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DER UMZUG

von Susanne Stahr



Die aufgehende Sonne schickte ihre ersten Strahlen in das gemütliche Wohnzimmer des Erzmagiers Ariobazo. Gerade hatte er Arbeiter für seine Übersiedlung rekrutiert. Jetzt musste er sie nur noch einteilen.
"Ich Ariobazo, der mächtigste Magier des Erdkreises, befehle euch, mir zu Diensten zu sein!", donnerte der kleine Mann mit der Halbglatze und dem Kugelbauch.
Vor ihm stand eine gemischte Gruppe von Dämonen. Chalyber, Vangionen und Peucolen. Für den eigentlichen Transport würde er sich ein paar Klaffos holen. Gekonnt zog er die buschigen Brauen zusammen um seinem Gesicht einen strengeren Ausdruck zu geben.
Viel schien das nicht zu nutzen. Die Bande steckte einfach die Köpfe zusammen und tuschelte. Schließlich löste sich ein besonders hässlicher Vangione aus der Gruppe. Seine Unterlippe hing ihm bis auf den Nabel.
"Wir arbeiten nur 10 Stunden am Tag. Jeder bekommt ein Silberstück pro Tag. Wenn das Projekt länger als zehn Tage dauert, musst du uns einen Tag frei geben, bei voller Bezahlung."
"Was?", quiekte Ariobazo erschrocken. "Wollt ihr mich ausrauben?" Wo waren nur die Zeiten, in denen man Dämonen einfach so verpflichten konnte?
"Hinter uns steht die Gewerkschaft für interdimensionale Dienstleistungen", erklärte der Vangione hämisch grinsend.
"Und ich bin Vorstandsmitglied der Magiergilde", konterte der Zauberer.
Dem Vangionen verging das Grinsen.
"Dieser Umzug muss in höchstens drei Tagen über die Bühne gehen", fuhr Ariobazo fort. "Jeder, den ich beim Faulenzen erwische, fliegt ohne Bezahlung in den Limbus. Und jetzt macht euch endlich an die Arbeit!" Zur Bekräftigung ließ er ein paar Blitze aus seinen Augen schießen.
"Einschüchterungsversuche sind laut § 17/6A39 der Dienstverordnung verboten", krähte ein Peucole.
"Grmpf!", machte der Zauberer. "Die Vangionen packen die Zauberzutaten ein. Es gibt genug Holzwolle. Für jedes zerbrochene Glas wird ein Silberstück vom Lohn abgezogen."
Die Vangionen schlackerten zustimmend mit ihren Unterlippen und marschierten in Richtung Arbeitszimmer.
"Die Peucolen verpacken die Bibliothek, getrennt nach Büchern und Schriftrollen. Geht sorgsam damit um und ... äh, kann einer von euch Nearchisch lesen?" Ariobazo musterte die Bande streng.
"Ich!", quietschte der Peucole, der den Paragraphen zitiert hatte.
"Wenn du nur ein einziges Wort laut liest, lasse ich Haare auf deinem Schwanz wachsen." das war das Schlimmste, das einem Peucolen passieren konnte.
Erschrocken griff dieser auch gleich nach seinem nackten Ringelschwanz. "Du musst doch nicht gleich so drohen", beschwerte er sich. "Ich hab schon kapiert."
Damit war auch diese Gruppe eingeteilt. Unverzüglich begannen sie seine Schriften in Kisten zu schlichten. Nun noch die Chalyber. In den flachen Echsenschädeln war wenig Verstand, dafür arbeiteten sie sehr fleißig. Man musste ihnen nur ganz genau sagen, was sie tun sollten.
"Ihr geht ins Schlafzimmer und packt meine Kleider ein. In die Koffer. Stopft das Zeug nicht wild hinein. Jedes Teil muss schön gefaltet werden und vergesst nichts. Jedes einzelne Kleidungsstück. Alles klar?"
Ein Chalyber mit zahlreichen Narben an der Schnauze grunzte bestätigend. "Kleider einpacken, sssöön falten", zischte er. "Nichtsss vergessssen. Wir sind die Besssten."
Mit einem Seufzer ließ sich Ariobazo in seinen bequemsten Stuhl sinken. Er würde es diesem großmäuligen Galesius zeigen. Ha! Eine perfekte Übersiedlung würde er hinlegen. Das sollte ihm dieser unfähige Pfuscher einmal nachmachen.
"Eine Tasse Kaffee!", sagte er und legte etwas Magie in die Worte. Im nächsten Augenblick stand eine Steinguttasse mit einem Sprung und dafür keinem Henkel vor ihm, gefüllt mit einer braunen Flüssigkeit, die eher an Tee erinnerte. Ariobazo roch nicht einmal daran. Es gab ja auch nichts zu riechen. Falls das überhaupt Kaffee war, dann war er höchstens lauwarm. So ein kleines Versehen passierte halt ab und zu. In letzter Zeit war dieses 'ab und zu' etwa dreimal pro Woche. Mit einer Handbewegung ließ er die Tasse verschwinden.
"Eine ordentliche Tasse Kaffee!", orderte er energischer und mit wesentlich mehr Magie. Nun erschien eine hauchdünne Porzellantasse mit einer tiefschwarzen, dampfenden Flüssigkeit. Kräftiges Kaffeearoma breitete sich im Raum aus. Ariobazos Nüstern blähten sich genießerisch. So war es richtig.
Galesius, sein Erzfeind seit mehr als dreihundert Jahren, brachte so einen guten Kaffee sicher nicht zuwege. Ariobazo schlürfte ein Wenig des Gebräus und verbrannte sich die Zunge, weil gerade in diesem Moment die Kommunikationsscheibe zu blinken begann. Schnell sprach er einen Heilzauber, der jedoch nicht wirkte. Mit seiner malträtierten Zunge konnte er die Worte nicht korrekt aussprechen. Eine kleine Panne, die auch einem Erzmagier passieren mochte.
Wer wollte denn gerade jetzt etwas von ihm? Ein Wink mit dem Zeigefinger ließ Galesius' Raubvogelgesicht aus dem bunten Wallen tauchen.
"Wie geht es denn meinem hochgeschätzten Kollegen?" Seine Worte klangen so zuckersüß, dass man davon Zahnschmerzen bekommen konnte.
"Prächtig, prächtig", antwortete Ariobazo genauso.
"Kommst du gut voran? Wenn es Schwierigkeiten gibt, wende dich nur vertrauensvoll an mich."
Das würde dir so passen!, dachte Ariobazo. "Mein Dämonentrupp arbeitet ausgezeichnet", gab er stolz zurück.
Dummerweise kamen gerade zwei Chalyber heulend zur Tür herein. Vom Maul des einen tropfte grünes Blut und brannte kleine Löcher in den Teppich. "Schzft hat mich gebissen!", jammerte er.
"Pftsch hat angefangen!", verteidigte sich der andere, dessen linkes Auge zugeschwollen war.
"Du scheinst ja mächtig Probleme zu haben", mischte sich Galesius mit gespielter Anteilnahme ein. "Soll ich dir helfen? Meine Erfahrungen mit Chalybers reichen Jahrhunderte zurück."
"Danke." Ariobazo legte soviel falsche Freundlichkeit in dieses Wort, dass es schon einer Morddrohung nahe kam.
"Chalyber waren in meiner Kindheit mein Lieblingsspielzeug." Mit einem hochmütigen Naserümpfen verschloss er die Scheibe. Doch vorher schickte er einen Kältezauber. Er wusste, dass Galesius leicht fror.
Nun zu den Chalybern. Wo waren denn die geblieben? Offenbar wollten sie sich nur beschweren und waren gleich wieder gegangen. Seufzend trank er den Kaffee aus und ging dann in sein Arbeitszimmer.
Er kam gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie ein Vangione Glasscherben auf eine kleine Schaufel fegte. Die getrockneten Krötenaugen! Ariobazo stieß ein entsetztes Japsen aus.
"Das kostet dich den halben Tageslohn!", schrie er wütend.
"Du hast mich erschreckt", verteidigte sich der Vangione.
"Wird nicht akzeptiert! Was hast du noch zerbrochen?"
"Gar nichts. Echt! Ehrlich! Das war das erste Glas. Die Fledermauseier sind ganz von allein heraus gerollt. Wir haben sie alle wieder eingesammelt", erklärte der Dämon treuherzig. "Glauben wir jedenfalls", fügte er leise hinzu.
Der Magier konnte nur gequält stöhnen. Wenn einer zufällig auf ein Fledermausei trat .... nein, daran wollte er gar nicht denken. Den Blick fest auf den Boden geheftet ging er in die Bibliothek. Dort schien alles in Ordnung.
"Wie lange braucht ihr noch?", fragte er einen Peucolen, der gerade eine Schriftrolle in einen der Körbe legte.
"Wir haben zwei Bücherregale geleert und von den Schriften werden gerade die krean hvorgit shaa verpackt", antwortete dieser bereitwillig.
Ein eisiger Hauch fuhr durch das Zimmer. "Unglücklicher!", brüllte Ariobazo. "Hab ich dir nicht gesagt, du sollst kein Nearchisch lesen?"
"Hab ich doch nicht", wehrte der Peucole ab. "Das hab ich auswendig gesagt. Ich bin eben gebildet."
Der Magier konnte dieses Gespräch nicht weiter führen. Jetzt musste er sich um eine Meute Brietas kümmern, die, nach allen Seiten Eispfeile verschießend, in seiner Bibliothek umher sprangen. Ariobazo schoss Feuerbälle auf sie ab, das beste Mittel, diese Sorte von Eisdämonen zu vertreiben. Heulend und zischend verschwanden sie in ihrer Dimension. Die Peucolen pflückten sich gegenseitig die Eiszapfen von den Schwänzen und arbeiteten wieder weiter.
Zitternd vor Wut ging Ariobazo in die Küche. Nach so einer Aufregung musste er etwas Süßes essen. In seiner magisch gekühlten Vorratskammer musste doch noch ein halber Kirschenkuchen sein.
Als er die Küche betrat schwante ihm Böses. Die Tür zur Vorratskammer stand weit offen und er hörte lautes Schmatzen. Mit zwei Riesenschritten war er am Ort des Geschehens. Ein Chalyber stopfte gerade den Rest des Kuchens in sein Maul.
"Verschwinde an die Arbeit!", schrie Ariobazo mit überschnappender Stimme.
Wie der Blitz verschwand der Chalyber aus der Küche. Als Trostpflaster nahm sich der Zauberer einen Grießpudding. Mit Schokoladestreusel war er sicher süß genug. Gesättigt ging er in sein Wohnzimmer und machte ein kleines Nickerchen.
Es war schon Mittag vorbei als er erwachte. Vor ihm stand ein Vangione.
"Wir sind fertig. Was sollen wir jetzt verpacken?", sagte er.
"Das Geschirr in der Küche. Ist noch genug Holzwolle da?"
"Noch vier Ballen. Aber die Kisten sind voll", antwortete der Vangione.
"Im Keller sind noch ..... nein, warte." Als er das letzte Mal in Galesius' Turm war, hatte er doch einige wunderschöne Kisten gesehen. Ein kurzer Spruch brachte sie in seine Küche. "Ihr könnt schon loslegen."
Jetzt begab er sich in sein Schlafzimmer. Dort schien alles in Ordnung. Seine Kleider lagen ordentlich gefaltet in den Koffern. Eben schlichtete ein Chalyber seine Socken in eine Reisetasche während ein anderer seine Unterhosen liebevoll faltete.
Na, wenigstens einmal ein Lichtblick, dachte Ariobazo und zog sich wieder in sein Wohnzimmer zurück. Mit einem einfachen Zauber entfachte er ein Feuer im Kamin und setzte sich dann mit einem Buch in seinen Schaukelstuhl. So, wie es aussah, würden die Dämonen heute noch fertig werden.
Das schien sich zu bewahrheiten, denn nach und nach kamen Vertreter der einzelnen Gruppen und verlangten weitere Aufgaben. Alles lief wie geschmiert. Am Abend bezahlte er die Horde und ging in sein Schlafzimmer. Da fiel sein Kinn nach unten. Die Chalyber hatten sein Bett abgezogen und auch die Vorhänge abgenommen und verpackt.
Nun, eine kleine Unannehmlichkeit. Mangels Bettwäsche schlief er zwischen zwei Tischtüchern.
Der Morgen traf ihn erfrischt und tatendurstig an. Jetzt musste das ganze Zeug noch weggeschafft werden. Fröhlich vor sich hin pfeifend ging er in sein inzwischen ziemlich kahles Wohnzimmer. "Eine schöne heiße Schokolade", bestellte er und schon erschien das Gewünschte.
Zeitgleich begann seine magische Scheibe zu blinken.
"Wer will denn jetzt etwas von mir?", fragte Ariobazo aufgeräumt und aktivierte den Zauber.
Natürlich war es Galesius. Aber das konnte ihn heute nicht aus der Fassung bringen. "Was gibt's, alter Freund?" fragte er mit fast ehrlicher Freundlichkeit.
"Wie sieht es denn bei dir aus!", rief Galesius mit gespieltem Entsetzen. "Hat man dich ausgeraubt?"
"Nein, woher denn? Ich ziehe doch um. Hast du das schon vergessen?"
Sein Lieblingsfeind wurde offenbar senil. Jetzt schnappte er anscheinend auch noch über, denn er brach in dröhnendes Gelächter aus. "Ich habe nichts vergessen!", rief er dann atemlos. "Aber du scheinst etwas vergessen zu haben. Wohin geht denn die Reise?"
"Nach ... äh, nach ..." Erschrocken erkannte Ariobazo, dass er nicht wusste, wohin er umzog. "Das geht dich gar nichts an!", erklärte er patzig.
"Nun, wenn du meinst", antwortete Galesius gleichmütig. "Aber vielleicht solltest du wissen, dass ich dir die Idee vom Umzug magisch in den Kopf gesetzt habe. Nur ein kleiner Zwang. He, he, he!" Eine spinnenfingerige Faust wischte durch das Bild, dann erlosch es.
Plötzlich erkannte Ariobazo glasklar, dass Galesius die Wahrheit gesagt hatte. Er hatte nie im Leben daran gedacht, umzuziehen. Warum auch? Dieses Haus war das gemütlichste, das er in vierhundert Jahren bewohnt hatte. Das würde er Galesius heimzahlen!
Geschäftig rannte er in sein Arbeitszimmer und trat auf ein Fledermausei. Der Gestank war umwerfend. Und schon tanzten rosa Dreiecke mit hellblauen Ringen vor seinen Augen. Die grünen Blitze hüpften auch dazwischen, obwohl die gelben Spiralen nach ihnen haschten.
Es dauerte zwei Stunden bis die Wirkung dieser Droge verpufft war. Ariobazo war erschöpft, doch sie hatte ihn auch auf einen Gedanken gebracht. Methodisch suchte er in den Kisten nach den notwendigen Zutaten.
Am Abend aktivierte er die Kommunikationsscheibe. Es dauerte, bis sich Galesius meldete. "Was willst du?", fragte er barsch und nieste heftig.
"Oje, bist du krank?" Ariobazo verzog in gespieltem Mitleid das Gesicht. "Soll ich dir eine gute Medizin schicken? Oder hast du nicht genug Heizmaterial?"
Galesius schickte ihm nur einen düsteren Blick und brach die Verbindung ab. ein schadenfrohes Kichern ließ Ariobazos Bauch wackeln. Galesius würde frieren, je mehr er heizte, umso mehr. Wie lange sollte er seinen Kontrahenten schmoren lassen? Einen Tag? Oder zwei? Ariobazo beschloss, so lange zu warten, bis alle seine Sachen wieder an ihrem Platz waren.

ENDE


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