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WER IST JEANNIE?

von Fred H. Schόtz



"Ein Flaschengeist?" fragt Lili, "was ist das?" Sie wirft einen Blick auf die uralte Öllampe auf dem Kaminsims; die ist seit dreitausend Jahren ihre Behausung und sieht einer Flasche in keiner Weise ähnlich.
Ich zucke die Achseln. "Für die meisten Leute ist es schlicht eine Spirituose." Das stimmt ja auch: das Wort ist von Spiritus abgeleitet und das ist lateinisch für Geist; Spirituose ist demnach Weingeist oder schlicht Alkohol.
Das Wort kennt sie. "Augenschminke?" fragt sie ungläubig und sieht mich mit runden Augen an.
Ich seufze; Andreas, was hast du mir da eingebrockt! Wir sind gerade von der alptraumhaften Reise nach Woanders zurückgekehrt, ich habe mich noch nicht richtig erholt und jetzt muß ich ihr erklären, wieso mittelalterliche Alchemisten das arabische Al kohl falsch übersetzten. Al kohl (oder Kohl, wie es hierzulande heißt) ist Antimonpulver das heute noch zur Verschönerung der Augen sowie als Schutz gegen Fliegeneier im Orient gebraucht wird - Fliegen werden nämlich von Augen in geradezu magischer Weise zur Eiablage eingeladen, was Vereiterungen und schließlich Blindheit zur Folge hat.
Wie soll ich Lili klarmachen, dass ich nicht von Augenschminke sondern von Weingeist rede, oder wie man das Zeug durch Destillation gewinnt - davon hat sie nämlich keine Ahnung weil sie seit Salomons Zeiten in der Öllampe eingesperrt war. Einen Steinzeitjäger der sein Lebtag nur Speere geschleudert hat im Gebrauch eines Schnellfeuergewehrs zu unterweisen wäre wesentlich einfacher; man braucht ihm die Mordwaffe nur zu demonstrieren. Soll ich etwa eine Destillieranlage aufbauen?
Lili enthebt mich der Mühe. Besser gesagt, sie lenkt mich ab indem sie die Achseln zuckt. Lili war ursprünglich ein Afrit. Afriti sind unter den Dschinni die scheußlichsten Geister die sich arabische Phantasie jemals ausmalen konnte. Sie sollen aus den Schatten die ein Lagerfeuer wirft, nach anderer Lesart aus dem Rauch einer Öllampe entstanden sein. Wie auch immer; nach meinem Willen hat sie die Form einer hübschen Haremsdame angenommen und Baphomet, der Herr aller Dämonen und Geister und somit auch der Dschinni, hat einen Fluch ausgesprochen der bewirkt daß sie diese Form nicht mehr verändern kann. Gerade damit ist Lili aber augenscheinlich zufrieden und mir kann's nur recht sein …
Sie zuckt also die Achseln. Schau dir mal an wie eine hübsche Haremsdame die Schultern hebt und wieder senkt, und wenn du siehst wie sich das auf ihre Anatomie auswirkt, wirst du begreifen warum mich das ablenkt. "Ich bin keine Spiri - Spiri …" sagt sie und gerät ins Stottern weil das Wort gar zu schwierig für ihre Zunge ist.
Ich sollte wohl an dieser Stelle anführen daß Lili arabisch spricht, eine Sprache also, von der ich allerhöchstens ein halbes Dutzend keinesfalls zusammenhängender Worte kann; einen ganzen arabischen Satz bringe ich nicht zusammen. Ich rede mein übliches Kauderwelsch wie seit eh und je, deutsch und spanisch durcheinander wie's gerade kommt, jede Menge englisch (amerikanisches Englisch versteht sich) ganz selten französisch und hier und da ein Zigeunerwort oder jiddisch, wie mir's gerade in den Sinn kommt. Dabei verstehen wir uns prächtig.
"Spirituose," sage ich hilfreich.
"J-ja, das meine ich," entgegnet sie und zuckt wieder die Schultern. Verdammt, da soll einer mal seine Sinne beieinander halten!
"Ich weiß, daß du keine Spirituose bist," sage ich ernst. "Du bist der Geist der Lampe!" Dabei deute ich mit dem Finger auf die Öllampe auf dem Kaminsims.
"Wirklich?" fragt sie und errötet. Wahrlich, sie errötet! Kokettiert sie etwas mit mir? So wie sie dasteht sieht sie auch keineswegs wie ein Geist aus. Baphomet hat wenigstens ein Gutes bewirkt indem er ihre Substanz wiederherstellte. Ich schätze es ist an der Zeit anstelle des knappen Haremskostüms ΰ la Jeannie ein echtes Haremskleid, ein Schalwar-e-kamis zu entwerfen. Andererseits …
Andererseits, warum sollte sie ihre Schönheit verstecken? (Das ist zwar nicht was ich denken wollte aber, verdammt nochmal, warum soll ich mich selber des Vergnügens berauben?) Das Kostüm bleibt wie es ist, basta!
Ehe ich etwas entgegnen kann klopft es an die Tür und das Mörchen tritt ein. Das Mörchen wartet nie bis ich "Herein!" sage weil sie es einfach nicht hört: sie ist extrem schwerhörig und das erschwert jede Unterhaltung mit ihr ungemein. Sie schnüffelt. "Es riecht nach Feuer!"
Sie hat den dezenten Duft von Lilis Parfum wahrgenommen, die längst in ihre Lampe geschlüpft ist. Das heißt, ich weiß gar nicht ob Lili Parfum benutzt, aber was soll es sonst sein? Als man vor tausend Jahren die Hagia Sophia in Istanbul errichtete wurde Moschus in den Mörtel gemischt; das kann der Besucher heute noch riechen. Lilis Parfüm riecht zwar anders, aber dieser flüchtige Duft ist ebenso wie der Moschus der Hagia Sophia gerade noch wahrnehmbar.
"Ach was!" Ich winke ab. "Das ist dein Feinwaschmittel!" Dieses Feinwaschmittel treibt mich mit seinem penetranten Geruch noch in den Wahnsinn; jeder Stoff in diesem Haus ist damit imprägniert und dokumentiert des Mörchens Geruchsinn. Kein Wunder daß sie überall Feuer riecht.
Natürlich ist das Mörchen pikiert. Sie ist immer pikiert wenn ich etwas sage was sich auch nur im entferntesten wie Kritik anhört. Sie schmeißt den Haufen Feinwäsche auf mein Bett und rauscht hinaus. Einräumen darf ich selber. Aber ich bin froh, daß sie mich nicht gefragt hat mit wem ich rede.
Das fragt sie immer, wenn der Computer mir eine e-Mail meldet, wenn sie gerade in mein Zimmer kommt. Das hört sie, aber diese Frauenstimme von T-Online ist auch so penetrant, daß sie mir in den Ohren gellt. Ich würde sie gerne abstellen, nur weiß ich nicht wie man das macht. Mit meinem Computer verbindet mich innige Feindschaft.
Jedenfalls bin ich froh, daß sie mich das nicht gefragt hat, denn ich sitze auf meinem Bett und der Computer befindet sich auf dem Schreibtisch. Der Schreibtisch steht auf der anderen Seite des Zimmers.
Als die Luft rein ist kommt Lili wieder hervor und hält sich die Nase mit beiden Händen. Ich nicke betrübt. "Du hast recht, Lili. Wir brauchen etwas, das diesen Feinwaschduft übertönt."
"Ja, Herr." Sie nickt ihrerseits und wendet sich um. Das heißt sie vollführt eine vollständige Kehrtwendung. Als sie wieder mir zugewandt vor mir steht, hält sie eine Armvoll roter Rosen. Mit beiden Armen. "Rosen aus Schiras," sagt sie bedeutungsvoll.
"Rosen im Januar?" Vor Erstaunen klettern meine Augenbrauen in die Nähe der Haargrenze. Die Rosen um mein Haus halten Winterruhe. Außerdem duften sie bei weitem nicht so süß wie diese.
"Na ja," sagt sie und hebt die Schultern. Die Rosen in ihren Armen bewahren mich vor dem Schlimmsten; ich bin eben nicht mehr der jüngste. "Als ich sie pflückte war dort gerade Sommer. Außerdem war es im Morgengrauen weil sie dann am stärksten duften."
Das stimmt. Der Rosenduft erfüllt mein Zimmer und die Feinwäsche ist kaum noch zu riechen.
Lili verteilt die Blüten im Zimmer. Im Nu ist sie damit fertig und steht wieder vor mir. Ohne Rosen, aber zum Glück hat sich mein Herzschlag wieder beruhigt. Ich reflektiere über ihre Fähigkeit Zeitreisen auszuführen ohne daß ich sehe wie sie geht und kommt. "Lili, wie reist du in der Zeit?"
Sofort ist sie Feuer und Flamme. "Soll ich dich wohin bringen, Herr? Wohin ...?"
"Nein, nein," sage ich müde. Das würde mir gerade noch fehlen so kurz nach der Strapaze mit der Suche nach Rakus. "Ich möchte nur wissen wie du's machst."
Was soll ich sagen, sie zuckt wieder mit den Achseln und ich gerade in die Nähe eines Herzschlags. "So wie ich immer reise," sagt sie leichthin. "Da ist kein Unterschied. Und," setzt sie hinzu, "du bist dabei gewesen. Also hast du gesehen wie ich's mache."
"Du durchquerst Dimensionen," sage ich. "Soviel weiß ich. Aber wie du es machst …" Ich lasse den Satz ausklingen.
"Herr, ich verstehe dich nicht," entgegnet sie. "Was ist Dimen-dimen ...?" Noch so ein Wort das zu schwierig für sie ist.
"Oben und unten," sage ich. "Vorn und hinten. Das sind Dimensionen. Und die vierte Dimension ist die Zeit."
Sie schüttelt das Köpfchen und Locken fliegen. Niedlich. "Herr, ich weiß nicht was du meinst!"
"Laß gut sein, Lili." Ich bin müde, lasse mich nach hinten sinken. Sofort ist sie zur Stelle, legt die Decke über mich, knufft mir das Kissen zurecht.
Halb über mich gebeugt bleibt sie stehen. "Willst du schlafen, Herr?"
Ich schüttele den Kopf. "Nein. Der Rücken tut mir weh." Ich habe zu lange gesessen.
"Soll ich dich massieren?" fragt sie eifrig und hebt die Hände. "Das wird deinem Rücken gut tun."
"Laß nur." Ich winke ab. "Ich will nur etwas ruhen, dann geht's vorüber." Ich will nicht, daß das Mörchen Lili sieht falls sie wieder hereinkommt und Lili vielleicht nicht rechtzeitig verschwindet. Natürlich gebe ich dem Mörchen keinen Grund zur Eifersucht aber man kann ja nie wissen - Frauen sind schon merkwürdige Geschöpfe.
Ich schließe die Augen und reflektiere über die Vielweiberei im Orient. Für Lili zum Beispiel wäre sie kein Grund zur Aufregung ...
Weiter komme ich mit meinen Gedanken nicht denn ich spüre daß Lili neben mir stehen geblieben ist. Ich öffne die Augen wieder und schaue sie an. "Kann ich etwas für dich tun?" Höflichkeit schadet nicht, auch nicht einem Geist gegenüber.
Sie schaut mich aus großen Augen an. Lili hat an sich große Augen und jetzt ist das Weiße rund um die Iris sichtbar. Das macht sie noch größer. "Flaschengeister, Herr - gibt's die wirklich?"
"Das solltest du doch eher wissen als ich, Lili."
Sie bewegt den Kopf verneinend, aber zögerlich. "Ich habe noch nie welche gesehen, Herr."
Ich stemme mich hoch, stütze mich auf einen Ellenbogen. "Na ja, in der Literatur gibt es sie. Bei R. L. Stevenson zum Beispiel … Und dann gab's da noch diese Fernsehserie, Jeannie …"
"Jeannie, ja," sagt sie eifrig. "Ist das die von der dein Freund gesprochen hat?" Lili kann moderne Schriften nicht lesen, auch nicht meine Gedanken, aber ich habe mich schon öfter dabei ertappt wie ich laut vor mich hin murmele was mir so einfällt. Das muß sie aufgeschnappt haben.
"Ja, Lili. Ich …"
"Ist sie hübsch?"
Ich starre sie verblüfft an, aber dann muß ich lachen. "Ja, Lili, sie ist hübsch. Aber sie ist doch nur eine Fernsehfigur!"
"Hast …" Sie schluckt, beginnt von vorn. "Hast du mich nach ihr geformt?" Mein Gott, sie zittert ja!
Ich richte mich auf, greife nach ihrer Hand; sie liegt kalt und steif in der meinen. "Schau, Lili. Ich habe an alles andere gedacht als an Jeannie als ich dich rief. Ich wollte nur, daß du in einer gefälligen Form erscheinst und das hast du großartig gemacht. Ich bin sehr zufrieden mit dir!"
"Aber …" Sie schluckt wieder und in ihrem Auge sehe ich eine Träne. "Aber, d-du hast verlangt mich als Haremsdame zu sehen!"
Ich lache, aber bin mir keineswegs sicher ob das die richtige Weise ist mit ihr umzugehen. "Ja doch. Mädchen sind eben viel hübscher als häßliche Afriti."
Jetzt spielt sie ihre Trumpfkarte. "Aber du nennst mich Lili, nach einem Dämon!" Sie zittert so stark, daß ich zu fürchten beginne sie könnte auseinander fallen.
"Warum glaubst du, wurde Jeannie so genannt? Jeannie ist lautgleich mit dem englischen Wort Genie und das heißt eben auch Dämon! Aber," setze ich eindringlich hinzu, "der Dämon nach dem du glaubst genannt zu sein heißt Lilith, mit TH am Ende. Den Namen will ich nicht für dich! Lili, einfach Lili, das kommt nur für ein hübsches Mädchen in Frage und deshalb heißt du Lili!"
Lili reißt ihre Hand aus der meinen, schlägt beide Hände vors Gesicht und heult lauthals. Ob es Glückstränen sind oder ob sie vor lauter Elend so weint kann ich nicht sagen - wer kennt sich schon mit Frauen aus …
Nun siehst du, Andreas, was du mir eingebrockt hast - und die Rückenschmerzen habe ich immer noch …

ENDE


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