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EINSTEIN

von Roman Schleifer



Vom 25. bis 28. Mai 2006 fand in Großrußbach zum fünften Mal in Folge das alljährliche Schreibseminar unter der Leitung von Uschi Zietsch statt. Während dieses Seminar mussten von den Teilnehmern mehrere Schreibübungen bewältigt werden, darunter auch folgende:
Die Autoren hatten vierzig Minuten um einen Dialog in einem Gerichtssaal zwischen Albert Einstein und Dagobert Duck zu schreiben.
Dieser Dialog (bewusst unbearbeitet) ist bei mir dabei herausgekommen.



"Euer Ehren, wie wir alle wissen, ist Zeit Geld. Daher fasse ich mich kurz und erwarte eine schnelle Entscheidung." Dagobert Duck verneigte sich siegessicher vor dem Richter, bevor er sich zu dem Angeklagten wandte.
"Die Fakten liegen auf der Hand. Der Angeklagte Albert Einstein hat auf hinterhältigste Art die Gemeinschaft der geldverdienenden Kapitalisten und Weltverbesserer geschädigt, in dem er seine Ideen für die Allgemeinheit formuliert hat. Da ich ihm unterstelle, dass er dank seiner Genialität die wirtschaftlichen Anwendungsmöglichkeiten zur Geldvermehrung erkannt hat, klage ich ihn dem Verbrechen der Unterschlagung an.
Dieses Delikt bedarf einer schweren Bestrafung, die einerseits der Abschreckung dienen muss und andererseits auch eine Wiedergutmachung beinhalten soll. Ich plädiere daher, dass Herr Einstein ab sofort nur mehr für mein Unternehmen tätigt ist und seine Begabung mir zur Verfügung stellt. Des weiteren beantrage ich, dass Herr Einstein …"
"Jetzt halten Sie doch mal den Schnabel!" Albert Einstein sprang wütend auf. "Die Wissenschaft war zu allen Zeiten nur einem Einzigem verpflichtet: Der Weiterentwicklung der Menschheit!"
"Eurer Ehren, ich freue mich, dass der Angeklagte meinen Argumenten folgt. Da seit Anbeginn der Zeiten nur der Faktor Geld für die Weiterentwicklung der Menschen gesorgt hat, steht einer Verurteilung von Herrn Einstein in meinem Sinne nichts mehr im Wege und …"
"Mich wundert, dass sich bei diesen krausen Gedanken die Federn in Ihrem Bürzel nicht aufstellen, Herr Duck. Geld und Wirtschaft hat dazu geführt, dass wir seit hunderten Jahren mit einem Bein über dem Abgrund schweben. Nur - und Gott weiß, wie schwer mir diese Erkenntnis fällt - der Würfel Gottes hat uns davor bewahrt, nicht unterzugehen."
"Euer Ehren, bereits diese Argumentation zeigt die Verschlagenheit des Angeklagten. Er, der sich in einem Patentamt verschanzt hat, geißelt den Geldfluss. Das nenne ich Zynismus! Wir alle wissen, dass ein Patentamt dazu geschaffen wurde, der Wirtschaft Sicherheit zu bieten, damit nur der Erfinder und der Lizenznehmer letztendlich Profit macht. Ein eindeutigeres Schuldgeständnis gibt es nicht, Euer Ehren!"
"Herr Duck, Ihre Argumentation beleidigt meinen Intellekt. Was Sie hier von sich geben, ist schlimmer als diese obskure Quarktheorie. Das Patentamt diente mir als einzige Möglichkeit, in dieser vom Mammon verdorbenen Welt, meine Familie zu ernähren. Dass ich dort meine erste Theorie entwickelt habe, ist nicht von Belang!"
"Doch, doch, Euer Ehren. Ich unterstelle Herrn Einstein, dass er sehr wohl die Auswirkungen seiner Speziellen Relativitätstheorie abschätzen konnte. Daher hat er sich in das Patentamt als kleiner Angestellter eingeschlichen, um das Grundsystem des Geldverdienens an seinem Ursprung zu studieren. Ich gehe sogar so weit, dass er seine Formel Energie = Materie mal LG zum Quadrat von einer Binsenweisheit abgeleitet hat. Weil, Euer Ehren, es liegt auf der Hand, dass diese Formel in Wahrheit nur eines bedeutet: Reichtum = Geldvermehrung mal Geschwindigkeit zum Quadrat."
"Was?" Albert Einstein raufte sich wütend die Haare, unwissend, dass er sie für den Rest seines Lebens nie wieder würde bändigen können. "Das ist der größte Unsinn den ich je … andererseits …"
Albert Einstein kratzte sich nachdenklich am Kinn.
"Ha!", rief er aus und zeigte Dagobert Duck die Zunge und ignorierte die Anwesenheit der vielen Fotografen, die diese ungewohnte Mimik Einsteins für die Nachwelt ablichteten. Hektisch kramte er aus seiner Tasche einen Zettel hervor und begann wie wild darauf zu kritzeln.
"Euer Ehren", sagte Dagobert Duck nach einem mitleidigen Blick auf Albert Einstein, "wenn das kein Schuldeingeständnis ist, dann spende ich all mein Geld an meine Privatstiftung. Danke für Ihre Entscheidung zu meinen Gunsten."

ENDE


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