SCHWERPUNKTTHEMA


HEXEN


DE RE MAGICA (VON DER ZAUBEREI)

von Fred H. Schütz



Am Anfang war Magie. Sie hatte kein Gesicht und keine Hände, sah nichts, roch nichts und dachte nicht; sie fühlte nichts, sprach nicht, war zeitlos, war garnichts. Sie war alles was es gab.
Was sich wie ein Satz aus dem ersten Buch der Bibel liest, ist der Beginn meines Romans Trehellion. Ich komme noch darauf zurück.
Bemühungen mittels Zauberei der Naturgewalten Herr zu werden oder Macht über andere zu gewinnen gab es schon vor Urzeiten. Der steinzeitliche Jagdzauber ist hierfür ein Beispiel. Der Jäger malte ein Bild des Jagdtiers auf die Felswand, sprach seine Beschwörungsformeln und schleuderte den Speer. Traf er und die Speerspitze drang ein, war der Jagderfolg so gut wie gesichert; dann brauchte er den Vorgang nur am lebenden Objekt zu wiederholen.
Weniger bekannt ist das Anliegen Hinterbliebener jüngst Verstorbene in die Gräber zu bannen. Man fürchtete die Totengeister und diese Furcht ist in einigen Volkskreisen heute noch lebendig. So dürften überhaupt die in aller Welt praktizierten Begräbniszeremonien entstanden sein.
Wie sehr die Geister der Toten gefürchtet wurden ist auch in der Bibel ersichtlich. Ein König wollte wissen, ob die bevorstehende Auseinandersetzung mit dem Feind glimpflich für ihn enden würde und ließ dazu von seinem Zauberer einen Toten beschwören. Der Tote erschien auch und sagte ihm in hohlen Tönen seine Niederlage voraus. In seinem Hochmut schlug der König die Warnung in den Wind; er verlor die Schlacht und dabei beinahe sein Leben. Er übertrug seine Scham auf den Necromancier (Totenbeschwörer) den er hinrichten ließ. In späteren Bibelübersetzungen wurde die Bezeichnung Necromancier durch Hexe ersetzt.
Während Helden und Könige in allen Zeitaltern ein lebhaftes Echo fanden, blieben Zauberer denen diese Recken oft genug ihren Ruhm verdanken, meistens namenlos. Nur einer ist mir aus der Antike bekannt, und dieser war Apollonius von Tiana. Apollonius war schon zu Lebzeiten ob seiner erstaunlichen Taten berühmt; so soll er einmal an zwei drei Tagereisen voneinander entfernten Orten gleichzeitig gesehen worden sein. Als man ihm den Prozess machte, gab er eine als Apologie berühmt gewordene Verteidigungsrede und soll dann der Legende nach aus dem Fenster auf und davon geflogen sein.
Dem Verfasser des Heldengedichts Aeneas, Vergil wurden später auch zauberische Abenteuer nachgesagt, aber hierbei handelt es sich mittelalterliche Volksdichtung die der Beweiskraft entbehrt.
Der in dieser Hinsicht wohl bekannteste Name überhaupt ist Merlin. Merlin gehört in den Sagenkreis um den keltischen König Arthur, der im deutschsprachigen Raum lateinisiert Artus genannt wird; seine geschichtliche Realität läßt sich nicht feststellen. Wenn er überhaupt existiert hat, muß das in einem Zeitrahmen von zwei Jahrhunderten vor der Zeitwende gewesen sein und nicht, wie des öfteren behauptet, zu Beginn der christlichen Ära Europas. Anders als in den Christuslegenden fehlt hier allerdings jeglicher Hinweis auf römische Präsenz und das erschwert die Zeitbestimmung.
Merlin wurde angeblich von einem Dämon gezeugt und das Ereignis seiner Geburt ist der einzige Hinweis auf die Existenz einer menschlichen Mutter. Er war der Spiritus rector des Königs und Gegenspieler von dessen zauberischen Halbschwester Morgaine, die in der Legende wiederum zur Fee hochstilisiert wird (Morgan le fey oder Fata Morgana, das heißt Fee Morgane.) Die verschiedenen Schreibweisen (Morgan, Morgaine, Morgiane) beruhen auf dialektischen Unterschieden in den keltischen Sprachen.
Schließlich soll Merlin von der betrügerischen Fee oder Halbfee Vivain (Viviane) verführt und in einen Felsen gebannt worden sein, wo er - ähnlich wie Kaiser Rotbart im Kyffhäuser - heute noch der Erlösung harrt.
Aus dem Mittelalter und später der Renaissance sind uns eine Reihe von Männern bekannt, die sich magischer Künste befleißigten. So der Abt Tritheim und Agrippa von Nettesheim, in Italien Giordano Bruno, oder Abraham von Worms ("der Jude von Worms") der magische Quadrate herstellte. Von ihm erzählt man sich, daß ihn einst ein junger Mann aufsuchte und seine Hilfe beim Erringen einer spröden Jungfrau erbat. Abraham tat ihm den Gefallen, aber nicht ohne ihn zu warnen, daß das erste weibliche Wesen, dem er begegnete, ihm verfallen würde. Am nächsten Morgen wurde der Jüngling zum Gespött der ganzen Stadt von einem Kälbchen verfolgt.
Nun hat sich in den Köpfen gewisser Kreise die Idee festgesetzt, es hätte einen Hexenkult gegeben. Geschürt wurde diese Idee von der amerikanischen Ethnologin Dr. Margareth Murray und dem britischen Hexenmeister Gerald Gardner. Als Voraussetzung galt, es müsse einen organisierten Hexenglauben gegeben haben; lokale Hexengruppen schlössen sich zu einem Coven bestehend aus jeweils dreizehn Hexen zusammen. Das Wort "Coven" ist eine dialektische Verballhornung von Convent, englisch für Pakt, das heißt Pakt mit dem Teufel.
Da es in der Antike einen Kult um eine Muttergöttin gegeben hatte - Isis bei den Ägyptern, Kybele im vorderen Orient, Diana bei den Römern - der durchaus orgiastische Züge hatte, schloß man in nachchristlicher Zeit haarscharf auf das Vorhandensein eines Hexenkults der infolge der Verbreitung der Kirche in den Untergrund gegangen sei. Einer Göttin musste ein Gott zur Seite gestellt sein, und das war natürlich der Teufel.
Im Zuge des um sich greifenden - um nicht zu sagen, um sich schlagenden - modernen Feminismus wird diese Göttin sogar als Urgöttin, das heißt Mutter aller Dinge gepriesen und gefeiert. Dies ist genauso dummschwätzig wie diesbezügliche Ansichten der überaus feministischen modernen "Hexenvereinigung" Wicca.
Dort teilt man auch die Auffassung des Naturphilosophen Hans-Peter Dürr, der meint daß das Wort "Hexe" vom altdeutschen Hagezussa abgeleitet sei, das angeblich "Zaunreiterin," das heißt "Zwischen den Welten Ansässige" bedeutet.
Das ist haarsträubender Unsinn. Das Wort "Hexe" ist nämlich nicht allein der deutschen Sprache vorbehalten sondern auch anderwärts verbreitet, immer mit der Bedeutung "Bannfluch." Die Hexe ist keineswegs Priesterin irgendwelcher Göttinnen wie Wicca glauben machen möchte, und sie ist auch kein den Feen gleichzusetzendes übernatürliches Wesen wie die russische Baba Yaga. Nein, sie ist ein Mensch, Mann oder Frau, der Schadenzauber ausübt. Dahin deutet auch der lateinische Begriff Malicia (Bosheit) für Hexe.
Im Übrigen machte sich der nunmehr Selbstbewusstsein entwickelnde Ärztestand die nachinquisitorische Hexenverfolgung profaner Gerichte im fünfzehnten Jahrhundert zunutze, seinen eigenen Krieg gegen die unerwünschte Nebenbuhlerschaft der Kräuterweiblein zu führen. Dies führte zwar nicht den angestrebten durchschlagenden Erfolg herbei - Kräuterweiblein gibt's in der einen oder anderen Form immer noch - aber es etablierte die Ärzteschaft als eigenen, vom Bader zu unterscheidenden Berufsstand. (Bader waren eine Art wandernder Friseure, die auch Zähne zogen und zur Ader ließen.) Immerhin erklärt dies den Hochmut studierter Ärzte gegenüber anderen Heilberuflern.
Was hat das alles aber nun mit Zauberei zu tun? Gibt's sowas überhaupt oder wer glaubt heute noch an Zauberei? Der amerikanische Schriftsteller Larry Niven hatte recht: Die Magie ist von uns gegangen. Aber nicht weil sie aufgebraucht ist, wie er es darstellte; nein, sie ist dem Unglauben gewichen.
Der Unglaube ist aber nur scheinbar stärker. Tief im Innern der Menschen schlummert er noch, der Hang zur Magie. Was Magie ist, wie sie wirkt und wer das Talent besitzt, habe ich in meinem eingangs erwähnten Roman dargelegt - nur kann ich den Inhalt eines dreibändigen Werkes nicht einfach in ein paar dürren Sätzen beschreiben; Ihr müßt Euch gedulden bis es auf dem Buchmarkt erscheint. Früher oder später wird es das, ob es mich aber so reich machen wird wie die Schöpferin von Harry Potter wage ich zu bezweifeln; es ist eben nicht banal genug.
Gibt es denn aber Zauberbücher? Allerdings! Mal abgesehen vom berüchtigten Necronomicon das nur in H. P. Lovecrafts Phantasie existierte, gibt es Bücher wie Salomons Siegel, das 6te und 7te Buch Salomons, Le coq rouge (roter Hahn) dessen sich Faust bedient haben soll, das arabische Buch Picatrix und eine nicht enden wollende Reihe anderer Werke dieses Couleurs. Allen gemeinsam ist ihre Untauglichkeit und das setzt sie auf das gleiche Niveau wie die Werke naiver Alchimisten die den Stein der Weisen in materiellen Werten suchten ("Gold aus Blei.")
Die vorerwähnten Magier der Renaissance orientierten sich an der Kabbala, einer jüdischen Geheimlehre. So ist der Titel dieses Artikels, De Re Magica, einem der Hauptwerke des Agrippa von Nettesheim entlehnt.
Wer nun das viel zitierte und von Wiccanern hoch gepriesene Buch der Schatten sucht, wird sich vergeblich umschauen. Der schlichte Grund hierfür beruht auf der Tatsache, daß die vorgeblichen "Hexen," jedenfalls die Kräuterfrauen des Mittelalters, überhaupt nicht lesen und schreiben konnten. So ging unersetzliches medizinisches und womöglich auch magisches Wissen zusammen mit den armen Kreaturen die der Hexenverfolgung zum Opfer fielen im Feuer der Scheiterhaufen verloren.
Was hat es denn nun mit den Zauberstäben auf sich in denen angeblich die ganze zauberische Macht ihrer Besitzer steckt? Wenn ich im Film ihre Wandlung vom grotesk verzierten Taktstock zum veritablen Baumstamm sehe muß ich lachen. In Wahrheit handelt es sich hier um leichtgewichtige aus den Talli des Riesenfenchels geschnittene Wanderstäbe, das heißt Gehhilfen für schwieriges Gelände in denen sich zudem die Glut für das nächste Lagerfeuer transportieren ließ. Mit Zauberei haben die jedenfalls nichts zu tun.
Um endlich zum Kernpunkt der Sache zu kommen soll mit dieser Frage Aufschluß geschaffen werden: Wie trenne ich Spreu vom Weizen - das heißt, wie erkenne ich den wahren Magier im Unterschied zum Scharlatan? Nun, werimmer von sich behauptet geheimnisvolle Kräfte zu besitzen ist bestenfalls ein Bühnenmagier und in jedem Fall ein Schwindler. Der wahre Zauberer kommt ohne theatralische Gestik aus; er arbeitet im Stillen.
Ob wahre Zauberkraft den Ansturm des wissenschaftlich verfügten Unglaubens überlebt hat wissen nur die, die sie besitzen - und die sagen nichts.

Diese Epistel könnte ernsthafter und genauer sein, aber dann wäre sie eine Studie; oder amüsanter und dann wäre sie womöglich eine Klamotte. Beides liegt mir nicht, also lasse ich alles wie es ist und nenne sie wie's oben steht:

De Re Magica


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