SCHWERPUNKTTHEMA


HEXEN


DIE ANDERE MOOR-HEXE

von Eva Kalvoda
eine Hommage an Dieter Grzywatz´s 'Die Moor-Hexe'



Irgendwann in den dunklen Jahrhunderten des Mittelalters erlag auch England einem Hexenwahn. In einem kleinen Dorf, irgendwo auf der Insel wurde ein Mädchen als Hexe verurteilt. Doch während man andernorts überall Scheiterhaufen errichtete, war es in dieser Gegen üblich, eine vermeintliche Hexe ins Moor zu treiben.
Über jenes Mädchen nun gingen die Meinungen stark auseinander. Manche schworen, sie habe beim Teufel gelegen, manche sagten, sie wäre das unschuldigste Mädchen im ganzen Land, und wieder andere flüsterten hinter vorgehaltener Hand, man hätte sie nackt über die Moore tanzen sehen. Wer Recht hatte, kann heute nicht mehr geklärt werden, das Mädchen jedenfalls wurde von einer aufgebrachten Menge ins Moor getrieben. Während es langsam versank, ballte es die Fäuste und verfluchte die Menge: "Ich verfluche euch und eure Nachkommen, auf das kein Glück mehr herrschen soll in diesem Dorf. Ich verfluche euch, und ich werde wiederkehren um mich an euch zu rächen! Niemand soll mehr dieses Moor betreten, sonst komme ich ihn holen!"
Die Dörfler waren zwar geschockt, sahen aber trotzdem ungerührt zu, wie die vermeintliche Hexe versank. Seither mieden die Ansässigen diesen Teil des Moores.

***


Pete Marone war schon als Junge ziemlich dickköpfig, und weder die Schule noch das Botanikstudium hatten daran etwas geändert. Als ihm ein Kollege von einem Landstrich erzählte, in dem es ein noch nahezu unberührtes Moor gab, musste er sich selbst davon überzeugen. Also fuhr Pete in den Semesterferien in ein uns schon ein wenig bekanntes Dorf, um sich dort einzumieten.
Gleich am ersten Abend erkundigte sich Pete im örtlichen Pub nach dem Moor. Die Reaktionen waren seltsam. Manch Einer drehte sich einfach um, und lies Pete stehen, andere murmelten vor sich hin, und Pete meinte Sätze wie "Vergiß es, Junge!", "Uninteressant!" und "Zu Gefährlich!" herauszuhören.
Schon leicht verärgert wandte sich Pete an einen Alten, der ganz alleine neben dem Kachelofen saß. "Wieso will mir niemand den Weg ins Moor beschreiben?"
Der runzlige Einheimische war sichtlich nicht angetan über diese Frage. "Hör mal Junge, das ist ein gefährlicher Ort, dort verschwinden Menschen. Wir wollen nicht, dass Jemand hingeht. Bringt nur Ärger!" Und damit nickte er Pete noch einmal zu, trank sein Ale aus, und ging.
Am nächsten Morgen gelangte Pete über ein paar Zäune und Weiden, und mit Hilfe seiner Landkarte doch noch an sein Ziel. Nach etwa einer Stunde wanderte er einen schmalen Pfad entlang ins Moor.
Doch so interessant, wie er es sich vorgestellt hatte, war es nicht. Keine unbekannten Pflanzen oder Insekten waren zu finden. Alles wirkte tot und still. Mit der Zeit wurde es Pete richtig unheimlich. Nach zwei Stunden wollte er umkehren, doch als er sich umdrehte, konnte er den Pfad nicht mehr erkennen. Schon nach wenigen Schritten sank Pete ein. Hektisch riss er seinen Fuß aus dem Morast, schalt sich selbst einen Angsthasen, und versuchte es in eine andere Richtung.
Doch auch das brachte nichts, immer wieder sank Pete ein, bis zu den Knien war er schon schlammig, als er sich panisch eingestand, dass er nicht mehr aus dem Moor herausfand.
Gerade als Pete sein Handy aus dem Rucksack holen wollte, um Hilfe zu rufen, tauchte neben ihm eine Gestalt auf. Erschrocken sah Pete auf, und während sein Gehirn noch die seltsame Gestalt zu verarbeiten suchte, legten sich schon zwei krallenartige Hände um seinen Hals.

***


Drei Tage nach Pete Marones Verschwinden traf eine junge Frau in dem kleinen Dorf ein. Sie fragte die Leute nach ihrem verschwundenen Freund aus, doch die Auskünfte waren spärlich. Er sei trotz Warnungen ins Moor gegangen, und einfach nicht zurückgekehrt. Sicher habe ihn die Moorhexe geholt. Liz, so der Name der jungen Frau, solle ihm ja nicht folgen, sonst würde auch sie nie wieder zurückkommen.
Doch Liz war eine entschlossene junge Dame. Pete war der Bruder ihres Freundes, fast schon Familie also, der Sache musste man auf den Grund gehen. Also stapfte auch Liz über Weiden, kletterte über Zäune, und befand sich alsbald auf demselben schmalen Pfad, den auch Pete genommen haben musste.
Und auch Liz wurde es immer unheimlicher, kein Windhauch streifte ihr Gesicht, keine Insekten zirpten, und das Moor schien richtig gehend den Atem anzuhalten. Aber Liz wanderte tapfer weiter, immer den spärlichen Spuren eines kürzlichen Wanderers folgend.
Nach etwa zwei Stunden fand Liz den Rucksack, offen auf einem Moosfleck liegend. Gerade als sie ihn aufheben wollte, bemerkte sie neben sich eine Bewegung. Sie fuhr herum und sah eine weibliche Gestalt, die gerade nach ihrem Hals greifen wollte. Die ausgestreckten Finger waren grünlich, und die langen Nägel eher wie Klauen. Das Haar der Frau war schmutzig, verfilzt und lang, das Gewand verdreckt und zerschlissen. Aber das schlimmste war das Gesicht. Grünbraun von der Farbe, ledrig und ausgezerrt, mit kalten, blitzenden Augen, in denen Mordlust stand.
Die Gestalt knurrte, und sprang Liz an. Plötzlich taumelte die Moorhexe, ein gewaltiger Schlag hatte sie getroffen, und nun wurde ihr Körper in die Erde gezogen, Schmerzen durchliefen sie, dann schwanden ihr die Sinne. Als die Moorhexe wieder zu sich kam, lag sie in einem Sarg, sofort überfielen sie wieder Schmerzen, von dem geweihten, verzauberten Holz rund um. Dann wurde ihr Gefängnis bewegt, sie konnte es spüren, und es verschwand der Schmerz und auch alle anderen Wahrnehmungen.
Roy Coron, der Hexenjäger nahm einen nur etwa 50cm langen Sarg vom Altar. Das Licht, das diesen gerade noch umgeben hatte verblasste. Der Hexenjäger brachte den Sarg in einen Lagerraum, der schon viele ähnliche Objekte enthielt. Als er ihn abstellte, machte er einige Zeichen, und der Sarg leuchtete für einen kurzen Moment auf.
Leise schloss Roy hinter sich die Türe zu dem Sarglager und holte ein Handy aus der Tasche. Doch bevor er eine Taste drücken konnte, läutete es schon.
"Hallo Onkel Roy, na, ist die Hexe gut angekommen?"
"Ja, Liz, der Transportzauber hat wie immer gut funktioniert. Danke noch mal, dass du für mich hingefahren bist."
"Klare Sache, Onkel Roy, war ja sozusagen eine Privatangelegenheit."
"Gut gemacht, aber jetzt beeil dich, und komm heim, Tante Martha kocht gerade Schinkenfleckerln, und du weißt, wie sie es hasst, wenn jemand zu spät zum Essen kommt."


ENDE


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