig zusammengequetscht, dass wir eingeklemmt waren. Meine Schwester konnte sich aus dem Wrack befreien, in dem sie sich teilte und den eingeklemmten Teil von sich zurückließ. Mit letzter Kraft zog sie mich aus der brennenden Karosserie. Dann explodierte das Fahrzeug." Hiero starrte verbissen auf den Boden, als sei er ein Bildschirm, in dem er die Vergangenheit erkennen konnte. "Als die Rettungsteams eintrafen, fanden sie den bewusstlosen Rest meiner Schwester und nahmen an, das sei der abgeworfene Teil von ihr. Ich konnte damals noch nicht sprechen. Ich konnte ihnen nicht sagen, was für einen Fehler, sie begehen." Hiero schluchzte und sah Kurischnigg in die Augen. "Sie haben sie lebendig begraben! Und ich bin Schuld daran!" ![]() Schweigen. Hiero war in Erinnerungen versunken und verlor sich in der Trauer seiner Vergangenheit. Kurischnigg fühlte sich offenbar bei einem derartig nahen und persönlichen Kontakt sehr unwohl. Der Kärntner sah auf den schwarzen Beutel. Dann sagte er, als ob ihm einfiele, warum sie überhaupt hier waren: "Genug entspannt. Wir haben den Zeitsprung gut überstanden. Nun müssen wir uns zusammenreißen und unseren Auftrag erfüllen!" Der Wurm zappelte sich die Trauer aus dem Körper und setzte eine künstliche aber dennoch positiv-produktive Miene auf. "Du hast Recht, mein jähzorniger menschlicher Freund! Wir haben drei Stunden Zeit, bevor uns der Rückhol-Mechanismus erfasst. Dann bringt er uns wieder nach Hause, in unsere eigene Zeit." "Ja, wir müssen uns beeilen. Hier in der Nähe sollte die Hafendtadt Palas de la Fonterra liegen, von wo aus Kolumbus seine Entdeckungsreise begonnen hat... beginnen wird..." "Willkommen zu den Sprachparadoxa von Zeitreisenden!" Knurrend fauchte ihn Kurischnigg an. "Halt's Maul, Wurm! Gehen wir!" Palas de la Fonterra war schon normalerweise ein sehr lebendiger Ort. Doch an diesem Tag kochte er vor Menschen nur so über. Geschäftsleute kamen an ihren Ständen mit dem Handel kaum mehr nach. Gruppen von Soldaten warteten darauf, dass etwas geschieht. Das nannten sie umständlich "Wache schieben". Auf den Zinnen der vielen Türme der Stadt wehten neu geschneiderte Fahnen. Vielleicht wussten die Einwohner dieser Stadt, dass sich an diesem Tag etwas Besonderes ereignen würde. Hieronimus betrachtete die Szenerie aus dem Versteck hinter dem Felsvorsprung, der ihn und seinen Partner verbarg. Aus den Schlitzen der zum Meer gerichteten Stadtmauer funkelte das schwarze Eisen der Kanonenrohre. Hieronimus machte sich darüber eine geistige Notiz. Das könnte später von Nutzen sein. Rund um den Pier waren am Strand Holzhütten und Pavillons aufgebaut. Der steinige Grund war mit Teppichen ausgelegt, damit die hohen Gäste nicht auf bloßem Fels gehen mussten. Zwischen den Zelten eilten Bedienstete nervös umher, damit es den prunkvoll gekleideten Damen und Herren an nichts fehlte. Diese waren damit beschäftigt geduldig den Anschein zu erwecken, aus Spaß hier zu sein und nicht aus gesellschaftlicher Notwendigkeit. Am Steg lag das Flaggschiff der Expedition, die Santa Maria. Ihre drei Masten stachen in den Himmel und wippten ungeduldig hin und her, als könnten sie es kaum erwarten, in See zu stechen. Hieronimus konnte einige Meilen hinter der Santa Maria zwei weitere Schiffe erkennen. Sie drifteten langsam vor sich hin. Wahrscheinlich warteten sie auf ihr Flaggschiff. Die letzten Seeleute verabschiedeten sich von ihren Geliebten oder ihren Verwandten oder beides - je nach persönlicher Vorliebe. Andere ließen sich ein letztes Mal voll laufen, ehe sie das Schiff betraten. Hieronimus merkte, dass sein Partner in einer ungewöhnlich nachdenklichen Stimmung verfallen war. "Verdammt! Was machen wir hier überhaupt?" Auf einmal kam sich der Kärntner so verloren vor. Er war nicht bloß weit weg von daheim. Er kam sich einfach fehl am Platz vor. Immerhin trug er Kleidung, aus der Sommerkollektion 2492. Er merkte, wie Hiero ihn verwundert ansah. Er hörte ihn sagen. "Wie meinst du das? Wir wollen die Santa Maria und ihre Schwesternschiffe zerstören, damit Amerika erst später entdeckt wird und die erworbenen Rechte für 1492 wertlos werden!" "Aber sieh dich um! Sieh an, wie ich angezogen bin. Das könnte dabei hinderlich sein. Ganz zu schweigen von dir. Ich kann unmöglich einen sprechenden Riesenwurm vorschicken. Die Einheimischen könnten das doch ein wenig seltsam finden." Kurischnigg wurde Zeuge davon, wie Hiero das runzelte, was man bei ihm für die Stirn halten müsste. Dann fiel sein Blick auf eines der großen Zelte neben dem Steg. "Hey! Das ist die Loge mit der Königin von Spanien." Er erkannte die in feiner Seide gekleidete Dame. Sie saß, umringt von Wachen, Beratern und anderen Schleimern, im Schatten des Zeltes. Ein Edelmann neben ihr deutete auf die Schiffe und schien der Königin etwas zu erklären. Hieronimus sagte ihm: "Schnipp einmal mit den Fingern!" Befremdet leistete Kurischnigg der Anweisung seines Partners Folge. Als er merkte, was er tat, fragte er verärgert. "Wozu soll das denn gut sein!" "Ich hab eine Idee. Da ich keine Finger habe, mit denen ich schnippen könnte, musst du das für mich erledigen! Folge mir, Partner." "Du kleiner rückgratloser Abschaum. Nenn mich nicht Partner." Langsam arbeiteten sich die beiden vor. Sie versteckten sich hinter allem, was sich ihnen anbot. Kurischnigg klammerte sich an den Beutel, als die beiden den Weg bis zum Steg zurücklegten. Über ihnen sahen sie, wie einige Seemänner einen betrunkenen Kameraden überredeten die Straßendirne loszulassen, in die er sich unsterblich verliebt hatte. "Dort drüben", flüsterte Hiero. Kurischnigg erzitterte. Noch nie hatte er einen Regenwurm flüstern gehört. Dann sah er, was der Kleine meinte. Ein mannshohes Fass stand am Rand des Steges. "Wurm, wenn das nicht funktioniert, dann schneide ich dich in Scheiben und verfüttere dich an die Cyborg-Nacktschnecken von Krugana VII. Mit Hiero in der einen Hand und dem Beutel mit den geheimnisvollen Biowaffen in der anderen, stieg Kurischnigg unbemerkt in das Fass. Es gelang ihm gerade noch den Deckel zu schließen, bevor zwei Seeleute einander zu schrieen, dass dieses verdammte Fass auch noch verladen gehöre. Mit einem heftigen Ruck kippte das Fass. Dann begann sich alles zu drehen. Der Kärntner wirbelte herum, dabei ließ er Hiero los. Im Wirbel klatschte Hieros Schwanz in Kurischniggs offenen Mund. Seine Zunge fuhr über die glitschige Haut des Regenwurmes. "Bin ich froh, dass mich meine Geschäftspartner nicht so sehen", flüsterte er kaum wahrnehmbar. "Es macht dir doch Spaß den Schwanz eines Partners in den Mund zu stecken!" Darauf konnte Kurischnigg aber nichts mehr entgegnen. Das Fass wurde immer schneller. Jedes Brett des Steges, jede Unebenheit ließ das Gefäß hin und her springen, als sei es lebendig. Der dicke Seemann war mit dem Fass an sein Ziel angelangt. Er stellte es in eine Ecke des Vorratsraumes tief im Bug des Schiffes. Nachdenklich rieb er sich an der Nase. "Komisch. Grauslich riecht es hier!" Neugierig schnupperte er. "Ach was, das bin sicher wieder ich. Immerhin habe ich mich heuer noch nicht gewaschen. Vielleicht nehme ich nach dieser Sache mit der Weltumsegelung ein Bad." Er ging auf Deck, um seinen Kameraden behilflich zu sein. Immerhin lief das Schiff gerade aus. "Hey, Kärntner, mach auf! Wir sind allein und das Schiff ist auf See. Ich halte es hier nicht mehr aus!" Darauf sagte Kurischnigg nichts. Sein Mund war noch voll mit Erbrochenem. "Du bist ein grauslicher Mensch. Musstest du denn kotzen!" Als der Deckel endlich auf ging, schlängelte sich Hiero so schnell er nur konnte hinaus. "Komm schon, wir haben viel zu tun. Das ist nur eines von drei Schiffen!" Kurischnigg befreite sich aus dem Fass. Sein Hemd tropfte von frischem Erbrochenen. Wenn man genau hinsah, konnte man tatsächlich erkennen, was er gegessen hatte. "Du verdammter, kleiner Wurm! Wenn das hier vorbei ist..." "So werden wir nie fertig. Beeil dich. Wo sind die Biowaffen?" Der Mann hob seine rechte Hand. In ihr hielt er den schwarzen Beutel. Sorgfältig legte Kurischnigg den Beutel auf die Bretter des Lageraumes. Die Verriegelungskette öffnete sich. Ein grünes Leuchten erstrahlte aus dem Inneren des Beutels. Tausende und Abertausende von winzigen grünen Punkten krochen übereinander, aufeinander und ineinander. Angeekelt sah Kurischnigg seinen Partner an. "Das sind Termiten!" "Kärntner, das sind keine gewöhnlichen Termiten, sondern eine seltene Art von außerirdischen Insekten, die ein japanischer Holzkonzern herangezüchtet hat, um sich sein Monopol zu sichern. Ihre Spezialität ist es, Unmengen an Holz zu fressen." "Komm! Wir müssen an Deck!" Kurischnigg blickte auf das azur-blaue Wasser. Niemand bemerkte ihn. Die Seeleute waren mit ihren Arbeiten beschäftigt. Nachdenklich begann Kurischnigg zu sprechen. "Wurm... Mir fällt ein, dass ich nicht mal weiß, was azur-blau bedeutet." "Sei nicht albern und schütte die Biowaffen aus. Der Ausdruck auf Kurischniggs Gesicht verfinsterte sich. Er hatte es satt von diesem blöden Wurm Befehle entgegen zu nehmen. Wenn der Auftrag vorbei war, dann würde er sich um ihn kümmern. Er schüttete den grün leuchtenden Inhalt des Beutels ins Wasser neben dem Schiff. Winzige leuchtende Punkte schneiten auf die Wasseroberfläche und drifteten wieder auf das Schiff zu. "So, Wurm, die Termiten sind jetzt im Wasser. Sie haben das Holz gewittert. Es ist vollbracht." "Jetzt müssen wir nur noch warten.", sagte Hieronimus erleichtert. Sie warteten. Nichts geschah. Sie warteten ein wenig länger. Einen Moment lang befürchtete Kurischnigg, er habe die Termiten ertränkt, doch nach einigen Sekunden begann das Wasser unter ihnen zu kochen, als sei das Schiff nicht mehr als Karfiolgemüse in einem siedenden Suppentopf. Ein ohrenbetäubendes Geräusch zerriss die Luft, als ein Spalt die Bordwand hinauf wuchs. Kurischnigg staunte über das Tempo, mit dem die Termiten das Holz fraßen. "Es funktioniert!" "Was siehst du? Erzähl es mir, ich bin zu klein, um es zu sehen." "Verdammt! Ich habe gewusst, dass unsere Biowaffen wirkungsvoll sind. Aber das ist lächerlich. Sie fressen sich durch das Holz, als sei es Nebel auf der Autobahn. Sie bringen das Wasser um das Schiff zum leuchten." Er sah in die Weite. "Ich glaube es nicht. Sie werden immer mehr!" "Ja, ich habe gehört, dass sie sich während des Fressens fortpflanzen können. Es ist fast so, als ob sie Nachwuchs gebären, anstatt Ausscheidungen von sich zu geben." "Das Leuchten! Es wandert über die Wasseroberfläche auf das andere Schiff - ich glaube, es ist die Pinta... Die Termiten greifen sie an. Das Wasser rundherum blubbert, als ob der Ozean einen fahren lässt." So sehr war Kurischnigg von diesem Anblick gefesselt, dass er momentan gar nicht auf sein eigenes Umfeld achtete. "Verdammt! Entweder steigt der Wasserspiegel oder... wir gehen unter!" Voller Panik rannten Seeleute auf den Decks umher. Sie schrieen und schlugen auf die Insekten ein. Doch das alles half nichts. Selbst die Rettungsboote wurden aufgefressen. "Kärntner! Bring uns weg. Wir sind auf einem sinkenden Schiff." Kapitel 3: "Ein Opfer für die Mediengesellschaft" Das Deck leuchtete grün, als es sich aufzulösen begann. Nur wenn man ganz genau hinsah, konnte man die fressenden Insekten erkennen. Ein Termit blieb vor Kurischnigg und Hiero stehen. Er schien die beiden anzulächeln. Dann biss er in das Holz und fraß einen kreisförmigen Ausschnitt aus dem Deck - genau unter ihnen. Bevor sie wussten, wie ihnen geschah, fielen sie durch das Deck in die Kajüte hinunter. Das hineinströmende Meerwasser hatte den Raum bereits zur Hälfte gefüllt. Hiero und Kurischnigg wurden unter die Wasseroberfläche gerissen. Der Kärntner tauchte auf. Er trieb vor sich hin und betrachtete seine Situation. Der Raum hatte keine Ausgänge. Über sich sah er neben dem Loch, durch das sie gefallen war, den ausgestopften Kopf eines Hirsches. Das Zimmer hatte kein Fenster oder andere Art von Öffnung. "So eine Scheiße! Wurm! Wenn wir hier sterben, dann bringe ich dich um!" Das Wasser um Kurischnigg kochte vor Termiten. Seine Augen weiteten sich. Er riss den Mund auf. "Nein! Sie kriechen auf mir herum. Ich spüre sie unter meiner Kleidung... auf meiner Haut!" Er versuchte sie aus seinem Anzug heraus zu schütteln und sich zu kratzen, doch er konnte sich dabei nicht gleichzeitig über Wasser halten. "Sie sind überall! In meinen Achselhöhlen. In meinem Arsch! Hilfe!" Plötzlich merkte er, dass niemand ihm zuhörte. "Wurm! Wo bist du?" Er war weg. "Ich kann hier nicht raus. Es gibt keinen Ausgang." Der Wasserspiegel um Kurischnigg stieg unerbittlich. Er sah sich verzweifelt nach einem Ausgang um. Die Termiten hatten zwar die Wand hinter ihm mit winzigen Löchern versehen. Er hatte aber keine Kraft mehr, sie zu durchbrechen. Plötzlich hörte er über sich eine vertraute Stimme. "Ha, Kärntner! Dacht ich's mir, dass ich deinen Arsch retten muss!" Hiero hing neben der Hirschkopf-Trophäe. Sein Körper war um eine Eisenverstrebung gewickelt, die von den Termiten unangetastet gelassen worden war. Der Regenwurm riss seinen kleinen Mund auf und richtete ihn auf den Hirschkopf. Aus seinem Rachen schoss ein lodernder Feuerstrahl. Die Verankerung des Hirschkopfes barst unter der Hitze. Die Trophäe wackelte. Auf einmal stürzte sie herab und zerschmetterte die durchlöcherte Wand. Wassermassen strömten in den Raum. Aber dann sah Kurischnigg Sonnenlicht durch die Wellen hindurch strahlen. Er ergriff die Gelegenheit und schwamm durch die Öffnung ins Freie. Zufrieden beobachtete Hiero die Rettung seines Kumpanen. Doch bevor er sich selbst in Sicherheit bringen konnte, brach die Eisenstange aus dem Balken, in dem sie verankert war. Die Termiten hatten ganze Arbeit geleistet. Hiero fiel herab ins Wasser. Das Gewicht der Eisenstange riss ihn in die Tiefe. Sie blieb im Holzboden stecken. Dort drückte sie Hieronimus nieder und hielt ihn unter Wasser gefangen. Er spürte, wie das Leben langsam seinen Körper verließ. "Verdammt! Wo bleibt der blöde Wurm!" Um das untergehende Schiff wirbelte das Wasser. Kurischnigg brauchte all seine Kraft, um gegen den Sog an zu kämpfen. Die Wut über den Wurm gab ihm noch mehr Energie. "Das gibt's doch nicht! Jetzt haben wir unseren Auftrag erfüllt und der kleine Scheißer verschwindet einfach." Mit heiserer Stimme schrie er seinen Zorn hinaus. "Das lasse ich nicht zu!" Er tauchte ins Wasser herab und schlängelte seinen Weg in die Öffnung hinein, durch die er gerade in die Freiheit gelangt war. Das Salzwasser stach in seinen Augen, er hielt sie aber offen, um nach seinen Kollegen zu suchen. Da! Am Boden des Schiffes lag er zusammengerollt vor Schmerzen und festgedrückt durch eine Eisenstange. Der Kärntner stieß durchs Wasser zum Wurm. Gerade als er nach der Stange greifen wollte, begann der Bug zu steigen. Die Wassermassen verließen die Kajüte. Das Schiff hatte offenbar beschlossen, dass es lieber mit der anderen Seite voran untergehen wollte. Das kam Kurischnigg gerade recht. Ihm war fast die Luft ausgegangen. Um ihn herum verschwand das Wasser. Durch die Öffnung konnte er erkennen, dass ihre Seite des Schiffes sich bereits zehn Meter über den Meeresspiegel gehoben hatte. Die andere Seite des Kiels war aber um genauso viel untergegangen. Jetzt hing der festgeklammerte Hieronimus über ihm. Die Eisenstande steckte zu tief im Holz fest. Hieronimus hustete Wasser aus seinem Inneren heraus, als er immer und immer wieder vergeblich versuchte, sich zu befreien. "Wurm! Was ist los? Befreie dich doch! Trenn dich ab!" Hieronimus rang mit der Bewusstlosigkeit. Er hörte Kurischnigg schreien, dann kam er richtig zu sich. Er konnte wieder atmen. Doch dann merkte er, wie das Schiff nach einem letzten Aufbäumen, wieder herabsank. "Kärntner! Hilf mir! Ich komme nicht frei!" Kurischnigg klammerte sich an der Wand fest. Das Schiff drehte sich. Jetzt war der Kärntner weit unter Hiero. "Du dummer Wurm! Teil dich doch einfach!" "Ich kann nicht! Ich will mich nicht teilen!" "Du bist zu weit weg. Ich komme nicht an dich heran!" Kurischniggs Kopf lief vor Wut rot an. "Jetzt teile dich!" "Ich habe mir geschworen, mich nie zu teilen!" Hiero war innerlich hin und her gerissen. Er wusste, dass sein Zögern beide in Gefahr brachte. "Sei kein Vollidiot. Das ist deine letzte Chance. Teile dich und vertraue mir! Ich werde nicht dein falsches Ende begraben!" Der kleine Wurm atmete tief durch. Der Wasserspiegel stieg rapide an. Das Schiff sank immer schneller. Hiero schloss die Augen und konzentrierte sich. Er spürte nach seinem Unterkörper. Sein Bewusstsein wanderte über die Bruchstellen in seinem Torso. Sobald er die richtige Stelle seines Schweifes fühlte, gab er ihr einen heftigen mentalen Ruck und... Die obere Hälfte seines Körpers trennte sich von seinem festgeklemmten Schwanz. Kopf und Oberkörper fielen herab. Bevor Hiero auf die Wasseroberfläche schlug, spürte er, wie Kurischnigg ihn auffing. Dann verlor er das Bewusstsein. ![]() Sonnenlicht kitzelte Hieronimus auf der zarten Membrane seiner Haut. Langsam blinzelte er. Doch er sah nur den blauen Himmel über sich. Obwohl sein Körper noch im Takt des Wassers hin und her schwappte, merkte er dass er auf festen Boden war. Er hob das Köpfchen und sah sich um. Es war der Strand, von dem aus sie die Schiffe beobachtet hatten. "Aua... Wer immer behauptet, dass Trennen überhaupt nicht wehtut ist ein riesiger Vollidiot!" Die verbleibende Hälfte seines sowieso nicht besonders großen Körpers zuckte schmerzvoll. Am unteren Ende seines Rumpfes hatten sich die Muskeln geschlossen, damit seine Lebenssäfte nicht hinausströmen. "Du bist der sturste, und dümmste Regenwurm, dem ich jemals begegnet bin." Kurischnigg beugte sich über ihn. Mit jedem Wort fletschte er die Zähne. "Ich hätte dich zurücklassen sollen, damit du verreckst, wie es alle deiner Art verdienen." Der Kärntner war von oben bis unten völlig nass. Sein zerrissenes Hemd hing herab, als sei es geschmolzenes Wachs. Hiero sah ihm ins Gesicht und lächelte ihn an. "Danke!" Das nahm Kurischnigg den Wind aus den Segeln. "Also... Ich weiß nicht..." Er musterte den Wurm misstrauisch. Dann lächelte er verlegen zurück. "Na gut. Du hättest ja an meiner Stelle genauso gehandelt." Er setzte sich neben Hiero und starrte auf den Horizont. "Du steckst ja voller Geheimnisse. Wieso kannst du überhaupt Feuer speien?" "Ach das... Es wundert mich, dass du das gar nicht weißt. Wir Regenwürmer sind ja durch den enormen radioaktiven Niederschlag nach dem vierten atomaren Konflikt zwischen Indien und Pakistan entstanden. Die Speiseröhre eines Wurmes hat einen Tschernobyl-Faktor von 87. Wenn wir richtig pressen, entzünden sich unsere Rülpser." "Ich glaub's nicht. Jetzt kannst du auch noch Feuer rülpsen... unglaublich." Hiero war noch zu schwach, um sich aufzurichten, damit er einen Blick aufs Meer richten konnte. "Sind die Schiffe untergegangen?" "Ja. Das Wasser ist völlig eben. Einige wenige Rettungsboote sind noch unterwegs ans Ufer. Ich frage mich, warum sie nicht von den Termiten aufgefressen wurden." "Wir haben dieser Biowaffe eine beschränkte Lebensdauer gegeben. Schließlich wollen wir doch nicht das Ökosystem im Spanien des 15. Jahrhunderts durcheinander bringen, indem wir es mit einer außerirdischen Mutation verseuchen." Völlig erschöpft legte sich Kurischnigg flach auf den Sand. "Es ist also vorbei." flüsterte er. Dann lagen die beiden unfreiwilligen Kollegen still nebeneinander. In der Ferne hörten sie Menschen rufen und Vögel kreischen. Wenn man nicht genau hinhörte, konnte man die beiden nicht voneinander unterscheiden. "Warum hasst du eigentlich Würmer?" Kurischnigg legte sich die Hände aufs Gesicht. Er rieb sich die geschlossenen Augen und machte einen Ausdruck des Schmerzes. "Es ist eine lange, unangenehme Geschichte..." "Wir haben noch eine Stunde Zeit, bis der Rückholmechanismus des Zeitkraftwerkes anspringt." Kurischnigg richtete sich auf und begann zu erzählen, ohne den Blick vom Meer zu nehmen. "Vor über zehn Jahren ging ich eines Nachts um zwei Uhr morgens am Gürtel spazieren. Ich wollte frische Luft schnappen und einen klaren Kopf bekommen. Ich ging an den vielen Lokalen vorbei und dachte nicht daran, dass ich in Gefahr sein könnte. Was habe ich mir dabei gedacht?" Er blinzelte, als ihn die Sonne blendete. "Ich war schon eine Viertelstunde den Währinger Gürtel entlang gegangen und merkte nicht, dass ich von einer Bande Regenwürmer verfolgt wurde. Sie waren völlig betrunken. Leise schlichen sie sich an mich heran. Ehe ich etwas dagegen tun konnte, sprangen sie auf mich und krochen mir unter das Hemd und in die Hose. Ich schrie und schlug um mich. Doch es waren zu viele. Ich fiel zu Boden." Als Kurischnigg sprach, bekam er glasige Augen. Er rieb sich am Nacken. "Vier von ihnen klammerten mich auf den Boden. Die anderen vier krochen in meiner Hose herum, auf der Suche nach meinem Kreditchip. Sie rieben ihre glitschigen ekligen Körper an meinen Penis. Ohne dass ich es wollte, bekam ich eine Erektion. Ich ahnte schon, was passieren könnte. Deshalb schlug ich wie wild um mich, doch es war zu spät. Sie rieben sich weiter an meinem Geschlechtsteil, bis ich einen Orgasmus bekam und sie mit meiner Samenflüssigkeit anspritzte." Er senkte den Kopf. "Von mir angeekelt, lösten sie sich und verschwanden in der Nacht. Ich schämte mich so sehr. Ich hab keine Ahnung, was über mich gekommen war. Aber ich schämte mich so sehr, dass ich Jahre gebraucht habe, um das zu verkraften." Hiero konnte seinen Ohren nicht trauen. Er wusste, dass er jetzt nichts Falsches sagen durfte. "Es tut mir Leid." Kurischnigg sah zu ihm hinüber. "Mir tut es auch Leid. Ich steh nicht auf Mutantensex oder außerirdischen Fetisch. Ich bin ein gesunder Hetero, der nur auf Frauen steht. An diesem Tag aber, entdeckte ich meinen Hass gegen alle Regenwürmer." Kaum hatte er das gesagt, weckte etwas am Horizont sein Interesse. "Da ist noch ein Schiff!" Hiero wurde aus seinem Mitleid herausgerissen. "Was? Ich dachte, die Termiten sind zu den anderen Schiffen geschwommen und haben sie ebenfalls aufgefressen?" Nachdenklich antwortete Kurischnigg. "Ich habe nur gesehen, wie sie die Pinta versenkt haben." "Das muss die Niña sein." Hiero spürte neue Kraft in seinen Körper strömen. "Wir müssen sie aufhalten!" Kurischnigg lehnte sich zurück. Entspannt entgegnete er. "Du bist doch nur ein dummer Wurm, der lauter Blödsinn im Kopf hat. Kolumbus würde niemals eine Expedition mit nur einem Schiff wagen. Wir warten, bis wir in unsere eigene Zeit zurückgeholt werden. Dann wird alles wieder gut. Unser Auftrag ist erfüllt. Wir haben die Entdeckung Amerikas verzögert..." Er merkte, dass niemand ihm zuhörte. Hieronimus war weg. Hiero brauchte all seine Kraft, um mit seinem verminderten Körper die Stadtmauer hinauf zu klettern. Langsam aber stetig kroch er die Furchen der Bastion entlang, bis er endlich bei den Kanonen angelangt war. Wie nicht anders zu erwarten, konnte er Soldaten erkennen, die auf den Zinnen Wache schoben. Hiero hatte die Überraschung auf seiner Seite. Die Wächter mochten zwar mit Schwertern und Hallebarden bewaffnet sein, aber sie rechneten sicher nicht mit dem Angriff eines mutierten Regenwurms aus der Zukunft. Ohne einen Laut zu machen, kroch er an ihnen vorbei. Er kletterte über einen Stapel Kanonenkugeln in den Lauf der ersten Kanone hinein. "Sehr gut. Die Kanone ist geladen!" Murmelte er still in sich hinein. Dann kroch er zum Zünder auf der Rückseite der Waffe. Er holte tief Luft und spie einen kleinen Feuerstrahl direkt auf die Zündschnur. Die Spitze der Schnur fing Feuer. Es wanderte die Kordel herab und verschwand in den schwarzen Körper der Kanone. Auf einmal drang aus dem Inneren des Rohres eine Explosion. Die brennende Welle trug die Kanonenkugel in den Himmel. Dabei zog das Geschoss eine Spur von Rauch und Splitter hinter sich her. Hiero hob seinen Kopf, um das Ergebnis seiner Bemühungen zu betrachten. Die Flugbahn sah gut aus. Die Kugel flog zur Niña und... ...schlug einige Meter neben ihr im Wasser ein. "Das gibt es doch nicht!" Hiero war durch so viele Strapazen gegangen, es konnte doch nicht sein, dass alles umsonst gewesen war. Die Wachen sahen verängstigt zur Kanone. Ihr Blick fiel auf Hiero. Obwohl ihnen so ein Wesen fremd war, wussten sie sofort, was sie zu tun hatten. "Den töten wir!" Von beiden Seiten griffen sie ihn an. Gerade als Hiero dem Schwertschlag des einen auswich, holte schon der zweite Wächter mit der Hallebarde nach ihm aus. Hiero sprang von der Kanone. Doch der Sprung brachte ihn direkt zum ersten Soldaten. Mit einer ausholenden Bewegung schnappte der Mann den Wurm mit seiner behandschuhten Hand. "Was haben wir denn da?" Neugierig betrachteten die beiden ihren Fang. "Egal, was es ist. Es ist gottlos und unnatürlich..." Der Wächter hob sein Schwert. "...und bald tot!" Hiero schloss die Augen. In diesem Moment tat es ihm Leid, dass er nicht religiös war. Denn jetzt hätte er Frieden mit seinem Schöpfer schließen können. Ein lauter Knall! "Du spanischer Scheißer lässt gefälligst meinen kleinen Freund in Ruhe!" Der Soldat schlug schlaff auf dem Steinboden auf. Kurischnigg holte noch einmal mit der Kanonenkugel aus, die er beidhändig über dem Kopf hielt, um auch den zweiten Wächter zu erwischen. Dieser war aber schneller und verpasste dem Kärntner einen Schlag mit dem Ellenbogen, so bekam er mehr Platz, damit er mit seiner Hallebarde angreifen konnte. Wie ein Beutel genetisch manipulierter Erbsen sackte Kurischnigg zusammen und torkelte zurück. Er musste sich anstrengen, die schwere Kanonenkugel nicht fallen zu lassen und sich somit selbst zu verletzen. Hiero erkannte seine Chance und sprang aus der Hand des gefallenen Soldaten. Jetzt, da der zweite Wächter abgelenkt war, konnte er ungestört auf die nächste Kanone klettern. Ohne zu zögern warf er sich zum Zünder und feuerte einen gezielten Flammenstrahl auf die Zündschnur. Plötzlich packte ihn der Soldat von hinten und begann ihm das Leben aus dem Leib zu quetschen. Die Kanonenkugel peitschte durch die Luft auf das Schiff zu. Kurischnigg warf sich auf den Soldaten und schlug ihm den Kopf so fest er nur konnte auf den Steinboden. Dort blieb der Wächter regungslos liegen. Die Kanonenkugel zeichnete einen vollkommenen Bogen durch die Luft und schlug genau in der Mitte der Niña ein. Kurischnigg achtete aber nicht darauf. Er riss die Hand des Mannes auf, um Hieronimus zu befreien. "Immer muss ich deine Wurmhaut vor Schwierigkeiten bewahren!" Er nahm Hiero sanft in beide Hände. "Also Kurischnigg, du entpuppst dich immer mehr als großer Freund der Würmer." Hieros Körper war von Rissen und Schwellungen überzogen. Er hatte zum Sprechen kaum noch Kraft. "Halt mich, Kärntner. Es ist so kalt." Kurischnigg nahm ihn fester in die Arme. "Würmchen, jetzt tu doch nicht so. Du wirst doch nicht die Patschen strecken!" Hiero lächelte schmerzverzehrt. Er hustete sein Inneres hervor. "Wie du weißt, tragen Würmer keine Patschen..." Er sah, wie in Kurischniggs Augen sich Tränenperlen bildeten. "Sei nicht so eine Heulsuse. Sag mir lieber, ob ich das Schiff getroffen habe." Kurischnigg sah zum Horizont. "Ja... Sie geht unter. Wir haben es geschafft." "Wir sind die besten. Es gibt keinen Auftrag, dem wir nicht gewachsen sind, ganz gleich, wie verrückt er ist. Kärntner, ich bin stolz darauf, dass ich mit dir zusammenarbeiten durfte." "Hiero... Wieso verwendest du die Vergangenheitsform?" "Willkommen zu den Sprachparadoxa von Zeitreisenden!" Er hustete noch mehr Lebenssaft aus sich heraus. "Bevor ich gehe, möchte ich dir noch eines sagen..." "Ja... mein Freund..." "Unterdrücke deine Triebe nicht. Es ist in Ordnung, sexuelle Gefühle für andere Gattungen zu haben. Du kannst zugeben, dass du Würmer anziehend findest." Tränen strömten über Kurischniggs Gesicht. "Ja... Ich liebe dich..." "Ich..." Bevor Hiero seinen Satz vollenden konnte, verließ der letzte Lebensfunke seinen kleinen Körper. Kurischnigg blieb allein mit seiner Trauer zurück. Um ihn herum verschwand das Spanien des 15. Jahrhunderts. Er tauchte ein in die Welt zwischen den Zeitaltern, als ihn die Zeitmaschine in die Zukunft zurückholte. Epilog oder "Die Entdeckung Europas" Vor Kurischniggs verheulten Augen materialisierte sich das Büro seiner Chefin. Gerade noch hatte er den Leichnam seines Kollegen gehalten. Dieser war aber verschwunden. Offenbar erkannte ihn die Maschine nicht mehr. "Das ist Zehetners Büro. Von Braun hat mich direkt hierher zurückgeholt." Er machte einen Schritt in Richtung Schreibtisch. Zu seinem Erstaunen bewegte er sich genau in die entgegen gesetzte Richtung. Verwundert sah er auf seine Beine herab. "Verdammt! Was soll das denn!?! Ich bin verkehrt!" Tatsächlich war sein Unterkörper ab dem Becken verkehrt an seinem Oberkörper angeschlossen. Dort, wo er früher seinen Schritt hatte, ragte nun sein Hintern heraus. Die Gelenke seiner Beine winkelten sich ebenfalls falsch ab. "Das darf doch nicht wahr sein. Sind das die Nebenwirkungen, wegen der fehlenden Tachyonenbehandlung? Ach was, ich lasse mich später operieren. Bin schließlich privat versichert." Er sah sich um. Noch etwas machte ihn unruhig. Etwas stimmte nicht mit seiner Umgebung. Durch die riesigen Fenster hinter dem Schreibtisch sollte er die Wiener Innenstadt sehen mit dem Stephansdom im Zentrum. Doch sein Blick fiel auf ein seltsames pyramidenförmiges Gebäude. "Das ist doch eine... wie heißt das noch mal... Zigurate. Die Chefin hat aber ein komisches Hologram als Aussicht gewählt." Eine professionell-freundliche Frauenstimme erklang aus den Wänden. "Guten Abend, Herr Kurischnigg. Haben Sie einen Termin?" Ein Hologramm zweier Frauenbrüste baute sich vor Kurischnigg auf. Kurischnigg lachte. Es war der Computer. Die Chefin hatte sehr ungewöhnliche Systemeinstellungen. "Das könnte man durchaus so sagen..." "Ich habe zwar keine Eintragung über ihr Kommen, aber die Geschäftsleitung wird in einer halben Stunde hier eintreffen. Gibt es etwas, mit dem ich Sie bis dahin unterhalten kann?" "Ähm... Ja, wie ist der Status der Entdeckung Amerikas und unserer Beteiligung an den Jubiläums-Feierlichkeiten." Stille. Einen Augenblick lang nahm Kurischnigg an, dass der Computer die Frage nicht verstanden hatte. Das war seltsam. "Ich habe nur eine Eintragung über die Entdeckung Amerikas. Ein Wissenschaftler namens Dr. Emett von Braun hat spekuliert, dass die im Jahre 1492 gescheiterte Mission eines Seefahrers namens Christoph Kolumbus unter Umständen dazu geführt hätte, dass Europäer auf den amerikanischen Kontinent gesegelt wären. Kolumbus hatte sich auf die Umsegelung der Welt vorbereitet, als seine gesamte Flotte unter geheimnisvollen Umständen untergegangen war. Man sah das Scheitern der Expedition als Zeichen Gottes. Deshalb machte in den nächsten Jahrzehnten auch kein anderer europäischer Seefahrer den Versuch, die Welt zu umsegeln. Kurischnigg traute seinen Ohren nicht. Er starrte gefesselt auf das projizierte Holobild eines Ölgemäldes. Darauf waren drei brennende Schiffe abgebildet. Über ihnen ragte eine gewaltige Hand aus den Wolken und warf Blitze auf sie herab. Er betrachtete seine eigene Hand und merkte, dass sie jener im Gemälde sehr ähnelte. Nachdenklich kratzte er sich am Hintern. Wenigstens hatte er keine Schwierigkeiten, hin zu gelangen. "Möchten Sie die Eintragung über die Entdeckung Europas hören?" "Die Entdeckung wovon!?! Ja, erzähl mir mehr." ![]() Das Holobild veränderte sich zu einer Waldlandschaft mit südamerikanischen Pyramiden, die aus den Bauwipfeln herausragten. "Amerikas Vormachtstellung in der Welt wird gemeinhin darauf zurückgeführt, dass die erstaunlich modernen Naturvölker des Kontinents, die Azteken und die Inkas, sich ohne äußere Einflüsse ungehemmt entwickeln konnten." Vor Kurischniggs staunenden Augen schwebte das Diagramm einer Weltkarte. Ein Aztekenschiff bewegte sich gerade auf England zu. "Im 16. Jahrhundert hatten die Azteken derartig fortschrittliche Navigationstechniken entwickelt, dass sie ihren Weg problemlos über den Ozean finden konnten. Hierbei spricht man von der ‚Entdeckung Europas'. Von da an starb die damals äußerst primitive ur-europäische Kultur aus und ging in der bei weitem fortschrittlicheren indianischen Kultur auf." Der Computer zögerte einen Augenblick. "Herr Kurischnigg, die Exodus-Film verfügt noch über keine Rechte für die Entdeckung Europas, da diese sich erst in vierzig Jahren zum tausendsten Mal jährt... Herr Kurischnigg? Fühlen Sie sich nicht wohl? Meine Sensoren nehmen starke Schwankungen ihres Kreislaufs wahr. Antworten Sie bitte mit ‚nein', wenn Sie keinen Arzt brauchen. Ansonsten alarmiere ich in dreißig Sekunden die medizinische Abteilung..." Kurischnigg riß sich zusammen. "Nein... Nein, mein Arsch mag zwar verkehrt sein, aber mir geht es gut. Eine Frage noch. Was ist aus Kolumbus geworden?" "Kolumbus wurde der Ketzerei angeklagt und von der Inquisition als Gotteslästerer am Scheiterhaufen verbrannt. Inzwischen ist er zur Legende geworden, ein Symbol gegen die Unterdrückung des Entdeckergeistes. Vor eintausend Jahren wurde er hingerichtet. Allerdings fürchte ich, dass sich unser Konkurrenzunternehmen Phantasia-Film die Rechte am Leben, dem Gerichtsverfahren und den Tod von Kolumbus gesichert hat." Der Computer zögerte wieder, als ob er mit irgendetwas nicht klar kam. "Herr Kurischnigg? Meine Sensoren vernehmen plötzlich sehr beunruhigende Werte, antworten Sie bitte mit ‚nein', wenn Sie keinen Arzt brauchen, sonst... |