SCHWERPUNKTTHEMA


SPIEGEL


DAS ANTLITZ IM SPIEGEL

von Fred H. Schütz



Zu Apollonius, dem Weisen, kam eines Tages einer, dessen Sänfte mit schwarzen Stoffbahnen verhüllt war, aber Apollonius erkannte die Stammesnarben auf den ebenholzfarbenen Wangen der Träger; es gab nur einen im Land der sich nubische Sklaven leisten konnte. Ein Herold lief voraus und klopfte mit seinem übermannshohen Zeremonialstab an die Tür, daß es durch das ganze Haus hallte. Apollonius trat heraus.
"Mein Herr," hub der Herold an, "wünscht Euch zu sprechen. Allein!"
Apollonius machte eine einladende Geste zur offenstehenden Haustür, aber als der Herold sich wandte um die Träger herbeizuwinken griff der Weise nach dem Stab und der stand wie ein Baum der in der Erde fest verwurzelt ist. "Allein," wiederholte er das letzte Wort des Herolds, und obwohl er leise sprach hallte seine Stimme in den Ohren seiner Besucher.
Aus der Sänfte erklang kurz und bellend das Lachen einer tiefen Stimme. Der Vorhang wurde zurückgeschlagen und heraus stieg ein vornehm gekleideter Herr. Sein Gesicht war hinter einem blauen Schleier verborgen, dennoch erkannte Apollonius den Landesherren.
Er ging gemessenen Schrittes an Apollonius vorüber und betrat das Haus. Apollonius folgte und schloß die Tür, und sofort konnte der Herold seinen Stab wieder bewegen. Er und die Träger setzten sich auf die Holme der Sänfte um zu warten ...
"Ich will," begann der Herr ohne Umschweife, "daß Ihr mir einen Spiegel anfertigt in dem ich mein Schicksal sehen kann. Ich weiß, daß Ihr dazu in der Lage seid. Ihr habt drei Monate Zeit."
Von seinem Gürtel löste er einen Beutel den er auf das Tischchen fallen ließ das in der Mitte des Raumes stand. Der Beutel war schwer und landete mit metallischem Geklimper. "Sind dreihundert Sesterzien genug?"
"Fürs erste," entgegnete Apollonius mit einer lässigen Geste. Sein Besucher zuckte zusammen als plötzlich eine Karaffe und zwei Gläser auf dem Tisch erschienen. Die Gläser waren bereits gefüllt. "Wir wollen den Kontrakt besiegeln."
Sie hoben die Gläser. Der Besucher lüftete seinen Schleier um zu schlürfen. "Erstaunlich gut," bemerkte er und schmatzte anerkennend.
Apollonius trank ebenfalls und lächelte als er sein Glas absetzte. "Es ist Wein aus Euren Gärten."
"Na, dann," brummte der Gast. Er hob den Kopf und Apollonius wusste, daß er ihn scharf musterte obwohl der Schleier den Blick verbarg. "Gekauft, hoffe ich?" In seiner Stimme schwang ein drohender Unterton.
Apollonius nickte.
Sein Besucher zögerte einen Moment, nickte aber dann gleichfalls. "Werdet Ihr den Pakt einhalten?"
"Heute in drei Monaten werdet Ihr den Spiegel in Händen halten," entgegnete Apollonius. Er sprach mit ruhiger Stimme.
"Gut! Ich lasse ihn abholen."
Apollonius hob die Hand. "Nur Eure Hände dürfen den Spiegel berühren! Ich werde ihn Euch bringen!"
"Wißt Ihr denn wo Ihr mich findet?" fragte der Besucher mit lauernder Stimme.
"Zu gegebener Zeit werde ich es wissen."
"Sonst werde ich Euch zur Rechenschaft ziehen!" zischte der Mann und Apollonius wusste, daß er keine leere Drohung aussprach. Aber er blieb ruhig.
Sein Gast nickte noch einmal, dann wandte er sich um zu gehen. Er zuckte wieder zusammen als sich die Haustür öffnete, ohne daß sie eine Hand berührte. Doch dann ging er forschen Schrittes hinaus.
Apollonius sah ihm mit gefurchter Stirn nach, wie er in die Sänfte stieg und fortgetragen wurde. Dann ließ er mit einer sanften Geste die Haustür ins Schloß fallen und wandte sich um. Dem Geldbeutel schenkte er keinen Blick als er den Raum verließ.
Noch am gleichen Tag verließ eine Barke mit schwarzen Segeln den Hafen. Die Leute am Kai murmelten Schutzformeln als sie sahen wie das Schiff mit geblähten Segeln wider den Wind fuhr. An Deck war keine Menschenseele zu sehen.
Einen Tag danach lief das Schiff in den Hafen von Zypern ein und ging an der Reede vor Anker. Ein Mann trat heraus und sprang auf den Kai hinunter. Er war von schwarzer Hautfarbe und bis auf rote Pluderhosen und einen mächtigen Turban völlig nackt. Er verschwand alsbald im Gewirr der Gassen.
Eine Stunde später tauchte er wieder auf. Wo oder bei wem er gewesen war, war nicht zu erkennen. Er trug einen eisernen Kasten in beiden Händen, und obwohl es eine schwere Last sein musste, sprang er leichtfüßig an Deck. Alsbald lösten sich die Haltetaue, das Schiff wendete und nahm Fahrt auf. Dann verschluckte es die Dunkelheit.
Zur selben Stunde wie die Barke verließ ein Reitkamel die Stadt, dessen Reiter von Kopf bis Fuß verhüllt war, sodaß er eher einem flatternden Tuch glich als einem Menschen. Es eilte wie der Wind die kleinasiatische Küste hinunter, überwand den Sinai mit einem Satz und drang schon in die nubischen Berge ein, als es noch kaum die Wüste westlich des großen Flusses betreten hatte.
Am nächsten Tag war das Kamel bereits wieder auf dem Rückweg. Es trug neben seinem Reiter ein schweres in ein Tuch gehülltes Bündel. Das Bündel klirrte metallisch als es der Reiter seinem Herren aushändigte.
Und noch einer war unterwegs. Ein großes schwarzes Pferd schnellte wie ein von der Sehne eines Bogens geschossener Pfeil durch die Wildnis Kleinasiens, bis an der Fuß des schneeigen Gebirges wo es das schwarze Meer berührt. Sein Reiter brachte, sorgfältig durch ein schwarzes Tuch vor Sonnenlicht geschützt, ein mannsdickes Stück aus dem untersten Teil eines Baumes der nur dort wächst.
Unterdessen war der Meister nicht untätig. Er verschwand in den Wirren des Basars, ging aber zu keinem Goldschmied oder zu irgendeinem anderen Geschäft, sondern begab sich schnurstracks zu einer heimlichen kleinen Schmiede ganz am Ende der Straße. Als er von dort zurückkehrte trug er sorgfältig in lichtdichtes Tuch eingewickelt ein kleines Bündel von Werkzeugen, die er aus jungfräulichem Metall selbst hergestellt hatte. Diese Werkzeuge schienen für Kinderhände gemacht, so klein und fein waren sie. Zum Vergleich soll der feinste Schlüssel dienen den ein Handwerker der damaligen Zeit herstellen konnte: der war etwa fünfundzwanzig Zentimeter lang und besaß einen Bart der mindestens einen Zoll im Quadrat maß.
Als alles beisammen war befahl er seine dienstbaren Geister in seine geheime Werkstatt. Die war gegen alles Tageslicht abgeschirmt und für einen normalen Sterblichen nicht zugänglich. Hier war jeder Arbeitsplatz von einer Schwarzlampe erhellt die ihr fahles Geistlicht aussandte, sodaß man vielleicht gerade noch die Hand vor Augen erkennen konnte. Die Geister aber sahen dabei ebenso gut wie du und ich an einem sonnigen Nachmittag.
Nun hob eifriges Werken an. Unsichtbare Geistfeuer, geschürt von Geisthänden, erhitzten die Schmelztiegel in denen es zischte und brodelte, während giftige Dämpfe daraus emporstiegen; sie trennten reines Metall vom Erz. Das Erz wurde hinausgetragen noch während es kochte und reines Metall blieb zurück. Das wurde gehämmert und geformt, in Wasser gekühlt und wieder erhitzt, insgesamt dreimal. Dann wurden die Metalle wiederum bearbeitet, rotes Kupfer, graues Zinn und fließendes Silber, und alles wurde zusammengebracht. Es wurde gehämmert, gebohrt, gefeilt und geschliffen, und das Holz gehobelt, geschnitzt und poliert, und alles solange wiederholt, bis der Meister zufrieden war.
Der Meister betrat die Werkstatt erst wieder als sämtliche giftigen Dämpfe abgezogen waren. Bei einem eigenen Geistlicht das er in Händen hielt, betrachtete er die Arbeit seiner Helfer und war nicht zufrieden bis alles genauso hergestellt war wie er es wünschte.
Als der Spiegel fertig war, ließ er ihn einhüllen: zuerst in ein rotes, dann in ein schwarzes Tuch aus reiner Seide. Auf die Tücher waren mit Goldfäden alchymische Symbole gestickt. Das Bündel wurde in einen Sack aus gleichermaßen schwarzer Seide gesteckt auf dem in archaischer Schrift der Name des Landesherren prangte.
Es verblieben drei Tage bis zum angekündigten Datum. Apollonius schickte den Schwarzen mit den Pluderhosen. Der ging an den Wachen vorüber, die ihn nicht wahrnahmen und sagte zum Landesherren: "Apollonius hat seine Pflicht erfüllt, nun haltet viertausend Sesterzien für ihn bereit!"
Dem Herren verschlug es den Atem. Dann polterte er los: "Viertausend Sesterzien! Bist du von Sinnen?"
Der Schwarze verzog wulstige Lippen und ließ spitzige Zähne blitzen. Seine Augen spiegelten die Farbe seiner Hosen.
Eingeschüchtert blickte der Mensch auf seine Hände nieder. Er rang mit sich, blickte wieder auf. Zwischen seinen Augen stand eine Zornesfalte. "Soviel kann ich in drei Tagen nicht beschaffen!"
"Ihr wollt handeln," sagte der Rotbehoste schlicht. "Dann gebt den blauen Diamanten aus Eurer Schatzkammer her."
"Aber der ist nur tausend Sesterzien wert!" rief der Fürst überrascht. Dann merkte er daß er sich hatte überrumpeln lassen. "Was weißt du von dem blauen Diamanten? Woher weißt du ..."
"Daß er sich in Eurer Schatzkammer befindet," vollendete der Dschinn den Satz. Von neuem zeigte er sein gefährliches Lächeln. "Mein Herr wird sich damit zufrieden geben."
Sein Gegenüber gab sich geschlagen. "Gut. Es sei!"
Drei Tage später kam Apollonius in einer goldenen Sänfte zum königlichen Palast. Die luftigweißen Vorhänge waren offen, sodaß jeder sein freundliches Lächeln sehen konnte. In seinem Schoß ruhte der seidene Sack.
Der Landesherr war frühmorgens selber in seine Schatzkammer hinabgestiegen. Nun zog er ein kleines Päckchen aus seinem Gürtel und öffnete es. Auf seiner Handfläche lag funkelnd der blaue Diamant.
Apollonius zeigte keine Regung beim Anblick des seltenen Juwels. Ruhig überreichte er ihm den schwarzen Sack, doch als ihn der Landesherr hastig öffnen wollte hielt er ihn zurück. "Sammelt Euch! Bedenkt, daß Euch der Spiegel nur einmal zeigt was Ihr zu sehen wünscht!"
Mit einer Verwünschung stieß der Fürst die dargebotene Hand zurück, zerrte wild an der Verschnürung. Die Hüllen fielen, eine nach der anderen. Schließlich lag das magische Objekt in seinen Händen.
Eine runde Scheibe aus einem Holz das er nicht kannte, reich geschmückt mit alchymischen Schriftzeichen, auf der Vorderseite in archaischer Schrift sodaß er sie kaum lesen konnte, sein Name, Masr-ud-Din.
Die Scheibe öffnete sich wie ein Buch, darin eingebettet der Spiegel, silbrig glitzernd als ihn Tageslicht zum allerersten Mal traf. Mit einem gurgelnden Stöhnen griff sich Masr-ud-Din, dessen Name aus allen Chroniken getilgt ist, an den Hals und der leuchtende Spiegel fiel zu Boden ...
Am Abend dieses Tages erlitt der gierige Fürst einen grausamen Tod durch den Biß einer Viper und noch ehe der Morgen graute wurde sein Leichnam auf einen Scheiterhaufen aus Zedernholz gebettet, der alsbald hell aufloderte und mit seinem wohlriechenden Rauch den Geruch von Unheil verdrängte.
Apollonius nahm das magische Juwel und kehrte in sein Haus zurück. Das Geld, das ihm der Tyrann vor drei Monaten gegeben hatte, ließ er unter den Armen verteilen.
Den Spiegel verwahrte er in einer Kammer, wo er die Jahrhunderte überdauerte. Er zeigte, der silbrigen Fläche unauslöschbar aufgehaucht, das von Entsetzen entstellte Antlitz des nunmehr Namenlosen.

(Mit einer tiefen Verbeugung vor Avram Davidson, ohne dessen Werk Phoenix In The Mirror ich nicht einmal diese bescheidenen Kenntnisse von Sinn, Verwendung und Konsequenz eines Zauberspiegels vorweisen könnte.)


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