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ZEITWEISE ZEITLOS - ZEITSPRÜNGE

von Andreas Leder



"Aequalis! Wo bleibst du denn!?"
Manchmal kann Aeternus schon richtig nerven. Da geht ihm nichts schnell genug, obwohl gerade er derjenige ist, der doch wirklich alle Zeiten dieser Universen hat.

"Ich bin ja schon da, ich ..."
"Schluck's runter, Aequalis, das ist nicht wichtig."
Er war richtig komisch drauf, und jetzt bemerkte ich auch, dass ihm der Schweiß auf der Stirne stand. Hatte er vielleicht Stress?
"Ich muss dich an die Peripherie schicken", fuhr Aeternus fort, "du musst acht geben, dass der junge Zeitstrom nicht aus den Fugen gerät, das ist in Zeiten wie diesen sehr wichtig."

Ich hatte nicht einmal mehr Zeit - und das will was heißen - ihn zu fragen, was er mit Peripherie meinte, was der junge Zeitstrom war und wieso er in Zeiten wie diesen so betonte, da hatte er mich auch schon versetzt.
Manchmal macht er das, ich weiß zwar nicht wie, aber dann bin ich, ohne dass Zeit vergeht, an meinem Einsatzort. Nur wie er es diesmal getan hatte, war nicht angenehm. Sonst ist er immer rücksichtsvoll zu unsereins - also zu mir wenigstens.
Es zog und zerrte von Kopf bis Fuß, und wenn ich nicht schon so viel Erfahrung gehabt hätte, wäre ich wahrscheinlich nicht gesund an meinem Ziel angekommen, wo oder wann auch immer das war, ist oder sein wird.
Hier jedenfalls, bin ich noch nie gewesen. Nichts, was mir vertraut gewesen wäre.

Plötzlich spürte ich eine Zeitfalte, die sich vor mir auftat, ganz ohne mein Zutun, und wenn ich nicht sofort reagiert hätte - was wiederum nur an meiner großen Erfahrung lag - wäre es um mich geschehen gewesen und nur Aeternus allein hätte mich vielleicht jemals wieder gefunden.

Jetzt spürte ich es im Kopf. Es war wie das Rauschen der Meeresbrandung auf einem einsamen Planeten. (Hab' ich das nicht schön gesagt?) Hier war der Zeitstrom noch nicht zur Ruhe gekommen, da floss nichts langsam und träge dahin, wie ich es bisher gewohnt war, hier ging es richtig wild zu. Auch wenn ich versuchte eine ruhige Zone um mich zu schaffen - ich wollte ja nicht in meine Zeitquanten zerlegt werden - floss die Zeit nicht so, wie ich es gerne gehabt hätte. Einmal ging es schneller vorwärts als üblich, dann blieb das ganze Zeitgefüge fast stehen, ich kam mir so richtig durchgebeutelt vor. Dann wieder kamen drei Zeitvektoren gleichzeitig auf mich zu, als wollten sie mich durchbohren und ich hatte Mühe, sie abzuschätzen und ihnen auszuweichen.

"Aequalis!", dröhnte Aeternus Stimme plötzlich in meinem Kopf, "du sollst da nicht herumspielen, bring den Strom endlich unter Kontrolle!!"
So laut hatte ich ihn noch nie gehört. Aber was konnte ich tun? Ich musste mich hier erst einmal umschauen, damit ich meiner Arbeit nachgehen kann.
"Ich muss mich hier erst einmal umschauen..." wollte ich erklären, aber er unterbrach mich schon wieder.
"Du sollst handeln, nicht schauen!" brüllte er mich noch einmal an, dann war er nicht mehr zu vernehmen.
Okay, okay, ich tat, wie er wollte. Mit der Erfahrung langer Zeitalter schaffte ich es natürlich locker, den hier etwas quirligen Zeitstrom zu glätten. Ich nahm die Wirbel heraus, fasste die verschiedenen Flussrichtungen in einer gemeinsamen Strömung zusammen, schloss die aufspringenden Zeitfalten, bündelte die wild herumfliegenden Zeitvektoren in der Strömung und passte schneller und langsamer fließende Stellen einander an.

Na ja, so schwierig war das ja nicht gewesen. Ich klopfte ein imaginäres Zeitquant von meiner Brust und streckte meine Sinne aus. Versauern wollte ich schließlich hier nicht.
"Nicht so schnell, Aequalis", ließ sich Aeternus vernehmen. "Du bist noch nicht fertig. Du musst die ganze Gegend hier beruhigen. Mach also weiter! Ich kann dir aber jetzt nicht helfen."
Was sollte das denn schon wieder? Als ob ich jemals seine Hilfe gebraucht hätte!

Aber ich bin ja nicht so. Ich schaute mich um, wo der Zeitstrom noch nicht beruhigt war um mich dort hin zu begeben.
Als Zeitwächter hat man bei seiner Arbeit einen gewissen Radius, in dem man sich betätigt. Man kann so etwa ein Drittel bis zur Hälfte des Universums, in dem man sich gerade befindet, überblicken. Mehr ist bisher nicht notwendig gewesen. Für die anderen Bereiche sind eben andere Zeitwächter zuständig. Man spürt, dass sie arbeiten, aber man trifft sich nur sehr selten.

Offensichtlich gab es aber hier an der Peripherie keine ausreichende Anzahl von Zeitwächtern und ich musste mich auch in den anderen Bereichen betätigen.
Mit einem kleinen Zeitsprung wollte ich mich an den Rand meiner Sinneswahrnehmung versetzen, scheiterte aber.
Das war Ungewöhnlich!

Zeitsprünge sind ja die bevorzugte Fortbewegungsart von uns Zeitwächtern. Jetzt war guter Rat zwar nicht teuer, aber doch wertvoll. Zu Fuß gehen ist sicher nicht mein Ding, außerdem wäre ich wahrscheinlich irgendwann angekommen und bevor ich mich noch in die richtige Zeit versetzt hätte, wäre Aeternus wahrscheinlich schon über mich gekommen. Nein, das wollte ich nicht riskieren.

Ich bog also einen kleinen Arm des Zeitstroms zu Seite und steuerte ihn quer zu normalen Flussrichtung, sodass ich mich zwar relativ langsam, aber doch beständig meinem neuen Tätigkeitsbereich näherte. Und weil es so praktisch war, wollte ich gleich in dieser Strömung bleiben. Aber da spielte der hier noch ungezügelte und wilde Zeitstrom nicht mit. Wie ein bockiges Pferd warf mich die Strömung ab und ich hatte wirklich Mühe, meinen kleinen Seitenarm in diesem Durcheinander wieder zu finden und in den dahinsprudelnden Zeitstrom einzugliedern.

Also, echt anstrengen musste ich mich ja nicht, aber es dauerte schon seine Zeit, bis auch hier der Zeitstrom so ruhig verlief, wie ich es beabsichtigt hatte. Rasch machte ich mich auf den Weg, auch in weiter entfernten Gegenden und Universen Ruhe in den Zeitablauf zu bringen.

Ich kann jetzt nicht mehr genau sagen, wie lange ich so gearbeitet habe, plötzlich stand Aeternus vor mir, im Schlepptau hatte er seinen Bruder Peregrinus.
Ohne dass er, Peregrinus oder ich etwas getan hätten, öffnete sich vor uns die Zeit und ein neues Universum entstand. Das hatte ich noch nie gesehen, das war so schön - so wunderschön. Schleier von Farben, die noch keine Namen hatten, schlängelten sich vor und zurück, hin und her, dehnten sich aus, erreichten die Mitte des Zeitstrudels und verschwanden inmitten von gleißenden Funkenschauern in den Tiefen des neuen Universums.
Wir sahen zu und bestaunten die Zeit, wie sie sich veränderte und wie sie dieses neue Universum trug. Rund um uns begann die Zeit zu brodeln, aber ich griff zu und stabilisierte den Zeitstrom und der neue Baby-Kosmos konnte sich entwickeln. Bald würde ein neuer Zeitwächter hier seine Arbeit aufnehmen. Vielleicht ich? Es wäre echt spannend in einem jungen Universum arbeiten zu können.

"Das hat ja bestens geklappt", lobte mich Aeternus.
Jetzt war ich mir sicher, dass da etwas faul an der Sache war.
"Wie bist du so schnell hier her gekommen. Du konntest doch nicht springen?" wollte er wissen.
Ich zeigte es ihm. Ein Griff in den Zeitstrom und eine kleine Strömung brachte mich weiter. Dann ordnete ich sie wieder ein und alles lief seinen gewohnten Gang.
"He", rief er Peregrinus zu. "Das sollten wir auch mal ausprobieren."
Aeternus griff in den Zeitstrom, holte eine kleine Strömung heraus, verpasste ihr nicht nur einen Anfang sondern - was ich bisher nicht zusammengebracht habe - auch ein Ende und fertig war es.
"Peregrinus, mach dir auch so ein Timeboard." Der ließ sich das nicht zwei Mal sagen und tat es Aeternus gleich.
"Ach ja, Aequalis. Wir nehmen jetzt eine kleine Auszeit, Peregrinus und ich. Du wirst mich vertreten - ja?"
"Aber ich weiß doch nicht einmal..."
"Na geh, Aequalis, du hast alle Probleme bestens gelöst. Und für das neue Universum wirst du schon einen Zeitwächter finden. Was willst du mehr? Ich bin genau so hineingestoßen worden. Du kannst es schon! Machs gut!"
"Heißt das, vor deiner Zeit...?"
"Ja, vor meiner Zeit hat es auch einen gegeben, der sich Aeternus genannt hat. Irgendwann habe ich beschlossen, nicht mehr auf ihn zu waren. Also warte auch du nicht zu lange!"

Fort waren sie.
Jetzt saß ich mitten im Schlamassel. Aeternus hatte mir eine Aufgabe aufs Aug gedrückt, von der ich so überhaupt keine Ahnung hatte. Wie sollte ich ohne seine Fähigkeiten seinen Platz einnehmen und woher sollte ich einen neuen Zeitwächter nehmen?
Was soll's, irgendwo oder irgendwann würde ich schon einen finden.
Zeit hatte ich ja jetzt mehr als genug.


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