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DER PALAST DES SULTANS

von Susanne Stahr



"Wir hätten doch kämpfen sollen!", schimpfte Prudon und drückte einen feuchten Lappen gegen eine gewaltige Beule, die seinen markant geformten Schädel verunstaltete. "Sie waren in der Minderheit. Es wäre ein Leichtes gewesen ..." Sein dunkelblondes Haar wich an der Stirn bereits zurück. Dort hatte ihn die Keule getroffen.
"... uns alle abschlachten zu lassen", unterbrach ihn Egin beleidigt. "Ich habe dein Leben gerettet und dabei alle meine Waren verloren." Seine kurzen Wurstfinder glitten fahrig über seinen Spitzbauch. Die Falten in seinem runden Gesicht und ergrautes Haar zeigten, dass auch er die Vierzig bereits überschritten hatte.
"Und meine kostbaren Pläne? Ist das kein Verlust? Monatelang habe ich an ihrer Ausarbeitung gearbeitet! Du hast ja keine Ahnung, was das bedeutet! Für dich ist es einfach. Schließlich brauchst du nur ein paar deiner Leute zu einem deiner Lagerhäuser zuschicken und schon geht dein Geschachere weiter. Kannst du dir vorstellen, wie schwierig es war, dieses edle Pergament zu erhalten? Und dann diese besonderen Federn ....!"
"Ich kann dir doch das Material zur Verfügung stellen", jammerte der stämmig gebaute Kaufmann. "Zu einem Sonderpreis", fügte er hinzu und lächelte den hageren Baumeister an.
Ein höhnisches Grinsen entblößte Prudons kräftige Zähne. "Kannst du auch die Zeit anhalten? Die Pläne für den Palast müssen bis zum Ende des Fastenmonats beim Sultan eingereicht sein. Und das ist, wie dir vielleicht schon aufgefallen ist, in drei Wochen!" Mit grimmiger Miene warf er den Lappen nach seinem unfreiwilligen Leidensgenossen.
Vor neun Tagen waren sie von Ukiah aufgebrochen. Wegen der Räuber, die in den Merillo-Bergen mehr denn je ihr Unwesen trieben, hatten sie sich einer Karawane angeschlossen. Trotzdem wurden sie von einer Bande Wegelagerer überfallen, die alles Wertvolle raubte, etliche Männer tötete und den Rest in alle Winde versprengte. Prudon hatte ein Schlag gegen den Kopf für einige Zeit das Bewusstsein geraubt bis er in Egins Gesellschaft wieder erwachte. Drei Tage lang waren sie auf der Suche nach der Passstraße nach Ukiah durch Täler und Schluchten geirrt. Die einzige Nahrung, die sie fanden, waren saure Krock-Beeren und eine halb vertrocknete Yphin-Wurzel. Zum Glück gab es hier viele Bäche und Quellen, sodass sie wenigstens keinen Durst leiden mussten.
"Du tust so als hättest nur du etwas verloren", schlug Egin jetzt zurück. "Ich hatte Muster für die Einrichtung des neuen Palasts dabei. Das waren Einzelstücke!"
Erst vor wenigen Wochen hatte Köprülü, der Spross einer Seitenlinie des Lonakischen Herrscherhauses, Sultan Larses ein Stilett zwischen die Halswirbel gerammt und sich wenig später auf den Silberthron geschwungen. Der alte Sultan hatte nur einen einzigen Sohn gleichen Namens von einer Nebenfrau, die er jedoch schon vor vielen Jahren verstoßen hatte. Mit ihrem Säugling hatte sie Lonaka verlassen. Jahre später, als ihm keine seiner Frauen einen Sohn geschenkt hatte, ließ er nach dem einzigen Erben suchen, doch Köprülüs Stilett kam ihm zuvor. Da es sonst keinen männlichen Nachfolger gab, beanspruchte dieser die Thronfolge.
Schon wenige Tage nach seiner Inthronisation hatte Köprülü die Berater seines verblichenen Vorgängers hinrichten lassen und durch seine Freunde ersetzt. Scharen von Anhängern des früheren Fürsten waren daraufhin in die Merillo-Berge geflohen, wo sie sich zum Großteil den dort ansässigen Räuberbanden anschlossen. Auch mit den Magiern hatte Köprülü kurzen Prozess gemacht. Wer nicht fliehen konnte, verschwand auf Nimmerwiedersehen in den Kerkern. Nur seinen Hofzauberer Murmel ließ er am Leben.
Das gemeine Volk nahm den Regierungswechsel mit dem ihm eigenen Fatalismus hin. Doch in den Palästen der Adeligen kochte es. Köprülü war so beschäftigt, seine Stellung in Lonarock, der Hauptstadt des Sultanats Lonaka, zu festigen, dass das Räuberunwesen in den fernen Bergen für ihn nur ganz am Rande interessant war.
Er erwartete ungeduldig die Händler und Baumeister, die einerseits den Staatssäckel aufbessern und andererseits sein Ansehen erhöhen sollten. Die Tradition gebot nämlich, dass jeder Fürst bei Antritt seines Amtes kurzfristig die Steuern senkte und eine Ausschreibung für einen neuen Palast machte. Allerdings erlebten viele Sultane die Fertigstellung ihrer Paläste nicht. So kam es, dass Lonarock die meisten Bauruinen des Kontinents besaß, da der neue Sultan keine Veranlassung sah, den Palast seines Vorgängers fertig zu stellen.
"Saringische Seide! Edle Hölzer von den Ingonischen Inseln! Goldenes Geschirr aus Hafnis!", steigerte sich nun Egin in ein Lamento.
"Halts Maul!", fuhr ihn Prudon grob an. "Gib mir lieber einen neuen Lappen."
Umständlich hob der Händler seine kostbare Tunika. "Da wird von meinem Unterkleid nicht mehr viel übrig bleiben", seufzte er entsagend.
"Es wird Zeit, dass wir endlich die Straße nach Ukiah finden", brummte der Baumeister. "Vielleicht kann ich ...." Erschrocken verstummte er.
Ein Rascheln im Gebüsch ließ die beiden aufhorchen. Dann schob sich ein struppiger Pferdeschädel durchs Gebüsch. Große, gelbe Zähne schnappten nach ein paar Blättern und rupften sie ab.
"Du gieriges Biest! Musst du immer nur fressen?", ertönte eine keifende Stimme.
Das Pony schüttelte den Kopf und schnappte nach einem saftigen Zweig. Dabei grunzte es genüsslich.
Egin stieß Prudon an. "Das ist dieser Zwerg ... äh, wie hieß er noch?", flüsterte er.
"Narang oder so", gab der Baumeister ebenso leise zurück. Vorsichtig trat er hinter dem Felsen hervor. "Na, wo hast du dich denn versteckt?", rief er laut. "Du hättest auf dem Sklavenmarkt einen guten Preis erzielt."
"Oh, Meister Prudon und Meister Egin!", rief ein kleiner Mann, der dem mittelgroßen Baumeister gerade bis zum Magen reichte. Von weitem hätte man ihn für ein Kind halten können. Doch bei genauer Betrachtung fielen die tiefen Falten auf Stirn und Wangen ins Auge. Und der Blick der blauen Augen war alles andere als kindlich.
"Mann, hast du Glück!", ließ sich jetzt Egin hören. "Dir haben sie wenigstens dein Pferd gelassen." Der Händler war auch hinter dem Felsen hervor gekommen.
Der kleine Mann musterte das Pony kritisch, das sich wieder an den Blättern des Gebüschs gütlich tat. "Dieses gefräßige Vieh hat seinen eigenen Kopf. Außerdem, wie sollte ich sonst nach Lonarock kommen, mit meinen kurzen Beinen?"
"Wir wollen auch nach Lonarock, dem neuen Sultan unsere Aufwartung machen", fuhr Egin eifrig fort. "Da können wir gemeinsam reisen." Sein Blick schweifte kurz ins Tal, wo die Hauptstadt Lonakas als unregelmäßiger, weißer Fleck aus dem Braungrün der Steppe glänzte. Kleine, weiße Tupfen ließen Dörfer an den Mäandern des Sagamon ahnen. Fünf Tagereisen mit einem guten Pferd, schätzte er, zu Fuß das Doppelte.
"Spinnst du!", regte sich Prudon auf. "Ich spiele doch nicht Kindermädchen für den Kurzen!" In Gedanken wünschte er sich eine Schlucht, in die er den Zwerg werfen könnte. Ich will nach Ukiah, dachte er, aussprechen konnte er dies aber nicht.
Die Augen in den alten Kindergesicht wurden sekundenlang zu schmalen Schlitzen, es kam aber kein Ton über die dünnen Lippen.
"Wie kannst du nur so unfreundlich sein!", tadelte Egin milde. "Natürlich reisen wir gemeinsam. Wir haben ja nichts mehr, das man uns rauben könnte", wandte er sich an den Zwerg. "Willst du auch zum Sultan?"
"Jaaaa .....", kam es gedehnt zurück.
"Als Hofnarr?", warf Prudon mit boshaftem Grinsen ein.
"Äh ..." Wieder zogen sich die Lider zusammen. "Ja, ... ja, als Hofnarr", antwortete er dann. "Wie hast du das nur erraten?"
"Man braucht dich doch nur anzusehen", meinte Prudon mit brutaler Offenheit. "Was könntest du sonst schon machen?"
"Ja, ja, du hast Recht, edler Herr", stimmte ihm Narang zu. "Was sollte ich sonst schon machen?"
"Hm." Prudon überlegte einen Moment, ob der Zwerg es ernst meinte oder ob er sich heimlich über ihn lustig machte. Schulterzuckend machte er sich auf den Weg ins Tal. Im Grunde war es ihm egal, ob ihm die anderen folgten. Aber es bereitete ihm Befriedigung, ihre Schritte hinter sich zu hören. Eine kleine Stimme flüsterte etwas in seinem Hinterkopf, aber er hörte nicht hin.
Buchen und Eichen wurden dichter je mehr sie sich der Ebene näherten. Sie hörten das Klopfen von Spechten und den Ruf des Eichelhähers. Ab und zu vermeinte Prudon den Schatten eines Tieres in den Büschen wahrzunehmen. Einmal wehte ihnen der Wind sogar die scharfe Ausdünstung eines Luchses zu. Doch kein lebendes Wesen kam ihnen zu Gesicht. Die Sonne berührte schon die Wipfel der mageren Fichten, die auf den Gipfeln der westlichen Berge wie abstehende Haare auf einem ansonsten kahlen Kopf wuchsen. Ein kühler Wind ließ die Männer frösteln.
"Wir sollten uns nach einem Rastplatz für die Nacht umsehen", schlug Egin vor.
"Gute Idee", stimmte Narang zu. "Ich kenne eine Quelle mit köstlichem Wasser. Sie liegt direkt am Weg."
Alsbald begann das Pony an seinem geflochtenen Lederzügel zu ziehen. Wenig später hörten die Reisenden ein leises Plätschern. Zwischen bemoosten Steinen sprudelte ein glasklarer Quell hervor, der sich in ein kleines, rundes Becken ergoss bevor es sich als Bächlein talwärts schlängelte. Umgeben von jungen Erlen wuchs ein ansehnlicher Fleck saftigen Grases über das sich das Pony nach einem ausgiebigen Trunk eifrig hermachte.
Egin schöpfte als Erster mit den Händen Wasser und spritzte es sich auch ins Gesicht. "Wie erfrischend!", rief er und trank in vollen Zügen.
"Du wirbelst den Schlamm vom Grund auf!", nörgelte Prudon. "Jetzt müssen wir eine Ewigkeit warten, wenn wir sauberes Wasser haben wollen."
"Du musst aber auch immer nörgeln!", jammerte Egin und rang die Hände. "Wenn du immer so schlechte Laune hast, wirst du dir noch ein Magengeschwür einhandeln."
"Kümmere dich um deine eigenen Eingeweide!", fuhr ihn Prudon unwirsch an.
"So schlimm ist es doch gar nicht", meinte Narang und beugte sich über das Becken. Seine Hände strichen sacht über die Wasseroberfläche. "Wo hast du denn Schlamm gesehen?"
"Na, hier! Das ganze Becken war nur braungrau und ......" Erstaunt verstummte er. Sein Gesicht, das schon durch die Form seines Schnurrbarts einen Eindruck ewig herab gezogener Mundwinkel machte, erhellte sich ein wenig. "Na, wenigstens etwas." Bedächtig stillte er seinen Durst. Eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf sagte: "Und das Wasser war doch schlammig!" Aber er ignorierte sie, sein Durst war zu groß. "Jetzt fehlt nur noch ein gutes Stück Braten mit Kartoffeln und Rotweinsoße."
"Damit kann ich nicht dienen", bedauerte der Kleine. "Ich kann dir nur mit Maisfladen, Dauerwurst und Käse dienen." Während er sprach holte er das Genannte aus den Satteltaschen.
Als sich Prudon wenig später im weichen Gras in seinen Umhang wickelte, hatte er einen vollen Bauch und keine Grund für weitere Beanstandungen. Das sanfte Rauschen der Blätter wiegte ihn in den Schlaf.

Prudon rannte. Endlose Gänge taten sich vor ihm auf. Tür reihte sich an Tür. Doch er rannte nur. Jede Tür hatte ein kleines Fenster und aus diesem reckte sich der Kopf seiner Frau entgegen! "Wann kommst du denn endlich nach Hause?", keifte sie. Wo war nur der Ausgang? Alles, nur nicht die Ramme, wie er seine Frau heimlich nannte. Endlich! Das Ende des Ganges! Schon ging die Tür auf und der Sultan trat ihm entgegen. Aber was war denn das? Der Sultan hatte Egins Gesicht.
"So ein schöner Palast!", flötete er. Dann zerfloss das Gesicht um sich zu Narangs zu formen.
"Willst du ein Maisbrötchen?" donnerte er und hielt Prudon einen riesigen Fladen unter die Nase. Schon stieg ihm der Geruch in die Nase, da grinste in dem Gebäck ein riesiger Mund mit spannenlangen Fangzähnen.
"Wo sind die Pläne für den Palast?", grollte es.
"Hier sind sie doch!", trillerte ein zerrissenes Hemd und ließ aus seinen Falten eine Rolle fallen, die sich sogleich ausbreitete.
Prudon fielen vor Schreck fast die Augen aus dem Kopf. Ein Palast, der nach diesen Plänen gebaut würde, sähe wie ein zermatschtes Maisbrötchen aus. "Nein! Nein!", rief er in Panik. "Das sind nicht meine Pläne!"
"Dann musst du sie aufessen!", wieherte das Pony und alle Räuber klatschten begeistert Beifall.
"Nein! Nein! Nein!", schrie der Baumeister und versuchte den Maisblättern zu entkommen, die sich um seine Arme wanden.
"Wach auf, Prudon!", drang es langsam in sein Bewusstsein. Nicht Maisblätter, sondern kräftige Hände hielten ihn fest. Egins braune Augen musterten ihn mit treuem Hundeblick.
Schlagartig fielen ihm die Ereignisse des letzten Tages wieder ein. Der Überfall, die Flucht, das Zusammentreffen mit dem Zwerg .... Wo versteckte sich denn der Kurze? Ah, hier! Sein altes Kindergesicht tauchte unter Egins linker Achsel auf. Tiefe Sorgenfalten furchten seine Stirn. Doch Prudon glaubte auch Schadenfreude in den blauen Augen zu erkennen. Konnte es sein, dass Narang an diesem Albtraum schuld war? Blitzte da nicht geheimes Wissen in diesen ach so unschuldigen Augen? Oder bildete er sich das nur ein? "Du hast mir einen verdorbenen Maisfladen gegeben! War das Absicht oder ist dein Verstand noch kleiner als der Rest von dir?"
"Warum hackst du immer auf Narang herum?", regte sich Egin auf. "Vertragt euch doch, ihr beiden! Er kann doch nichts dafür, dass er ein bisschen kleiner ist als du!"
"Oh Egin!", rief Narang überschwänglich. "Ich bin ja so dankbar, dass du dich für mich einsetzt. Was täte ich nur ohne dich!" Seine Brauen wölbten sich bewundernd, doch Prudon meinte eine Spur von Verachtung in seiner Miene zu entdecken.
Schweigend nahmen sie ein tüchtiges Frühstück ein. Der Zwerg hatte ihnen zwei gerupfte Rebhühner präsentiert, die er offenbar an diesem Morgen schon gejagt hatte. Dann machten sie sich auf den Weg. Ein leiser Zweifel nagte an Prudon. Was sollte er ohne Pläne in Lonarock? Er wollte doch nach Ukiah! Trotzdem gelang es ihm nicht, einen Protest zu äußern. Ein Blick in Narangs Augen ließ seine Unsicherheit weichen und alles war vergessen.
Sie hatten die Ebene fast erreicht und das Gelände ließ es zu, dass sich Narang auf den Rücken des Ponys schwingen konnte. Nun kamen sie ein wenig schneller voran, doch Prudon behagte es nicht, dass der Zwerg nun auf ihn herunter sehen konnte.
"Wir werden den Termin verpassen", unkte er. "Ist ja auch egal. Ohne die Pläne bin ich sowieso aus dem Rennen." Seine Augen saugten sich an dem fernen Lonarock fest als sein rechter Stiefel in etwas Weiches trat. Zeitgleich stieg ein wohlbekannter Geruch in seine Nase, frischer Pferdemist. Fluchend wischte er seinen Stiefel an einem Grasbüschel ab. "Elender Zosse! Jetzt hast du meinen guten Stiefel ruiniert!" Wütend schlug er dem Pferdchen mit der flachen Hand auf die Kruppe.
Der struppige Schädel drehte sich mit gefletschten Zähnen nach dem Baumeister um. Schwungvoll flog der dichte Schweif hoch und wischte schmerzhaft über Prudons Gesicht.
"Honigplätzchen hat nicht gemistet", wurde er freundlich von Narang informiert. "Dort stehen die Übeltäter!"
Prudons Blick folgte Narangs Zeigefinger. Zwei edle Pferde standen, gesattelt und gezäumt, am Wegrand und weideten einen Fleck Klee ab. Vorsichtig näherten sich die Männer. Waren das Pferde aus ihrer Karawane, die, von den Kampfhandlungen erschreckt, Hals über Kopf geflohen waren? Dieser Falbe sah fast wie sein Windjäger aus. Auch der Sattel war seinem ganz ähnlich. Hoffnung kam in dem Baumeister auf. "Windjäger?", rief er leise und pfiff seinen Lockruf. Der Falbe warf den Kopf hoch und witterte. Dann tänzelte er ihm entgegen. "Bist du es wirklich? Mein Windjäger!" Glücklich schloss er die Arme um den Hals des Wallachs.
Egin war auch näher gekommen und beäugte die graue Stute, die ruhig graste. "Sommerwolke! Komm sofort her!" Vorsichtig ging er auf den Gaul zu. Die Graue zuckte nur mit den Ohren, ließ sich aber nicht bei ihrer Tätigkeit stören. Geduckt schlich sich der Händler an und schnappte dann plötzlich nach dem Zügel. "Hab ich dich!", rief er triumphierend. Sommerwolke riss grunzend den Kopf hoch. Egin wurde wie eine Puppe herum geschleudert, konnte sich aber mit einem geschickten Sprung auf den Beinen halten. Dann stand die Stute lammfromm da und sah ihren Herrn an. Der Blick der hellbraunen Pferdeaugen sagte: "Vorläufig." Widerstandslos ließ sie den Händler aufsitzen.
Inzwischen war auch Prudon aufgesessen. Als er die Zügel aufnahm und sich im Sattel zurecht setzte, stieß sein rechter Stiefel gegen eine harte Ausbuchtung in seiner Satteltasche. Vorsichtig steckte er seine Hand in die Tasche. Die Finger glitten über die leicht verbeulte Oberfläche einer metallenen Röhre. Hoffnung fuhr ihm heiß durch Mark und Bein. Ein sanftes Schütteln wurde mit einem dumpfen Geräusch belohnt. Seine Pläne! Wenn er sich beeilte, konnte er doch noch an dem Wettbewerb teilnehmen. Wie gut, dass er Narang gefolgt war!
"Prudon! Kommst du endlich!", wurde er aus seinen rosigen Gedanken gerissen. Egin winkte ungeduldig mit dem Arm.
In dem guten Gefühl, dass seine Chancen auf einen Auftrag erheblich gestiegen waren, gab Prudon dem Falben die Fersen. In flottem Trab ritt er an Egin vorbei und zügelte erst neben dem Pony seinen Gaul. Jetzt konnte er wieder auf Narang hinunter sehen. Er stellte sich vor, dass seine Frau auf dem Pferdchen säße und musste grinsen. Der Kleine hob den Kopf und grinste ebenfalls. Wie ein Blitz schoss ein Gedanke durch Prudons Hirn. Konnte der Kleine seine Gedanken lesen? Dann müsste er ein Magier sein. Doch dann schalt er sich selbst einen Narren. Nein, doch nicht Narang! Magier reisten in Kutschen. Alle, die Prudon je getroffen hatte, besaßen irgendwo eine Tätowierung, die meisten auf der Wange. Narangs Gesicht war frei von Bildern und Zeichen. Und auch sonst konnte Prudon nichts Magisches entdecken.
Wieder heftete er seinen Blick auf das ferne Lonarock. Sie hatten die Ebene erreicht und der Baumeister konnte schon den Sagamon riechen. Ein Fischerdorf schmiegte sich in eine Biegung des Flusses. Dichtes Schilf, das von schmalen Wegen kreuz und quer durchzogen war, säumte die Ufer bis dicht an die weiß gekalkten Wände der Fischerhütten. Es gab nur zwei Gebäude, die die Wohnhäuser überragten, der Tempel und die Herberge. Zahllose, rote Fähnchen auf dem Dachrand des Heiligen Hauses dokumentierten die Religiosität der Dörfler.
Die Sonne stand schon hoch als sie die ersten Hütten erreichten. Schwärme von Mücken fielen über die Reisenden her. Schnaubend und mit den Schweifen schlagend versuchten sich die Pferde der blutsaugenden Quälgeister zu erwehren. Auch die Reiter blieben nicht verschont. Den Dörflern schienen die summenden Biester nichts auszumachen. Ruhig gingen sie ihrer Arbeit nach, nur die Köpfe schützten sie mit großen Strohhüten. Ab und zu traf ein neugieriger Blick die Reiter. Angesprochen wurden sie nicht. Nur ein paar struppige Hunde kläfften sie an.
Vor der Herberge nahm ihnen ein magerer Junge die Zügel ab und führte die Pferde unter ein Sonnendach. Im Gastraum empfing sie ein Schwall schaler Bierdunst, durchsetzt von den verschiedensten Essensgerüchen. Um einen Tisch saßen vier Männer in abgetragenen Kleidern, denen man doch noch ehemaligen Glanz ansah, in angeregtem Gespräch beim Essen. Drei waren in den Dreißigern, nur einer sah jünger aus. Trotz seiner Jugend wurde er von seinen Kameraden mit großem Respekt behandelt.
Der Duft von Braten wehte zu den drei Neuankömmlingen und Prudons Magen machte einen erwartungsvollen Hüpfer. Automatisch tastete er nach seinem Gürtel. Vergeblich. Sein Geldbeutel hing jetzt sicher an einem anderen Gürtel. "Ihr Götter, hab ich Kohldampf!", murmelte er und scharrte mit dem Stiefel in den Sägespänen, die den Boden der Schänke bedeckten.
Egin seufzte neben ihm herzerweichend und Narang verhandelte mit der Wirtin, einer jungen Frau, deren rundes Bäuchlein ein freudiges Ereignis ankündigte. Ihr beständiges Kopfschütteln ließ nichts Gutes hoffen. Nun kam auch noch ein mittelgroßer Hund unbestimmbarer Rasse hinter dem Tresen hervor und begann die Beine der Gäste zu beschnüffeln. Einer der vier Verwegenen warf ihm einen Knorpel zu und das Tier trollte sich wieder. Prudons Magen knurrte. Die Männer am Nebentisch lachten laut als einer von ihnen eine Münze auf der Messerspitze balancierte.
Überlegend ließ Prudon den Blick über den Boden gleiten. Ob er für Arbeit ein Essen bekommen könnte? An einem matten Glitzern blieb sein Auge hängen. Neugierig hob er das Ding auf und hielt ein großes Silberstück in der Hand. Davon würden sie alle drei satt werden. Er überlegte kurz, ob er seinen Fund verheimlichen sollte, doch dieser Entscheidung wurde er bald enthoben.
"Schau, Narang!", rief Egin lautstark. "Prudon hat Geld gefunden!"
Wohl oder übel legte der Baumeister das Silberstück auf die Theke. Am Tisch der Vier stieg die Lautstärke an. Ein aggressiver Ton schlich sich in ihre Worte. Jetzt sprang der Jüngste der Vier auf und packte Prudon am Wams. "Du hast mein Silberstück gestohlen, räudige Ratte!", brüllte er wutentbrannt. Die Spitzen seines langen, schwarzen Schnurrbarts zitterten bedrohlich als er seine großen, gelben Zähne fletschte. Selbst zorngerötet und verzerrt konnte man dieses Gesicht noch gut aussehend nennen.
Prudon war so überrascht, dass er rein instinktiv reagierte. Seine Faust schoss vor und traf voll die edel geformte Nase des Angreifers.
Der junge Mann ließ das Wams los und taumelte einige Schritte rückwärts. Blut tröpfelte aus seinem linken Nasenloch. Sein Gesicht rötete sich noch mehr in purer Rage. Jetzt blitzte ein langer Dolch in seiner Hand.
Prudon sah sich nach etwas um, das er zu seiner Verteidigung verwenden konnte. Da trat Narang zwischen die beiden Kontrahenten und legte dem Jüngling eine kleine Hand auf den Waffenarm. Leise redete er auf den Zornigen ein. Prudon hatte sich vorsichtshalber einen Stuhl geschnappt und hielt diesen schützend vor sich. Doch bald erkannte er, dass die Gefahr vorbei war. Die drohend erhobene Hand sank herab. Langsam nahmen die glatten Wangen eine normale Farbe an. Er schwankte ein wenig, legte den Kopf schief und sah den Baumeister an als sähe er ihn zum ersten Mal.
"Du und deine Freunde, ihr seht hungrig aus", sagte er langsam. "Sylinia soll euch bewirten, für ein halbes Silberstück." Die letzten Worte rief er in Richtung der Wirtin, die in ihrem Schrecken die Arme schützend um ihren geschwollenen Leib gelegt hatte. Dann kehrte er an seinen Tisch zurück als wäre nichts geschehen.
Auch die Wirtin entspannte sich und eilte in die Küche. Schon bald erschien sie wieder mit einem Tablett auf dem drei Teller mit Braten und Gemüse standen. Dazu gab es für jeden einen ordentlichen Humpen halbwegs kühles Bier.

Prudon goss sich den letzten Rest Bier in die Kehle. Seine hellen Augen richteten sich auf den Kleinwüchsigen. "Wie hast du das nur gemacht, Narang?", fragte er. "Der Kerl war drauf und dran mich abzustechen! Dann kommst du und er geht davon wie einer der Traumpilze gegessen hat."
"Mit den richtigen Worten kann man sehr viel erreichen", antwortete der Zwerg kryptisch und schob ihm ein paar Kupfermünzen hin. "Dein Wechselgeld."
"Welches Glück hatten wir doch, dass wir dich getroffen haben. Wir haben unsere Pferde, zu essen und das Beste: meine Pläne sind auch wieder da!" Die herab gezogenen Mundwinkel straften seine Worte Lügen.
"Was passt dir denn nun schon wieder nicht?", rief Egin aus. "Zuerst jammerst du, weil du hungrig bist. Jetzt hast du Essen, dein Pferd und sogar deine läppischen Pläne. Kannst du nie zufrieden sein? Was soll ich denn sagen? Meine Warenmuster sind nicht aufgetaucht und ich beschwere mich nicht." In halb gespielter Verzweiflung rang er die Hände.
Prudon beachtete ihn gar nicht, sondern hielt den Blick fest auf Narang gerichtet. Da flog die Tür auf und ein Mann stürzte keuchend herein. Mit drei Riesenschritten war er am Tisch der Vier und flüsterte eindringlich in das Ohr des Jünglings. Seine Kleidung und sein schulterlanges Haaren war über und über staubbedeckt als hätte er einen langen Ritt hinter sich. Der junge Mann lauschte interessiert und erhob sich dann.
Beflissen lief der verstaubte Bote voraus und hielt die Tür auf. "Komm, Herr! Deine ..."
"Schweig!", wurde er zurecht gewiesen, was ihn veranlasste, beschämt den Kopf zu senken. "Sattle mein Pferd!"
Gemütlich schlenderte er zu dem Tisch der Drei. "Von welchen Plänen sprichst du da?", fragte er Prudon und betupfte seine Nase mit einem feinen Leinentüchlein. Sein Riechorgan war inzwischen angeschwollen, doch das Bluten hatte aufgehört.
Prudon musterte ihn ein wenig misstrauisch. Doch er las nur Neugier in dem jungen Gesicht. "Es sind Pläne für einen Palast, für den neuen Sultan", bequemte er sich zu sagen. "Willst du sie sehen?" Auf ein eifriges Nicken hin holte er die Blätter aus der Dose und entrollte sie auf dem Tisch. "Hier ist der Eingang", erklärte er. "Eine breite Freitreppe mit genügend Platz für Wachen. Der obere Teil ist überdacht, zum Schutz gegen Sonne und Regen. Oder Angreifer vom Dach her. Und hier der Audienzsaal mit dem Thron. Ich habe ein ovales Marmorpodest entworfen ..." Mit der Zeit redete er sich warm und schließlich entstand vor den Augen der Zuhörer ein fürstliches Gebäude.
"Hört sich nicht übel an", kommentierte der junge Mann. "Da muss ein anderer schon etwas ganz Besonderes bieten, damit sich der Sultan nicht für diesen Palast entscheidet." Sprach's und verließ die Herberge.

Gemächlich ritten Prudon, Egin und Narang in der prallen Nachmittagssonne auf der schnurgeraden Heerstraße Richtung Lonarock. Wo sie den Fluss kreuzte, gab es breite, steinerne Brücken, die das Verlorene Volk vor Urzeiten errichtet hatte. Vegetation gab es nur in Form von Schilf im morastigen Uferstreifen. Dort waren auch die einzigen Geräusche zu hören. Das Summen der Mücken und ab und zu ein Platschen, wenn ein Fisch nach einer Libelle schnappte. Die Luft war erfüllt von dem fauligen Geruch des träge dahin fließenden Sagamon. Wo das Ried aufhörte, gab es noch ein wenig verkümmertes Gras, dann nur noch die staubige Steppe. In der Regenzeit verwandelte sie sich für kurze Zeit in ein Blumenmeer, doch bis dahin dauerte es noch gut drei Monate.
Ununterbrochen schlugen die Schweife der Pferde nach den kleinen Blutsaugern. Ein gelegentliches Schnauben zeigte den Unwillen der Tiere. Fast unmerklich änderte sich das Verhalten der Gäule. Die Ohren spielten nervös und sie drängten sich enger an einander. Dann merkten es auch die Menschen, es war der süßliche Gestank nach Blut und Tod.
"Da muss irgendwo ein Aas liegen", bemerkte Egin ziemlich überflüssig.
Hinter dem Schilfgürtel, wo die Steppe wieder begann, flog schrill kreischend ein Geier auf. Der Verwesungsgeruch wurde immer stärker. Mit gemischten Gefühlen ritten sie weiter. Narang hatte sich an die Spitze gesetzt und Prudon war gar nicht danach, ihm die Führung streitig zu machen. Sollte doch der Zwerg seinen Kopf hinhalten, wenn es brenzlig wurde.
Unbeirrt trieb der Kleine das Pony in die Steppe. Die beiden anderen folgten ihm dicht auf. Dann sahen sie es. Um etwas, das wie ein Haufen Lumpen aussah, hockte ein halbes Dutzend Geier. Immer wieder tauchten die nackten Hälse der großen Vögel in die Fetzen. Prudon versuchte im Vorbeireiten etwas Genaueres zu erkennen und bereute es sogleich. Ein abgetrenntes Bein, noch in einem Stiefel steckte und mit Resten einer dunkelgrünen Hose bekleidet war, lag etwas abseits. Hatte nicht einer der Männer in der Schänke grüne Hosen getragen? Nein, das konnte nicht sein. Als sie die Herberge verließen, waren die drei noch eifrig beim Zechen gewesen.
Neben ihm schluckte Egin trocken. "Der hat keine Sorgen mehr", meinte er lakonisch.
Die Pferde schritten von selbst kräftiger aus. Ein Stück trabten sie flott dahin, dann parierten sie wieder zum Schritt. Das nächste Dorf kam in Sicht. Es gab kaum Unterschiede zu der Ansiedlung, in der sie zu Mittag gegessen hatten. Nur einen: es war totenstill. Kein Lebewesen war zu sehen, weder Mensch noch Tier. Nur das Summen der Mücken war allgegenwärtig. Die kleinen, mit Tüchern verhängten Fenster schienen sie zum Teil ängstlich, zum Teil drohend anzustarren. Eine Atmosphäre zitternder Erwartung lag über dem Ort. Möglichst schnell brachten sie dieses Dorf hinter sich.
Die Sonne sank langsam dem Westen zu und brannte nicht mehr so heiß auf die Reisenden herunter. Schwärme von kleinen, roten Vögeln tauchten aus dem Schilf auf und stürzten sich auf die Mückenschwärme. Ein sanfter Wind von den Bergen kam auf und brachte ein wenig Kühlung. Weiß glänzten die Häuser des nächsten Dorfs. Dort würden sie die Nacht verbringen.
Die Abendsonne färbte die Wände der Fischerhütten rosa als die Drei in das Dorf einritten. Wenn Prudon es nicht besser gewusst hätte, hätte er angenommen, sie wären im Kreis geritten. So sehr glich dieses Dorf den anderen beiden. Nur dass diesmal reges Treiben herrschte. Um die Herberge drängten sich Männer in derben Kleidern, die ihre Pferde striegelten oder Sättel und Zäume putzten. Alle waren zumindest mit einem kurzen Schwert bewaffnet. Doch waren auch die gefährlichen Wurfsterne und sogar die kurze Keule, genannt der 'Schädelbrecher', zu sehen. Zahllose Hunde liefen zwischen den Männern umher und ab und zu zeugte ein Jaulen davon, dass einer einem unwilligen Stiefel zu nahe gekommen war.
"Das ist das reinste Räubernest", brummte Prudon als sie vor der Herberge absaßen.
Einige Köpfe hoben sich, Augen verengten sich zu Schlitzen, doch keiner der Bewaffneten entgegnete ein Wort. Eben wurde die Tür aufgestoßen und eine ältere Frau kam mit einer Schüssel voll heißen Wassers heraus.
"Hinterm Haus ist noch Platz!", rief sie den Reisenden zu. "Die Futterkammer ist gleich neben dem Misthaufen!" Dann eilte sie um die Ecke.
Die Drei folgten ihren Anweisungen und fanden das Gewünschte. Der Falbe senkte gierig seinen Kopf in den Futtertrog und grunzte genüsslich. Während er fraß rieb Prudon ihn ab. Der Baumeister kümmerte sich nicht um seine Gefährten. Eigentlich war er ganz froh, dass er einmal für sich allein sein konnte. Das Menschengewühl, das ihn umwogte, umgab ihn wie ein Schutzschild gegen seine Reisekameraden. Obwohl ihm klar war, dass es sicherer war, gemeinsam zu reisen, schätzte er ihre Gesellschaft nicht. Besonders der Händler mit seinem Bestreben jederzeit Frieden zu stiften war ihm zuwider. Der Zwerg gab ihm so viele Rätsel auf, dass er zwischen Neugier und Abneigung schwankte, was ihn auch nicht sich besser fühlen ließ.
"Habt Ihr ihn gesehen, Herr?", ertönte neben ihn eine helle Stimme. "Prinz Larses! Habt
Ihr ....."
Als Prudon den Kopf hob, sah er einen Jungen auf halbem Weg vom Knaben zum Mann, der soeben von einem kräftig gebauten Krieger mit dichtem, rotem Bart eine herzhafte Ohrfeige erhielt. "Schweig, du Plappermaul!", wurde er angeherrscht. Und zu Prudon sagte der Rotbart: "Ihr müsst dem Jungen vergeben. Er ist nicht richtig im Kopf!" Im nächsten Moment waren beide in der Menge verschwunden.
Dafür trat Egin zu ihm. "Narang hat für uns Plätze an einem Tisch organisiert. Es gibt gleich Essen", teilte er dem Baumeister mit.
Wortlos nickend kontrollierte Prudon noch einmal das Halfter des Falben und folgte dem Händler dann in die Schänke. Hier ging es noch lauter zu. Einige junge Frauen drängten sich mit großen Tabletten voller Schüsseln und Teller zwischen den Männern durch. Kaum hatten sie ihre Last verteilt, rannten sie schon wieder in die Küche um eine neue Fuhre. Hier saßen die Bewaffneten dicht gedrängt an rohen Tischen. Egin führte Prudon zu einer freien Ecke, wo Narang schon auf sie wartete. Sie mussten die Ellenbogen eng am Körper halten, dann hatten alle Platz. Bald standen auch vor den Dreien volle Schüsseln.
Prudon rührte mit dem Löffel in dem Eintopf. Zugegeben, das Fleisch und das Gemüse waren zerkocht, doch es roch lecker. Einen Löffel probierte er, dann sagte er zu einem der Serviermädchen: "Schmeckt bei euch das Schweinefutter immer so gut?" Ohne zu antworten lief das Mädchen weiter und Prudon lachte hinter ihr her.
"Was soll denn das wieder?", zischte Egin. "Willst du Stunk machen?"
"Schau dir doch diesen Matsch an! So was geht nur mit geschlossenen Augen runter. Ich bin es nicht gewohnt, aus dem Schweinetrog zu essen", ereiferte sich Prudon.
"Manche Menschen brauchen sehr lange bis sie ihren Platz im Leben finden", sinnierte Narang über seiner leeren Schüssel.
Prudons Kiefer klappte herunter. Scharf fasste er den Zwerg ins Auge, auf der Suche nach Spott und Hohn in dem alten Kindergesicht. Doch die blauen Augen erwiderten ruhig und offen seinen Blick. Mit einem Anflug von Ärger klatschte er einer vorbei eilenden Magd aufs Hinterteil. "Dich würde ich nicht von der Bettkante stoßen!", rief er ihr nach. Das Mädchen warf ihm nur einen verächtlichen Blick zu, was Egin ein hämisches Grinsen entlockte. Der Baumeister überlegte immer noch, was der Zwerg wohl gemeint hatte.
"Sind das Soldaten des Sultans?", fragte er die Magd, die den Tisch abräumte. Doch sie antwortete nur mit einem unbestimmten "Hm!" und stapelte weiter schmutzige Teller aufeinander.
Missmutig begab er sich auf den Dachboden wo frisches Stroh aufgeschüttet war. Die meisten Bewaffneten schliefen schon, in grobe Decken gewickelte, nach Schweiß riechende, schnarchende Bündel. "Dreckige Bande!", murrte er während er sich ein Lager richtete.
"Wo ist Narang?", fragte Egin, Prudons Nörgelei ignorierend.
Ohne Zögern rollte dieser sich neben dem Kaufmann unter seinem Umhang zusammen, den Behälter mit seinen Plänen fest an den sich drückend.
"Du hast doch eben noch mit ihm gesprochen." bohrte Egin.
"Ich?" Prudon hob den Kopf und sah den Händler verwundert an. "Als ich hinaufging, war er noch unten und sprach gerade mit einem Schankmädchen Ich dachte, er wollte auch mal mit ..."
"Was du immer denkst!", unterbrach ihn Egin. "Da muss ich mich wohl geirrt haben."
Eine Weile war nur das Schnarchen der Männer zu hören. Prudons Gedanken drifteten langsam ins Land der Träume. Stolz ging er durch die kostbar ausgestatteten Räume des Palasts, seines Palasts. Hier war er der Sultan. Mit einem zufriedenen Seufzer ließ er sich auf einen samtenen Diwan mit goldenen Füßen sinken und freute sich über den Anblick der spärlich bekleideten Tanzmädchen. Schlanke Körper mit runden Hüften und vollen Brüsten näherten sich mit schlangengleichen Bewegungen, die sein Blut in Wallung brachten. Schon streckte er die Hand nach dem nächsten Mädchen aus, gierig nach weichem, willigem Fleisch. Da sprangen plötzlich alle Tänzerinnen auf ihn zu, hielten ihm Arme und Beine fest und pressten mit ihrem Gewicht die Luft aus seinen Lungen. Ihre Hände verwandelten sich in Klauen mit messerscharfen Krallen. Bärtige Gesichter starrten ihn mordlüstern an. Grobe Pranken drehten seine Arme auf den Rücken. Verzweifelt stieß er einen Fuß in den runden Bauch eines Angreifers. Gleichzeitig drehte er den Körper. Ein Arm kam frei und sofort krachte die Faust in ein vierschrötiges Gesicht.
Das sind keine Tänzerinnen, schoss es ihm durch den Kopf. Ein schneller Rundblick zeigte ihm den Dachboden der Herberge, wo sich nun Männer in erbittertem Kampf im Stroh wälzten. Schreie und Klirren von Waffen erfüllten den niedrigen Raum. Zwischen den Beinen der Kämpfenden sah Prudon schon einige reglose Körper in ihrem Blut liegen. Vor ihm saß ein gedrungener Kerl und hielt die Pratze vor seine blutende Nase. Überraschenderweise benutzten die Männer, die mit Prudon rangen, keine Waffen. Ihre Dolche und Keulen blieben fest in ihren Gürteln. Wo waren Egin und Narang? Zwei kräftige Krieger trugen einen strampelnden Sack die Treppe hinunter aus dem nur zwei haarige Männerbeine hervorragten. Prudon glaubte Egins feine Schnallenschuhe zu erkennen. Von Narang konnte er nirgends eine Spur entdecken. Obwohl er keine großen Gefühle für den Kleinen hegte, wünschte er ihm doch, heil aus dem Debakel heraus zu kommen.
Wieder fiel ein Kämpfer röchelnd ins Stroh, was dem Baumeister einen weiteren Angreifer bescherte. Verzweifelt stieß er mit Armen und Beinen um sich. Doch gegen die Übermacht hatte er keine Chance. Ein Sack stülpte sich über seinen Kopf und nahm ihm die Sicht. Trotzdem gab er noch nicht auf. Ein Schmerzensschrei entlockte ihm ein befriedigtes Grunzen. Noch einmal trat er um sich und freute sich über das Fluchen und Stöhnen seiner Bezwinger. Prudon brüllte wie ein Stier bis der raue Stoff gegen sein Gesicht gepresst wurde. Orovada-Kraut, erkannte er entsetzt und versuchte den Kopf zu drehen. Doch er hatte schon zuviel der betäubenden Droge eingeatmet. Eine rosa Wolke umfing ihn und ließ ihn sanft entschweben. Unaufhaltsam sank er ins Nichts. Zartlila Vögel umkreisten ihn sanft zwitschernd während er in großen Schwüngen auf und ab wippte. Ein melodisches Singen umspülte seine gereizten Sinne. Innerlich lächelnd gab er seinen Widerstand auf und ließ sich von weichen Händen, die aus der Wolke wuchsen, streicheln. Das Leben war leicht. Er war der glücklichste Mensch der Welt. Alle Frauen flogen auf ihn, besonders die wohlgeformten.

Die Welt schaukelte. Mit jedem Hin- und Herpendeln liefen wohlige Schauer seinen Rücken hinauf und hinunter. Das singende Geräusch trat immer mehr zurück und ein helles Klacken trat in den Vordergrund. Mühsam hob Prudon die Lider und kniff sie vor der stechenden Helligkeit gleich wieder zusammen. Zwei haarige Ohren hoben und senkten sich rhythmisch direkt vor ihm. Dazwischen flatterte eine dunkelbraune Mähne im Wind. Jetzt dämmerte es ihm. Er saß auf seinem Pferd und das Klacken war der Hufschlag vieler Gäule auf der Heerstraße. Seine Hände klebten am Sattelhorn und auch seine Beine konnte er nicht vom Pferdebauch lösen. Inzwischen hatten sich seine Augen etwas an das Licht gewöhnt und er stellte fest, dass er mit festen Stricken am Pferd festgebunden war. Ein schneller Blick ließ ihn aufatmen. Die Satteltaschen mit seinen Plänen waren da. Obwohl seine Lage alles andere als ermutigend war, beruhigte ihn dieser Umstand.
Neben, vor und hinter ihm drängten sich andere Reiter. Prudon sah aus dem Augenwinkel die polierten Scheiden von Schwertern, aber auch Egins Schuhe kamen immer wieder in sein Blickfeld. Auch der Kaufmann war auf seinen Gaul gefesselt.
"Hast du eine Ahnung, wer die sind und wo die uns hinbringen?", fragte er seinen Reisegefährten. Dabei musste er sich gewaltig beherrschen um nicht in haltloses Gelächter auszubrechen, wie seine Lichtempfindlichkeit eine Nachwirkung der Droge, mit der er betäubt worden war. Ein paar gequälte Lacher konnte er jedoch nicht unterdrücken.
Der Händler hob die Schultern. "Es sollen Rebellen sein, die gegen Köprülü kämpfen", antwortete er schnell. "Aber Genaues weiß ich auch nicht."
Ein stämmiger Krieger schob sein Pferd zwischen die beiden. "Haltet die Klappe!", fuhr er die beiden an. "Ihr solltet froh sein, dass ihr noch lebt!"
War das nicht der Krieger, der dem Jungen in der Herberge eine Ohrfeige verpasst hatte? Prudon war sich nicht ganz sicher, da der Mann jetzt einen bereits leicht verschmuddelten Verband trug, der das rechte Auge und die halbe Wange bedeckte. Ohne es verhindern zu können, brach er in gepresstes Gelächter aus.
"Lass sie in Ruhe, Hilt!", rief eine Stimme aus den hinteren Reihen. "Die Gefangenen sind anständig zu behandeln!" Leise murrend zog sich der Mann zurück.
Egin ritt wieder näher an seinen Gefährten heran. "Was ist denn los mit dir? Hast du den Verstand verloren? So lustig kenne ich dich ja gar nicht", fragte er neugierig.
"Bin ich auch gar nicht, hihihihi!" Seine Augen hatten sich schon normalisiert. Jetzt hoffte er inständig, dass auch die psychische Wirkung der Droge bald nachließe. "Orovada-Kraut", brachte er endlich heraus, während ihm vor Lachen die Tränen über die gefurchten Wangen liefen.
"Ach, du meine Güte!", rief Egin aus. "Und ich dachte schon, du wärst fröhlicher geworden! Schließlich hast du deine Pläne wieder bekommen. Sieh mich an! Meine Waren sind verloren, aber ich kann trotzdem noch lachen, ohne Orovada-Kraut."
Weiter vorne, Prudon konnte wegen der vielen Reiter nichts sehen, gab es einen Tumult und der ganze Zug kam ins Stocken. Wieder wurde er von einem Lachkrampf geschüttelt, und zwar dermaßen, dass er einfach nichts ins Auge fassen konnte. Wieder liefen Tränen über seine Wangen. "Verdammtes Orovada!", quetschte er zwischen den Lachern hervor.
Ein lautes "Iiii-aaaah!" kam aus dem Zentrum des Tumults. Egin richtete sich so weit es seine Fesseln erlaubten im Sattel auf. "Das ist doch ....!" Ein Hoffnungsstrahl verklärte seine feisten Züge. Mit den Knien drängte er sein Pferd zwischen die Bewaffneten. Prudon folgte der sich öffnenden Schneise und bald sahen sie ein hoch bepacktes Maultier, das in aller Ruhe an einer Distel knabberte. Zwei Krieger waren abgestiegen und haschten abwechselnd nach den herabhängenden Zügeln. Ein schwieriges Unterfangen, da das Maultier jeden Versuch mit einem kräftigen Tritt oder einem Schnappen seiner großen, gelben Zähne quittierte.
"Maiglöckchen!", rief Egin. "Das Maultier gehört mir! Und die Ladung selbstverständlich auch. Das sind die Warenproben für den neuen Palast!"
"Du gehörst dem --- äh, unserem Befehlshaber! Und dazu gehört auch dein ganzer Kram." Schneidend drang die Stimme eines hageren Mannes mittleren Alters zu ihnen. Seine Kleidung, an sich aus gutem Stoff, jetzt aber abgetragen und verschlissen, tat seiner natürlichen Autorität keinen Abbruch. Die scharfen, hellen Augen in dem markanten Gesicht erzwangen von jedem Mann, der in seinen Bannkreis trat, Respekt. Prudon fühlte sich ein wenig an den jungen Mann in der Schänke erinnert.
Egins Hoffnung verwandelte sich in blauen Rauch und verflog. Gleichzeitig schien er um einige Zoll zu schrumpfen. "Natürlich, Herr. Ich stehe dir mit allen Kräften zur Verfügung." Er warf dem Offizier, denn ein solcher war es wohl, einen treuen Hundeblick zu. "Wenn du erlaubst, könnte ich Maiglöckchen einfangen. Ich kenne ihre Macken." Bittend bewegte er die Finger "Da müsste mich aber jemand losmachen."
Eine Kopfbewegung des Hageren veranlasste einen Krieger Egins Fesseln zu lösen. Umständlich rollte sich dieser aus dem Sattel und rieb seine Handgelenke. "Maiglöckchen!", flötete er und streckte die Hand aus. Das Maultier musterte ihn mit tückischem Blick. Sein Kopf schoss vor, die Zähne schnappten blitzschnell nach seinem Herrn. Egin brachte ebenso schnell seine Finger in Sicherheit. Die andere Faust knallte mit Wucht auf die Nase des Tiers. Grunzend hob es den Kopf und Egin erwischte tatsächlich den Zügel. "Na, wer sagt's denn!", prahlte er und wich einem Tritt aus. Noch brüstete sich Egin mit seinem Erfolg. Doch bald wurde seine Freude getrübt. Das Maultier wurde an seinem Sattel festgebunden und auch der Händler bekam seine Fesseln wieder. Prudon konnte ein schadenfrohes Grinsen nicht unterdrücken, das sich schließlich zu einem irren Kichern auswuchs.
Der Offizier brüllte ein paar Befehle und die Soldaten setzten sich wieder in Bewegung. Ganz kurz kam ein struppiges Ponyhinterteil in Prudons Blickfeld. War das nicht Narangs Reittier? Doch es verschwand so schnell zwischen den Bewaffneten, dass sich der Baumeister nicht sicher war.
Weiter ging es. Prudon fielen schon fast die Augen zu von dem monotonen Schaukeln, da ging ein Raunen durch die Reihen. Plötzlich saßen die Söldner strammer in den Sätteln. Helme wurden zurechtgerückt, Kleider abgeklopft und Haare glatt gestrichen. In kurzer Zeit sah die Truppe wesentlich manierlicher aus.
Die vorletzte Brücke vor Lonarock wurde überquert und gleich dahinter kam der Zug zum Stehen. In den vordersten Reihen brach Jubel aus, der sich wellenartig nach hinten fort pflanzte. Arme mit Waffen wurden geschwenkt. Von allen Seiten hörte man Hochrufe. "Larses! Larses!" "Wir folgen dir bis in den Tod!" "Unser Leben für den Prinzen!" "Nieder mit dem Thronräuber!" Solche und noch mehr Rufe wiederholten sich immer wieder.
Prudon richtete sich im Sattel auf so weit es seine Fesseln zuließen, aber die Reiter standen so dicht, dass er nichts sehen konnte. "Was ist denn dort vorne los?", fragte er Egin und konnte endlich einmal den unseligen Lachzwang unterdrücken. "Siehst du etwas?"
"Nein. Wahrscheinlich ist dieser mysteriöse Prinz erschienen. Der alte Sultan soll ja einen Sohn gehabt haben, munkelt man, von einer Nebenfrau, derer er aber bald überdrüssig wurde", mutmaßte er.
"Der Klatsch interessiert mich nicht", gab Prudon patzig zurück und musste prompt wieder kichern.
Da ließ ihn ein kühler Luftzug frösteln. Es war schon später Nachmittag und Lonarocks Mauern waren nun deutlich zu erkennen. Er konnte sogar die Lanzenspitzen der Krieger zwischen den Zinnen im Licht der untergehenden Sonne blinken sehen. Vor den Mauern standen Zelt an Zelt. Dazwischen wimmelten Menschen wie Ameisen. Und auch da spiegelten sich Sonnenstrahlen auf Klingen.
Der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Nachdem sie die letzte Brücke überquert hatten, waren sie der Stadt so nahe, dass Prudon die Wimpel auf den Zelten erkennen konnte. Sie zeigten nicht die drei Schwerter Köprülüs, sondern einen Mantikor mit einer Mauerkrone am Haupt. Das musste das Wappen des Prinzen sein. Was soll nur aus mir werden?, dachte Prudon. Er hatte zwar seine Pläne, war aber ein Gefangener und Lonarock wurde belagert.
Ein kleines, etwas abseits stehendes Zelt fiel Prudon auf. Die Luft schien in seiner Umgebung zu zittern. Was aber noch mehr heraus stach, war die Fahne am Hauptpfosten. Sie zeigte einen Ebereschenzweig, umgeben von einer Schutzrune. Der Prinz verließ sich sichtlich nicht nur auf militärische Hilfe. Runen durften nur Zauberer in ihrem Wappen führen.
"Das muss ein Fremder sein", bemerkte Egin, der Prudons Blickrichtung gefolgt war. "Köprülü hat alle Magier außer seinem Hofmagus eingesperrt oder gar umbringen lassen."
Diese Tatsache war allgemein bekannt. Warum musste Egin immer solche Binsenweisheiten wiederkäuen? Prudon würdigte ihn keiner Antwort. Viel interessanter war für ihn der Bratenduft, der von den Feuern zwischen den Zelten in seine Nase wehte.
Die Bewaffneten verteilten sich zwischen ihren Unterkünften. Nur ein paar Wachen blieben bei den Gefesselten und geleiteten sie zu einem großen Zelt im Innern des Belagerungsrings. Dort lösten sie die Riemen und holten sie von den Pferden.
"Und was geschieht jetzt mit uns?", fragte Prudon verdrossen.
"Das wird euch ...", begann Hilt.
Der Offizier, der den Zug geführt hatte, trat aus dem Zelt und brachte den Sprecher mit einer knappen Geste zum Schweigen. Eigenhändig befreite er sie von ihren letzten Banden.
"Unser edler Prinz bittet euch, das Ungemach, das euch widerfahren ist, zu verzeihen. Er wird euch beizeiten großzügig entschädigen."
"Das ist sehr freundlich von dem erlauchten Herren", befleißigte sich Egin zu erklären.
"Na, schön", meinte der Baumeister, ohne seinen Reisegefährten zu beachten. "Wie hoch wird denn die Entschädigung sein? Mit einem Vorschuss könnte ich mich gleich auf den Weg machen. Den Rest kann er mir nach Ukiah nachsenden."
"Das ist leider unmöglich", widersprach der Offizier. "Der Prinz besteht darauf, dass du und dein Freund seine Gastfreundschaft annehmt. Ihr könnt euch im Lager frei bewegen. Hilt wird euch ein Quartier zuweisen. Es wird euch an nichts fehlen. Wir haben genug zu essen und falls ihr Lust auf Mädchen habt, kann auch dafür gesorgt werden.
"Also bin ich immer noch ein Gefangener", stellte Prudon lakonisch fest. "Und eure Schabracken können mich nicht reizen." Er dachte an die derben Weiber, die für die Soldaten kochten.
"Sicherheitsverwahrung", korrigierte der Offizier milde. "Der Prinz will vorerst noch unerkannt bleiben, deshalb bietet er allen Fremden, die ihn kennen, seine Gastfreundschaft."
"Aber ich kenne euren Prinzen doch gar nicht!", protestierte Prudon.
"Du bist doch der Baumeister, der Köprülü Pläne für einen Palast vorlegen wollte?" Der Offizier wartete auf Prudons Nicken, dann fuhr er fort: "Dann kennst du den Prinzen." Damit ließ er die beiden stehen.
Die Reisegefährten wechselten einen wenig geistreichen Blick. "Hast du einen Prinzen gesehen?", wunderte sich Prudon. Kurz dachte er an den jungen Mann in der Schänke.
Egin zuckte mit den Schultern. "Ich habe gehört, dass der Prinz ein mächtiger Krieger sein soll, der selbst die größten seiner Mannen überragt."
"Ja, so sagt man", brummte der Baumeister. "Wahrscheinlich ist er nur ein Zwerg auf Stelzen."
"Prudon! Wie kannst du so etwas Respektloses sagen!", rief Egin aus.
Auch Hilt, der vierschrötige Krieger mit dem Verband um den Kopf, war herumgefahren. "Noch so ein Wort über unseren Prinzen und du brauchst nie wieder eine Mahlzeit!", zischte er wütend. Sein Dolch war schon halb aus der Scheide, da blieb sein Blick an etwas hinter Prudons Schulter hängen. Die Waffe verschwand ruckartig in ihrer Hülle und Hilt salutierte zackig. "Mein Prinz!", stieß er verlegen hervor.
Prudon wandte sich blitzschnell um, sah aber nur noch eine Gestalt in einem dunklen Umhang zwischen den Zelten verschwinden. Schon wollte er folgen, da reichte ihm eine dicke Marketenderin eine Holzschüssel mit großen Fleischbrocken in einer würzig duftenden Soße und einen dicken Kanten Brot. Egin hatte schon so eine Schüssel in der Hand und winkte mit zwei Weinschläuchen. Das kräftige Aroma ließ Prudons Magen knurren, was den Prinzen zu einem zweitrangigen Problem werden ließ. Also ließ er sich am Feuer nieder, wo eine Schar Krieger bereits eifrig futterte. Die Gespräche der Soldaten drehten sich nur um ein einziges Thema: den Angriff auf Lonarock.
"Endlich wird dieser Gierhals Köprülü weggefegt", nuschelte einer der Krieger mit vollem Mund. Zustimmendes Schmatzen antwortete ihm aus der Runde.
"Wir werden die Stadt im Sturm nehmen!", rief ein anderer und nahm einen langen Zug aus seinem Weinschlauch. Wieder schmatzte und gluckerte es von allen Seiten.
"Hilt sagt, Köprülüs Männer werden uns selbst die Tore öffnen", warf ein dritter ein.
"Ja, er hat Spione in der Stadt", wusste ein weiterer.
"Unser Zauberer ist viel besser als dieser Murmel", warf der erste ein. Jetzt klatschten die anderen Soldaten sogar.
"Wie heißt denn euer Zauberer?", fragte Prudon beiläufig. Aller Augen wandten sich ihm zu.
"Er kennt unseren Magier nicht!", platzte ein junger Krieger heraus und verschluckte sich. Alle brachen in schallendes Gelächter aus und einer klopfte dem hustenden und würgenden Kameraden auf den Rücken.
Jetzt spielte ein Horn eine einfache Melodie. Die Krieger säuberten ihre Essschalen. Die Marketenderin sammelte diese und die leeren Weinschläuche ein. Hilt brüllte ein: "Zapfenstreich! Ab in die Falle, Männer!"
"Wer ist denn nun ...?", setzte Prudon noch einmal an, doch Hilt trieb seine Männer in die Zelte. Egin und Prudon bekamen jeder eine Decke in die Hand gedrückt und wurden in ein Zelt geschoben. Als Prudon noch einmal seine Frage wiederholen wollte, flüsterte ein Krieger unwirsch: "Halt die Klappe, Krämer, sonst gibt dir Hilt die Peitsche."
Frustriert wickelte sich Prudon in die Decke und freute sich, dass er einen Platz nahe am Ausgang erwischt hatte. Dort kam ein wenig frische Luft durch die Zeltklappe, so dass die Ausdünstungen der vielen ungewaschenen Leiber nicht so sehr störten. Den Arm schützend um seine Pläne gelegt schlief er ein.

Frühmorgens holte das Horn die Krieger aus dem Schlaf. Prudon wunderte sich. Diesmal hatte er nichts geträumt. Als er mit seiner spärlichen Morgentoilette fertig war, saßen die Krieger schon bei kaltem Braten, Käse und Brot. Statt Wein gab es heißen Kräutertee. Eine fühlbare Spannung lag über dem Lager. Die Gesichter der Männer trugen ernste Mienen. Wenn überhaupt sprachen sie nur in gedämpftem Ton. Prudon versuchte gar nicht, nach dem Zauberer zu fragen, obwohl ihm das Thema auf der Zunge brannte.
Wieder rief das Horn die Männer. Mit lang geübter Routine machten sie sich fertig. Hilt, der einen frischen Verband trug, kontrollierte seine Abteilung. Dann kam er zu Prudon und Egin, die unschlüssig vor dem Zelt standen.
"Ihr rührt euch nicht von der Stelle, bis ich wieder komme", befahl er streng.
"Und wenn du nicht mehr kommst?", fragte Prudon mit süffisantem Grinsen. "Du bist verwundet und mit nur einem Auge ..."
"Wenn Prinz Larses uns führt, werden wir die Stadt im Handstreich nehmen", entgegnete Hilt kalt. "Ich komme wieder, verlass dich darauf, Federfuchser." Verächtlich schnaubend marschierte er mit seinen Kriegern los.
Widerwillig musste Prudon die Disziplin der Soldaten anerkennen. "Ich kann noch mehr als Paläste bauen!", rief er Hilt nach, doch er bekam keine Antwort mehr.
Gemächlich folgte er den Kriegern. "Prudon!", wandte Egin ein. "Hilt sagte doch ...."
"Weißt du, was der mich kann?" Eine eindeutige Geste ließ keinen Zweifel.
Trotzig ignorierte er Egins Jammern und ging einfach weiter. Was hatte Larses vor? Die Truppen konzentrierten sich vor der breiten Brücke, die zum Haupttor Lonarocks führte. Ein Sturm auf das Tor? Nein, diese eisenbeschlagenen Bohlen, dazu die starken Mauern, waren nicht so einfach zu bezwingen.
Ein paar unbewaffnete Soldaten fegten Abfälle und Kiesel in den Sagamon. Was sollte das nun wieder? Einige Wachen auf den Mauern waren schon aufmerksam geworden. Neugierig starrten sie auf das seltsame Treiben und riefen immer wieder Schmähworte.
Über den Dächern der Stadt erschien ein großer Korb, in dem ein fetter, glatzköpfiger Mann in einer glitzernden Robe saß. Das musste Murmel, der Magier Köprülüs sein. Blitze schossen aus seinen Fingern als er die über der Stadtmauer schwebte. Zwei der Männer auf der Brücke wurden getroffen. Schreiend brachen sie zusammen und wurden von ihren Kameraden in Sicherheit gebracht.
Aus der Menge der wartenden Krieger löste sich eine blau schillernde Kugel und schoss auf den Mann im Korb zu. Das Geflecht ging in Flammen aus und stürzte in den Fluss. Schreiend und fuchtelnd sprang Murmel höher in die Luft. Eine malerische Geste ließ die Flammen, die bereits an seiner Robe leckten, verlöschen.
Nun hob sich auch Narang in die Lüfte. Er machte dabei eine wesentlich elegantere Figur als Murmel, obwohl er farbenfroh wie ein Gaukler gekleidet war. Vor den Toren der Stadt und auch auf den Zinnen wurde es totenstill. Oben, über den Häuptern der Bewaffneten, umkreisten einander die beiden Zauberer. Blitze schossen hin und her. Doch beiden war es ein Leichtes, ihnen auszuweichen.
Plötzlich bedrohten grässliche Dämonen den Zwerg. Getragen von ledrigen Schwingen stürzten sie sich auf ihn. Doch der lachte nur. Einen nach dem anderen ließ er sie verschwinden, da sie doch nur Illusionen waren. Leider hatte ihn diese Aktion abgelenkt. So sah er nicht, dass Murmel einen Dachziegel magisch anhob und wie ein Geschoss auf ihn zu fliegen ließ. Zu spät warf er sich zur Seite und die Kante traf seine linke Hüfte. Blut färbte sein Gauklergewand. Trudelnd verlor er an Höhe.
Mit einem Freudenschrei ließ Murmel nun zwei Dachziegel folgen. Doch Narang war noch nicht besiegt. Ein greller Blitz fuhr von unten unter die Robe Murmels. Sofort versteifte sich der unförmige Körper. Die Dachziegel entglitten seiner Kontrolle und der Magier stürzte in den Fluss, wo er wie ein Stein unterging. Larses Männer quittierten dies mit einem Freudengebrüll. Auf der Mauer trat betretenes Schweigen ein.
Narang landete etwas unbeholfen auf der Brücke und verbeugte sich spöttisch. Sekundenlang hüllte ihn bunter Nebel ein, dann war von der Verletzung nichts mehr zu sehen. Mit zierlichen Schritten begann er zu tanzen. Dazu spielte er auf einer Flöte eine flotte Melodie. Immer mehr Köpfe beugten sich über die Brüstung. Prudon hörte einen Offizier auf dem Wehrgang Befehle brüllen, doch die Soldaten reagierten gar nicht. Wie gebannt starrten sie auf Narang. Schließlich erschien auch der Hauptmann und stieß einen anerkennenden Pfiff aus.
Die Marketenderinnen, durchwegs derbe Weiber in mittleren Jahren mit gedrungenen Körpern und kräftigen Armen und Beinen, hüpften unbeholfen auf die Brücke. Nun kamen begeisterte Rufe und lautes Klatschen von den Verteidigern der Stadt als sich die Frauen mehr schlecht als recht zu Narangs Musik wiegten. Einen Tanz konnte man dieses ungeschickte Herumstampfen nicht nennen. Die Soldaten auf der Mauer verfolgten jedoch wie gebannt jede Bewegung. Ihre Blicke wurden immer gieriger. Ein Gerangel um die besten Plätze entstand. Viele beugten sich weit über die Brüstung. Helme flogen in den Sagamon, gefolgt von Wehrgehängen und Rüstungsteilen.
"Sind die verrückt geworden?", fragte er einen alten Krieger aus Hilts Abteilung, neben dem er sich aufgestellt hatte. "Und wenn ich zehn Jahre lang keine Frau gesehen hätte, würde mich einer dieser Fleischklöpse reizen."
Ein flüchtiges Grinsen flog über das Gesicht des Mannes. "Geh ein paar Schritte vor, dann weißt du, warum die so geil sind."
Verwundert gehorchte Prudon und hielt den Atem an. Engelgleiche Mädchen, nur mit durchsichtigen Schleiern bekleidet, wiegten sich aufreizend und zugleich anmutig nach schier himmlischen Klängen. Augenblicklich kam sein Blut in Wallung. Diese Brünette musste er haben! Oder vielleicht doch die Honigblonde? Am besten alle beide. Schon wollte er zu den Schönen laufen, da packte ihn eine harte Hand an der Schulter und riss ihn ein paar Schritte zurück. Die tanzenden Nymphen wurden wieder zu den stämmigen Marketenderinnen. Für Prudon kam die Veränderung wie eine eiskalte Dusche.
"Wo sind sie? Die Mädchen! Das kann doch nicht ...", stammelte er enttäuscht.
Gelächter antwortete ihm. "Narangs Zauber!", erklärte ihm der Krieger grinsend.
Tiefe Beschämung trieb Prudon das Blut in den Kopf. Im Stillen revidierte er seine Meinung von dem Kleinwüchsigen. Nun erklärten sich auch einige merkwürdige Vorfälle auf ihrer Reise von selbst.
"Verschwinde, Mann!", brach der Krieger in seine Gedanken. "Es geht bald los!"
Die Frauen breiteten löcherige Umhänge am rechten Rand der Brücke aus und setzten sich darauf. Ruhig holten sie Weinschläuche hervor und winkten damit den Feinden. Obszöne Angebote antworteten ihnen. Nach und nach verschwanden die Verblendeten von den Mauern. Narang spielte unentwegt weiter.
Da erklang ein lautes Rumpeln. Polternd öffneten sich die mächtigen Torflügel und die gegnerischen Krieger strömten auf die Brücke. Kaum einer hatte noch eine Waffe oder Rüstung am Leib. Einige hatten sich sogar ihrer Hemden entledigt und rannten halb nackt auf die Marketenderinnen zu. Dort wurden sie von Hilts Abteilung empfangen. Ehe sie es sich versahen, waren sie überwältigt und gefesselt und wurden ins Lager abtransportiert. Keiner leistete auch nur geringfügigen Widerstand.
Die Hauptmacht von Larses Heer aber marschierte in die Stadt. Dass nicht alle Verteidiger dem Zauber erlegen waren, bestätigte das Klirren der Waffen und gelegentliche Schmerzensschreie.
Narang beendete nun sein Spiel und verließ die Brücke. Prudon sah den Soldaten noch eine Weile zu und wandte sich dann auch ab. Gedankenvoll kehrte er zum Zelt zurück.
"Du bist aber schnell wieder da", begrüßte ihn Egin. "Hast du etwas vergessen?"
"Waaas?" Prudon verstand vorerst mal gar nichts.
"Na, hast du deine Pläne dem Prinzen gezeigt?", sprudelte Egin einfach weiter. "Hat er sie behalten? Wann kann ich ihm denn meine Muster vorlegen?"
Seine Pläne! Sein kostbarstes Gut. Prudon hörte nicht mehr auf Egins Geplapper. Mit klopfendem Herzen stürmte er ins Zelt und schüttelte die Decken aus. Nichts! Fieberhaft wühlte er alles durcheinander, doch es half nichts. Weißglühende Rage erfüllte ihn und er brauchte jemanden, an dem er sie auslassen konnte. Da kam ihm dieser schleimige Krämer gerade recht. Wie von Sinnen stürmte er auf den Mann los und packte ihn am Kragen. "Wo sind meine Pläne?!", brüllte er.
Egins Augen waren vor Angst riesengroß. "Prudon!", japste er. "Beruhige dich! Ich war's nicht!" Große Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und liefen zögernd über seine runden Wangen. "Ich dachte wirklich, dass du das warst", beteuerte er. "Da muss sich einer ..."
Prudon stieß den Kaufmann von sich. Zwischen den Zelten war ein bunter Rock aufgetaucht. Narang! Und deutlich war die Rolle unter seinem kurzen Arm zu erkennen. Der Baumeister rannte los. Doch als er den Ort erreicht hatte. war keine Spur von dem Kleinen. Fluchend sah er sich um. Da! Narang rannte gerade über die Brücke. Außer sich vor Wut folgte Prudon ihm. Der bunte Rock verschwand hinter den offenen Flügeln des Stadttors und Prudon war immer hinterher.
Schon bald hinter der Mauer fand er den ersten Toten. Ein junger Mann in einer großen Blutlache. Der frische Blutgeruch ließ seinen Magen bis zur Kehle steigen, doch er beherrschte sich. Kampfgeräusche dröhnte genau hinter der Ecke, um die Narang verschwunden war. Prudon dachte nur an seine Pläne. Irgendwie gelang es ihm, sich an den Streitenden vorbei zu drücken. Verbissen hetzte er durch die Straßen von Lonarock, immer hinter dem Magier her. Vor ihm klirrten schon wieder Schwerter gegen einander.
Diesmal war es eine größere Gruppe Kämpfender. Wie sollte er an denen vorbei kommen? Ein Krieger taumelte schwer verletzt gegen ihn. Unwillkürlich versuchte Prudon ihn aufzufangen, doch ein mächtiger Hieb setzte dem Leben des Mannes ein Ende. Der Baumeister ließ die Leiche fallen. Doch nun drang der Gegner dieses Gefallenen auf ihn ein. Prudon sah den kostbaren Brustpanzer und das lange Schwert. In seiner Not ergriff er die Waffe des Toten und parierte den ersten Schlag. Im Grunde wollte er nur seine Pläne wieder haben, doch der feindliche Krieger hatte Anderes im Sinn. Schlag auf Schlag folgte und schließlich wurde Prudon maßlos zornig. In seinem Grimm beschränkte er sich nicht mehr nur auf Verteidigung, sondern attackierte den Mann nun auch.
Es war schon einige Jahre her, dass der Baumeister sich im Fechten geübt hatte. Die ungewohnte Anstrengung ließ seine Muskeln schmerzen. Doch sein Verstand sagte ihm, dass aus diesem Kampf nur einer lebend hervor gehen würde und dieser eine wollte er sein. Sein Gegner war ein gewaltiger Muskelprotz, der aber nicht sehr klug zu sein schien. Andernfalls hätte ihn dieser schon längst besiegt. Mittlerweile schwitzte er und sein Atem ging stoßweise. Ein Schnitt an seinem Handgelenk und eine blutende Hüfte bewiesen, dass seine Kräfte und auch seine Konzentration nachließen. Wie sollte er diesen Kampf überleben? Schon seit geraumer Zeit drückte auch noch seine Blase. Da gebar die Not eine verrückte Idee.
Verzweifelt rief er: "Moment mal, Mann! Ich muss pinkeln!" und sprang einen großen Schritt rückwärts. Umständlich fummelte er mit der freien Hand an seiner Kleidung.
Sein große Krieger bekam kugelrunde Augen als er sah, was Prudon offenbar seelenruhig tat. Mit einem lang gezogenen "Häääh?" tat er seine Verwirrung kund. Doch die Überraschung hielt ihn nur kurz auf. Dann sprang er auf ihn zu um ihm den Todesstoß zu versetzen. Darauf hatte Prudon nur gewartet. In der Meinung, einen Wehrlosen vor sich zu haben, vernachlässigte der Krieger seine Deckung. Prudons Schwert durchbohrte ihm das Herz.
"Der General ist tot!", schrie einer der anderen Soldaten und warf seine Waffe weg. Die Botschaft ging von Mund zu Mund. Nach und nach entledigten sich auch die anderen ihrer Schwerter und Keulen und rannten um ihr Leben.
Prudon stand da, erschöpft und halb betäubt als er eine wohlbekannte Stimme hörte.
"Du hast den Oberbefehlshaber Köprülüs erledigt. Mal sehen, was der Prinz dazu sagt."
"Ich hasse es, wenn ich beim Pinkeln gestört werde", brummte Prudon und löste die klammen Finger von dem blutigen Schwertgriff. "Gib mir meine Pläne, Kurzer!"
"Du solltest dir vielleicht zuerst die Hände waschen", empfahl ihm Narang naserümpfend und ging einfach voraus.

Zwei Stunden und ein gründliches Bad später wurde Prudon in neuen Kleidern in den nur notdürftig aufgeräumten Thronsaal des alten Sultans geführt. Köprülü hatte hier nur kurze Zeit geherrscht. Als er sein Glück schwinden sah, spätestens nach dem Absturz Murmels, war er geflohen und irgendwo in der Stadt höchst unrühmlich von einem seiner Günstlinge erstochen worden.
Prudons geschultes Auge entdeckte sofort die Spuren heftiger Kämpfe. Zerrissene Vorhänge, Möbel, von denen Teile abgesplittert waren, zerbrochene Fenster und Lampen. Nur der Silberthron war unbeschädigt. Und darauf saß der junge Mann, der sich in der Schänke für seine Pläne interessiert hatte. Er hatte mit seiner Ahnung doch nicht so falsch gelegen. Den linken Arm trug der junge Prinz in einer Schlinge und seine Stirn zierte ein blutige Kratzer, Beweis genug, dass auch er gekämpft hatte. Umgeben war er von den Männern, die damals mit ihm in der Schänke gewesen waren und einigen anderen Adeligen. Kaum einer von ihnen war nicht verwundet. Narang , der nun ein schlichtes, graues Gewand mit einem Ebereschenzweig, um den sich eine Rune schlang, auf der Brust trug, saß zu seiner Rechten.
Die langen Tische waren voll besetzt mit Kriegern, Höflingen und Edeldamen. Prudon sah auch Hilt. Neben diesem saß Egin, ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen und Gier im Blick. Mägde eilten zwischen den Tischen hin und her und trugen dampfenden Braten und andere Köstlichkeiten auf oder schenkten aus großen Zinnkannen Wein in die Becher. Prudons Mund wurde bei diesen verführerischen Düften wässrig. Doch Larses winkte ihn zu sich.
"Ich bin mir nicht sicher, ob du mir einen großen Dienst erwiesen hast als du den General tötetest", begann er nachdenklich. "Als Lastenträger hätte er mir noch gute Dienste leisten können."
"Er hat mich beim ...", begann Prudon in seiner gewohnt unbekümmerten Art, doch dann sah er die leckeren Speisen, roch den edlen Wein und biss sich auf die Zunge. "... äh, bei einem großen Haus angegriffen. Ich musste um mein Leben kämpfen", verbesserte er sich. Der Blick, den ihm Narang bei diesen Worten zuwarf, begleitet von einem wissenden Grinsen, ließ ihn sich unbehaglich fühlen. Hatte der Kleine gepetzt?
"Hm, ja. Mein Hofmagier hat mir berichtet welch ungewöhnliche Taktik du angewendet hast", bestätigte der Prinz seinen Verdacht. "Das lässt sich nun nicht mehr ändern. Ich hoffe nur, dass du beim Bau meines neuen Palasts konventionellere Methoden benützen wirst."
"Du meinst ...", stotterte Prudon erfreut. "Ich soll .... meine Pläne ...."
Lächelnd nickte der junge Herrscher. "Ja, und ich beabsichtige, ihn möglichst bald gegen den Palast meines Vaters zu tauschen. Heute kannst du dich stärken und ausruhen. Doch schon morgen sollst du mit dem großen Werk beginnen. Hm, war doch nicht so schlecht, dass du dich von meinem Magier überzeugen ließest, nach Lonaka zu kommen, oder?"
"Dachte ich mir doch, dass er mich verhext hat", brummte der Baumeister und warf dem feixenden Zwerg einen giftigen Blick zu. Doch dann schob er den Ärger weg und dachte nur noch an den Palast, den er bauen würde. Glücklich sah sich Prudon nach einem freien Platz um und fand einen, - neben Egin. Was soll's!, dachte er. Ich habe den Auftrag, da ist auch der Krämer zu ertragen. Es gelang ihm sogar ein Lächeln als er sich zu seinem Reisegefährten setzte.


Ende


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