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ZEITWEISE ZEITLOS - GLÜCK UND UNGLÜCK

von Andreas Leder



Der Bereich, in der ich mich befand, war nicht die schönste Ecke der Gegend, die ich zu kontrollieren hatte. Die Zeithügel waren steil und schroff, auf den Gipfeln brauste ein ewiger Zeitsturm und immer wieder trieben Fetzen von losgerissenem Zeitnebel vorbei. Die Zeitwege waren staubig und unwegsam, nebenbei offenbarten sie sich mir in einem furchtbaren Zustand. Hier war schon seit einigen Ewigkeiten kein neues Zeitalter angebrochen. Am liebsten wäre ich umgekehrt. Aber zu meinen Aufgaben gehört es auch, dann und wann, hier vorbei zu schauen. Und weil es hier so unwirtlich war, lag zwischen dem Dann und dem Wann meistens doch eine größere Zeitspanne. Die Gegend hatte keinen Namen, sie war kein eigenes Zeitalter, und schon gar kein Universum für sich. Am liebsten hätte ich es verschwiegen, trotzdem dieses Gebiet Teil des Ganzen war und natürlich auch seinen Zweck hatte.
Weggeworfene Stunden, Tage und Monate begannen sich am Wegrand zu häufen. Das waren die sichersten Anzeichen dafür, dass ich mich der großen Müllhalde mit dem Zeitabfall näherte. Der Zeitpfad führte mich über einen hohen Pass, der aussah wie eine umgefallene Sanduhr. Dann lag die ganze Misere vor mir. Fragmente zerborstener Jahre, wie von Titanenfäusten tot geschlagene Stunden, und dazwischen der spitze und grobkörnige Sand zerriebener Sekunden und verschleuderter Minuten. Über allem lag der dumpfe und muffige Geruch verlorener und vertrödelter Zeit.
Jeder Zeitabfall wurde hier gesammelt. Und waren die Zeitsplitter noch so klein, noch so unscheinbar, im regulären Zeitablauf hatten sie nichts verloren. "Die Zeit muss ungestört fließen können", predigte Aeternus immer wieder. Also wurde jedes noch so kleine und potentielle Hindernis für den Fluss der Zeit hier deponiert.
Am schlimmsten waren die technischen Fragmente, die sich in einer Ecke stapelten. Na, ja, Ecke war vielleicht untertrieben. Damals, als ich meine Tätigkeit als Zeitwächter aufgenommen hatte, da war es noch eine kleine Ecke gewesen, in der die Reste von kaputten Zeitmaschinen, ausgebrannten Zeitumformern, vergessenen Nullzeitdeformatoren und wie sie alle genannt wurden, herumlagen. Jetzt nahmen die maschinellen Überreste und Geräte schon bald ein Viertel des ganzen Platzes ein. So war das eben mit der Zeit.
Mit der Zeit nämlich erreichten viele Intelligenzwesen großes technisches Wissen und dann bauten sie Maschinen, um sich im Fluss der Zeit zurück zu bewegen, weil sie glaubten, dadurch verlorene Zeit wieder zurückzubekommen. Hier sollten sie einmal vorbeischauen, dann würden sie erkennen, wie töricht dieses Unterfangen war.
Vorsichtig betrat ich die Müllhalde. Ich konnte etwas Einfluss nehmen und einige Zeitfragmente und -splitter wieder in den normalen Zeitfluss einordnen. Nicht, dass damit jetzt der ganze Müllplatz wieder leer gewesen wäre, aber etwas Platz konnte ich doch wieder schaffen.

"Danke, jetzt kann ich mein Haus noch einmal bauen", hörte ich eine Stimme hinter mir.
Ich drehte mich um und sah eine mir vollkommen unbekannte Gestalt. Er war etwa so groß wie ich, jedoch etwas schmäler und die untere Gesichtshälfte verdeckte ein auffallend langer, grauer Bart.
"Kennen wir uns?" wollte ich wissen.
"Nein, wir kennen uns nicht, und ich denke, dass das auch so gut ist", kam die doch recht ruppig klingende Antwort.
"Es tut mir leid, wenn ich dich gestört habe, aber es ist ganz außergewöhnlich, hier jemanden anzutreffen," startete ich den Versuch einer Erklärung.
"Du brauchst kein Süßholz zu raspeln," polterte er weiter "und dass ich hier und nicht woanders bin, hat schon seine Gründe."
"Würdest du mir diese Gründe nennen?"
"Nein, sicher nicht. Das geht dich nichts an. Und jetzt verschwinde wieder!"
Der war aber schlecht drauf, und dann wollte auch noch, dass ich einfach so weiter gehe. Es sollte mich nicht interessieren, wer er war, was er hier tat und wie er hierher gekommen ist - wenn ich meine Aufgaben so sehen würde, wäre ich nicht Zeitwächter geworden.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust, atmete tief durch und schaute ihn mir genauer an. Jetzt war ich aber schlecht drauf.
"Damit das von vornherein klar ist, lieber Freund,..."
"Ich bin nicht dein lieber Freund!" unterbrach er mich.
"Damit das von vornherein klar ist, unfreundlicher Fremder! Ich bin hier der Zeitwächter und mich schickst du nicht fort. Du hast jetzt zu erklären, wer du bist, was du hier machst und wie du hierher gekommen bist."
Präpotent und patzig, wie alles, was von ihm kam, war auch diese Antwort: "Das geht dich aber nicht einmal ein halbe Sekunde was an!"
Ich gebe zu, von so viel Unfreundlichkeit war ich jetzt schon überrascht. Es war klar, dass er ein Wesen mit besonderen Kräften sein musste. Er wäre sonst nicht auf den Müllplatz der Zeit gelangt und könnte hier auch nicht leben. Ich musste bei meiner Aufräumaktion seine Unterkunft zerstört haben, die er großspurig ‚Haus' genannt hatte. Dementsprechend vorsichtig musste ich also vorgehen.
Ich sah ihn prüfend an und tat, als müsste ich nachdenken. Unterdessen bereitete ich eine Überraschung für ihn vor.
"Noch einmal zum mitdenken", begann ich um etwas Zeit für meine Überraschung zu gewinnen, "du hast keine Berechtigung, dich hier aufzuhalten. Wer bist du, was machst du hier und..."
"Ich bin nicht blöd, Zeitwächter", zischte er mir entgegen. "Ich weiß was du mich gefragt hast und wenn du mir zugehört hättest, dann wüsstest du auch, was ich gesagt habe. Also geh wem anderen auf die Nerven, aber nicht mir. Auf nie mehr wieder sehen!"
Und fort war er.
Jetzt war ich wirklich überrascht. So verschwand üblicherweise nur Aeternus, der dabei, keiner wusste wie, die Zeit irgendwohin schob oder bog.
Aber vielleicht hatte ich Glück und meine kleine Überraschung führte mich wieder zu meinem "Müllmann".

Noch bevor ich mich daran machen konnte, ihm zu folgen, traf mich etwas an der Schulter. Nein, ich hatte kein Glück. Er hatte den kleinen Zeitanker entdeckt, den ich ihm angeheftet hatte. Diese Überraschung war also misslungen. Gut, dann musste ich also Detektiv spielen. Ich musste mehr über ihn herausfinden.
Mein erster Anhaltspunkt konnte nur das ‚Haus' sein, das er hier aufgebaut hatte, so geschickt, dass es mir nicht aufgefallen war.
Ich überlegte: Ein Müllhaufen ist ein heterogenes, also ein uneinheitliches System. Ein künstlich geschaffenes Haus zeichnet sich dadurch aus, dass es in einem heterogenen System einen homogenen, also einheitlichen Fremdkörper darstellte. Ich musste also nur so eine Stelle finden, dann hatte ich ganz sicher auch sein ‚Haus' gefunden.
Bei meiner Suche ging ich den selben Weg zurück und richtete meine Blicke und Sinne in die nähere Umgebung. Ich musste nicht weit gehen, da spürte ich den homogenen "Fremdkörper", den ich erwartet hatte, inmitten dieses Durcheinanders. Den Eingang hatte ich auch bald gefunden. Aber in dem ‚Haus' sah es ziemlich chaotisch aus. Es schien mir, als hätte er ein paar besonders große Zeitsplitter und -vektoren als Stützen verwendet und ich hatte diese Teile wieder zurück in den normalen Zeitablauf geschickt. Trotzdem blieben noch genügend Räume zurück, die mir mehr als genug über ihn verrieten.
Als ich das kleine, glänzende Ding vor mir liegen sah, beschlich mich ein unangenehmes Gefühl. Ganz besonders unangenehm, weil es plötzlich seine Form und Farbe zu verändern begann und größer wurde.
Jetzt war es an der Zeit, etwas Abstand zu gewinnen, sowohl räumlich, als auch zeitlich. Ich ging also ein paar Sekunden und einige Schritte zurück, wandte mich zur Seite und verlies dieses "Haus" so schnell ich konnte und vor allem auf einem anderen Weg, als ich hereingekommen war. Schließlich wollte ich mir nicht selbst begegnen, denn ich war mir ja nicht begegnet und die Vergangenheit wollte ich auch nicht leichtfertig ändern. Ich verließ das Haus nur wenige Momente, nachdem ich es betreten hatte und machte mich sofort auf die Suche nach Zeitvektoren, die ich verwenden konnte, das drohende Unheil abzuwenden. Die Vektoren hatte ich schnell gefunden, Schwierigkeiten hatte ich nur, die notwendigen Ankerpunkte zu befestigen, aber da ich zuvor etwas aufgeräumt hatte, war es nicht weit bis zum stabilen Untergrund.
Ich hätte nicht länger brauchen dürfen, denn in diesem Moment waren die Sekunden vorbei, die ich zurückgegangen war und eine machtvolle Zeitsenke breitete sich aus. Ich spürte, dass sie größer und stärker war, als alle Zeitsenken, mit denen ich bisher zu tun gehabt hatte. Durch die verankerten und ausgerichteten Zeitvektoren wurde sie aber schon nach wenigen Momenten aufgehalten, sonst hätte sie mit einem Großteil des Mülls hier unkontrolliert reagiert und vermutlich ein Chaosloch gebildet. Wahrscheinlich hätte ich dann länger zu tun gehabt, diesem Zeitchaos zu entkommen.
Nun, mein Freund, auch wenn du ein Wesen mit besonderen Kräften bist, für diesen Anschlag auf meine Zeit wirst du dich noch verantworten müssen.
Langsam füllte ich die Zeitsenke mit den richtigen Zeitsplittern auf, die ich aus dem herumliegenden Zeitmüll suchte, so lange, bis sich die ganze Erscheinung auflöste. Damit hatte mein unbekannter Gegenspieler einen deutlich größeren Vorsprung erreicht, als mir lieb war. Seine Spur war im Zeitstrom so gut wie zerflossen. Ich musste mich etwas länger konzentrieren, bis ich die Reste seines gewaltsamen Zeitdurchganges zu einer gedachten Linie zusammen gesetzt hatte. Wahrscheinlich war es meine äonenlange Erfahrung, die mich davon abhielt, der Spur sofort zu folgen. Man konnte ja nie wissen...
Ich hatte ihn richtig eingeschätzt. Am Ende seiner Spur, die er irgendwie verfälscht hatte, wartete ein Schwarzes Loch auf mich und vor diesen Dingern hatte ich einen gehörigen Respekt. Fingen sie einen einmal ein, konnte es leicht eine halbe Ewigkeit dauern, bis man sich daraus wieder befreit hatte. Da ich aber mit einer Gemeinheit gerechnet hatte, war ich vorher mit einem kleinen Zeitrutsch zur Seite ausgewichen.
Ich fühlte seine Spur im Kopf, wie das prickeln eines erfrischenden Getränks am Gaumen. Sie führte direkt in das Schwarze Loch und ich kannte kein Wesen, vielleicht Aeternus ausgenommen, das so auf die Schnelle mal in einem Schwarzen Loch einen Boxenstop einlegte. Aber auch das waren nur Gerüchte zwischen den Zeitquanten.
Wenn die Spur aber nicht in das Schwarze Loch hineinführte, musste sie knapp vorher aufhören. Da war aber nichts! Oder doch? Hatte er das vielleicht auch irgendwie ge- oder verfälscht?
Tatsächlich! Nur einen Zeitquant vom Ereignishorizont entfernt bemerkte ich nach längerem Suchen eine kleine Zeitspalte. Nun ja, so klein sie auch in diesem Universum scheinen mag, das sagte nichts über ihre wahre Größe aus. Vorsichtig griff ich nach ihrem Rand. Dabei musste ich sehr aufpassen, denn die Entfernung zum Ereignishorizont war schon so minimal, dass ein ungeübter Zeitwächter seine Probleme gehabt hätte. Wozu hatte mich Aeternus Ewigkeiten lang sekkiert und geplagt - jetzt zahlte sich die Schinderei aus! Ich erweiterte also die Zeitspalte und sah vorsichtig hinein. Es war nicht das erste mal, dass ich mit so einer Erscheinung zu tun hatte (*), aber diese hier fühlte sich doch recht ungewöhnlich an. Ich hatte einen Verdacht....

Vorsichtig zwängte ich mich durch, blockierte die Zeitspalte mit einem kleinen Zeitvektor, den ich mit einem Ankerpunkt befestigte. Jetzt sollte ich den Eingang nicht so schnell aus meinen Sinnen verlieren. Eine diffuse Helligkeit - oder sollte ich Dunkelheit sagen - empfing mich. Der Weg war hart wie gewachsener Felsen, ausgetreten wie ein Trampelpfad in der Savanne und überall lagen Zeitsplitter herum, die sich seltsamerweise nicht bewegen ließen. Überhaupt fühlte ich mich nicht wohl in meiner Haut.
Nachdem ich ein paar Zeitsprünge vorwärts gegangen war, geschahen zwei Ereignisse gleichzeitig. Ich fühlte, dass der Ankerpunkt, mit dem ich den Zeitvektor an der Zeitspalte befestigt hatte, gelöst wurde und zusätzlich wurden zwei Persönlichkeiten spürbar, von denen ich eine gut, die andere nur flüchtig kannte. Ich drehte mich um, spurtete zum Ausgang der Zeitfalte und sah, wie zwei Personen wild ringend hinausstolperten. Der Eine hatte aber noch die Zeit und Unverfrorenheit, die Zeitspalte zu schließen. Jetzt ging es wirklich um Yoccto-Sekunden, die über mein Wohl und Wehe entschieden. Zum Glück schaffte ich es, mit der ausgestreckten Hand das Zuschnappen der Zeitspalte zu verhindern. Dabei berührte ich jedoch mit den Fingerspitzen den Ereignishorizont des Schwarzen Lochs, das tat jetzt aber verdammt weh. Wahrscheinlich war die Haut weggerissen und die Fingernägel hatten sich in ihre Zeitquanten aufgelöst. Aber egal, ich zog und schob mich langsam durch diese Enge, versuchte, nicht noch einmal den Ereignishorizont zu berühren und musste zusätzlich einigen wild herumschlagenden Armen und Beinen ausweichen, die von den zwei Raufbolden stammten.
Nachdem ich endlich durch war, hielt ich die Zeit in der Umgebung an, was die zwei aber nicht wirklich störte. Klar, in dem einen erkannte ich Aeternus, ihn konnte ich nicht beeindrucken. Der andere war der arrogante Typ mit dem langen grauen Bart, dessen ‚Haus' ich auf der Müllhalte der Zeit unabsichtlich zerlegt hatte. Er verfügte über ähnliche Kräfte, wie ich. Also was tun? Einfach auf einen großen Zeitbrocken setzen und warten, bis einer der beiden mit eingeschlagenen Zähnen aufgab? Das war nicht meine Art.
Langsam begann ich die zwei und mich in eine Zeitfalte einzupacken, deren Eingang ich in meine linke Hosentasche steckte. Dann ließ ich die Zeitfalte schrumpfen, immer weiter, bis wir drei nur mehr eng aneinandergepresst nebeneinander stehen konnten. Jetzt erst kamen die zwei zur Vernunft.
"Aequalis! Was soll das?" entrüstete sich Aeternus schwer atmend.
Der andere stand einfach nur da und hätte mich und Aeternus am liebsten erwürgt, wenn er nur seine Arme hätte bewegen können.
"Ich würde sagen, ihr benehmt euch jetzt wie erwachsene Männer, dann können wir uns gemütlich hinsetzen und bei einem kleinen Plausch unsere Meinungsverschiedenheiten ausdiskutieren", erwiderte ich. "Solltet ihr aber nur wie zwei Wilde wieder aufeinander einschlagen, dann verschwinde ich von hier und lasse euch alleine, aber so, dass ihr euch nicht bewegen könnt. Was ist euch lieber?"
Der Fremde sagte noch immer nichts. Aeternus schaute ihm prüfend in die Augen. Nach einigen Sekunden senkte der den Blick und meine: "Gut, wenn Aeternus verspricht vernünftig zu sein, dann bin ich es auch."
Aha, er kannte also Aeternus. Das war ja ein Ding!
Aeternus schaute den Fremden an und versprach: "Gut, ich werde vernünftig sein."
Also vergrößerte ich die Zeitfalte und wir konnten uns alle auf den Boden setzen.
"Ich eröffne hiermit die Selbsthilfegruppe gegen persönliche Gewalt, ..." begann ich etwas sarkastisch, aber Aeternus fiel mir sofort ins Wort.
"Red' nicht so einen Quatsch, Aequalis. Auch wenn du schon viel weißt und viel gesehen hast, meinen Bruder kennst du noch nicht. Hier, neben uns sitzt Peregrinus, er ist mein Bruder."
Ja, Aeternus schaffte es immer wieder, mich sprachlos zu machen. Daher sagte ich auch nichts und ließ einfach ihn reden.
"Vor vielen, vielen Zeitaltern, da war noch nicht die Zeit von dir zu reden, teilten sich Peregrinus und ich meine jetzige Arbeit. Wir schulten die Zeitwächter und teilten sie ein. Wenn es ein Problem gab, konnten wir es sehr schnell lösen, denn einer von uns war sicher in der Nähe. Dann aber wurde die Aufgabe meinem lieben Bruder zu groß..."
"Du redest schon wieder so viel Blödsinn..." ließ sich Peregrinus vernehmen, "mir wurde die Sache zu fad, verstehst du das nicht oder willst du es nicht verstehen? Nichts tat sich, hin und wieder eine kleine Zeitanomalie, kaum einmal ein Chaosloch - das waren einfach keine Herausforderung für mich. Ich war schlicht und einfach unterfordert und daher unglücklich. Einer von uns konnte mit dieser Aufgabe spielend leicht fertig werden."
"Und da hast du beschlossen, dass ich wohl der Glückliche sein müsse, der diese Aufgabe alleine erbt." Aus Aeternus' Antwort spürte ich eine gewaltige Menge Frust und Enttäuschung. Das war es also! Die Enttäuschung, dass ihn sein Bruder im Stich gelassen hatte und er alleine weiter machen musste, damit nicht alles auseinander flog oder in Stücke fiel.
"Natürlich du", meine Peregrinus. "Du warst das große Organisationstalent, du warst der, der die meisten Zeitwächter rekrutierte, du hattest einfach die besseren Voraussetzungen dafür!"
Aeternus ging nicht darauf ein, als er weiter sprach. "Mein Bruder machte sich also aus dem Staub und ließ mich zurück." Jetzt wandte er sich direkt an Peregrinus. "Was hast du eigentlich die ganze Zeit gemacht?"
Peregrinus lächelte, schüttelte den Kopf und fragte: "Das hast du nicht bemerkt? Ich habe den Raum zwischen den Zeitquanten gesammelt", kam die für Aeternus und mich erstaunliche Antwort ganz lapidar über seine Lippen.
"Ich pack es nicht", Aeternus war wirklich überrascht, "du wolltest einen zeitlosen Raum schaffen."
"Ich wollte nicht nur, ich habe ihn geschaffen. Jetzt aber ist er wieder dahin, vorbei, gewesen." Spöttisch neigte er den Kopf in meine Richtung. "Dank deines Einsatzes habe ich nun dieses Rückzugsgebiet auch verloren."
Das war es also gewesen, was ich in der Zeitspalte neben dem Schwarzen Loch gespürt habe und warum ich mich so unwohl gefühlt habe. Dort war keine Zeit geflossen!
Sollte ich jetzt ein schlechtes Gewissen haben - ich entschied mich dagegen, schwieg aber zu dem Vorwurf. Aeternus war der Sprecher und diese Rolle tat ihm sichtlich gut, stellte ich fest.
Er stand auf, streckte er Peregrinus die Hand hin und sagte: "Vergessen wir, was gewesen ist, arbeiten wir wieder zusammen. Gemeinsam sollten wir alle Probleme dieser Universen aus der Zeit schaffen."
Peregrinus sah zu ihm hoch, erhob sich umständlich, klopfte einige imaginäre Zeitschnipsel von der Jacke und schaute seinem Bruder in die Augen.
"Meinst du es ehrlich?"
"Ja, Peregrinus, ich meine es ehrlich. Lass uns den Streit und die äonenlange Trennung überwinden."
Da ergriff Peregrinus Aeternus Hand und sie fielen sich in die Arme.
"Eine Bedingung habe ich aber", Peregrinus grinste schelmisch bei diesen Worten.
"Und die wäre?" wollte Aeternus natürlich wissen.
"Du erzählst diese blöde Geschichte vom fremden Kindesentführer nicht mehr. Okay?"
"Okay!" stimmte Aeternus zu. Lachend fielen sie sich wieder in die Arme.
"Und jetzt," dabei schaute Aeternus mich scharf an, "machst du, dass wir hier wieder heraus kommen. Halt! Wo ist denn der Eingang in diese Zeitfalte?"
Sowohl Peregrinus als auch Aeternus suchten die Stelle, an der sie die Zeitfalte wieder verlassen konnten. Da ich aber den Eingang in der geballten Hand hielt und noch dazu in die Hosentasche gesteckt hatte, konnten sie ihn nicht finden und wurden sichtlich nervös. Eingesperrt zu sein war etwas, dass die zwei sicher nicht lange aushielten.
"Sag' es!" herrschte mich Aeternus - wieder ganz Chef - an.
Überlegen grinste ich. Den Triumph wollte ich noch etwas auskosten. Natürlich musste ich die Zeitfalte gleich aufmachen, mein Geheimnis wollte ich mir aber nicht entreißen lassen. Um die zwei abzulenken, ließ in meiner rechten Hosentasche die Zeit kurz stehen. Prompt fielen sie darauf herein und richteten ihre Aufmerksamkeit dahin. Explosionsartig ließ ich den Eingang in die Zeitfalte aufspringen und trat hinaus.
Mit einer Handbewegung - die übrigens dazu gar nicht notwendig ist, aber gut aussieht - glättete Aeternus die Zeitfalte und sah mich prüfend an.
"Mir scheint, du bist doch besser, als ich vermutet habe." Dann waren er und Peregrinus wieder verschwunden.
Wieso lobte mich Aeternus in der letzten Zeit so auffallend oft? Hatte er meinen kleinen Taschenspielertrick doch nicht mitbekommen?
Was soll's!
Ich machte mich also langsam auf den Rückweg. Zeit hatte ich schließlich genug.



(*) siehe FM 50: Zeitweise zeitlos, S. 96


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