STORIES


GOLCONDA

Folge 1

von Susanne Stahr



Marisibill

Arwed hüpfte nervös um die Möbelpacker herum. Endlich war es soweit. Er bekam ein Bett. Sein Bett! Zwei Monate hatte er auf dem nackten Fußboden geschlafen. Das war nun endlich vorbei.
"Geh zur Seite, Meister", forderte einer der beiden Trolle mürrisch.
Arwed konnte Trolle nie voneinander unterscheiden. Alle waren groß, grün, fett und hässlich. Möbelpacker war der ideale Beruf für sie. Schnell trat er in sein noch leeres Schlafzimmer. "Hierher, meine Herren." Er deutete mit einem sorgfältig manikürten Finger auf die Mitte des Zimmers. "Aber vorsichtig!"
Die Trolle maßen ihn verächtlich und placierten das Bett an der gewünschten Stelle. Während der eine die schützenden Decken ablöste, präsentierte der andere Arwed die Rechnung. Der junge Magier-Detektiv zählte die Summe penibel in die grüne Pranke und legte noch ein wenig Trinkgeld dazu. Der schartige grüne Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen und entblößte nadelscharfe Fangzähne. "Es war uns ein Vergnügen, Meister. Wünsche einen geruhsamen Schlaf!"
Aufatmend schloss der Magier die Tür hinter den Kerlen und ging in sein Badezimmer. Sein kritischer Blick überflog die schlanke Gestalt im Spiegel. Die schulterlangen braunen Locken saßen perfekt. Auch der magisch fixierte blau-grüne Schimmer war noch zu sehen, obwohl seine Kräfte langsam erschöpften. Zufrieden drückte er die schmale Brust heraus und zog den ohnehin flachen Bauch ein. "Gut siehst du aus", sagte er zu seinem Spiegelbild und zwinkerte mit den grün-goldenen Augen.
Im nächsten Moment fuhr er herum. Da war es wieder gewesen, dieses unverschämte Kichern. Aber alles, was er sah, war ein blitzartig verschwindender Schatten. Mit einem müden Schulterzucken hob er den Illusionszauber, der die fehlenden Möbelstücke ersetzte, auf und begab sich in die Küche. Resignierend stellte er fest, dass wieder ein Sahnetörtchen fehlte. So ging es nun schon seit er in dieses Haus eingezogen war. Ein Huschen, ein Kichern und fehlende Lebensmittel. Zuerst hatte er an Ratten gedacht, aber Ratten kicherten nicht. Es musste ein Kobold sein. Jeden Tag nahm er sich vor, den ungebetenen Mitbewohner aufzuspüren. Aber immer war etwas dazwischen gekommen.
Vorsichtig türmte er die restlichen Sahnetörtchen auf einen Teller, füllte einen Becher mit frischer Milch und setzte sich auf sein neues Bett. Es war verführerisch weich und lud zum Träumen ein. Geistesabwesend strich seine Rechte über den tätowierten Hahn auf der Innenseite seines linken Handgelenks. Er hatte ihn gleichzeitig mit seinem Diplom bekommen und die Intensität der Färbung zeigte an, wie viel Magie ihm noch zur Verfügung stand. Jetzt war sie, wie an jedem Abend, ziemlich blass. Er hatte eine harte Zeit hinter sich.
Vor zwei Monaten hatte ihm Hilarion, ein magerer Elf unbestimmten Alters, der im Elfenviertel einen Zauberladen betrieb, dieses Haus vermietet. Obwohl er erstaunlich wenig verlangte, hatten die drei Monatsmieten, die der Hausherr als Kaution verlangte, ein großes Loch in sein Budget gerissen. Golconda war ein teures Pflaster für frisch gebackene Magier. Der magere Rest hatte gerade noch für einen mannshohen Spiegel, ein Türschild und einen Rahmen für sein Diplom gereicht. Da das Haus außer leeren Räumen nur eine sanitäre Grundausstattung im Bad und einen Herd in der Küche aufwies, hatte er viel Magie für Illusionszauber gebraucht, um seine ersten Klienten zu täuschen.
Jetzt sah es besser aus. In seinem Arbeitszimmer stand ein eleganter Schreibtisch aus Rosenholz mit drei passenden Stühlen. Und in der Küche gab es neben einem Hocker eine Anrichte und einen Vorratskasten. Und nun dieses himmlische Bett! Dass er Lady Ingeloras Brillantring gefunden hatte, war reines Glück gewesen. Dafür war der Finderlohn fürstlich und hatte ihm außer diesem Bett noch eine kleine Reserve in der Haushaltskasse beschert.
Arwed lehnte sich entspannt zurück und sah aus dem Augenwinkel wie ein weiteres Sahnetörtchen vom Teller verschwand. Um dieses Problem würde er sich morgen kümmern, nahm er sich vor. Langsam schwand der blau-grüne Glanz aus seinem Haar als der junge Zauberer in tiefen erholsamen Schlaf fiel.

Violettas Lächeln war verheißungsvoll. Mit einer schnellen Bewegung warf sie ein dickes Seil aus dem Fenster des Turmes und trat zurück.
"Ich komme, Liebste!", rief Arwed enthusiastisch und kletterte hurtig das Seil hoch. Es ging ganz leicht und er konnte schon die entzückenden Grübchen in ihren Wangen sehen als lautes Stampfen und Hämmern an sein Ohr drang. Erschreckt sah er nach unten. Die Soldaten kamen! Er klammerte sich an das Seil und versuchte schneller zu klettern. Das Seil? Es war Violettas honigblonder Zopf an dem er hing. Und was sollte das nun wieder? In ihrer zarten Hand erschien eine Schere. "Tut mir leid, Rooster!", säuselte sie und schnitt den Zopf ab. Arwed stürzte und stürzte und ... schlug keuchend die Augen auf. Violetta war verschwunden, aber der Krach war noch immer zu hören. Jemand klopfte äußerst fordernd an seine Tür.
Widerwillig kroch er aus dem warmen Bett und schlüpfte in die wichtigsten Kleidungsstücke. "Ich komme schon!", rief er und lief ins Badezimmer. Er würde sich lieber einen Arm brechen lassen als sich unfrisiert und ohne seinen blau-grünen Schimmer im Haar sehen zu lassen.
Vor seiner Haustür stand eine grauhaarige Matrone in einem altmodischen, aber gepflegten Kleid und hob gerade den Arm, um erneut gegen das Holz zu trommeln. Arwed wich geschickt ihrer Faust aus und ließ sie eintreten. "Was kann ich für dich tun, Mylady?", fragte er verbindlich und geleitete sie in sein Arbeitszimmer. Verärgert stellte er fest, wie ärmlich der Raum ohne Illusionszauber aussah. Keine Bücherregale, keine Teppiche, keine Gardinen ... Er unterdrückte einen Seufzer und setzte sich hinter seinen Schreibtisch.
Die Dame pflanzte ihre beachtliche Kehrseite auf einen Besucherstuhl und hob an: "Ich bin Volkhilda aus dem Hause Mauser." Sie wartete kurz auf ein höfliches Neigen seines Kopfes und fuhr dann fort: "Mein Kätzchen ist seit drei Tagen nicht mehr nach Hause gekommen. Such es für mich!" Der letzte Satz kam im Befehlston.
Arweds geschäftsmäßiges Lächeln gefror ein wenig. Eine entlaufene Katze? War das nicht unter seiner Würde? Sein Blick fiel auf den Haufen Bücher und Zauberutensilien am nackten Fußboden, die im Licht der gnadenlosen, durch keine Vorhänge gedämpften Frühlingssonne, unübersehbar an seine finanzielle Situation erinnerten.
"Äh, ich denke, dass ich diesen Fall einschieben kann", erklärte er großspurig. "Im Zuge meiner anderen Ermittlungen .... ja, das geht."
Aus dem Bücherhaufen kam ein Kichern. Ein Buch rutschte aus dem Haufen und für einen Sekundenbruchteil war ein spitzer grüner Hut mit einer langen gelben Feder zu sehen.
Ich krieg dich, dachte Arwed und teilte der Dame seine Konditionen mit. "Hast du etwas von ihrer Katze? Haare oder ...."
"Hier." Sie holte aus einem bestickten Täschchen ein weißes Schnurrhaar.
Arwed legte es vor sich auf den Tisch und aktivierte sein drittes Auge. "Es ist eine junge Katze", begann er monoton. "Etwa drei, höchstens vier Jahre alt ..."
"Sie ist mir vor acht Tagen zugelaufen, aber ..."
"Unterbrich mich nicht", grollte der Magier und legte die Fingerspitzen theatralisch gegen die Schläfen. "Oben schwarz und unten weiß. Und ein schwarzer Tupfen links neben der Nase.
"Richtig! Das ist meine Mieze!", kam Lady Volkhildas begeisterter Aufschrei.
Arwed quittierte ihn mit einem missbilligenden Stirnrunzeln. "Sie ist im Elfenviertel unterwegs. Vielleicht gehört sie einem Elf."
Lady Volkhildas braune Augen schossen wütende Blitze. "Mieze gehört mir!", verkündete sie. "Und du wirst sie mir bringen!" Sie erhob sich und ging zu Tür. Als ihr gewahr wurde, dass der Zauberer ihr nicht folgte, rief sie befehlend: "Was ist? Mach schon!"
Arwed setzte seine undurchdringlichste Miene auf. "Lady Volkhilda, bedauerlicherweise hast du mein Morgenritual unterbrochen, das ich unbedingt vollenden muss. Vorher mache ich gar nichts."
Ihre Augen weiteten sich erstaunt bei dieser Weigerung. Mit einem beleidigten "Ts!" entschwand sie, die Tür hinter sich zuknallend.

Das erste, das Arwed nach Lady Volkhildas Abgang nachholte, war seine Morgentoilette und ein ausgiebiges Frühstück. Dann wühlte er in seinem Bücherhaufen, fand den gewünschten Band und vertiefte sich in das Kapitel 'Kobolde.' "Heute geht's dir an den Kragen, du diebischer Mistkäfer", knurrte er und suchte aus einer Kiste Kräuter, einen Bannkristall und ein Stück Kreide. Er zeichnete einen verbeulten Kreis auf den Fußboden und sprach sorgfältig akzentuierend die Bannformel. Dann lehnte er sich zufrieden zurück und wartete. Als der Kobold mit einem leisen ‚Plopp' erschien, blies er ihm etwas von den Kräutern ins Gesicht und ließ den Kristall aufleuchten. "Was haben wir denn da?", grinste er und betrachtete aufmerksam das zwei Spannen große Männlein, das heftig niesend in dem Kreidekreis saß. Es war von seinem spitzen Hut bis zu den Schnallenschuhen ganz in Grün gekleidet. Nur die lange Feder am Hut und sein breiter Gürtel waren gelb.
"Barbar!", schimpfte der Winzling und nieste wieder. Er zog ein hellgrünes Taschentuch aus dem Wams und wischte sich die Tränen aus den schwefelgelben Augen, betupfte sein Stupsnäschen und starrte Arwed böse an. "Du willst sicher meinen Topf voll Gold. Kannst du haben, aber ich sage dir gleich, dass er nicht ganz voll ist."
"Lass mal sehen", forderte der Magier.
Neben dem Kobold materialisierte ein kleiner Nachttopf, nicht ganz zur Hälfte mit Golddublonen gefüllt.
Der Magier rümpfte die Nase. "Konntest du kein anderes Gefäß nehmen?", fragte er indigniert.
"Ich hatte keins auf die Schnelle", verteidigte sich sein Gefangener. "Außerdem hab ich ihn gründlich ausgewaschen. Jetzt nimm ihn und lass mich gehen." Er verschränkte die Ärmchen trotzig vor der Brust. "Ich muss mir ein neues Zuhause suchen."
Arwed blätterte in seinem Zauberbuch. "Was ist, wenn ich den Topf nicht nehme?" Nach seiner Schätzung würde das Gold die Einrichtung seines Büros komplettieren. Doch wäre es nicht besser, den Kobold zu behalten?
"Was hast du vor?" Der Kleine hob abwehrend die Hände. "Du wirst doch nicht ... Oh nein! Das kannst du mir nicht antun!" Jammernd schlug er die Hände vors Gesicht.
"Ich mag dein Gold nicht. Du sollst mir dienen. Das ist viel nützlicher für mich."
Der Kobold wedelte mit der Hand und der Topf verschwand. "Was willst du?", fragte er seufzend, aber Arwed war der lauernde Unterton nicht entgangen.
"Zuerst deinen Namen", grinste der Zauberer und polierte seine wohlgeformten Fingernägel an seinem eleganten Jackett. Wer einen Kobold gebannt hatte und ihn nicht nach dem Namen fragte, verlor ihn nach dem ersten Dienst, den dieser ihm geleistet hatte.
"Grmpf!" Das Männlein ballte die Hände zu Fäusten. "Woher hast du das? Ich bin Gaspard von den Hügeln."
"Ich war ein guter Student", brüstete sich Arwed.
"Du hast nur ein gutes Buch und kannst zufällig lesen", schwächte Gaspard ab. "Und was jetzt?" Es war ziemlich eindeutig, dass er kein beflissener Diener sein würde.
"Was kannst du denn?"
Der Kobold brach in meckerndes Lachen aus. "So geht's nicht. Du musst schon selbst draufkommen, kleiner Hexenmeister."
Gaspard hat recht, dachte Arwed verärgert und suchte nach einer neuen Formulierung. "Kannst du mir bei meinem neuen Fall helfen?"
Das Männlein kicherte. "Die entlaufene Katze? Natürlich!"
"Was ist so komisch daran?", fragte Arwed verwirrt.
"Ich habe einen ausgeprägten Humor. Jetzt setz mich auf deine Schulter, damit ich dich hinführen kann."
"Meine Schulter? Nein, du hast Dreck an den Schuhen!"
"Soll ich den ganzen Weg ins Elfenviertel laufen?" Der kleine Mann stemmte die Hände in die Hüften und knirschte: "Du spinnst wohl!"
"Etwas mehr Respekt", tadelte Arwed würdevoll, nahm den Kobold um die Mitte und steckte ihn in die Brusttasche, nicht ohne ihm vorher die Schuhe abzustreifen. Gaspard zappelte und schrie und versuchte sogar seinen Meister in den Finger zu beißen. Es half nichts.
Kurze Zeit später verließ Arwed sein Haus, warf einen schmachtenden Blick auf das Mansardenfenster des gegenüberliegenden Gebäudes und ging dann enttäuscht die Krötenzeile hinunter. Ein Agami machte ihm ehrerbietig Platz. Aber der Magier beachtete den Echsenmenschen gar nicht. Violetta war nicht am Fenster gewesen. Seit er hier wohnte, betete er sie an. Leider war sie unerreichbar für ihn. Ihr Vater war ein mächtiger Feuermagier, der schon allein durch sein Element Arwed, einem Luftmagier, überlegen war. Er musste sich schon etwas Besonderes einfallen lassen, um Violettas Hand zu erringen. Eine leichte Brise ließ sein Haar flattern und brachte den Duft von Mandelblüten in seine Nase. Ein Zwergenpärchen kam ihm heftig diskutierend entgegen. Ohne ihren Streit zu unterbrechen wichen sie ihm rechts und links aus. An der Ecke Geckozeile - Krötenzeile blieb er stehen und studierte die Nachrichtenwand. "Geh weiter, Hexer", drängte der Kobold. "Was suchst du hier. Deine Freundin war gerade beim Zähne putzen und jetzt..."
"Halt die Klappe, Stöpsel", zischte Arwed und vertiefte sich in einen Bericht über einen Juwelendiebstahl. So ein Fall würde ihn berühmt machen, dachte er sehnsüchtig. Und dann würde Violettas Vater nichts gegen ihn als Schwiegersohn haben. Aber, das gestand er sich ehrlich ein, er war wohl eine Nummer zu groß für ihn. Seine Augen suchten weiter. Ja, das wäre vielleicht etwas! Marisibill aus dem Hause Lalainen war noch immer nicht gefunden worden. Die Elfe sollte einen Spross des Hauses Kekonen heiraten. Nach alter Sitte war sie 14 Tage vor dem angesetzten Heiratstermin aus dem Haus ihrer Eltern geflohen. Die ganze Stadt durfte Jagd auf sie machen. Wer sie rechtzeitig zur Hochzeit zurückbrachte, wurde vom Bräutigam fürstlich belohnt. Die Frist würde in drei Tagen ablaufen und Marisibill war noch immer unterwegs.
Gelang es niemandem, sie zu fangen, kehrte die Elfe selbst in ihr Vaterhaus zurück um fortan über ihren Mann zu herrschen. Es war klar, dass jeder Elf seine Braut vor dem Heiratstermin bekommen wollte, zumal er selbst an der Jagd nicht teilnehmen durfte. Marisibill sollte also heiraten. Arwed konnte sich gut vorstellen, dass die Eltern der aufmüpfigen Elfe froh waren, die ungestüme Tochter unter die Haube zu bekommen. Dann musste sich wohl oder übel ihr Ehemann mit der Polizei herumschlagen, wenn das Mädchen wieder einmal etwas mitgehen hatte lassen ohne ans Bezahlen zu denken. Arwed seufzte. Ein typisches Beispiel für ein gelangweiltes Kind reicher Eltern. Er tippte mit dem Zeigefinger auf die Anzeige und überflog den Rest der Nachrichten. Nichts Besonderes, nur ein paar Kneipenschlägereien, ein Rohrbruch im Palast des Präfekten und einige unbedeutende Ernennungen.
"Was suchst du denn hier, Rooster?", Ein breiter Schatten fiel auf den Magier. "Du wirst doch nicht etwa das Elfenmädchen suchen?"
Arwed fuhr herum. "Nantwig!", rief er überrascht aus. Der bärige Typ war ein Studienkollege, der mit ihm gleichzeitig das Diplom erlangt hatte. Nantwig war einen Kopf kleiner als Arwed, dafür aber umso breiter. Der massige Erdmagier grinste seinen Kollegen breit an. Zwischen ihnen war ein ewiges Patt. Luft und Erde glichen einander aus und das machte sie zu Freunden.
"Das ist eine öffentliche Ausschreibung", erinnerte Arwed den anderen. "Wie willst du mich daran hindern? Außerdem ist die Zeit schon ziemlich knapp."
"Du hinderst dich selbst, weil du an keinem Spiegel vorbeigehen kannst, ohne dein glorreiches Äußeres zu bewundern", entgegnete Nantwig spöttisch.
Das war ein Schlag unter die Gürtellinie. "Wir werden ja sehen", brummte er und wollte sich an seinem Gildenbruder vorbei drücken.
Nantwig streckte einen Arm aus, der doppelt so dick war wie Arweds. "Warte, Bruder. Wir könnten doch zusammenarbeiten und das Honorar teilen."
"Du kannst vor mir die Straße kehren, Tonne", knurrte Arwed und wandte sich in Richtung Elfenviertel.
"Du wirst ihn noch brauchen, Langer", krähte es aus seiner Brusttasche, was eine dicke Mutter veranlasste, ihre beiden Kinder enger an sich zu ziehen.
"Kannst du mich nicht bei meinem Namen nennen?", giftete Arwed und rückte sein Jackett zurecht. Eine blanke Fensterscheibe bot sich wunderbar als Spiegel an.
"Wenn du mir die Luft abdrückst, nenn' ich dich gar nichts mehr!" Eine kleine Hand langte aus seiner Brusttasche und zog kräftig an einer braunen Locke. "Außerdem, ich hab auch einen Namen."
"Au! - Wozu sollte ich Nantwig noch brauchen?" Er wusste, dass der Kobold nichts ohne Grund sagte.
"Wegen Marisibill! Bist du immer so trandösig?"
Arwed knirschte mit den Zähnen. Ich werde dir schon noch Manieren beibringen, dachte er. "Jetzt bring mich zu der verdammten Katze. Marisibill kommt als Nächstes." Schallendes Gelächter drang aus seinem Jackett, durchsetzt mit Richtungsangaben. Je näher er dem Elfenviertel kam, umso grüner wurde es um ihn herum. Die Elfen liebten Bäume und hatten ihr Viertel zu einem riesigen Park umgestaltet, in dem ihre Häuser so geschickt hinein gebaut waren, dass sie ein oberflächlicher Besucher gar nicht entdeckt hätte. Wände und Dächer waren von Büschen überwachsen, zwischen denen die Fenster und Türen verborgen lagen. Natürlich konnten sich nur reiche Elfen so ein Haus leisten, die Armen lebten in der Stadt zwischen den
ebenso armen Menschen und Zwergen. "Wo ist das Vieh jetzt?", fragte Arwed und ließ seinen Blick über die ausgestellte Ware eines Juweliers schweifen. Im Elfenviertel gab es nur wenige Geschäfte, aber die waren exklusiv.
"Sie ist über dir", flüsterte Gaspard. Und da war sie tatsächlich. Ein schwarz-weißes Fellbündel saß auf dem untersten Ast eines dicken Kastanienbaumes, gerade noch außerhalb Arweds Reichweite und schien ihn anzugrinsen.
Ein gebeugter, weißhaariger Elf kam auf ihn zu. "Kann ich etwas für dich tun?" Sein Blick erfasste Arweds Magierabzeichen. "Äh, Meister", fügte er hastig hinzu.
"Ich ... äh, wollte nur die Katze abholen", antwortete Arwed hastig. Elfen waren gewiefte Geschäftsleute und er wollte sich auf keinen Handel einlassen. Er deutete ins Geäst. "Ich muss sie nur herunter kriegen."
"Da kann ich helfen." Der Elf griff unter seinen Ladentisch und holte einen Besen hervor.
"Danke." Arwed ließ ein paar Sterne auf ihn herabregnen. - Es war eine Illusion, aber Elfen mochten das. Vorsichtig hob er den Besen und taumelte gegen die offene Auslage des Juweliers. Ein schwarz-weißer Schatten war fauchend auf seine Schulter gesprungen und von dort mitten unter die Schmuckstücke. Der alte Elf schrie auf, was eine ältere Frau und zwei junge Elfenmänner auf den Plan rief. Arwed ließ den Besen fallen und griff nach der Katze. Das Tier entwand sich seinem Griff und verschwand mit großen Sätzen im Gebüsch. Zurück blieb ein verärgerter Magier, umringt von einer wütenden Elfenfamilie.
"Das wirst du mir bezahlen!", fauchte der Juwelier und drohte mit dem Besen. Seine Söhne sammelten inzwischen Schmuckstück vom Boden auf, während seine Frau die Auslagendekoration ordnete.
"Es ist doch nichts passiert!", verteidigte sich Arwed.
"Ein Ring fehlt!", meldete sich einer der jungen Elfen zu Wort. "Der mit dem großen Rubin." Vier helle Augenpaare fixierten den überraschten Magier.
"Aber ... ich ...!", stotterte Arwed verzweifelt.
"Ruf die Polizei, Rillan!", befahl der alte Elf kalt. Seufzend ließ sich der Zauberer auf den Gehsteigrand sinken, umringt von sechs böse dreinblickenden Elfen, die plötzlich scheinbar als dem Nichts aufgetaucht waren und gefährlich harte Knüppel in den Händen wogen.
"Du bist ein Genie, Arwed", kam Gaspards Kommentar aus der Brusttasche.
"Gaspard?" Ein leises Piepsen antwortete aus seinem Jackett. "Kannst du mich da raus hauen? Ich hab den Ring nicht gestohlen."
"Das weiß ich, Arwed. Ich hab sie gesehen."
"Wen?"
"Die Diebin!"
Sie schwiegen eine Weile. Dann fragte Arwed: "Wo ist die Mieze?"
"Weg. Ich kann sie nicht mehr orten."
"Na, großartig."
Eine halbe Stunde später saß Arwed in einem miefigen Wachzimmer einem schnauzbärtigen, rotgesichtigen Polizisten gegenüber. "Name?"
"Arwed aus dem Hause Berenger."
"Beruf?"
"Magier-Detektiv. Element Luft. Spezialist für verloren gegangene Personen und Gegenstände."
Der Polizist beäugte Arwed zweifelnd. "Meister Arwed, du wirst beschuldigt, einen kostbaren Ring gestohlen zu haben. Was hast du dazu zu sagen?"
"Nein!", knurrte der Magier zähnefletschend.
"Hast du Beweise?"
Wortlos griff Arwed in die Brusttasche und stellte Gaspard vor dem Beamten auf den Tisch. "Er hat sogar die Diebin gesehen."
Gaspard legte verlegen einen Zeh auf ein kleines Loch in seiner weißen Wollsocke und funkelte den Polizisten wütend an. "Ich bin Gaspard von den Hügeln und durch die Macht dieses Magiers gezwungen, ihm zu dienen", erklärte er hoheitsvoll und blies seine Hühnerbrust auf in dem Bewusstsein, dass niemand seine Worte anzweifeln würde. Kobolde logen nie.
Der Beamte grinste ungeniert. "Warum hast du keine Schuhe an?"
"Mein Meister befürchtete eine Verunreinigung seiner erlauchten Körperverhüllung."
"Hm." Er wurde wieder ernst. "Was hast du gesehen?"
"Eine Elfenmaid hat die Preziose entwendet. Sie nutzte das Durcheinander, das aufgrund eines felinen Irrtums entstand."
"Aufgrund was?", Der Polizist blinzelte verwirrt.
"Ich unterstütze meinen Meister bei der Jagd nach einer abgängigen Mäusejägerin."
"Du suchst eine entlaufene Katze?"
Arweds Ohren färbten sich langsam dunkler. "Ja", gab er widerwillig zu. "Lady Volkhilda schien diese Katze sehr wertvoll zu sein."
"Die alte Volkhilda!" Nun lachte der Beamte offen heraus. "Die nimmt doch jede streunende Katze auf. Du wirst keinen Pfennig von ihr bekommen. Kein Magier nimmt mehr ihre Aufträge an, weil sie nie zahlt." Er wischte sich eine Träne aus dem Auge. "Naja, jetzt weißt du's. Du hattest Glück, dass du deinen Kobold dabei hattest. Du kannst gehen, Meister Arwed."
Arwed schnappte sich seinen Kobold und verließ die Wache. "Was sollte diese geschraubte Ausdrucksweise?", wollte er wissen.
"Ich bin eben gebildet. Du nicht?"
Arwed würdigte ihn keiner Antwort. Misslaunig ging er die Straße hinunter. Heute war nicht sein Tag. Vor einer Fensterscheibe blieb er stehen, zupfte hie und da eine Locke zu Recht, schnipste unsichtbare Stäubchen von seinem frisch gebügelten Anzug und ignorierte beharrlich das Kichern aus seiner Brusttasche. Als er seine Aufmerksamkeit seinen Augenbrauen zuwandte, tauchte ein weiteres Gesicht in der Scheibe auf. Helle, schräg stehende Augen, helles, langes Haar, spitze Ohren und ein Muttermal links neben der Nase. Marisibill! Arwed wirbelte herum und sah wohl gerundete Hüften in einem karmesinroten Kleid hinter der nächsten Ecke verschwinden. "Nimm die Beine in die Hand, du Lahmarsch!", krähte Gaspard aus dem Jackett. Arwed sprintete los und rannte gegen einen Berg. Jedenfalls fühlte es sich für ihn so an. Kurz bevor er benommen zu Boden sinken wollte, umfing ihn der Berg mit zwei muskelbepackten, bärenstarken Armen und hielt ihn fest. "Rooster! Was machst du da? Wilderst du in meinem Revier?"
Arwed befreite sich aus Nantwigs Griff und klopfte ärgerlich seinen Anzug ab. "Ich hatte sie beinahe!"
"Ich hatte sie beinahe!" Der Erdmagier stampfte auf. Ein paar Steine hoben sich aus dem Rinnstein und flogen auf Arwed zu. Fensterläden klappten zu. Türriegel wurden hektisch vorgeschoben. Dann breitete sich Stille aus. Die beiden Zauberer hatten die Straße für sich allein. Auf ein Fingerschnipsen des Luftmagiers fegte ein Windstoß die Steine weg.
"Aufhören!" Eine kleine Faust kam aus Arweds Jackett und hämmerte gegen dessen Brust. "Ihr sollt zusammenarbeiten!"
"Hey! Wer ist denn das?" Nantwig zog an Arweds Revers.
"Eine kleine Quatschtüte." Er klopfte auf Nantwigs fleischige Finger.
"Ich bin Gaspard von den Hügeln", stellte sich der Kobold lautstark vor.
"Arwed, du bist schlauer als ich dachte", sagte der Erdmagier anerkennend. "Hören wir doch mal, was Gaspard zu sagen hat. Ich geb dir einen aus." Er führte seinen Kollegen in den ‚Strammen Finger', ein Lokal, das bevorzugt von Golcondas Magiern und Magiestudenten frequentiert wurde. Neben der Tür saß eine kleine schwarz-weiße Katze und putzte sich. Der schwarze Punkt neben der Nase war deutlich sichtbar. Arwed bückte sich wie beiläufig und hob das Tier auf. Sie grub die Krallen in sein Jackett und begann zu schnurren. Als sie endlich, jeder mit einem Glas Ale, an ihrem Stammtisch saßen, setzte Arwed den Kobold auf den Tisch. Die Katze hatte sich auf seinem Schoß zusammengerollt und schien zu schlafen.
"Nun, Gaspard, schieß los!" Arwed stupste den Kleinen aufmunternd an.
"Ich will auch ein Glas Ale!", brüllte dieser um den Lärm der anderen Gäste zu übertönen.
Nantwig schob ihm sein Glas hin. "Nimm von meinem einen Schluck", brummte er gutmütig.
Der Kobold nippte ein wenig von dem Ale und schimpfte: "Ist das Abwaschwasser? Was erlauben die sich hier? Bring das Katzenvieh weg, und dann setzen wir uns zusammen." Die Katze streckte sich auf Arweds Schoß und hackte die Krallen in seine Schenkel. Der Magier verzog schmerzlich das Gesicht.
"Was kann denn dein kleiner Freund?", fragte Nantwig und nahm Gaspard das Glas weg, aus dem dieser, ungeachtet seines vernichtenden Urteils, weiterhin getrunken hatte.
"Er hat mir suchen geholfen."
"Aber Kobolde können doch mehr. Kannst du Schuhe putzen, Gaspard?"
"Das geht dich nichts an, Dicker!", antwortete der Kleine und grinste unverschämt. "Du bist nicht mein Meister."
"Ich bin nicht dick!", protestierte der Erdmagier. "Das sind Muskeln!"
"Wir wollten doch über Marisibill reden", wandte Arwed ein. "Was der Stöpsel kann, krieg ich schon noch heraus."
"Sie muss einen Unsichtbarkeitszauber haben oder so etwas Ähnliches", erklärte Nantwig. "Ich hab sie schon viermal aufgespürt und dann ist sie mir doch entwischt."
"Warst wohl zu langsam, Dicker", kicherte der Kobold boshaft.
"Könnte sie magisch begabt sein?", sinnierte Arwed.
"Die Lalainen sind keine Magierfamilie", erklärte Nantwig bestimmt.
"Die Berengers auch nicht", gab sein Kollege zu bedenken.
"Du bist ein siebenter Sohn. Marisibill ist eine zweite Tochter. Aber über ihre Mutter gibt es da so Gerüchte. Sie soll eine latente magische Begabung haben. - Ich hab Hunger, du auch?" Er winkte Ella, der Besitzerin des ‚Strammen Fingers'. "Hast du etwas, das uns nicht gleich den Magen durchbrennt, Mama Ella?" Er sog witternd die mannigfachen Düfte des Lokals durch die Nüstern.
Die Wirtin winkte mit ihrem steifen Zeigefinger, der dem Lokal den Namen verschafft hatte. "Bratwurst mit Sauerkraut, Tonne", rief sie ihm zu und lächelte etwas lückenhaft. Sie hätte locker Arweds und Nantwigs Mutter sein können und behandelte die jungen Magier und Studenten immer mit rauer, gutmütiger Fürsorge. Als sie die Teller vor den beiden auf den Tisch stellte, sagte sie: "Für dich eine extra dicke Wurst, Arwed, damit du ein wenig Fleisch ansetzt." Ohne nachzuzählen steckte sie das Geld ein, das Nantwig ihr gab, strich über ihren runden Bauch und verschwand wieder hinter der Theke.
Die Katze hatte sich aufgerichtet und schnupperte an Arweds Wurst. Gaspard hatte plötzlich ein kleines Besteck in den Händen und stach mit dem Messer nach dem Tier. "Verschwinde, das ist meine Wurst!", fauchte er und säbelte ein Stück ab.
"Hast du da nicht etwas verwechselt?", fragte sein Meister spitz. "Du kannst ein Stück davon abhaben, aber das ist mein Essen!" Er schnitt eine dicke Scheibe Wurst ab und schob sie an den Tellerrand. Der Kobold stürzte sich wie ein Verhungernder darüber.
"Ganz schön gefräßig, dieser Winzling", kommentierte Nantwig.
"Was weißt du über Marisibill?", fragte Arwed als er fertig war und schob den Teller von sich.
"Ihr müsst sie in der Straße der Juweliere und Goldschmiede suchen. Sie liebt Glitzerdinge", antwortete der Kobold und spießte den letzten Rest Sauerkraut auf seine Gabel.
"Das stimmt. Ich hab sie dort zweimal gesehen", bestätigte der Erdmagier.
"Hehehe!", lachte Gaspard. "Und dann bist du sabbernd dagestanden und hast sie entwischen lassen. Da sind wohl deine Hormone dazwischen gekommen."
"Wie lange hast du den Kobold schon? Der hat ja fürchterliche Manieren", beschwerte sich Nantwig.
"Er war in meinem Haus. Beschworen hab ich ihn heute Morgen", antwortete Arwed. "Was weißt du noch von Marisibill, Stöpsel?"
"Sie wohnt gelegentlich bei einer Menschenfrau."
"Bist du sicher?", fragte Arwed zweifelnd. Marisibill war eine gelangweilte Tochter aus reichem Haus, die unbedingt in der Ehe das Sagen haben wollte. Aber bei Menschen wohnen? Das war etwas, das Elfen nur in höchster Not taten.
"Glaub's oder glaub's nicht, Bohnenstange", gab Gaspard beleidigt zurück und nahm noch einen Schluck aus Nantwigs Glas. "Und bring endlich die Katze zu der Alten."
"Ich werde dir schon noch dein loses Mundwerk stopfen, Kleiner", drohte der junge Magier. Dann erhob er sich, schob die Katze unter sein Jackett und den Kobold in die Brusttasche. "Keine schlechte Idee. Wir sehen uns morgen, Tonne."
Nantwig stand ebenfalls auf. "Was hältst du von Prasods Fusion?"
Arwed zögerte. Was sein Kollege vorschlug, war eine telepathische Verbindung. "Erste Ebene", stimmte er zu und hob seine wohlgeformte, langfingerige Hand. Nantwig nickte und drückte seine fleischige Pranke dagegen. Als die ungleichen Hände einander berührten, stoben knisternd bunte Funken auf. Ein paar junge Magiestudenten sahen neugierig in ihre Richtung. Die beiden Magier grinsten einander an und gingen hinaus in die beginnende Abenddämmerung.

Lady Volkhildas Freude über Arweds Erscheinen hielt sich in Grenzen. Sie nahm das Kätzchen ohne Umschweife in Empfang, setzte es auf ein Sofa, das bereits von sechs anderen Katzen besetzt war und wünschte dem Magier herablassend eine gute Nacht. "Du hast etwas vergessen, Madam", Arweds Zeigefinger glühte in sanftem Gelb und die Katze kam widerstrebend auf ihn zu.
"Was willst du noch? Ich bin beschäftigt!"
"Mein Honorar." Aus Volkhildas Haar sprühten knisternd Funken.
"Ich habe kein Geld!", kreischte die Matrone und schlug nach den bunten Lichtern, die aus ihrem Dutt quollen. "Mach das weg!"
"Sobald du mein Honorar bezahlt hast, verschwindet es von selbst", erklärte Arwed selbstgefällig und öffnete die Tür. "Gib deiner Katze ein Halsband mit einem Glöckchen. Dann bleibt sie eher bei dir." Kaum hatte er ausgesprochen, ging die Katze buchstäblich mit allen Vieren gleichzeitig in die Luft und sauste zur Tür hinaus.
"Wofür soll ich zahlen? Sie ist weg!", grinste Volkhilda höhnisch. "Heb sofort den Zauber auf!"
"Ich habe geliefert. Wenn du sie wieder entwischen lässt, ist das ..."
"Du hast die Tür geöffnet!"
"Willst du anwachsen?", ertönte Gaspards Stimme aus der Brusttasche. "So kriegst du sie nie!"
Der Magier fuhr herum. Durch die offene Tür sah er einen hellen Schopf und ein karmesinrotes Kleid im Licht einer Straßenlaterne aufblitzen. Hinterher, war sein einziger Gedanke. Mit langen raumgreifenden Sprüngen jagte er hinter der Elfe her. Sie drehte sich nur einmal um und lachte. Jeder Elf konnte schneller laufen als der schnellste Mensch. Und sie wusste es. Vergnügt kichernd ließ sie ihn ein wenig näher kommen, um dann den Abstand wieder zu vergrößern. Arwed war immer ein guter Läufer gewesen. Doch mit der Zeit ging auch ihm die Puste aus. Unter einer Laterne blieb die Elfe ein letztes Mal stehen und winkte. Für Sekunden sah Arwed etwas Rotes an ihrer Hand aufblitzen, dann war sie verschwunden.
"Du hast sie entwischen lassen", kicherte Gaspard.
"Dieser Kommentar war vollkommen überflüssig. Das weiß ich selbst. Und die Katze ist auch weg."
"Hast du's immer noch nicht begriffen, du Dussel? Sie hat dich ausgetrickst!"
"Na warte!" Arwed war absolut nicht in der Laune, sich von einem vorlauten Kobold beleidigen zu lassen. Verdrossen ging er nach Hause. "Kannst du Wäsche waschen?", fragte er den Kobold streng.
"Ja, Meister", seufzte dieser.
"Und Bügeln und Strümpfe stopfen?"
"Ja, Meister. - Du wirst mich doch nicht nachts arbeiten lassen?"
"Und ob ich das werde! Du wirst meine Wäsche waschen. Das Bügeln und Stopfen kannst du morgen machen." Zufrieden mit seiner Rache ging er in sein Schlafzimmer, während sich Gaspard fluchend im Badezimmer an die Arbeit machte. Müde schälte er sich aus den verschwitzten Kleidern und kroch unter die weiche Decke. Dieses himmlische Bett war genau das, was er jetzt brauchte. Nun ein klitzekleines Detail fehlte ihm zum Paradies: Violetta. Genüsslich streckte er die langen Beine aus und schrie auf. Ein scharfer Schmerz biss in seinen Fuß, die Bettdecke wölbte sich und ein schwarz-weißer Kopf tauchte fauchend und spuckend am Fußende auf. Arwed war aus dem Bett gesprungen und stand nun schwankend auf einem Bein, den verletzten Fuß mit beiden Händen umklammernd daneben. Er starrte die Katze wütend an. "In die Ecke mit dir!", fuhr er sie an und wob einen Bann. Die kleine Jägerin warf ihm einen beleidigten Blick zu und rollte sich in der Ecke zusammen. Arwed setzte sich aufs Bett und untersuchte seinen Fuß. Drei blutige Kratzer liefen quer über seinen Knöchel. "Miststück!", brummte er und wickelte sich in die Decke.

Wieder stand Arwed vor dem Turm und sah zu dem winzigen Fenster in unerreichbarer Höhe hinauf. "Violetta, Liebste!" rief er. "Wirf dein Haar herunter!" Ein riesiger Zopf fiel auf ihn herunter und warf ihn zu Boden. Verzweifelt versuchte er sich aus den blonden Schlingen zu befreien. Da sprang eine schwarz-weiße Katze auf seine Brust und trommelte mit den Fäusten gegen seine Rippen. Eine Katze mit Fäusten? Der Magier schlug die Augen auf und starrte verständnislos in Gaspards Gesicht. Immer noch hämmerten die kleinen Fäuste auf ihn nieder. "Gaspard!" Er schnappte sich den Kobold und setzte sich auf. Sein Blick fiel in die Ecke und sein Unterkiefer klappte herunter. Die Katze war weg. Wie konnte sie sich aus seinem Bann befreit haben? Diesen Zauber lernte man im ersten Semester!
"Der Fettklops ist da!", rief der Kleine in Arweds Ohr. Ohne Erfolg. Der Magier kniete in der Ecke und untersuchte die Reste seines Banns. Er war gebrochen. Der Geruch war unverkennbar. "Wer war in der Nacht da?", fragte er scharf.
"Was weiß ich? Du hast mich Wäsche waschen lassen, Langer. Schon vergessen?"
Grummelnd öffnete Arwed die Tür und stand seinem Freund, dem Erdmagier, gegenüber.
"Ich habe sie heute wieder in der Straße der Goldschmiede gesehen", berichtete Nantwig, während sich Arwed mit seinem Frühstück beschäftigte.
"Hast du gesehen, was sie getan hat?"
"Na, was alle Frauen tun. Sie sah sich den Schmuck an. Sie ist verdammt schnell, aber von zwei Seiten müssten wir sie kriegen."
"Hm." Arwed bestrich ein weiteres Brötchen mit Butter und Honig.
"Ich hätte sie sicher gekriegt, wenn nicht wieder dieser Juwelendieb zugeschlagen hätte. Der Goldschmied machte mit seinem Geschrei die Leute ganz verrückt und Marisibill entwischte."
Arwed grinste. Wenn er mit seinen langen Beinen die Elfe nicht fassen konnte, wie sollte es Nantwig mit seinen kurzen zu Wege bringen? Er überlegte kurz und sah seinen Freund an. "Hast du schon mal gehört, dass ein Tier einen Bann brechen konnte? Ich habe gestern Abend die Katze gefangen und gebannt und heute Morgen war sie weg."
"Ich dachte, du hast sie Volkhilda zurück gebracht."
"Hab ich auch, aber sie ist wieder ausgebüchst. Und dann habe ich sie noch mal gefangen."
"Ein Tier sollte deinen Bann brechen? Nein. Wenn er nicht gesichert war, hätte jeder Magiestudent im 2. Semester ihn brechen könne, aber nicht das Tier selbst. Was sagt denn dein Kobold?"
"Er hat niemanden gesehen", Arwed legte nachdenklich zwei Finger gegen die Stirn.
"Hast du's immer noch nicht geschnallt, Langer?" Gaspard materialisierte auf der Anrichte. "Ich bin fertig mit Bügeln und Stopfen." Mit einem beleidigten Schnaufen nahm er Arweds angebissenes Brötchen vom Teller und aß es mit atemberaubender Geschwindigkeit auf. Danach trank er die Kaffeetasse leer, rülpste und rieb sich den Bauch. "Du hättest mir ruhig mehr übrig lassen können", maulte er.
Die beiden Magier beobachteten ihn sprachlos. "Was hab ich nicht geschnallt?", fragte Arwed gefährlich sanft und hob den Kobold am Kragen hoch.
"Sie hat sich selbst befreit."
"Die Katze?" Ungläubiges Kopfschütteln begleitete diese Worte.
"Ma-ri-si-bill!", intonierte der Kobold. "Sie brauchte sich nur zurück zu verwandeln. - Und jetzt lass mich runter."
Nantwig knurrte und Arwed ließ den Kleinen fallen und schlug ärgerlich mit der Faust auf die Anrichte, dass die Tassen klirrten. Das war die perfekte Tarnung. Eine magiebegabte Elfe! Sie hatte sich als Katze bei Volkhilda eingenistet. "Warum hast du mir das nicht gesagt? Du hast es die ganze Zeit gewusst!", schimpfte der Luftmagier.
"Du hast mich ja nicht gefragt. Außerdem, wenn sie dabei war, wollte ich nichts verraten", gab Gaspard trotzig zurück und rieb seine Kehrseite.
Arwed sprang fluchend auf und lief in seinen Arbeitsraum. "Ich hab einen Pilotti-Reifen", rief er eifrig und begann in einer Kiste mit Zauberutensilien zu kramen. Pilotti-Reifen dienten dazu, einen Magier daran zu hindern, sich in ein Tier zu verwandeln und wurden zumeist von der Polizei verwendet. Der junge Magier hatte einmal einen als Bonus bekommen, als er das Thaumaturgische Lexikon kaufte. "Da ist er!", rief er triumphierend und hielt den schlichten grauen Armreifen hoch. An der Innenseite waren magische Symbole eingraviert. "Wirkt bei Menschen, Elfen und Zwergen. Bei Trollen und Agami bin ich mir nicht sicher."
"Dann wollen wir mal!" Nantwig wandte sich der Tür zu.
"Moment!" Arwed verschwand im Badezimmer und kontrollierte sorgfältig sein Äußeres. Nach einer Viertelstunde erschien er wieder.
"Was hat denn jetzt so lange gedauert?", murrte der Erdmagier.
"Meine Augenbrauen waren ganz durcheinander", erklärte Arwed hoheitsvoll, steckte Gaspard in die Brusttasche und trat auf die Straße. Dieser Tag wurde bestimmt erfolgreicher als der vorangegangene. Golconda zeigte seine Schokoladenseite. Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten, süßer Blütenduft lag in der Luft und ein Troll in Straßenkehreruniform lächelte ihn an. Er bemerkte es kaum. Violetta stand am Fenster und kämmte ihr herrliches, honigblondes Haar. Arwed versank in den Anblick seiner Angebeteten und erwachte erst wieder als Nantwig ihn anstieß. "Futterluke zu und Augen einfahren!", ertönte es schmerzhaft realistisch aus seiner Brusttasche. Eine schwungvolle Bewegung seiner Hand ließ eine Kaskade von bunten Sternen zu Violettas Fenster segeln. Das Mädchen lächelte und trat zurück. "Sie hat gelächelt!", freute sich Arwed, wich einer Gruppe mit Murmeln spielender Kindern aus und lief eilig hinter seinem Kollegen her. "Wo willst du Posten beziehen? Oben oder unten?"
"Oben", entschied Nantwig.
Arwed nickte zustimmend. Als sie die Straße der Goldschmiede betraten, verwandelte Nantwig sich in ein Fass und sein Freund bewegte sich weiter durch die Menge potentieller Käufer zum Ende der Straße. Vor dem vorletzten Haus blieb der Luftmagier stehen, lehnte sich gegen die Wand und verwandelte sich in eine Dachrinne. Sie warteten zwei Stunden, in denen sie in regelmäßigen Abständen telepathisch Kontakt aufnahmen.
Gaspard quengelte ununterbrochen und Arwed überlegte, ob er eine andere Tarnung annehmen sollte, als Nantwigs Gedankenstimme ihn erreichte. "Sie kommt." Tatsächlich tauchten ein heller Haarschopf und ein rotes Kleid zwischen den Verkaufsständen auf. Sie schlängelte sich geschmeidig zwischen einem reich gekleideten Adeligen und seinen Leibwächtern durch und blieb drei Stände vor Arwed stehen. Ihre zarten Nasenflügel blähten sich witternd, dann beugte sie sich über die ausgelegten Armbänder.
Arwed sah seinen Freund hinter einem Paar Agami-Kriegern auftauchen und nahm wieder menschliche Gestalt an. Nach einer kurzen Gedankenverständigung begannen sie ihren Bann zu weben. Das Elfenmädchen versteifte sich. Ihre Hand ballte sich zur Faust und ihre Umrisse begannen zu verschwimmen. Arwed sprang schnell auf sie zu, aber die Metamorphose war schon abgeschlossen. Eine schwarz-weiße Katze hockte vor ihm und machte einen Buckel. Die Basarbesucher wichen zurück. In die Geschäfte von Magiern mischte sich niemand freiwillig ein. Nur der Besitzer des Ladens, ein kräftiger Zwerg, dessen Bart fast bis zu seinem Gürtel reichte, blieb stehen. "Sie hat ein Armband gemopst!", schimpfte er lauthals. "Wache! Hilfe! Ein Dieb!"
Die Katze duckte sich, als Nantwigs breiter Schatten auf sie fiel. Er murmelte eine Formel und das Tier streckte sich, verschwamm und wurde eine wütende Elfe. Arwed legte rasch den Pilotti-Reifen um ihren Arm. Dabei fiel ihm ein kostbarer Rubinring an ihrer Hand auf. Zornig schlug sie gegen seine Brust, aber es half nichts. Sie war gefangen.
"Au!" Gaspard streckte den Kopf aus dem Jackett und stierte Marisibill böse an. "Das war nicht nett! Du hast mich fast zerquetscht. Das Armband ist in ihrem Ausschnitt, Jungs!"
Inzwischen waren zwei Polizisten eingetroffen. Als sie die Elfe sahen, wollten sie sich wieder entfernen. Aber der Juwelier hielt sie zurück. "Sie hat ein Armband gestohlen." Mit spitzen Fingern holte er das glitzernde Schmuckstück aus Marisibills Ausschnitt. Die Elfe, nun gänzlich im Bann der beiden Magier, ließ alles widerstandslos geschehen. Ihr Blick verlor sich in weiter Ferne als sie zur Wache abgeführt wurde.

Arwed saß in seinem Arbeitszimmer. Im Licht der Mittagssonne glitzerte ein Haufen Münzen vor ihm auf dem Schreibtisch und er überlegte, was er sich davon anschaffen sollte. Lord Hellwig, Marisibills Bräutigam, war sehr großzügig gewesen. Was er der Wache und den geschädigten Juwelieren gezahlt hatte, damit sie die Anklage fallen ließen, konnte er nur ahnen. Vor ihm auf dem Tisch saß Gaspard und säuberte seine Fingernägel mit einem winzigen Messer. "Wie wär's mit einem Bücherregal oder einem Schrank für dein Zaubergerümpel", schlug er vor.
"Daran hab ich auch schon gedacht. Vielleicht geht sich noch eine Gardine aus."
Heftiges Klopfen an der Tür ließ ihn aufschauen. "Sieh nach, wer es ist, Stöpsel", sagte Arwed und schob das Geld hastig in eine Lade.
"Lady Volkhilda", informierte ihn der Kobold.
Der Luftmagier öffnete und stand einer zerknirschten Dame gegenüber, deren Haar ununterbrochen knisterte und blitzte. Sie hielt ihm einen Karton entgegen, aus dem es verführerisch nach Vanille und Mandeln duftete. "Meister Arwed, akzeptierst du diesen Kuchen als Bezahlung für deine Dienste? Ich kann so nicht weiterleben!" Eine kleine Träne stahl sich aus ihrem linken Auge und kullerte neben ihrer Nase in den Mundwinkel.
Der Magier öffnete sein drittes Auge und besah sich das Backwerk. Kein Gift und auch sonst keine Zutaten, die Durchfall, Erbrechen oder sonstiges Ungemach verursachen konnten. "Ich akzeptiere", sagte er streng und nahm den Karton in Empfang. "Aber lass dir das eine Warnung sein." Mit einer kleinen Bewegung seines Fingers hob er den Zauber auf und schloss die Tür.
"Wie der duftet!" Gaspard sprang auf und nieder als Arwed den Kuchen auf der Anrichte in der Küche abstellte.
"Ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen", überlegte er. "Dann könnte ich gemütlicher essen."
"Schneid ihn schon an!", drängte der Kobold sabbernd. "Das ist genau das Richtige für ein Abschiedsessen."
"Abschied?"
"Du nimmst doch jetzt meinen Topf, oder? Er ist fast voll!" Wieder materialisierte der Nachttopf, diesmal zu drei Vierteln mit Goldstücken gefüllt.
"Ich mag nicht deinen Topf, Kleiner, sondern dich", grinste Arwed und holte ein Küchenmesser. "Ein Stück Kuchen bekommst du aber trotzdem."

Ende Teil 1


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