STORIES


IN DIE SCHATTEN

Folge 16

von Thomas Kager



Unschlüssig zupfte Sven an seinem Anzug herum und betrachtete sich in dem großen Hotelzimmerspiegel. In seiner Zeit als Leibwächter beim Guardian Angel Sicherheitsdienst hatte er öfters Anzüge getragen. Das war erst vor gut drei Jahren, doch mittlerweile wirkte es auf ihn, als wären dies Erinnerungen an ein früheres Leben.
In einer gewissen Weise stimmte das auch, denn seit seiner Entführung galt er offiziell als tot. Tatsächlich hatte er jedoch in einem ehemaligen Sportstadion Schaukämpfe gegen andere Mitgefangene bestreiten müssen. Dabei hatte er die Bekanntschaft seiner jetzigen Freundin gemacht, die auf Grund ihres rasanten Kampfstils alle nur Wildfire nannten.
Nachdem die Polizei die illegalen Schaukämpfe ausgehoben hatte, waren sie beide gemeinsam mit Moonshadow, einer dunkelhäutigen elfischen Magierin im Seattler Megasprawl des Jahres 2054 untergetaucht. Ohne Habe und Identität standen sie damals praktisch vor dem Nichts und mussten sich mit Hilfe einer Straßengang erst langsam in den Schatten hocharbeiten. Mittlerweile war sie ein ganz gutes Team für Aufgaben, die offizielle Gruppen nicht übernehmen konnten oder wollten. Sie waren das, was in Konzernkreisen gerne als "freiberuflichen Sonderkräfte" bezeichnet wurde. In den Straßen besser bekannt als Shadowrunner.
Bei einer riskanten Rettungsaktion waren sie an die Kopie des Polizeiberichts über die Razzia in dem Sportstadion gelangt. Dieser hatte eine Reihe sehr interessanter Information enthalten. Wie erwartet, war er nicht vollständig gewesen, weil er auf Druck von oben vorzeitig abgebrochen worden war, und die meisten der Personaldaten waren entweder gelöscht oder gefälscht. Doch eine vielversprechende Spur hatten sie nach einiger Laufarbeit doch aufnehmen können.

Aus diesem Grund hatte sich Sven heute so in Schale geworfen. Er mochte gar nicht daran denken, dass der Anzug gut zwei seiner früheren Monatsgehälter gekostet hatte. Aber diese Ausgaben waren notwendig gewesen, denn dort, wo sie heute Abend hingehen wollten, war solche Art Kleidung eine Grundvoraussetzung, um überhaupt eingelassen zu werden.
Die Tür zum Schlafzimmer öffnete sich und Wildfire kam barfuss und mit einem überaus unglücklichen Gesicht heraus. Ganz entgegen ihrer sonstigen Gepflogenheiten trug sie ein elegantes schwarzes und schulterfreies Abendkleid, das ihr bis über die Knie reichte. Es betonte ihre trainierte Figur, ohne ihre muskulösen Körperpartien besonders hervor zu heben. Das schulterlange schwarze Haar war sorgfällig und im aktuellen modischen Stil auf die rechte Seite frisiert und mit einer schlichten silbernen Spange an ihrem Platz gehalten.
"Was?" schnappte sie giftig, als sie Svens offenen Mund bemerkte.
"Wow", war das Einzige, was er hervorbringen konnte. So gut angezogen hatte er seine Freundin noch nie gesehen. Wildfire stutzte verwundert, dann lächelte sie verlegen und errötete sogar ein wenig.
"Danke", erwiderte sie verschämt.
Sven trat einen Schritt zu Seite und machte ihr vor dem großen Spiegel Platz. Kritisch musterte sie ihr Spiegelbild und seufzte dann unglücklich.
"Das bin doch nicht ich", jammerte sie freudlos. "In dem engen Ding kann ich noch nicht einmal laufen, geschweige denn kämpfen. Und in den Schuhen, die mir Moonshadow aufschwatzen will, breche ich mir bestimmt noch die Knöchel."
Sven unterdrückte ein Grinsen. Er hatte noch immer den entsetzten und entrüsteten Aufschrei der pragmatischen und starken Halbindianerin in den Ohren, als ihnen die dunkle Elfe ihren Vorschlag das erste Mal unterbreitet hatte. Im Vergleich dazu hatte sich ihre Stimmung schon sehr gebessert.
"Ich denke nicht, dass du heute Abend laufen oder sogar kämpfen musst", beschwichtigte er sie. Er trat von hinten an sie heran und legte ihr das schlichte Silberkollier mit den eingelegten Türkisen um den Hals, das sie für diesen Anlass ausgeliehen hatten. "Du siehst wirklich atemberaubend aus." Sanft küsste er sie auf die bronzefarbene Haut ihrer Schultern und roch an dem dezenten Parfüm, das sie aufgetragen hatte. Sie lächelte abermals ein wenig verlegen über das Kompliment. Dann drehte sie sich zu Sven und musterte ihn aufmerksam. "Der Anzug steht dir aber auch ganz gut."
"Gewöhn dich nicht zu sehr daran", riet er. "Der ist nämlich mindestens genauso unbequem, wie dein Kleid." Beide lachten gelöst, dann küssten sie sich ausgiebig. Wie ähnlich sie sich doch waren.
Ein Räuspern ließ sie sich trennen. Moonshadow hatte das Zimmer betreten. Die dunkelhäutige Elfe trug ein bodenlanges nachtblaues Neckholder-Abendkleid mit einem langen Ausschnitt, der bis unter ihrem Nabel reichte. Das schneeweiße Haar floss offen über die Schultern und ließ ihre schlanke Gestalt noch größer erscheinen. Egal, was sie trug, sie sah immer beeindruckend aus, aber damit würde sie etliche bewundernde und neidvolle Blicke auf sich ziehen. Mit Sicherheit auch dort, wo sie heute Abend hingehen wollten. Selbst, wenn man dort an den Anblick von bildschönen und attraktiven Menschen gewöhnt war.
Ihre dunkelgrünen Augen mit den goldenen Einsprenkelungen musterten die beiden mit einem leicht spöttischen Unterton. Dann hielt sie Wildfire ein Paar dunkler Pumps entgegen.
"Das ist das Paar mit dem kleinsten Absatz, der zu solch einem Anlass passt." Die Halbindianerin wollte schon wieder protestieren, doch die Elfe kam ihr zuvor. "Du kannst über einen schmalen Pfosten im fünften Stock balancieren und zutreten, dass einem Troll die Luft wegbleibt. Also wirst du auch ein paar Stunden mit diesen Schuhen zurechtkommen."
Widerwillig gab sie sich geschlagen und zog die verhassten Schuhe an. Jedoch nicht ohne ein unverständliches Brummeln. Schließlich nahmen sie ihre Übermäntel und verließen das Zimmer. In der Hotellobby schaute der Portier zwar etwas komisch, weil sie so ganz anders aussahen, als noch vor ein paar Stunden, da sie die Zimmer gemietet hatten, sagte jedoch nichts. - Hatten sie sich doch als Reisende aus den UCAS vorgestellt, die sich in Seattle Downtown etwas vergnügen wollten.
Vor dem Hotel wartete Tinkerbell mit einer großen dunklen Limousine. Die kleine Elfenriggerin trug eine tadellose Fahreruniform und ihre langen blonden Haare waren zu einem vorbildlichen Pferdeschwanz gebunden. Noch ein Grund, warum sie sich für ihre Vorbereitungen ein Hotelzimmer genommen hatten. In so einem Aufzug und solch einem Wagen hätten sie in ihrer regulären Wohnung im Bezirk Puyallup nur unerwünschte Aufmerksamkeit erregt.
"Einen wunderschönen guten Abend, die geehrten Herrschaften", grüßte Tinkerbell überschwänglich, riss sich die Schirmmütze, die ausnahmsweise einmal nicht das Logo und die Farben der Seattler Supersonics trug, vom Kopf und verbeugte sich professionell. Als sie ihnen die Tür zum Fond aufhielt, konnte Sven ein amüsiertes Blitzen in ihren hellen Augen erkennen. Ihr schien das kleine Theater überaus großen Spaß zu machen.

Sanft setzte sich die luxuriöse Limousine in Bewegung. Nebenbei fragte sich Sven, ob die kleine Elfe den Wagen ausgeborgt hatte oder ob er Teil ihres scheinbar unübersehbaren Fuhrparks war. Aber bei nochmaliger Überlegung wollte er es gar nicht so genau wissen.
"Wildfire", sagte Moonshadow tadelnd und deutete der gegenüber sitzenden Frau zwischen die Beine. Mit einem tiefen resignierenden Seufzen schloss sie ihre Knie. Hatte sie doch sonst immer nur Hosen an und musste daher nicht so sehr auf diese Art von Etikette achten. Nur mit Mühe konnte Sven ein Grinsen unterdrücken, das ihm zumindest wieder einen giftigen Blick eingebracht hätte. Am Ziel ihrer kurzen Fahrt angekommen, musste Monshadow sie jedoch abermals ermahnte, als sie aussteigen wollte. "Der Fahrer öffnet die Tür. Sven steigt zuerst aus und hilft den Damen." Die Halbindianerin rollte resignierend mit den Augen, setzte jedoch eine vornehme Miene auf, als Tinkerbell die Wagentür öffnete.
Sven stieg aus und hielt seiner Freundin galant die Hand hin. Mit einem bezaubernden Lächeln ergriff sie die angeboten Hilfe und schwang ihre Beine aus dem Wagen, ganz so, wie man es von Angehörigen der oberen Gesellschaft gewöhnt war und wie sie es stundenlang geübt hatten. Moonshadow folgte ihr elegant und formvollendet. Gemeinsam stiegen sie die breiten Stufen nach oben und betraten den imposanten Empfangsbereich des Seattler Grand-Casinos.
Sie gaben ihre Übermäntel an der Garderobe ab und wiesen sich am Schalter aus. Sven hielt instinktiv den Atem an, als der Angestellte ihre gefälschten Identitäten überprüfte. Doch es gab nicht das geringste Problem. Schließlich waren ihre Ausweise teuer genug gewesen.
"Ich muss Sie noch darauf hinweisen, dass jeder Anwendung von Magie oder Cyberware innerhalb des Glücksspielbereiches untersagt ist."
Moonshadow lächelte nur gnädig über diese standardmäßige Belehrung, als wäre es weit unter ihrer Würde, dies auch nur ansatzweise in Betracht zu ziehen.
Nachdem sie den Empfangsbereich hinter sich gelassen hatten, trennte sich die dunkelhäutige Elfe von ihnen. Wildfire schlenderte bei Sven untergehakt durch die langen Reihen der Spielautomaten. Während sie vorgaben, sich interessiert die verschiedenen Unterhaltungsangebote und die überaus luxuriöse Innenausstattung anzusehen, musterten sie unauffällig, aber aufmerksam die vielen Gäste.
"Du hast ihn auch noch nicht entdeckt, oder?" fragte Sven leise und lehnte sich an den Spielautomaten. Wildfire schüttelte nur den Kopf, während sie wahllos auf irgendwelche Felder tippte, dabei aber mehr auf die leichte Spiegelungen der Gäste auf der Anzeige achtete. "Es war aber klar, dass wir nicht so schnell Glück haben werden. So unbeständig wie seine Spielgewohnheiten sind. - Was ist denn nun los?"
Überrascht blickten sie beide auf den blinkenden Bildschirm, während ein paar Spielmünzen in den Ausgabebereich klimperten. "Scheint so, als hättest du gewonnen", meinte Sven. "Vielleicht gehen wir ja noch mit einem Gewinn nach Hause, falls wir sonst keinen Erfolg haben."
Gut eine Stunde lang kontrollierten sie den weitläufigen Saal mit den Spielautomaten. Als sie sicher waren, niemanden übersehen zu haben, schlenderten sie langsam in den nächsten Bereich.
"Wie geht's deinen Füßen?" fragte Sven dabei leise seine Freundin.
"Die bringen mich noch um", quetschte Wildfire durch die zu einem charmanten Lächeln verzogenen Lippen.
Sven grinste in sich hinein und war froh darüber, dass die formelle männliche Mode sogar im 21. Jahrhundert immer noch ein wenig konservativ war und ihm daher solche Umstände ersparen blieben.

Im nächsten Saal wurden verschiedene Tischglücksspiele wie Roulett, Glücksrad und Würfelspiele angeboten. Obwohl Sven es gar nicht geglaubt hatte, war dieser Saal noch luxuriöser eingerichtet als der vorherigen. Große Kristallleuchter hingen von der Decke, die Vorhänge bestanden aus schwerem, rotem Samt und die Wände waren mit aufwändigen Stuckarbeiten und Malereien verziert. Die Kleidung der anwesenden Spieler stand der Ausstattung kaum nach. Die Kleider und Anzüge kosteten mehrere Monatsgehälter, an Fingern und um Hälse funkelten wertvolle Diamanten und Edelmetall und es wurde mit Summen jongliert, bei denen Sven schwindelig wurde. Obwohl sie ein Vermögen für die Kleidung und den geliehenen Schmuck ausgegeben hatten, wirkten Wildfire und Sven fast schon ein wenig underdressed. Trotzdem schlenderten sie weiter zwischen den Tischen umher und spielten die gehobenen Casinobesucher, die sich der luxuriösen Atmosphäre und der Zerstreuung hingaben.
Auch in diesem Saal hatten sie kein Glück und ihre Jetons gingen immer rascher zur Neige. Schließlich wechselten sie in den nächsten, noch exklusiveren Bereich.
"Dieses Biest hat ihn schon längst gefunden", schimpfte Wildfire plötzlich leise und nickte leicht in die Richtung einer größeren Gruppe. Langsam schlenderten sie dorthin und gesellten sich zu dem Publikum, das sich in angemessenem Abstand um einen einzelnen Spieltisch versammelt hatte. Wildfire hatte richtig gesehen.
An einem Ende des ovalen Tisches, saß Moonshadow. Ruhig, aufgerichtet, fast schon ehrwürdig. Vor ihr lagen, neben einem beachtlichen Stapel Jetons, mehrere sorgsam aufgereihte Karten auf dem grünen Filz. Acht offen, zwei verdeckt. Ihr gegenüber, am anderen Scheitel des Tisches saß ein Mann mit dichten blonden Haaren und hellblauen Augen. Den Kragen lässig geöffnet und die Ärmel seines Jacketts aufgerollt. Auch vor ihm stapelten sich Jetons und die gleiche Anzahl an Karten. Beide trugen bewusst Gelassenheit zur Schau, doch während diese bei der Elfe durchaus echt erschien, wirkte der Mann auf Sven ein klein wenig unruhig. Er fuhr sich mit den Fingern zwanglos durch das dichte blonde Haar, dann schob er eine der verdeckten Karten in die Mitte des Tisches, wo sich bereits eine beeindruckende Menge an Jetons befand.

"Eine Karte für den Herrn", verkündete der Geber an der Langseite des Tisches und platzierte eine neue Karte verdeckt vor ihm. Der Mann hob eine kleine Ecke an und besah sich seine Neuerwerbung. Dabei verzog er keine Miene. Inzwischen wandte sich der Geber an Moonshadow. Als diese nur ablehnend die Hand hob, ging ein Raunen durch die Zusehermenge. "Keine Karte für die Dame."
"Dabei hat sie ihre Karten noch nicht einmal angesehen", hörte Sven einen dicklichen Rentner aufgeregt seiner Frau zuflüstern. Sven selbst hatte keine Ahnung von den Regeln dieses Spieles, aber aus den aufgeregten Reaktionen konnte er so seine Schlüsse ziehen.
Moonshadow und ihr Mitspieler maßen sich über den Tisch hinweg mit Blicken. Schließlich lächelte der Mann selbstbewusst und schob mehrere Stapel seines Spielgeldes in die Mitte. Die Elfe erwiderte das Lächeln liebenswürdig und platzierte ebenfalls ihren Einsatz.
Daraufhin deckte der Geber eine Karte vor dem Mann auf. "Edelweiß Fünf für den Herrn", erklärte er. "Es besteht die Möglichkeit einer Kleinen Wolke oder eines Kleinen Volkes." Daraufhin wendete er eine Karte vor Moonshadow. Abermals lief ein Raunen durch das Publikum. "Der Schwarze Botschafter. Ein Kleines Volk. Es besteht die Möglichkeit zu einem Großen Volk."
Der Rentner neben Sven fing plötzlich heftig zu transpirieren an und sein Kopf färbte sich rötlich. Fahrig wischte er sich mit einem übergroßen Taschentuch über die Halbglatze, während ihm seine Frau beruhigend auf die Schultern klopfte. Sven hoffte, dass er nicht einen Herzschlag bekam.
"Wollen die Spieler Karten kaufen?" fragte der Geber, doch der Mann winkte lässig ab. Abermals hob Moonshadow nur leicht ihre Hand. Während sie sich wieder mit Blicken maßen, machte sich unter den Zusehern Unruhe breit, je länger die Zeit andauerte. Wieder lächelte der Mann und schob mehrere große Jetons in die Mitte. Sven schluckte, als er grob abschätze, dass auf dem Tisch nun weit mehr als doppelt so viel Geld lag, als er im letzten halben Jahr auch nur eingenommen hatte. Dabei waren ihre Aufträge durchwegs gut bezahlt gewesen.
Siegessicher lehnte sich der Playboy zurück und schenkte der Magierin ein breites Lächeln. Moonshadow erwiderte das Lächeln zuckersüß und schob mit einer eleganten Handbewegung ihr gesamtes Spielgeld in die Mitte. "All in!", kommentierte der Geber ihren Einsatz.
Während die Zuseher aufgeregt nach Luft schnappten (Sven hatte den Eindruck, der Alte neben ihm würde jeden Moment in Ohnmacht fallen) stutze der Blonde und musterte seine Jetons.

"Das ist etwas mehr, als ich gerade bei mir habe", gestand er etwas verlegen und blickte zum Geber. Dieser schüttelte bedauernd den Kopf. "Es tut mir sehr leid, Mister Chenault, aber Ihr Rahmen ist für diese Woche bereits ausgeschöpft."
"Tja", meinte er gedehnt an seine Mitspielerin gewandt. "So wie es aussieht, kann ich Ihren Einsatz leider nicht halten." Die Elfe nahm dies mit einem süßen Lächeln zur Kenntnis. "Aber würden Sie es akzeptieren, wenn ich anstatt des fehlenden Betrages ein exquisites Abendessen bei mir einsetzen würde?"
Während Wildfire überrascht die Luft einzog und Sven plötzlich heiß wurde, lächelte Moonshadows nur eine Spur breiter. "Sollte ein Wetteinsatz nicht ein wenig schmerzlich sein, anstatt die Aussicht auf eine Abendgesellschaft für Sie zu beinhalten? Mit scheint, Sie gewinnen in jedem Fall, ganz egal, wie unser kleines Spiel hier ausgeht."
Nonchalant breitete der Mann seine Arme aus, doch bevor er etwas erwidern konnte, hob die Elfe abwehrend ihre Hand. "Ich bin einverstanden."
"Der Einsatz wurde akzeptiert", bestätigte der Geber förmlich und schloss damit die Runde. Abermals deckte er die Karte vor dem Spieler als erstes auf. "Der Rote Botschafter. Ein Kleines Volk in Rot." Der dickliche Rentner neben Sven kiekte unterdrückt auf und schnappte mühsam nach Luft. "Ein Kleines Volk komplett in Rot. Selbst wenn sie nun einen Magier hat, ist sie nicht höher. Außer sie hat ihn in Schwarz. Aber das ist so gut wie unmöglich bei dem gemischten Stapel. Und sie hat sich ihre letzte Karte immer noch nicht angesehen", jammerte er herzerweichend. Sven musste sich mühsam ein Grinsen über die Aufregung des offensichtlich passionierten Spielers verkneifen.
Der Mann am Spieltisch grinste breit und siegessicher, doch Moonshadow lächelte ihn immer noch zuckersüß an. Der Geber wollte gerade ihre Karte aufdecken, als sie in einer eleganten Handbewegung über die Karte strich, sie aufnahm und inmitten ihrer anderen platzierte. Für einen Augenblick war es absolut still.
"Der Schwarze Magier", verkündete der Geber gefasst. "Ein Großes Volk in Schwarz. Die ganze Welt für die Dame. - Ich gratuliere."
Während der Blonde reichlich belämmert auf die Karten starrte und so aussah, als hätte man ihm gerade sein Weihnachtsgeschenk vor der Nase geklaut, kam Leben in das Publikum. Einige klatschten dezent, andere gratulierten Moonshadow offen zu ihrem Spiel, was diese wohlwollend und ganz die große Dame spielend entgegen nahm. Der alte Spieler musste von seiner Frau zu einem Stuhl geführt werden, auf den er sich schwer fallen ließ. Dabei schniefte er immer wieder ungläubig. "Ein Großes Volk in Schwarz. Eine ganze Welt. Dass ich das noch erleben darf..."
Während sich die Menge langsam zerstreute und dabei immer noch ausführlich das Spiel diskutierte, erhob sich Moonshadow, schob dem Geber eine größere Spielmarke zu und bat ihn, ihren Gewinn in Nuyen zu wechseln und am Schalter für sie zu hinterlegen. Dann kam sie auf Wildfire und Sven zu. In ihren Augen blitzte es aufgeregt. Ihr schien das Spiel und der Nervenkitzel offenbar großen Spaß gemacht zu haben.
"Ich nehme an, wir können dir gratulieren", meinte Wildfire etwas doppeldeutig und ein wenig eingeschnappt. Die dunkelhäutige Elfe lächelte nur salopp. Noch bevor sie etwas erwidern konnte, trat der blonde Mann zu ihnen und deutet vor Moonshadow eine Verbeugung an.
"Verzeihen Sie bitte meine Unhöflichkeit, aber Sie haben mich ziemlich überrascht. Es ist schon etwas länger her, seitdem ich das letzte Mal ein Kleines Volk auf der Hand hatte. Und noch länger ist es her, dass dieses übertroffen wurde."
"Kein Grund sich entschuldigen", meinte Moonshadow wohlwollend lächelnd. "Sie waren ein überaus interessanter und herausfordernder Gegner."
"Dieses Kompliment kann ich nur zurück geben. Es ist schwer, jemanden zu finden, der das Spiel der Großen Welt so virtuos beherrscht und noch dazu so bezaubernd schön ist. Fast bin ich froh darüber, das Spiel verloren zu haben und meine Wettschuld bei Ihnen begleichen zu dürfen. Es ist mir eine große Ehre, Sie bei einem erlesenen Abendessen wieder begrüßen zu dürfen. Das gilt natürlich auch für Ihre Freunde."
Sven und Wildfire waren über diese unerwartete Einladung überrascht. "Es wäre uns eine große Freunde", schaffte die Halbindianerin trotzdem zu säuseln.
"Sehr schön", erwiderte der Blonde und schien aufrichtig erfreut darüber zu sein. "Vielleicht ergibt sich die Gelegenheit zu einem weiteren, überaus interessanten Spielchen. Wohin darf ich meinen Fahrer schicken, um Sie abzuholen?"
"Wie haben einen überaus fähigen Chauffeur", entgegnete Moonshadow ausweichend.
"Natürlich", meinte der Blonde lächelnd, fischte eine Visitenkarte aus seinem Jackett und überreichte sie der Elfe galant. "Dann darf ich Sie am Freitag um 20 Uhr in meinem bescheidenen Heim erwarten?"
"Wir werden da sein."
Der Blonde küsste formvollendet Moonshadows Hand und verbeugte sich noch einmal vor Sven und Wildfire. Dann verließ er den Ort, an dem er gerade ein Vermögen verloren hatte.

***


Kaum war die Wagentür hinter ihnen zugefallen, zog sich Wildfire schon die Schuhe von ihren Füßen. !Ah, ich werde nie wieder laufen können!!, jammerte sie, streckte die Beine aus und bewegte kräftig ihre Zehen, um den Blutfluss anzuregen. Sven grinste breit und legte sich ihre Beine auf den Schoß. Während sich die Limousine in Bewegung setzte, begann er damit, die Fußsohlen seiner Freundin sorgfältig zu massieren. Behaglich schnurrend sank sie in das weiche Leder zurück und entspannte sich.
"Ich denke, wir können mit dem Abend zufrieden sein", meinte Moonshadow.
"Die Kontaktaufnahme zu unserem Mister Chenault lief weitaus besser, als geplant", bestätigte Sven. "Besonders, da er uns so rasch wiedersehen will. Uns alle."
"Man könnte fast misstrauisch werden und eine Falle vermuten", unkte Wildfire. "Wir wissen aus der kopierten Polizeiakte, dass er bei der Großkampfveranstaltung, die die Polizei damals gesprengt hatte, unter den Zusehern und Wettteilnehmern war. Gut möglich, dass er auch schon vorher bei den Schaukämpfen anwesend war. Dabei hat er uns sicherlich schon gesehen. Erinnert euch an diese BTL-Chips auf denen unsere Kämpfe abgespeichert sind. Der Chipdealer und der Junkie haben uns auch erkannt."
"Diese Möglichkeit müssen wir natürlich bei der Planung unserer weitern Vorgehensweise berücksichtigen", pflichtete Sven seiner Freundin bei und auch Moonshadow nickte zustimmend.
"Sag mal, hast du bei dem Spiel eigentlich gezaubert, oder nicht?" konnte Sven sich die Frage nicht verbeißen, obwohl er sich die Antwort bereits denken konnte.
"Der Einsatz von Magie ist im Glücksspielbereich doch verboten und die Betreiber wachen sehr streng darüber", erwiderte die fähige Magierin ausweichend und lächelte geheimnisvoll. Sven gab es auf. Sie würde sich wohl niemals in ihre Karten blicken lassen.
"Trotzdem hättest du uns Bescheid geben können, dass du ihn gefunden hast", warf Wildfire ein. "So hattest du den ganzen Spaß alleine."
Die dunkle Elfe nahm den Vorwurf mit einem gelassenen Lächeln entgegen. "Keine Sorge, am Freitag wirst du von Anfang an bei dem Spaß dabei sein."
"Wo liegt eigentlich seine Wohnung?"
"Penthouse", verbesserte Moonshadow. "Michael Chenault gibt sich nicht mit Banalitäten ab."
Wildfire seufzte schwer auf. "Penthouse. Muss ich da wieder diese verdammten Schuhe anziehen?"
Sven musste ich auf die Lippen beißen, um nicht lauthals loszulachen.
"Das wäre sicherlich von Vorteil", entgegnete die Elfe, um aber sofort zu beschwichtigen: "Ich denke jedoch nicht, dass du bei dem versprochenen Abendessen viel herumlaufen musst."
"Ansonsten massier ich dir danach wieder die Fuße", wagte Sven hinzuzufügen was ihm einen giftigen Blick und einen nicht ernst gemeinten Tritt gegen die Brust einbrachte. Er nahm es vielmehr als Aufforderung in seinen Bemühungen fortzufahren.
"Und wie wollen wir vorgehen?" fragte Wildfire und ergab sich in ihr Schicksal, das vielleicht doch noch die eine oder andere Annehmlichkeit versprach.
"Nun", begann Moonshadow und ein anzügliches Lächeln umspielte ihre Lippen. "Wie wir ja bereits wissen und nun auch selbst gesehen haben, wagt Mister Chenault sehr gerne ein kleines Spielchen. Also, lasst uns spielen."

Wird fortgesetzt...


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