ARTIKEL


STANISLAW LEM

von Andreas Leder



Der polnische Science-Fiction-Schriftsteller Stanislaw Lem ist tot. Der Autor von "Solaris" und "Sternentagebücher" starb am Montag, den 27. März 2006, nach längerer Krankheit, im Alter von 84 Jahren in einer Klinik in Krakau.
Stanislaw Lem kam als Sohn eines Arztes, der beim österreichisch-ungarischen Militär im 1. Weltkrieg gedient hatte, am 12. September 1921 auf die Welt. Sein Geburtsort ist Lemberg, das damals in Polen lag, und heute unter dem Namen Lwiw zur Ukraine gehört. Er hatte eine behütete Kindheit und studierte 1940-1941, nach der Besetzung Lembergs durch sowjetische Truppen, Medizin an der Universität Lemberg.
Durch den Zweiten Weltkrieg wurden seine Studien unterbrochen. Während des Krieges arbeitete er als Hilfsmechaniker und Schweißer für eine deutsche Firma, die Altmaterial aufarbeitete. Lem war Mitglied des Widerstandes gegen die deutsche Besatzungsmacht. Als gegen Ende des Krieges Polen zum zweiten Mal von der Roten Armee erobert und durch die Sowjetunion kontrolliert wurde, setzte er seine Studien in Lemberg fort, musste aber, nachdem seine Heimatstadt an die Sowjetunion fiel, 1946 nach Krakau ziehen.
An der Jagiellonen-Universität in Krakau nahm er sein Medizinstudium zum dritten Mal wieder auf. Hier arbeitete er zwischen 1948 und 1950 am Konservatorium Naukoznawcze als Forschungsassistent an Problemen der angewandten Psychologie. In diese Zeit fielen auch seine ersten literarischen Versuche, er begann in seiner Freizeit Geschichten zu schreiben. 1948 entstand seine erste Novelle "Szpital Przemienienia" (dt. Das Hospital der Verklärung).
Lem erhielt das Zertifikat für die vollständige Absolvierung seines Studiums. Das letzte Examen zum Doktorat verweigerte er, um einer Karriere als Militärarzt zu entgehen. Er begründete das mit den Worten: "Die Armee nahm all meine Freunde, nicht für ein oder zwei Jahre, sondern für immer."
1951 wurde sein Roman Astronauci (dt. Der Planet des Todes, auch als Die Astronauten) als erster veröffentlicht. Sein erstgeschriebener Roman "Der Mensch vom Mars" von 1946 erschien erst 1989 in Buchform.
1953 heiratete er Dr. Barbara Lesniak, eine Radiologin. 1982, nachdem in Polen das Kriegsrecht verhängt wurde, verließ Stanislaw Lem sein Heimatland vorübergehend und arbeitete in West-Berlin am Wissenschaftskolleg. Ein Jahr später ging er nach Wien. Hier lebte und schrieb er "Der Flop" und "Fiasco". Erst 1988 kehrte er nach Polen zurück.
Sein 1961 erschienener Roman "Solaris" wurde 1971 von Andrei Tarkowski und erneut 2002 von Steven Soderbergh verfilmt. Verfilmt wurden 1960 der Roman "Planet des Todes" als "Der schweigende Stern" (Regie: Kurt Maetzig) und 1978 die Erzählung "Test" (eine polnisch-sowjetische Gemeinschaftsproduktion unter der Regie von Marek Piestrak).
Stanislaw Lems Bücher wurden bisher in 41 Sprachen übersetzt und erreichten eine Auflage von mehr als 27 Millionen. Hin und wieder veröffentlichte er Texte im deutschen Web-Magazin Telepolis.

Lem galt als Vordenker technischer Entwicklungen, die in seinen Romanen noch Zukunftsvision waren, inzwischen aber Wirklichkeit sind - vom Internet über die Genforschung bis hin zur künstlichen Intelligenz.
Seine Romane, die auch auf Deutsch erschienen sind, gehören zu den literarisch anspruchsvollen Klassikern des Genres. 1991 erhielt Lem den österreichischen Franz-Kafka-Literaturpreis.
International galt Lem als Philosoph und Zukunftsvisionär. In seiner Heimat schätzten die Leser besonders den zuweilen grotesken Humor, der vor allem in den frühen Werken Lems eine Flucht vor der Realität darstellte.
"Die meisten meiner Bücher wurden während des Kommunismus geschrieben, und ich musste mich mit der Zensur auseinander setzen", sagte Lem einmal in einem Interview mit einer polnischen Literaturzeitschrift. Er habe versucht, die Absurdität von Totalitarismen darzustellen. "Das ist der Grund dafür, dass meine Helden auf dem Weg zur Verbesserung der Welt oft versagen", erläuterte Lem. Dennoch habe in seinen frühen Werken der optimistische Glaube an die Fähigkeiten des Menschen dominiert.
Später trat an die Stelle des einstigen Fortschrittsglaubens Skepsis. Seine Texte brachte er stets mechanisch zu Papier, Computern und E-Mails verweigerte er sich. "Ich habe nicht vorhergesehen, dass die Wissenschaft fast vollständig dem Kommerz untergeordnet wird", räumte Lem einmal ein. "Die meisten Gelehrten arbeiteten nicht aus dem Gefühl der Berufung heraus, sondern mit dem Ziel des Nobelpreises, und am besten würden Forschungen zu neuen Waffen bezahlt."
Eine resignierende Bilanz zog Lem einmal mit den Worten: "Der Mensch ist ein Affe, dem es gelingt, das schärfste Rasiermesser zu schaffen, um einem anderen Affen die Kehle durchzuschneiden".



Bibiliografie

1946 Czlowiek z Marsa (dt. Der Mensch vom Mars, 1989)
1951 Astronauci (dt. Der Planet des Todes, Die Astronauten, 1954)
1955 Oblok Magellana (dt. Gast im Weltraum, 1956)
1957 Dzienniki gwiazdowe (dt. Die Sterntagebücher des Weltraumfahrers Ijon Tichy, 1961) - Erzählungen ISBN 3-518-36959-8
1960 Eden (dt. Eden, 1960)
1961 Solaris (dt. Solaris, 1972) ISBN 3-423-10177-6
1961 Pamietnik znaleziony w wannie (dt. Memoiren, gefunden in der Badewanne, 1974)
1961 Powrót z gwiazd (dt. Transfer, Rückkehr von den Sternen, 1974)
1964 Niezwyciezony (dt. Der Unbesiegbare, 1967)
1964 Bajki robotów (dt. Robotermärchen, 1969) - Erzählungen
1965 Cyberiada (dt. Kyberiade, 1983; Wie die Welt noch einmal davonkam - Der Kyberiade erster Teil 1985, Altruizin und andere kybernetische Beglückungen - Der Kyberiade zweiter Teil, 1985)
1968 Opowiesci o pilocie Pirxie (dt. Eintritt nur fur Sternenpersonal, 1978; Pilot Pirx, 1978)
1968 Glos Pana (dt. Die Stimme des Herrn, 1981)
1969 Opowiadania (dt. Nacht und Schimmel, 1976) - Erzählungen ISBN 3-518-36856-7
1971 Kongres futurologiczny (dt. Der futurologische Kongreß, 1974)
1981 Golem XIV (dt. Also sprach Golem, 1984)
1982 Wizja Lokalna (dt. Lokaltermin, 1985)
1986 Pokój na ziemi (dt. Frieden auf Erden, 1988; auch als "Der Flop" veröffentlicht))
1987 Fiasco (dt. Fiasko, 1986)


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