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WIEDER DAHEIM

von Fred H. Schütz



"Lily," sage ich und schon steht sie vor mir, angetan mit dem niedlichen Haremskostüm. Ich habe mich so an den Anblick des hübschen Mädchens gewöhnt, daß ich drauf und dran bin, zu vergessen, daß sie eigentlich ein Afrit ist, die schrecklichste Sorte von Dschinn, die sich vorstellen läßt. Dschinni sind im arabisch sprechenden Orient Geistwesen, die aus einem dunklen Feuer ohne Rauch, nach anderer Lesart aus dem Schatten einer Öllampe entstanden sind, womöglich weil flickernde Flammen tanzende Schatten erzeugen. Dschinni besitzen große Macht, die sich ein Mensch, sofern es ihm gelingt, sie durch magische Sigyllen zu bannen, zunutze machen kann. Diesen hat einst der mächtige und weise König Salomon bezwungen und in eine Lampe gebannt. Aufgrund der Namensgleichheit und durch den Besitz der Lampe - und damit des Siegels - ist diese Macht auf mich übergegangen.
Sie hält das Köpfchen mit den zierlich gedrehten Haarlöckchen gesenkt. Ihr Gesicht ist bleich und wirkt erschöpft. "Lily," frage ich besorgt, "fehlt dir was?"
Sie hebt den Kopf und schaut mich an ohne mich zu sehen. Dunkle Augen so groß wie Suppentassen. Ihr Blick ist in die Ferne gerichtet. "Idriss hat mir die Kraft geraubt," flüstert sie mit schwacher Stimme. "Ich habe große Mühe, diese Form zu halten."
Ich sehe es. Sie hat soviel Substanz verloren, daß ich durch sie hindurch die Wand hinter ihr sehen kann. "Rakus hat mir gesagt, daß du in der Lampe neue Kraft schöpfen wolltest. Ist es dir nicht gelungen?"
Sie bewegt den Kopf, einmal nach rechts, einmal nach links; kleine kraftlose Bewegungen. Nein. Ihre Stimme ist womöglich noch schwächer. "Ich hab's versucht, aber es ist zwecklos. Ich ..." Sie sieht mich an und das Entsetzen springt mir aus ihren Augen entgegen. "Herr, ich vergehe! Hilf mir ...!" Ihre Stimme verweht. Wie ein Seufzer aus der Anderwelt.
"Lily!" rufe ich erschrocken. Rakus ist an Selbstzweifel vergangen und Lily ist nahe dran; ich sehe sie kaum noch, nur einen blassen Schatten ....
Das Mörchen hat mich gehört und kommt hereingestürzt, immer in Sorge um mein Wohlergehen. "Ist was?"
Ich winke ab. "Keine Sorge! Ich habe nur deklamiert."
Das ist natürlich gelogen und vielleicht sieht man's. Ich mache ein Pokergesicht und sie starrt mich zweifelnd an, sucht in meinen Zügen nach einem Hinweis. Schließlich murrt sie, "Du und deine Dichterei ..." und schließt die Zimmertür mit einem leisen Knall. Von außen. Das Türeschmettern soll mir zeigen, daß sie nicht zufrieden ist, aber das ist sie ja nie. Nicht, wenn meine Gesundheit auf dem Spiel steht ...
Lily hat sie nicht wahrgenommen. Das ist gut, denn - wer weiß, ob sie nicht doch die Wandlung durchschaute und den Afrit erkannte. Afriti sind wie sie aussehen: schrecklich. Das Mörchen würde der Schlag treffen!
Lily ist nur noch ein Schatten. Der alte Vergleich, ein Schatten ihrer selbst, hier trifft er zu. "Lily," frage ich und fühle mich beklommen. "Lily, gibt es keine Lösung - keine Rettung für dich?"
Sie schaut vor sich nieder, hebt dann den Kopf und sieht mich an. Ihre Stimme ist kaum noch zu verstehen, so schwach klingt sie. "Ich - ich könnte ..." Sie verstummt und sieht wieder auf den Boden.
"Ja?" Ich horche auf. "Sag schon! Nur keine Hemmung!" Ich bin gespannt, was sie mir sagen wird.
"Ich ..." Sie hebt den Kopf und schaut mich an, die Augen so weit aufgerissen, daß ich das Weiße rund um die Irisse sehen kann. Ihre Züge sind angespannt; augenscheinlich kämpft sie mit sich. Dann sagt sie es. Sie sagt: "Ich - ich könnte den Fürsten der Geister aufsuchen und-"
"Den Geisterfürsten? Wer ist das? Wie heißt er?"
Sie zuckt mit den Schultern. "Manche nennen ihn Baffomet, aber-"
"Baphomet! Der ist doch ein Dämon, Herr der Dämonen sogar!"
Sie lächelt schwach. "Dschinn oder Dämon - wo ist da der Unterschied?"

Ich stoße einen Pfiff aus. Leise, damit's das Mörchen nicht hört und sich wundert. "Du hast recht, da ist kein Unterschied. Zumindest keiner, der mir einfiele." Ich überlege kurz. "Weißt du, das könnte stimmen. Man sagt, die Templer hätten ihn von den Kreuzzügen mitgebracht und weiter hier verehrt. Sie-"
Lily schüttelt den Kopf und läßt die Löckchen tanzen. "Wer diese Templer sind, weiß ich nicht. Aber sie haben ihn gewiß nicht verehrt!" Ihre Stimme sinkt und ich muß mich anstrengen, zu verstehen, was sie sagt. "Eher gefürchtet ..." Ihre Stimme versagt.
"Mag sein," sage ich. "Die Templer hat er auch nicht beschützt. Oder er konnte es nicht. Du magst ihn?" Das ist eine rhetorische Frage. Natürlich liebt sie ihn; er ist doch ihr Fürst.
"Ich fürchte ihn!" Sie sieht vor sich nieder, flüstert: "Alle fürchten ihn ..."
"Und dennoch willst du ihn aufsuchen?"
"Ich muß!" Sie sieht wieder auf. "Sonst bin ich verloren. Nur er kann meine Kraft wieder herstellen. Es ist nur ..." Wieder verläßt sie die Stimme. Oder vielleicht wagt sie nicht zu sagen, was das Hindernis ist.
"Sag es ruhig." Ich ermuntere sie. "Nur zu!"
"Du ..." Sie sieht mir in die Augen. "Du müßtest mich freigeben!" Sie atmet tief ein und aus. Bei der Figur ist das ein aufregender Anblick. "Nur für eine Nacht!" setzt sie rasch hinzu und atmet schwer. "Nur eine Nacht ..."
Ihr Busen wogt. Diese Wendung wurde in der Schundliteratur von anno dazumal oft gebraucht. Hier sehe ich, was gemeint war. "Sicher," sage ich nonchalant. Als ob mich der Anblick nicht aufregte ... "Du kommst doch wieder, oder?"
"Ich kann nicht anders." Sie lächelt fein. Hoffnung scheint ihr neue Kraft zu verleihen, die aber gewiß bald wieder vergeht. Immerhin ist sie jetzt besser sichtbar. "Du hast doch das Siegel!"
"Ach, ja." Also nur das Siegel hält sie bei mir fest, nicht etwa Zuneigung ... Der Gedanke ernüchtert. "Und wenn er dich nicht gehen läßt; wenn er dich zwingt, dort zu bleiben?"
"Gegen das Siegel kommt auch er nicht an." Sie bewegt den Kopf verneinend. "Er muß mich gehen lassen."
"Gut," sage ich und weiß gar nicht warum. "Dann gehe ich mit dir!"
"Herr," ruft sie erschrocken, "das ist zu gefährlich! Du weißt nicht, mit wem du es zu tun bekommst!"
"Ich habe doch das Siegel!"
"Ja, aber du kannst es nicht mitnehmen!" Sie ist erregt, sodaß ihr Augen blitzen. "Du muß es hier verwahren, wo er es dir nicht wegnehmen kann!"
"Aber ich habe dies hier," sage ich kühl und halte das kleine Gerät hoch.
"Was ist das?" fragt sie mißtrauisch.
"Eine Kamera. Ich kann ein Foto von dem Siegel machen und es bei mir tragen."
"Kamera ... Ein Foto ..." Sie ist verwirrt. Ihr Gesicht ist ein einziges Fragezeichen. Jetzt sehe ich, was dreitausend Jahre Gefangenschaft in der Lampe bei ihr angerichtet haben; der Gedanke dämpft meinen Enthusiasmus beträchtlich.
"Eine Abbildung des Siegels, die es genauso zeigt, wie es ist. Dagegen kann er nichts machen."
"Und wenn er es dir wegnimmt?" Sie zweifelt verständlicherweise. Woher soll sie wissen ...
"Keine Sorge! Er kann es mir ruhig wegnehmen. Dann mache ich eben neue. Es ist ganz einfach."
Lily kämpft. Sie kämpft den härtesten Kampf ihrer Existenz seit - so es denn wahr ist - ein Schatten sie zeugte, und das ist gewiß lange her. Sie kämpft mit sich selber. Ich sehe es, aber ich kann nicht eingreifen, nicht auf sie einwirken: sie muß allein entscheiden. Schließlich hebt sie das Köpfchen; durch die Erregung ist sogar etwas Farbe in ihr Gesicht geschossen und es steht ihr, wie man so sagt, fabelhaft. Was wiederum meinen guten Geschmack beweist. Sie nickt. "Wir gehen zusammen. Bei dir fühle ich mich sicherer."
Na, wenigstens etwas. In meiner Gesellschaft fühlt sie sich geborgen. Ich nicke meinerseits. "Schön. Das ist geklärt. Wann gehen wir, oder fliegen wir?" Auf den Reisemodus bin ich gespannt.
"Heute Nacht." Sie lächelt. "Du solltest jetzt etwas schlafen, damit du heute Abend ausgeruht bist. Diese Nacht wird turbulent!"
"Fein," sage ich forsch, "darauf freue ich mich schon!" In Wahrheit empfinde ich nicht die Spur von Freude; einem Dämon gegenübertreten ist nicht lustig. Ich überlege, ob ich meine Geheimwaffe mitnehmen soll, den Radiergummi ...
Noch etwas bereitet mir Kopfzerbrechen. "Lily," sage ich, "wirst du die Reise überstehen?"
Sie macht eine legere Bewegung - die gleiche Bewegung, wie sie einer macht, der ein benutztes Papiertaschentuch wegwirft - und lächelt schelmisch. "Sorge dich nicht! Ins Geisterreich ist es nur ein Schritt ..."

ENDE



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