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ZAUBERSPRÜCHE

von Susanne Stahr



Blurb verneigte sich ehrfürchtig vor dem Segensspruch an seiner Kabinentür und trat auf den Gang hinaus. Einige Crewmitglieder gingen schon vor ihm in Richtung Andachtsraum. Wie gewohnt schloss er sich an. Hinter ihm kamen noch einige Nachzügler.
Grumpf, der Kapitän des Forschungskreuzers, hatte diesmal seinen abgeschabten Talar angelegt, ein Zeichen, dass er sich sofort nach seiner Ansprache in die Arbeit stürzen wollte. Der blaue Planet war offenbar eine Fundgrube für Archäologen.
Nach den obligaten Beschwörungsformeln wandte er sich an die Mannschaft.
"Freuet euch, Männer!", rief er begeistert. "Unsere Beschwörungen waren erfolgreich. Dem 16. Theokraten sei Dank! Er hat, wie ihr wisst, diesen ungemein starken Zauberspruch auf das Schiff gemalt. Diese Magie hat uns nun zu diesem Planeten geführt, der vor vielen tausend Jahren eine Kultur geboren hat, die der unseren sehr ähnlich zu sein scheint. Es ist sogar möglich, dass es uns vergönnt ist, unsere verlorene Mutterwelt gefunden zu haben, von der aus sich unser Volk über die ganze Galaxis ausgebreitet hat."
'Die ganze Galaxis!', dachte Blurb. Das waren gerade mal sechs Planeten in zwei Systemen. Er kaschierte ein Grinsen mit einem Räuspern hinter vorgehaltener Hand. Ein Seitenblick zeigte, dass Flusch, die neben ihm stand, auch ein Lachen unterdrücken musste.
Flusch war hübsch, hatte ein angenehmes Wesen und war außerdem die beste Sprachforscherin, die Blurb kannte. Somit waren sie Kollegen und arbeiteten schon einige Zeit zusammen. Seine Beschwörungsformeln schienen endlich Erfolg zu zeitigen. Vorsichtig schob er sich näher an sie heran. Lächelnd wich sie aus. Nun ja, das gehörte sich für ein anständiges Mädchen.
Inzwischen hatte Grumpf weiter gesprochen. Es war die übliche Leier. Wenn dies tatsächlich die verschollene Mutterwelt war, hatte er ausgesorgt. Denn nur hier würden sie die magischen Formeln finden, die die letzten Geheimnisse verschleierten. Mit einer gönnerhaften Geste entließ sie nun der Kapitän.
Die Forscher verteilten sich auf die Shifts. Blurb gelang es, neben Flusch zu sitzen. Innerlich frohlockte er, doch ließ er sich nichts anmerken. Sie landeten in den Ruinen einer riesigen Stadt. Sie lag an der Küste eines Ozeans, der zwei große Landmassen trennte. Viele dieser riesigen Gebäude waren noch intakt, nur die Fenster starrten leer auf die kleine Gruppe herunter. In tiefen Schächten, teils sogar unterirdisch, schlängelten sich immer wieder eiserne Bänder, meist zwei nebeneinander. Sie hatten noch nicht herausgefunden, wozu diese gedient hatten. Seltsamerweise zogen sich diese Bänder auch quer durch den Kontinent, fast wie ein Netz. War es ein Medium zur Verstärkung von Zaubersprüchen? Wie mächtig mussten die Bewohner dieses Planeten gewesen sein! Es war fast undenkbar, dass sie diese schöne Welt verlassen hatten.
Ein leichter Wind brachte den Geruch nach Salz und Fäulnis vom Meer her. Der Schrei eines Vogels erklang schrill und misstönend. Blurb sah sich nach Flusch um. Sie stieg eine geborstene Treppe hinunter. Schnell folgte er ihr.
"Sei vorsichtig!", rief er um sie auf sich aufmerksam zu machen. "Wenn die Treppe einbricht ..."
"Sie ist stabil", rief Flusch zurück und ging weiter. "Ich hab sie geprüft." Fröhlich schwenkte sie ihr Testgerät. Sie hatte einen Bannspruch in Leuchtfarben aufgeklebt.
Blurb hielt von den kleinen Sprüchen viel mehr als dem Getue, das die Theokraten mit ihren Formeln aufführten. Schnell wiederholte er die Beschwörung, die er auf die Innenseite seiner Jacke geklebt hatte. Welch ein Glück, dass er mit Flusch allein war, hier unten, weit weg von den anderen. In seiner Phantasie hatte er sie schon für sich gewonnen.
Flusch hatte bereits eine Lampe eingeschaltet und leuchtete in die Runde. Staubbedeckte Bänke waren an den Wänden befestigt. Dies war ein Andachtsraum mit zwei Paaren dieser metallenen Zaubergegenstände. Dazwischen stand eine steinerne Tafel mit Schriftzeichen. Die vorderen Eisenbänder waren nicht zu sehen, wenn man sich darauf setzte, von dem Betonblock nur noch der obere Rand mit der ersten Zeile der Inschrift.
Ein breites Lächeln erschien auf Blurbs Gesicht. "Eine unversehrte Spruchtafel!", rief er aus und umarmte Flusch.
Sanft machte sie sich frei, aber, wieder zu Blurbs Freude, nicht sehr schnell. "Ja!" Sie freute sich auch. "Solche Tafeln haben wir schon so oft gefunden. Leider waren sie jedesmal zerbrochen. Jetzt haben wir den ganzen Spruch. Sieh doch, das letzt Wort ist wieder diese Buchstabenkombination, die fast immer dabei ist."
Mit Feuereifer machten sich die beiden daran, das kostbare Stück zu bergen. Die weitere Suche brachte dann noch einige kleinere Metallschilder mit verschiedenen Aufschriften. Hoch zufrieden begaben sich die beiden Forscher an Bord zurück und stürzten sich in die Entzifferung der Inschriften. Vor ihnen lagen Abbildungen von den Funden. Die Inschriften ähnelten einander tatsächlich:

'Das Überschreiten der Geleise ist verboten'

'Eintritt verboten'

'Durchgang verboten'


Nur eine lautete ganz anders:

'Notbremse! Missbrauch wird bestraft'


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