STORIES


BAPHOMET

von Fred H. Schütz



So wie er dasaß, wie ein Buddha aus goldfarbener Butter, war er das absolut schönste Geschöpf das ich je gesehen habe. Vielleicht hat auch Praxiteles ihn so gesehen und danach seinen Apollo geschaffen. Seine Hände lagen gefaltet in seinem Schoß und seine Augen schienen geschlossen, sein Gesicht in tiefer Meditation das friedlichste, das du dir vorstellen kannst. " Das ist Baphomet? " fragte ich in grenzenlosem Erstaunen.
"Sch!" zischte Lili so leise, daß ich es kaum hören konnte. "Wecke ihn nicht!" Sie hatte trotz ihrer Schwäche nur einen Schritt gebraucht, mich herüberzufahren während ich auf ihr Geheiß die Augen geschlossen hielt. Und als ich sie wieder öffnete, sah ich ihn! Aber warum gab Lili sich so ängstlich?
Weil ich sie nicht sehen konnte, wandte ich mich um und gewahrte sie niedergekauert hinter meinem Rollstuhl. Sie hielt einen Zeigefinger vor die Lippen, ihre Augen blickten flehend zu mir auf. "Wie-" hob ich an. Wie willst du ihn um Hilfe bitten, wenn du dich nicht traust, ihn zu wecken? hatte ich sagen wollen, aber ich wurde unterbrochen.
"Wer ist denn das!" eine Stimme wie rasch näher kommendes Donnergrollen. Ich blickte mich um - und mußte hochsehen, denn er saß jetzt mit untergeschlagenen Beinen auf einem riesigen quadratischen Steinblock. Der Stein mußte Porphyr sein, wenn ich richtig unterrichtet bin: glatt und von einer Farbe, von der man nie genau weiß, ob sie grau oder schwarz oder gar grün ist. Seine Augen waren geöffnet, blau wie der Himmel an einem Sommertag. Besser gesagt, sie strahlten in saphirenem Feuer. Das Gewitter zog sich über mir zusammen. "Der Kerl wagt es, vor mir zu sitzen, steht nicht einmal! Warum liegt er nicht wie alle anderen auf der Nase?"
Da stürzte Lili hinter mir hervor und warf sich vor ihn hin. Ich hörte ihre Stirn auf den Boden klopfen: einmal, zweimal, dreimal. "Vergib, oh Herr!" flehte sie mit schwacher Stimme. "Vergib, vergib! Er kann nicht stehen!" Sie hatte allen Mut zusammengenommen, für mich! Das verdiente Bewunderung.
Der lodernde Blick wanderte zu Lili, umspielte sie mit blauem Licht, durchdrang sie. Sie war vorher schon sehr schwach gewesen, dieser Blick schien sie nun zu vernichten. Sie wurde durchsichtig, fast unsichtbar, sodaß ich den Grund unter ihr sehen konnte.
"Mein Afrit," sagte er und seine Stimme klang mild, "warum trägst du die Gestalt eines Weibes? Einer Haremsdame obendrein? Appetitlich!" Eine blaue Zunge schlängelte zwischen seinen Lippen und er schmatzte. "Kannst du nicht in deiner wahren Gestalt erscheinen? Warum?"
"Herr, es ist mir nicht erlaubt," wimmerte sie jämmerlich.
"Warum?" fragte er abwesend. "Wer hat es verboten?" Merkte er nicht, daß sie im Begriff war, sich völlig aufzulösen? Dies mußte sehr schmerzhaft für sie sein: sie wand sich unter der Qual, war nur noch ein Schemen.
Er begann sich zu verwandeln. Der Felsblock wurde zu einem Bett glühender Kohlen mit wabernden Flammen darüber; niedriger als vorher. Seine Vorderseite platzte auf, von der Stirn bis zum Schoß, und die goldene Gestalt klappte zurück, legte sich auf seinen Rücken wie ein Paar durchsichtiger Libellenflügel. An seiner Stelle saß mit hochgewinkelten Hinterbeinen und auf die gespreizten Vorderfüße gestützt, eine riesige groteske Kröte mit einem Maul, das breiter war als ihr Kopf. Ihr Leib war schwärzlichgrün mit höckerigen rötlichbraunen Warzen, aus denen rötlicher Schleim niedertroff.
Ihre Augen saßen oben auf dem flachen Schädel wie suppentassengroße Kugeln, die wie die einer Schnecke auf Stielen standen. Sie waren immer noch strahlend blau und bewegten sich unabhängig voneinander, sodaß nicht klar war, wohin die Kröte schaute. "Wer hat das verboten?" wiederholte sie und ihre Stimme war ein melodiöser Sopran. Ich stellte mir die abscheuliche Gestalt auf der Bühne vor wie sie Lieder von Schubert oder Brahms vortrug, und erschauerte.
"Mein Herr," hauchte Lili. Sie hatte nahezu alle Substanz verloren und war kaum noch zu sehen. Merkte die Kröte das denn nicht?
"Dieser da?" Ein Auge der Kröte betrachtete angelegentlich die linke unter Ecke, das andere die rechte obere. Falls Ecken da waren. Der Raum um mich war eigentlich nur düsterer Nebel, ebenso substanzlos wie Lili. Die blauen Augen wanderten ziellos. Die herrliche Stimme jubelte: "Was macht dich elenden Wurm zum Herrn meines Afrit?"
"Er führt Salomons Siegel," hauchte Lili kraftlos.
"Kann er nicht selber sprechen?" jubilierte der Sopran und stieß dabei wohl an seine Obergrenze, denn die Stimme begann zu kippen. "Woher nimmst du Affe die unsägliche Frechheit vor mir zu sitzen?" Das klang wie das Knurren eines bissigen Hundes.
"Gemach, Freundchen!" entgegnete ich scharf. "Benimm dich!" Ich blickte zu Lili hinunter. Der Boden unter ihr war ein wirres Muster, rot auf rot meliert mit etwas schwarz darin. Sie war nur noch ein blasses Schemen. "Ich bin mit Lili hergekommen, um-"
"Oho! Der Bube droht mir!" sang der Sopran in reicher Koloratur. "Mir, dem Fürsten der Geisterwelt! Gib mir einen Grund, daß ich dich nicht auf der Stelle vernichte!"
"Du traust dich nicht?" Ich sprach in heiterem Plauderton wie beim Plausch mit Tante Berta, obgleich mirs im Inneren recht mulmig zumute war. Einem Dämonenfürsten begegnet man nicht jeden Tag.
"Ich mich nicht trauen?" sang sie beleidigt. "Natürlich traue ich mich, das wäre doch gelacht!"
"Nein, du traust dich nicht!" sang ich meinerseits. Ich habe einen ganz angenehmen Bariton, der in den eigenen vier Wänden auch gut klingt; hier aber verschlang die graurotgrüne Nebelwand ringsumher allen Laut.
Die Kröte richtete sich steil auf, Schnauze nach oben. Die blauen Stielaugen kippten über das breite Maul und schienen mich nun doch anzusehen. "Warum sollte ich mich nicht trauen?" brillierte der Sopran.
"Weil ich die Macht habe!" Warum noch weitere Gesangesnoten verschwenden ...
"Die Macht? Welche Macht?" Da war das dreigestrichene C! Nur die beste Singstimme erreicht diese Höhe. Dieser Sopran war am Kippen.
"Salomons Siegel," sagte ich kurz, "ist nunmehr mein."
"Beweise es!" Das war die Stentorstimme des goldenen Mannes.
Ich griff in meine Brusttasche und holte das Foto heraus, hielt es ihm entgegen. "Hier!"
"Bah! Ein Bild! Das kann jeder malen!" sang der Sopran inbrünstig.
"Ein Lichtbild! Ich habe es erst vor kurzer Zeit gemacht."
"Vor kurzer Zeit? Wie kurz? Tausend Jahre?" vibrierte der Sopran. Besser gesagt, die Stimme zitterte. Ein Zeichen der Furcht?
"Gerade eben, ehe ich hierher kam."
"Ah! Und warum hast du das Siegel nicht bei dir?"
Davor hatte mich Lili gewarnt. Ich zuckte die Achseln. "Es genügt, daß du weißt, daß ich es besitze!"
"Nun, dann werde ich es mir holen!" Bei dieser Drohung sank die Sopranstimme und wurde zum Tenor. Gleichzeitig senkte die Kröte den Kopf und ihre Stielaugen kullerten. Können Kröten grinsen?
"Versuch's erst gar nicht!" Ich zückte Warhols Radiergummi. "Ich würde dich ausradieren! Wie Idriss-"
"Idriss?" sang der Sopran. "Bah! Der Knilch kann mir doch nichts anhaben!" Das klang sehr selbstgefällig, aber Fürsten sind wohl stets von sich eingenommen.
"Ich meinte," sagte ich gelassen und gab meinen folgenden Worten schwere Betonung, "ich habe ihn ausradiert!" Das stimmte zwar nicht ganz; Idriss war geflohen, ehe ich allzuviel von ihm wegradiert hatte, aber warum sollte ich das Baphomet auf die Nase binden?
Die Stiele richteten sich steif und steil auf und die blauen Augen schillerten wie Christbaumschmuck. Mir fiel auf, daß sie keine Irisse hatten. "Was denn, Idriss gibt's nicht mehr?" Der Sopran klang auf einmal ziemlich brüchig.
Diesmal grinste ich und bei mir sieht man's. "Er war ganz aufgelöst, als ich ihn verließ!" So kann man's auch ausdrücken, nichtwahr.
Das Triefen verstärkte sich, wurde zu regelrechten Sturzbächen und die Kröte schmolz dahin wie Butter an der Sonne. Das viele Wasser muß wohl eine Reaktion auf die glühenden Kohlen ausgelöst haben; Wasserdampf stieg auf und wurde zu dicken Nebelschwaden, in denen die schmelzende Kröte gänzlich verschwand. Dann verschwand der Nebel schlagartig und an Stelle der Kröte saß eine wunderschöne Frau.
Ihre Nacktheit wurde durch das lange rotschimmernde Haar unterstrichen, das sie wie ein Schleier einhüllte. Das erinnerte mich an Lady Godiva, die seinerzeit aufgrund einer verlorenen Wette nackt durch die Straßen von Coventry ritt und sich dabei verschämt unter ihrem reichen Haar verbarg. Ich habe mal das Foto einer Frau gesehen, die zum Kämmen jedesmal auf einen Schemel stieg während ihre Haare bis auf den Fußboden fielen und dort kringelten. Das Haar der Frau-aus-der-Kröte verhielt sich ebenso; es schien zu wachsen und schlängelte sich dabei geschmeidig über den nebulösen Boden ...
Ich gestehe, daß es mich verblüffte. Warum sollte sich Baphomet ausgerechnet als nackte Frau vor meine Nase setzen? Was bezweckte er damit? Dachte er, er könnte mich verführen weil ich mit Lili hierher gekommen war?
In den Burgen der Tempelritter hatte man die Steinskulptur eines Kopfes mit drei Gesichtern gefunden, von dem man annahm, daß er ein Abbild Baphomets sei. Keine dieser Fratzen glich den drei Erscheinungsformen die er mir vorgeführt hatte, aber man kann sicher davon ausgehen, daß die Mittel mittelalterlicher Steinmetze beschränkt waren; ein Geisterfürst mußte sich nicht auf nur drei Formen beschränken. Ich beobachtete das schlängelnde Haar aus dem Augenwinkel.
Der Sopran wurde endgültig zur Altstimme und gurren konnte sie auch. "Du wolltest doch schon immer eine schöne Frau," säuselte sie, "wie wär's denn mit mir, Süßer?"
Aha, Baphomet trat den Rückzug nach vorne an! Sicherlich fürchtete er, daß ich ihn ebenso wie Idriss ausradieren könnte. Daß sich der Letztere durch die Flucht dem Schlimmsten entzogen hatte, konnte er nicht wissen. Aber daß er mir glaubte ohne meine Angaben zu prüfen, zeugte nicht von besonderer Klugheit. Ich betrachtete die verführerische Godiva vor mir, das schlängelnde Haar ... Ob die echte Godiva auch rothaarig gewesen war? Als welsche Dame sicherlich. Was würde das Mörchen sagen, wenn ich mit einer nackten Frau im Schlepptau nach Hause käme? Nicht auszudenken! "Danke, bin schon bedient," knurrte ich und mußte mir das Lachen verbeißen. Das Ansinnen war wahrlich lachhaft.
Die Rothaarige fand meine Antwort garnicht lächerlich. "Ach, der Afrit," sagte sie spröde, und das klang wie eine Schallplatte mit einem Sprung darin. Sie machte eine Bewegung mit der Hand, genau wie einer der ein benutztes Papiertaschentuch wegwirft. Diese Geste hatte ich schon bei Lili gesehen. "Bah!" sprödete die Schallplatte, "den gibt's nicht mehr! Vergiß ihn!"
Tatsächlich hatte Lili ihre Form verloren. Sie lag über den Boden gebreitet wie eine verdunstende Wasserpfütze, kaum noch ein Hauch von Feuchtigkeit. Das erinnerte mich an den Killerrobot in Terminator II, der sich als unsichtbare Schicht auf dem Fußboden der Polizeistation getarnt hatte.
Wenn noch Bewußtsein in Lili war, mußte sie hören was Baphomet von ihr hielt. Ich sah die Lache zeitlupenhaft langsam auf das sich ringelnde Schlangenhaar zukriechen ...
"Warum sollte ich?" fragte ich und bemühte mich nicht, meinen Zorn zu unterdrücken. "Idriss hat ihm seine Kraft genommen und dafür habe ich ihn bestraft! Du sollst-"
... seine Kraft wiederherstellen , hatte ich sagen wollen, aber ich kam nicht mehr dazu. Wie eine Schlange schnellte das rote Haar vom Boden hoch, genau auf meine Kehle zu. Ich wischte es zur Seite, ohne an das Foto in meiner Hand zu denken. Das Foto von Salomons Siegel.
Im Reich der Magie besitzt das Foto die magischen Kräfte des Siegels. Es fuhr durch das Haar wie ein angewärmtes Messer durch Butter schneidet; der abgeschnittene Teil fiel herab.
Baphomet reagierte wie ein hysterisches Weib. Er war wieder der butterfarbene nackte Buddha. Er schlug die Hände über den kahlen Schädel und schrie wie ein tödlich verwundetes Pferd. Ich sah rotes Blut zwischen seinen Fingern hervorsickern.
Im gleichen Augenblick fuhr Lili, durchsichtig wie Meranoglas, vom Boden hoch. Sie hatte das abgetrennte Haarteil ergriffen und peitschte damit auf den Geisterfürsten ein. Dabei kreischte sie wie eine Marktfrau, der man die Kasse gestohlen hat, "Ai-i-i-ih ..!"
Mit seinem eigenen Haar gegeißelt, warf sich Baphomet hin und her, drehte und wendete sich, ohne daß es ihm gelang, Lilis Hieben zu entgehen. Überall wo ihn die Haarpeitsche traf, platzte seine Haut auf und das Blut spritzte heraus wie Springbäche. Seine Stimme überschlug sich und er quiekte wie ein Schwein beim Schlachtfest. Dann sackte er kraftlos zusammen und schluchzte: "Be-befreie mich von diesem, diesem Un-ungeheuer ...!"
"Zuerst erstatte ihre Kraft!" sagte ich mit harter Stimme.
"Schon gut, schon gut," wimmerte er und hob die blutige Hand mit einer fahrigen Bewegung, gerade so als wischte er etwas Unangenehmes beiseite. Die Wirkung zeigte sich sofort. Farbe und Substanz strömten zurück und im Nu stand Lilis vertraute Gestalt vor mir. Sie hielt inne und ließ die Peitsche fallen. Diese verschwand wie vom Erdboden verschluckt. Lili ergriff die Holme meines Rollstuhls und schob mich mit einem Ruck in mein Zimmer zurück.
Ehe sich der Vorhang oder wasimmer es war das uns trennte, schloß, hörte ich ihn keifen: "Aber du wirst diese Form für immer behalten!"
Die zuckersüße Haremsdame sah auf mich herab und ein zartes Lächeln umspielte ihre Lippen. "So ist mir's recht!"

ENDE



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