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DIE WIENER UND IHRE DRACHEN

von Andreas Leder



zusammengetragen aus den Annalen Wiens

Der Drache, oder, wie ihn der Österreicher nennt, der Lindwurm, ist in früheren Jahrhunderten immer wieder Grundlage für die verschiedensten phantastischen Geschichten gewesen.
Der bekannteste Österreichische Lindwurm ist wohl der von Klagenfurt. In Stein verewigt, dient er Jahr für Jahr Scharen von Touristen zumindest als Fotomotiv. Aber auch Wien hat ein paar dieser Urviecher und die möchte ich euch hier näher bringen (knipsen kann man sie heute leider nicht mehr).
Zuallererst ist da der Drache vom Kahlenberg. Und mit dem Kahlenberg ist das so eine Sache. Der heutige Kahlenberg in der Nähe Wiens ist nicht der damalige Kahlenberg, denn der damalige Kahlenberg heißt heute Leopoldsberg und der heutige Kahlenberg hieß damals Sauberg - wahrscheinlich deshalb, weil es zu dieser Zeit in dieser Gegend noch viele Wildsauen gab. Kein Wunder, dass es einem Drachen hier gefiel, schließlich gab es genug Futter in den Wäldern und Donauauen.
Also, auf dem damaligen Kahlenberg hat vor ungefähr 900 Jahren in einer Höhle so ein Lindwurm gehaust und aufgescheucht hat man ihn, als ein reicher Bürger dort eine Villa bauen lassen wollte - mit schönem Ausblick auf die Stadt und den Donaustrom, und natürlich in sicherer Höhe, denn die Donau war damals noch nicht reguliert und konnte ziemlich unberechenbar sein. Die Maurer und Steinbrecher, die den Grund betraten, erschraken ganz schön, als sie plötzlich und völlig unerwartet von einem Drachen angefaucht wurden.
Also nahmen sie ihre Füße in die Hände und liefen, Hals über Kopf, zurück in die schöne Wienerstadt. Sie berichteten von dem schrecklichen Ungeheuer, dem sie nur mit viel Glück und natürlich auch Gottes Hilfe entkommen konnten.
Der Bauherr aber fackelte nicht lange und ließ einen nach beiden Seiten offenen, länglichen Kasten mit zwei Schiebetüren anfertigen. Der wurde in einer der folgenden Nächte vor der Drachenhöhle aufgestellt, ein armes Kalb, dem nicht wusste, wie ihm geschah, diente als Lockvogel.
Morgens, als der Lindwurm hungrig erwachte, roch er natürlich das junge Rind. Das Kalb roch den Drachen und begann jämmerlich zu schreien. Das machte den Drachen natürlich ganz munter, der kroch aus seiner Höhle und direkt in die Holzkiste. Sobald er drinnen war, schoben die beherzten Wiener, die die ganze Nacht auf der Kiste gewartet hatten, die Schiebetüren zu und gefangen war der gefährliche Drache.
Obwohl man Drachen große Intelligenz nachsagt, dürfte dieser hier eher von der geistig minderbemittelten Sorte gewesen sein, sonst hätte er die Falle erkannt und nicht nur das Kalb, sondern auch die Menschen gerochen.
Unter großem Jubel schleppten die Leute den gefangenen Lindwurm nach Wien und setzten ihn in einen Käfig. Da hockte er jetzt, ließ sich wiederwillig von den Neugierigen bestaunen, schlug hie und da mit den Flügeln, verweigerte aber das Essen. Heute würde man sagen, dass das eben keine artgerechte Haltung war. Man erkannte das auch daran, dass der Lindwurm nicht einmal mehr Feuer spuckte. Und schließlich, nach ein paar Wochen, ging er auch ein.
Auch auf dem benachbarten Hermannskogel (ja, der hat offensichtlich auch damals so geheißen) soll vor etwa 1000 Jahren ein Drache gewohnt haben. Den wollten die Wiener aber nicht fangen, sondern ausräuchern. Also warfen sie Brände in die Höhle und durchstöberten sie nachdem sich das Feuer wieder gelegt hatte. Sie fanden aber keine Spur von einem Lindwurm. Wahrscheinlich ist er ihnen durch einen Hinterausgang in die Binsen gegangen. Zurückgekommen ist er auch nicht und über der Drachenhöhle haben die Wiener die Severinkapelle gebaut. Vielleicht ist er aber auch übersiedelt und es handelte sich um jenen Drachen, den die Wiener so an die hundert Jahre später am Kahlenberg gefangen haben.
In der Wollzeile, im ersten Wiener Gemeindebezirk, soll's ebenfalls einen Lindwurm gegeben haben, viel ist über den nicht bekannt, außer, dass wegen seines Gestanks (der jedoch auch andere Ursachen gehabt haben kann) dort ein Haus mit dem Namen "Zum schmeckenden Wurm" belegt worden ist.
Zum Schluss noch eine moderne Lindwurmgeschichte aus dem dritten Wiener Gemeindebezirk, aus der Steingasse Nr. 15. Über dem Eingang dieses Hauses ist ein schwarzer Drache zu sehen, wie er sich hinter Gitterstäben Freiheit zu verschaffen versucht.
Die Begründung dafür kann erfunden sein - oder auch nicht - jedenfalls sei der Architekt, der seinerzeit dieses Haus gebaut habe, von seiner xanthippischen Schwiegermutter fürchterlich gepeinigt worden.
Da habe er ihr auf diese Weise ein Denkmal gesetzt.


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