STORIES


IM NEBELWALD

von Dieter Grzywatz und Andreas Leder



Unsere Reise war bisher recht unspektakulär verlaufen. Die ORPHELIA war ein gut gewartetes und leistungsstarkes Forschungsraumschiff, das uns acht Raumfahrern gute Dienste leistete. Bob saß als Co-Pilot neben mir in der Zentrale, als ihm plötzlich auf den Anzeigen etwas auffiel:
Er stieß mich mit dem Ellenbogen an und fragte: "Hast du so was schon mal gesehen?"
Ich schaute mir die Anzeigen an. "Direkt gesehen hab ich so was noch nicht, aber ein paar ältere Kameraden haben mir von diesem Phänomen schon berichtet."
"Was ist es?" Bob war neugierig. "Sag' schon!"
"Es schaut ganz nach einem Wurmloch aus", ließ ich ihn wissen.
"So ein zwischendimensionaler Tunnel?"
"Ja, genau so ein Tunnel, der von hier nach irgendwo führt."
"Rex", dabei sah er mich mit flehenden Augen an, "können wir da durchfliegen?"
Ich musste nicht lange überlegen, schließlich kannte ich die Leistungsfähigkeit unserer ORPHELIA in- und auswendig. Die vier Materie-Antimaterie-Reaktoren hatten uns bisher Energie im Überfluss zur Verfügung gestellt. Ich hatte keine Bedenken, dass die Schirmfelder zur Abwehr der mehrdimensionalen Einflüsse, die in einem Wurmloch auftraten, und der Antrieb nicht gleichzeitig versorgt werden konnten.
"Okay, ich bin dafür" stimmte ich zu, "wir müssen es aber den anderen auch sagen und wenn die Mehrheit dagegen ist,..." den Rest brauchte ich nicht auszusprechen, der war klar.
"Alle mal herhören," sprach ich in den Interkom, "etwa 3 Millionen Kilometer vor uns befindet sich ein Wurmloch. Wir könnten da durchfliegen und schauen, was wir am anderen Ende finden. Wie steht ihr dazu?"
Als erste meldete sich Daria Lopez. Ihre stürmisch-mexikanische Art brachte es mit sich, dass sie sofort dafür war. Es hätte mich gewundert, wenn es anders gewesen wäre - inzwischen kannte ich sie schon recht gut.
Sybill Stevens, die kühle Biologin aus den amerikanischen Nordstaaten, sprach sich auch dafür aus, von ihr hätte ich trotz allen Forschereifers mehr Zurückhaltung erwartet. So konnte man sich täuschen.
Yasmin Xander und Marc Jordan sprachen gemeinsam durch den Interkom - war ja nicht anders zu vermuten gewesen, waren sie sich schließlich in den letzten Wochen mindestens genauso nahe gekommen, wie Daria und ich - und gemeinsam wollten sie die Reise durchs Wurmloch. Das ist eben wahrer Forschergeist.
Jim Aron meldete sich als letzter und er sprach auch für Paul Stone, seinen Freund, leicht phlegmatisch, wie immer: "Ja, wenn ihr alle wollt, dann sind wir auch dafür," und völlig unerwartet kam sein bisher brach liegendes Temperament durch und ein freudiges "jippiaieeeeeee!!!" gellte durch die ORPHELIA. Das nannte ich eine nette Überraschung.
Damit war alles klar.
"Bob," bat ich meinen Freund und jetzigen Co-Piloten, "du checkst bitte die Kraftwerke, schaltest die Reserveleitungen frei und schließt die großen Irisblenden."
Ich berechnete inzwischen mit dem Navigationscomputer den genauen Kurs, kontrollierte die Kraftfeldprojektoren und die Triebwerke.
"Bitte legt eure Schutzanzüge an und vergesst nicht, euch anzuschnallen", erinnerte ich meine Kameraden über Interkom. Bob und ich hatte auch unsere Anzüge angezogen, wenn man sich gegenseitig helfen konnte, ging das ziemlich schnell. Wir prüften noch die Anzeigen am jeweiligen anderen Anzug, dann lagen wir ruhig und doch nicht so entspannt, wie das immer in den Handbüchern steht, auf unseren Schalensitzen. Ich hatte eine Uhr auf den großen Bildschirm vor uns geschaltet, sie zählte den Countdown bis zum voraussichtlichen Eintritt in das Wurmloch.
Noch 65 Sekunden.
Der Navigationscomputer arbeitete planmäßig, wir lagen auf Kurs.
Noch 50 Sekunden.
Die Anzeige der Kraftfeldprojektoren leuchtete im beruhigenden Grün.
Noch 45 Sekunden.
Die Anzeige für das Triebwerk 4 flackerte zwischen grün und orange.
Wenn's nicht mehr war?
Noch 30 Sekunden.
Das Fadenkreuz am Bildschirm, das unser Ziel anzeigte, begann leicht zu zittern. Was sollte denn das bedeuten?
Noch 15 Sekunden.
Der bisher ruhige Flug der ORPHELIA verwandelte sich in einen wilden Ritt, wie auf einem ungezähmten Pferd.
Noch 5 Sekunden.
Jetzt konnte niemand mehr genau sagen wo oben oder unten war.
Eintritt!

Wild rollend flog die ORPHELIA wie in einem Tunnel, von einer Wand zur anderen gestoßen, seltsame Geräusche, wie von kämpfenden Großkatzen, waren plötzlich zu hören. Spielten meine Sinne verrückt oder wurde die ORPHELIA einer so großen Belastung ausgesetzt, dass die metallenen Verbindungen ächzten, stöhnten und kreischten? Es war seltsam. Obwohl der Tunnel auf und ab zu tanzen schien und die ORPHELIA scheinbar immer wieder mit den Wänden kollidierte, spürten wir keine ungewohnten Andruckkräfte.
Endlich waren wir hindurch.

Die Austrittsgeschwindigkeit lag um einiges höher als die Eintrittsgeschwindigkeit und ich musste mich sofort und nur optisch auf einen halbwegs sicheren Kurs konzentrieren. Wir waren mitten in einem Feld aus Gesteins- und Eistrümmern aus dem Wurmloch gekommen. Immer wieder leuchteten die Anzeigen der Kollisionskontrolle in bedrohlichem Rot auf und bei besonders gefährlich großen Brocken schaltete sich auch noch ein nervtötendes Pfeifen dazu.
Aus den Augenwinkeln sah ich Bobs Finger extrem schnell über die Tastatur huschen, er programmierte die Kraftfeldprojektoren so, dass sie ihre Energie hauptsächlich im Bugbereich abgaben, was uns gut tat. Ich möchte gar nicht berechnen müssen, welchen Belastungen die Hülle der ORPHELIA ausgesetzt war.
Für meinen Geschmack viel zu langsam verzögerten uns die Bugdüsen. Endlich bekamen wir gemeinsam die Situation unter Kontrolle. Noch waren wir nicht aus der Gefahrenzone, aber das Radar zeigte schon deutlich weniger große Brocken an, als kurz nach dem Durchtritt.
Wir waren am Rand eines kleinen Sonnensystems aus dem Wurmloch gekommen Etwa 7 Millionen Kilometer seitlich nach rechts versetzt stand in Flugrichtung ein Planet im Raum. Mindestens drei mal so weit entfernt leuchtete seine Sonne.
Nach weiteren zwei Millionen Kilometern hatten wir die Zone der gefährlich großen Gesteins- und Eistrümmer hinter uns gelassen, was jetzt noch herumflog war nicht größer als eine Erbse und damit konnten unsere Kraftfelder problemlos fertig werden.
"Seid ihr schon ausgeschlafen?" fragte ich übers Interkom. Die Antworten die ich erhielt waren nicht immer druckreif, dafür aber durchwegs gut gelaunt.
Bob öffnete die Irisblenden vor den Sichtluken und unsere Kameraden staunten nicht schlecht, als sie den Planeten vor uns sahen. Wir konnten seine Oberfläche nicht ausmachen, wofür eine Atmosphäre mit vielen dichten Wolken verantwortlich war.
"Kennen wir diesen Planeten?" fragte Daria, "ich glaube nicht", gab sie sich selbst die Antwort. "Ich schlage vor, wie stellen einen Erkundungstrupp zusammen." Daria war, wie immer, neugierig und voller Tatendrang.
"Ich bleibe sicher nicht zu Hause," meldete sich Sybill Stevens, ihre Stimme vibrierte ungewohnt vor Anspannung. Als Biologin wollte sie fremde Lebensformen entdecken.
Nacheinander meldeten sich alle Teammitglieder und verlangten an der Erkundung teilnehmen zu dürfen.
Mit Einschränkungen sagte ich zu. "Leute, wenn wir da unten auf keine höhere Lebensform treffen, dann können wir alle auf Entdeckungsreise gehen. Rennt da aber etwas herum, das größer als eine Maus ist, dann bleiben zwei als Wache zurück."
"Wer von uns?" wollten alle wissen.
Ich hatte mir schon eine Reihenfolge zurecht gelegt, die ich jetzt meinen Kameraden unterbreitete: "Der erste und der letzt im Alphabet, dann der zweite und der vorletzte und so weiter." Das garantierte, dass Daria und ich erst während der vierten Erkundung Wache schieben mussten, dann aber gemeinsam.
Was blieb ihnen anderes übrig, als einverstanden zu sein. Als Pilot und Kommandant hatte ich das Sagen. Ich strich das zwar nicht hervor, aber die Kameraden hatten ja auch keinen besseren Vorschlag.
Die ORPHELIA durchstieß die Wolkendecke, darunter herrsche freie Sicht. Etwa 4000 Meter unter uns lag eine sandige Ebene, grün gesprenkelt von Vegetationsinseln.
Bob assistierte mir, wie gewohnt, bei der Landung. Bei solchen Routinemanövern verstanden wir uns auch ohne Kommandos.
Aufgrund der grünen Vegetation, die wir vor der Landung gesehen hatten, war anzunehmen, dass das pflanzliche Leben auf diesem Planeten auf ähnlichen chemisch-physikalischen Prozessen basierte, wie daheim, auf Mutter Erde. Sicher konnte man aber nie sein, vor allem, weil Bob auch noch zu unken begann und etwas von einem flauen Gefühl im Magen behauptete. Ich schaute ihn kurz an und fragte leise: "Willst du als erster zurückbleiben und die ORPHELIA bewachen?" Er schüttelte nur den Kopf, wollte er doch genauso, wie alle anderen hinaus und diese Welt erforschen.
Um sicher zu gehen, dass uns nichts gefährlich werden konnte, ließ ich ein paar Minuten lang die Ränder der nächsten Vegetationsinseln scannen und versuchte auch mit einer Ultraschallsonde herauszubekommen, ob der Boden, auf dem wir standen, halbwegs stabil und sicher war.
Die Kameraden wurden schon ungeduldig, wussten aber um das Prozedere, bevor wir die Schleuse öffnen konnten.
"So", wandte ich mich nach getaner Arbeit an sie. "Im Sand lebt nichts, was größer als ein Stecknadelkopf ist, bei den Pflanzen da drüben haben die Geräte auch nichts entdeckt, was auf tierisches Leben hinweisen würde. Die Luft ist für uns atembar, etwas weniger Stickstoff, dafür mehr Edelgase. Sauerstoff wie auf 2000 Meter über dem Meer, also wunder Euch nicht, wenn Euch nach einem 100-Meter-Sprint die Luft weg bleibt." Verhaltenes Lachen quittierte meinen Scherz, laufen und springen wollte sowieso keiner.
Wir nahmen die vorbereiteten Gerätekisten und Rucksäcke mit, beim Verlassen der Schleuse warf ich Daria und Bob eines der Energiegewehre zu, ich selbst steckte mit eine Laserpistole an den Gürtel.
"Wenn da aber nichts ist, wozu brauchen wir dann die Waffen?" wollte Bob wissen. "Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste," gab ich von mir und schenkte ihm mein breitestes Grinsen. Daria war schon ein paar Schritte weiter in Richtung Vegetation gegangen. Ich machte die Luken dicht, die "Fernbedienung", wie wir respektlos zum Kommandogerät sagten, verstaute ich sicher in einer Oberschenkeltasche.
Ich schaute in die erwartungsvollen Gesichter meiner Kameraden und deutet mit der rechten Hand in Richtung Grün. "Auf geht's, schauen wir mal, was dort wächst."
Der Sand war sehr locker und erschwerte unseren Marsch erheblich. Nach etwa einer viertel Stunde erreichten wir das Grün. Wir bewunderten hohe Stämme, die sehr kantig und rau waren. Was aus der Ferne so einheitlich grün ausgesehen hatte, stellt sich als buntes, eher gelb und blaues Blattwerk heraus, das stellenweise bis zum Boden reichte. So etwas wie ein schmaler Pfad führte in die Vegetation, die wir jetzt als Wald bezeichneten, hinein. Da hätten eigentlich alle Alarmglocken in mir schrillen sollen, ich war jedoch viel zu fasziniert von der fremden Vegetation. Auch Sybil erging es so, sie packte sofort ihr Besteck aus und nahm ein paar Proben von den Blättern, die sich wie Gummi anfühlten.
Nach wenigen Metern schon wurde die Sicht schlecht, so als würde Nebel aufziehen. Bald schon konnten wir nichts mehr vernünftig erkennen. Daria und ich hatten uns an die Spitze unseres kleinen Zuges gesetzt. Trotzdem es taghell war, versuchten wir es mit den Handlampen, es nützte aber nicht viel. Wir konzentrierten uns auf Geräusche, bis auf das leise Rauschen des Windes in den Blättern über uns, hörten wir aber nichts.
"Das ist mir nicht geheuer", knurrte Bob hinter uns.
"Wartet," schlug ich vor, "ich werde auf einen Baum klettern, vielleicht kann ich von oben etwas erkennen."
"Du bist verrückt", meinte Daria, "was ist, wenn du abstürzt?" War sie nicht süß? Wie sie sich um mich sorgte?
"Keine Sorge, ich passe schon auf mich auf - und außerdem ist es nicht das erste mal, dass ich auf einen Baum klettere." Dann machte ich mich an den Aufstieg.
Keine einfache Sache, ein Baum zu Hause war ein Baum, den ich kannte, hier war es doch etwas anders.
Nach einiger Kletterarbeit erreichte ich jedoch eine Höhe, in der der Nebel nicht so dicht war und die Sicht besser wurde. Ein Blick nach oben zeigte mir, dass es bis zur Krone noch ein gewaltiges Stück war, so hoch musste ich aber nicht hinauf.
Ich erreichte eine Zone, die mir freien Blick bot. In der Ferne konnte ich eine Rauchfahne ausmachen, Schattenumrisse deuteten auf ein Gebirge hin. Nur die Entfernung konnte ich nicht abschätzen. Was mir auffiel war, dass sich in den umliegenden Baumkronen hin und wieder etwas bewegte.
Viel hatte diese Aktion also nicht gebracht.
"Hast du was sehen können?, wollte Daria wissen, als ich wohl behalten wieder Boden unter den Füßen hatte.
"Ja, ich konnte den Wald vor lauter Bäume nicht erkennen", gab ich von mir, sie war aber nicht zum Scherzen aufgelegt. Die anderen drängten sich um uns, also musste ich schon etwas Vernünftigeres sagen. "Also, der Wald scheint ziemlich groß zu sein, die Bäume sind sicher so an die 80 bis 100 Meter hoch. In weiter Ferne dürfte sich auch ein Gebirge befinden, dort konnte ich eine Rauchfahne sehen."
"Es könnte ein Vulkan sein", meine Bob.
"Das wäre möglich", pflichtete ich ihm bei. "Eventuell finden wir dort andere Lebensformen. Nur - zu Fuß sind wir zu langsam. Was hält ihr davon, wenn wir umkehren und hinfliegen?"
Da alle einverstanden waren, machten wir uns auf den Rückweg. Auch Sybill packte ihre Instrumente wieder ein, sie hatte die Pause genützt und Proben von allen Pflanzen genommen, die sie erreichen konnte.
Plötzlich waren da merkwürdige Geräusche, die irgendwo aus dem Nebel kamen. Eine Richtung war nicht auszumachen. Irgendetwas war in diesem Wald. Hoffentlich keine großen Raubtiere, die uns als willkommene Abwechslung auf ihrem Speisezettel betrachteten.
"Diese Geräusche", sagte Sybill leise, "die sind mir unheimlich."
Da huschte etwas über unsere Köpfe hinweg.
"Was war das?" wollte Bob wissen.
"Ich konnte es nicht erkennen", musste ich zugeben. "Vielleicht so etwas wie ein Affe oder ein großer Vogel?"
Ganz in der Nähe, es musste direkt vor uns sein, hörten wir tiefes Knurren aus dem Nebel. Langsam nahmen Daria und Bob die Gewehre von der Schulter, ich zog meine Laserpistole aus dem Halfter. Die Kameraden rückten näher zusammen.
Für wenige Sekunden riss der Nebel auf und eine große Gestalt sprang über den Weg, verschwand jedoch blitzschnell zwischen den Bäumen.
"Was war denn das?" fragte Bob schon wieder.
"Mann", gab ich etwas gereizt zurück, "stell doch nicht dauernd Fragen, die keiner Beantworten kann. Ein Mensch war es wohl nicht!"
Jetzt war wieder es wieder still, fast schon zu still.
Daria stieß mich an und deute nach rechts: "Seht einmal dorthin."
Wir schauten in die Richtung und erkannten eine Lichtung, auf der eine runde Hütte stand, wie aus Lehm gemauert, das Dach bestand aus großen Blättern.
"Ob dort jemand wohnt?" wollte Daria wissen.
"Es rührt sich nichts", erwiderte Sybill. "Sehen wir einmal nach?"
"Ich bin dafür," sagte ich. "Bob, Jim, Daria - ihr begleitet mich bitte. Die anderen warten hier."
Damit die Wartenden nicht waffenlos waren, gab Daria ihr Gewehr an Marc weiter.
Langsam gingen wir zur Hütte. Ein türloser Eingang und zwei runde Öffnungen, vermutlich Fenster, schauten uns düster entgegen. Mit dem Laserpistole im Anschlag trat ich als erster in die Hütte, die anderen folgten ebenso vorsichtig. Wir standen in einem leeren Raum. Durch die Öffnungen fiel genug Licht, dass wir die Bilder und Zeichnungen an den Wänden ausnehmen konnten. Es waren wahre Horrorszenen, die ein kranker Geist hinterlassen hatte. Wir konnten sie nur als Vampire interpretieren, die mit anderen Schreckensgestalten und wahren Monstern kämpften. Was hatte das zu bedeuten?
Ein Geräusch veranlasste Bob nach oben zu sehen. Sein Blick wurde starr. Wir blickten ebenfalls hoch.
"Mein Gott!" schrie Daria auf, und "was ist denn das?" Unter der Decke hingen Köpfe unterschiedlichster Art und Form, von Wesen, die uns unbekannt waren. Aber sie erinnerten uns an die Ungeheuer auf den Bildern, einige wirkten wie überdimensionale Echsenschädel.
"Das gibt es doch nicht", murmelte Bob. Mir war, als hätte ich so eine oder eine so ähnliche Szene schon einmal gesehen. Dieses déjà vu musste auch Bob gehabt haben.
Das Geräusch, das sich für uns wie ein Wimmern anhörte, war verstummt, von den Köpfen unter der Decke konnte es nicht herrühren. Es musste sich noch etwas in der Hütte befinden, aber was und wo? Wir sahen uns um, aber der Raum war leer. Da erklang das Geräusch wieder. Jetzt entdeckten wir auch eine kleine Türe am gegenüberliegenden Ende des Raumes.
"Dort, hinter dieser Türe ist sicher noch ein Raum," meinte ich. "Ich glaube, dass dieses Wimmern von dort gekommen ist."
"Da ist noch jemand," flüsterte Bob, "hört ihr, das klingt wie das Stöhnen eines Menschen!"
"Hier sind aber, außer uns, keine Menschen", meinte Daria. Bob ging zur Tür und drückte leicht dagegen. Zu seinem Erstaunen schwang sie auf. Und noch ehe wir ihn warnen konnten, war er hinter der Tür verschwunden.
"Komm zurück, Bob!" rief ich, aber ich bekam keine Antwort.
"Verdammt!" bei dieser Anspannung kam mir das Wort ganz leicht über die Lippen. "Wartet ihr hier, ich sehe einmal nach." Ich hielt meine Strahlenpistole schussbereit vor mir und ging auf die Tür zu. Etwas rollte aus der Türöffnung auf mich zu. Erschrocken blieb ich stehen. Mir wurde ganz schlecht, als ich erkannte, was es war. Es war Bobs Kopf, glatt und sauber vom Rumpf getrennt.
Ich konnte nur mehr schreien "Bob ist geköpft worden!" Daria und Jim starrten mit weit aufgerissenen Augen auf Bobs Kopf.
"Das darf doch nicht wahr sein!" ereiferte sich Jim jetzt. Zwei Gestalten sprangen durch die Türe und blieben drohend vor uns stehen. Es waren humanoide Wesen von mindestens zwei Metern Größe. Ihre muskulösen Körper waren bis auf kurze Hosen nackt. Jeder hielt ein gewaltiges Krummschwert in den Händen. Eines der Schwerter war blutig. Bobs Blut! Das erste Wesen trat einen Schritt vor und hob das Schwert an.
"Zurück!" schrie ich Jim an, doch er war nicht in der Lage, sich zu rühren. Ein Schwert sirrte durch die Luft und trennte Jims Kopf ab.
"Nein!" schrie Daria. Ich hob den Strahler und schoss. Das Wesen, das Jim geköpft hatte verglühte. Das andere Wesen sprang zurück und warf die Türe zu.
"Raus hier, Daria!" schrie ich sie an. Wir rannten zurück zu den anderen.
"Was ist denn in euch gefahren?" fragte Marc erstaunt. "Wo sind Bob und Jim?"
"Da drinnen ist der Teufel los", erklärte Daria. "Zwei unheimliche Monster, die allerdings ziemlich menschenähnlich aussehen, sind mit großen Schwertern bewaffnet und die haben Bob und Jim geköpft. Ein Monster konnte Rex erledigen, das andere ist geflohen."
"Dann lasst uns schnellstens diesen verfluchten Wald verlassen", meinte Marc. Ich wollte nichts anderes. Da zog plötzlich wieder der Nebel auf. Wir machten uns sofort auf den Rückweg, bevor der Nebel wieder völlig undurchsichtig war. Ich schritt voran, die Laserpistole schussbereit in der Hand. Hintereinander gingen wir ziemlich flott den Weg zurück, den wir gekommen waren. Marc bildete den Schlussmann.
Ein Schrei schreckte uns auf. Als wir uns umdrehten, sahen wir Marc ohne Kopf dastehen.
"Marc!" rief Yasmin. Ich musste sie zurückhalten "Du kannst ihm jetzt nicht mehr helfen". Marcs kopfloser Körper kippte zur Seite weg.
"Los weiter!" kommandierte ich. "Diese Monster sind hinter uns her!" Wir legten an Tempo zu und versuchten, den Wald schnellstmöglich zu verlassen.
"Warum tun sie das?" fragte Yasmin verzweifelt.
"Ich weiß es auch nicht", musste ich zugeben. "In der Hütte hängen viele Köpfe. Sie sammeln sie wahrscheinlich."
"So etwas wie Trophäenjäger", murmelte Daria. "Wir hätten das Gewehr von Marc mitnehmen sollen."
"Es wäre zu riskant gewesen", wies ich sie zurecht. Auch Bobs Gewehr haben wir verloren. Zum Glück hatte ich noch meine Strahlenpistole. Wieder ein Aufschrei. Als ich mich umschaute, sah ich Yasmin, die gerade zur Seite kippte, ohne Kopf. Wieso hatte sie sich zurückfallen lassen und war als letzte in der Reihe gegangen?
"Verdammt noch mal!" fauchte Daria.
Endlich erreichten wir den Waldrand.
So schnell es ging stolperten und rutschten wir durch den Sand auf unser Raumschiff zu. Es war von leichten Nebelschwaden umgeben.
"Wartet", hielt ich meine Kameraden zurück, "irgend etwas stimmt hier nicht."
"Ach was, ich will weg von hier", entgegnete Paul und lief weiter auf die ORPHELIA zu, leider genau in die Hände der Kopfjäger, die sich im Nebel versteckt hatten. Wir sahen nur eines der Wesen auftauchen und schon flog Pauls Kopf in den Sand.
Wir waren stehen geblieben und sahen nun zwei der Kopfjäger auf uns zukommen. Ich warf mich auf den Boden, zielte genau und erledigte die zwei mit direkten Schüssen. Weitere Fremde waren im Augenblick nicht zu sehen. Wir liefen zur ORPHELIA.
Mit der "Fernbedienung" öffnete ich den Einstieg: "Los, rein mich euch! Wir dürfen keine Zeit verlieren!"
Da tauchte wieder ein Monster neben uns auf. Daria befand sich bereits im Raumschiff. Gerade wollte Sybill einsteigen, als ein gewaltiger Schwertstreich auch ihren Kopf abtrennte. Ich hob den Strahler und drückte ab, doch es tat sich nichts. Die Energie des Magazins war verbraucht. Wütend schleuderte ich die Waffe dem Fremden entgegen und zog das Expeditionsmesser aus dem Gürtel, das ich zum Glück noch hatte. Ich wollte nicht kampflos aufgeben.
Als das Wesen sein Schwert mit beiden Armen zum Schlag hob, schleuderte ich das Messer. Ich traf es in die Brust, und dachte schon, ich hätte es geschafft, weil der Kopfjäger zu Boden fiel. Ich wolle mein Messer zurück haben und beugte mich über den Verletzten, der wie tot am Wüstenboden lag. Doch er lebte noch - und wie! Ein kräftiger Fausthieb schleuderte mich zurück. Jetzt richtete er sich auf, zog das Messer aus der Brust und stach auf mich ein. Er bewegte sich derart schnell, dass ich in die rechte Schulter getroffen wurde. Ich rappelte mich auf und taumelte zum Einstieg. Unterdessen hatte er, trotz Brustwunde, das Schwert wieder aufgehoben und eilte hinter mir her. Er wollte auch meinen Kopf.
Da ertönte schneidend Darias Stimme:
"Zu Boden! Rex!" Ich ließ mich sofort fallen. Keine Sekunde zu früh, das Schwert zischte über meinen Kopf, traf, Gott sei Dank, nur ins Leere. Daria stand breitbeinig mit einem Strahlengewehr in der Schleusenkammer und hatte den Fremden im Visier. Sie drückte ab. Vom Energiestrahl getroffen verglühte er sofort.
"Komm schnell!" spornte sie mich an. Ich rappelte mich auf und kletterte mühsam ins Raumschiff. Daria schoss hinter mir die Luke. Von der Schulter blutend schleppte ich mich in die Zentrale. Alleine und ohne Copilot leitete ich die Startprozedur ein. Langsam hob die ORPHELIA ab. Bevor der aufgewirbelte Sand uns die Sicht nahm, konnten wir noch sehen, wie zwei weitere Kopfjäger aus dem Wald kamen.
Daria versorgte meine Schulterverletzung, die zum Glück nur eine Fleischwunde war, mit einem schmerzlindernden Pflaster und einem Druckverband.
"Du hast mir das Leben gerettet, Mädchen, danke", dabei legte ich einen Arm um sie.
Traurig sah mich Daria an: "Wir beide haben noch einmal Glück gehabt. Sechs Kameraden haben auf diesem verfluchten Planeten ihr Leben gelassen."
Tränen liefen über ihre Wangen.
Dann beugte sie sich vor und küsste mich.

ENDE



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