SCHWERPUNKTTHEMA


SPIEGEL


REFLEKTIONEN

von Fred H. Schütz



"Mammi," fragte ich einst meine Mutter, "Mammi, was fühlt eine schöne Frau wenn sie sich im Spiegel sieht?" Ich dachte der Anblick von soviel Schönheit und das Bewusstsein, daß sie die Schöne war, müßte ihr den Atem verschlagen.
Sie schenkte mir ein wehmütiges Lächeln und strich mir zärtlich übers Haar. "Ich liebe dich, mein Bubele."
Was soll man davon halten ...
Als sie mir neulich wieder einfiel, habe ich Catherine die Geschichte erzählt. Die lachte nur (du glaubst gar nicht wie hohl Gelächter per e-Mail klingen kann!) "Sie hat ihr Konterfei kritisch studiert ob nicht schon wieder ein Fältchen dazugekommen war!"
Wo bleibt da die Romantik ...
Mir fiel die Zauberkomödie ein, die ich vor ein paar Jahren im Fernsehen sah: Martin Short als tölpelhafter Zauberlehrling mit zerbrochenem Zauberstab. Am Schluß war die böse Hexe Kathleen Turner mehr durch glücklichen Zufall als durch Zauberei in den großen Spiegel gebannt worden, der darauf zerbrach und die Scherben mit Teilen von Kathleen darin lagen über den Fußboden verstreut. Hübsch lustig aber was sagt mir das?
Also beschloß ich Lili zu fragen. "Lili, was weißt du von Spiegeln?"
Sie erschrak sichtlich. "Herr, nein!" Fehlte nur, daß sie händeringend auf die Knie fiel ...
"Was, nein?" fragte ich weil ich verwirrt war und runzelte die Brauen. Im Brauenrunzeln bin ich Meister, nur weiß ich nicht wie ich dann aussehe weil ich mich so selten im Spiegel sehe. Mein Haar ist so kurz, daß ich mich nie zu kämmen brauche und Rasieren kommt nicht in Frage - wozu wächst einem denn der Bart - oder anders herum, wozu sollte ich in den Spiegel schauen ...
Sie fiel auf die Knie und rang die Hände. "Herr, nein! Nicht durch den Spiegel!"
"Steh auf!" sagte ich streng weil mir ihr Jammer im Herzen wehtat. "Was meinst du mit ‚Nicht durch den Spiegel'?"
Sie gehorchte indem sie sich erhob. "Bitte, Herr, schicke mich nicht durch den Spiegel!"
Es beschleicht einen ein merkwürdiges Gefühl ums Herz wenn man Lili so zittern sieht. "Keine Angst, Lili. Ich schicke dich nicht durch den Spiegel. Aber sage mir warum ich es nicht tun sollte."
"Herr, hinter dem Spiegel ist nichts, das absolute Nichts! Man ist verloren!"
Nindi! Aha, jetzt wird es mir klar. Nindi lockt Seelen an, um Substanz zu gewinnen, aber wer ihm nicht widersteht, vergeht; Nindi bleibt leer.
"Aber, Lili, ich kann mich doch im Spiegel sehen! Also muß doch was da sein ..."
"Das ist die andere Gefahr," sagte sie eindringlich, "wenn dein Spiegelbild mit dir den Platz tauscht! Dann -"
"Wie, den Platz tauscht? Du meinst, mein Spiegelbild kommt heraus und -"
"Und nimmt deinen Platz ein," sagte sie und ihre Stimme zitterte. "Es zwingt dich in den Spiegel und du bist gefangen!"
Das erinnert mich an Dorian Grey von Oscar Wilde. Nur war's bei ihm ein Bildnis und kein Spiegel. "Aber, Lili, warum sollte es das tun?"
Sie senkte das Köpfchen. "Es ist böse."
"Du meinst," fragte ich bestürzt, "böse Menschen sind eigentlich die Spiegelbilder ihrer selbst?"
Sie nickte stumm.
"Wie kann ich mich dagegen schützen, Lili?"
"Es gibt keinen Schutz dagegen," sagte sie leise.
Das sind ja schöne Aussichten! Der Spiegel übt eine geradezu magische Anziehungskraft aus; jeder, aber auch jeder schaut hinein, ganz automatisch und ohne darüber nachzudenken. Das bedeutet, daß keiner gegen die von Lili beschworene Gefahr gefeit ist. Besonders für Frauen ist der Spiegel ein notwendiges Werkzeug; sie gebrauchen es um zu prüfen wie sie auf andere wirken. Gar mancher nennt das Eitelkeit und urteilt damit vorschnell. Frauen müssen so sein, denn damit sichern sie den Fortbestand der Art.

Woran erkennst du, welche von zwei Fliegen das Männchen und welche das Weibchen ist? Das Männchen sitzt natürlich auf der Bierflasche, das Weibchen auf dem Spiegel. So werden Klischees geboren ...

Über die magische Wirkung des Spiegels gibt es zahllose Traktate. Ich werde mich also hüten die Verwirrung nicht noch, durch Hinzufügen eines weiteren, zu vergrößern. Im Übrigen können das andere viel besser als ich.
Nein, das ist nicht doppelzüngig! Ich bin nicht sonderlich erfahren im Umgang mit Spiegeln; also sind andere eher befugt, sich über sie zu äußern als ich.

Unter den vielen Katalogen und Prospekten, die mir ins Haus flattern, war neulich ein Angebot für ein Buch über Zauberspiegel; es sollte sogar ein "Schwarzspiegel" mit dabei sein. Ein Schwarzspiegel, nehme ich mal an, ist weiter nichts als eine auf Hochglanz bursierte Metallscheibe. Darin kannst du natürlich alles sehen was deiner Phantasie einfällt. Diesem Frieden mißtraue ich und ich habe das Buch mitsamt Schwarzspiegel da gelassen, wo's angeboten wurde.
Spiegel hat heutzutage ein jeder, zuhause an der Wand - und jede Frau die auf ihr Aussehen achtet hat zumindest einen in der Puderdose. Während der Steinzeitmensch sein Spiegelbild noch auf einer reflektierenden Wasseroberfläche suchen mußte, gab es in der Antike bereits Handspiegel aus bursiertem Metall, das heißt, vornehmlich aus Bronze. Erste Glasspiegel gab es in Venedig im Jahre 1300, aber erst im siebzehnten Jahrhundert kamen "richtige" Spiegel aus versilbertem Glas auf. Darin siehst du dich wie du bist, und wenn nicht gerade eine Uhr oder Zeitung mit im Spiegelbild erscheint, merkst du gar nicht, daß es dich seitenverkehrt zeigt.
Spiegelmagie ist sicherlich ein beliebtes Thema, über das wohl auch reichlich geschrieben wurde. Ich kenne ein Buch, das ich dir nur wärmstens empfehlen kann (das heißt, wenn du es ergattern kannst, denn es ist seit langem vergriffen.) Es heißt Phoenix in the Mirror und ist von Avram Davidson. Davidson greift darin die mittelalterliche Volkspoesie über die angeblichen zauberischen Werke des römischen Dichters Vergilius auf, eben demselben dem wir die Aeneas verdanken.
Das Buch beschreibt wie Vergil einen Zauberspiegel herstellt. Dieser ist natürlich aus bursierter Bronze und weil er für den Zauber nur einmal verwendet werden kann und dazu jungfräulich sein muß - das heißt es darf ihn vorher kein Lichtstrahl treffen - bekommt er Flügeltüren verpasst, sodaß seine Oberfläche im Dunkeln bleibt.
Dasselbe geschieht auch in dem britischen Film Snowwhite in the Black Forest über den ich mich hier nicht weiter auslassen will (warum die Briten Schneewittchen unbedingt im Schwarzwald ansiedeln wollten ist mir nach wie vor ein Rätsel.) Die böse Stiefmutter, von der Königin zur Kaufmannsgattin degradiert, besitzt gleichfalls einen Zauberspiegel der mir im Gegensatz zum Film ausnehmend gut gefiel: er hat nämlich auch Flügeltüren mit einem barocken Bäuchlein über das er seine Hände gemütlich faltet. Zum guten Ende - Märchen gehen bekanntlich immer gut aus - fällt das üble Weib in den Spiegel und somit ins Nirwana. Recht geschieht ihr.
Schlußendlich wären da noch die Spiegelkabinette zu erwähnen. Von denen gibt es zwei Arten. Da wäre zum einen der abgedunkelte Gang mit Vexierspiegeln an den Wänden, in denen du dich verzerrt mit Riesenkopf und winzigen Füßen, dick oder dünn, auf den Kopf gestellt oder sogar doppelt sehen kannst; zum anderen den venezianischen Spiegelsaal. Dieser ist hell ausgeleuchtet und sämtliche Oberflächen sind mit Spiegeln ausgekleidet die nicht nur im rechten Winkel zueinander stehen. Er wirkt wie ein Labyrinth in dem du dich verirrst und ohne ihn wahrzunehmen am Gang, der zum Ausgang führt, vorbeigehst. Das kann so verwirren, daß schon mal einer der Nerven verliert und durch die Spiegel rennt ...
Und damit, sage ich mal, wäre meine kleine Plauderei über Spiegel zu

ENDE


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