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DAS GLITZERDING

von Susanne Stahr



Marten liebte Glitzerdinge, je kurioser umso mehr. Wo er etwas glänzen sah, hob er es auf und fügte es seiner Sammlung zu. Deshalb zögerte er auch jetzt keine Sekunde als er das seltsame Ding auf dem Bahnsteig liegen sah. So etwas hatte er noch nie gefunden. Es war ein kleines, rundes Ding, das in seiner klobigen Hand verschwand. Fasziniert starrte er auf seinen Fund.
Zwei Schritte hinter ihm wechselten zwei unauffällige Männer in unauffälligen, grauen Anzügen Blicke und einige leise, klickende Geräusche. Einer schob sich an Marten heran und hob die Hand.
In diesem Moment fuhr der Zug in den Bahnhof. Matten steckte den Gegenstand in seine Jackentasche und trat einen Schritt zur Seite.
Die Hand des Fremden fuhr ins Leere. Er verlor das Gleichgewicht und Sekunden später war er nur noch ein blutiges Bündel Lumpen. Ein Aufschrei ging durch die Menge der Wartenden. Der verbliebene unauffällige Mann im unauffälligen, grauen Anzug zog ein völlig identisches Ding aus der Tasche, wie es Marten eben gefunden hatte. Ein kaum wahrnehmbares Summen ertönte und das Entsetzen fiel von den Menschen ab.
Wie jeden Tag strebten sie zu den Waggontüren. Der Fremde betätigte einen anderen Knopf an dem Ding und sein verunglückter Kollege löste sich in blauen Rauch auf. Dann drehte er an einem Ende und klickte eine Botschaft hinein. Der Apparat antwortete mit einer schnellen Folge ebensolcher Töne. Das ging ein paar Mal hin und her. Übersetzt hätte es sich so angehört:
"Einer der Eingeborenen hat einen ... (unübersetzbares Wort) an sich genommen, den R-16 am Bahnsteig verloren hatte. Als er die Sache bereinigen wollte, wurde R-16 vom Zug überrollt."
"Wo ist der ...(unübersetzbares Wort)?"
"Der Eingeborene hat ihn."
"Den Primitiven neutralisieren und den ... (unübersetzbares Wort) zurück holen'

An diesem Tag konnte es Marten gar nicht erwarten, an seine Arbeitsstelle bei Randorn Research zu kommen. Er zeigte jeden Fund Mr. Holloway. Und der erklärte ihm, was es war. Matten verstand nicht alles, was ihm Mr. Holloway sagte, aber er bemühte sich.
Mr. Holloway war einer der Wissenschaftler, die in dem Forschungslabor arbeiteten und der einzige, der sich mehr als nur geschäftlich mir Marten abgab. Und er war sicher auch der Klügste von allen, davon war Marten überzeugte. Klüger noch als Mr. Kobinski, der Leiter des Labors.
Versonnen dachte der junge Mann an seine Sammlung. Da waren eine abgebrochene Pleuelstange, die Unruhe einer Standuhr, der Abzugshahn einer Pistole und noch vieles mehr. Marten war schon gespannt, was dieses Ding wohl war. Er ging auch, sobald er in seinen grauen Arbeitsoverall geschlüpft war, zu Mr. Holloways.
"Ich hab was gefunden!", platzte er heraus und wollte schon sein neues Glitzerding hervor holen.
"Nicht jetzt, Marten", wehrte Mr. Holloway freundlich ab. "komm in der Frühstückspause zu mir. Dann sehe ich es mir gern an." Damit wandte er sich Mr. Kobinski zu.
Ein wenig enttäuscht starrte Marten auf die Rücken der beiden weißen Arbeitsmäntel und machte sich an die Arbeit. Das glitzernde Etwas steckte er in die Hosentasche seiner Montur. Er wollte sich auf keinen Fall davon trennen.
Sein neuester Fund ging ihm auch nicht aus dem Kopf während er auf dem Rasenmäher saß und Streifen für Streifen der großen Fläche abfuhr. Dass er von zwei unauffälligen Männern in unauffälligen, grauen Anzügen beobachtet wurde, bemerkte er gar nicht. Sie waren gut versteckt hinter der Hecke, die das Grundstück begrenzte.
Das Glitzerding brannte in seiner Tasche. Schnell sah er sich um. Niemand war zu sehen. Trotzdem hatte er ein schlechtes Gewissen als er seinen Schatz hervor holte. Da gab es Knöpfe und winzige Schieber. Das musste etwas ganz Besonderes sein. Er fuhr gerade an dem hässlichen Loch in der Hecke vorbei. Vor einer Woche war ein betrunkener Autofahrer mit seinem Wagen da hinein gekracht. Es würde Jahre dauern, bis alles wieder nachgewachsen war.

Durch das Loch konnte er zwei Männer sehen. Was wollten die da? Neugierig beugte er sich vor. Dabei legte sich sein Daumen auf einen der Knöpfe. Ein leises Summen ertönte. Erschrocken sah Marten auf das Ding und ließ es schnell in der Hosentasche verschwinden. Mit klopfendem Herzen konzentrierte er sich wieder auf seine Arbeit.
Vor der Hecke hatte sich einer der unauffälligen Männer in den unauffälligen, grauen Anzügen in blauen Rauch aufgelöst. Der Verbliebene klickte hastig in sein Gerät: "Der Eingeborene hat M-8 aufgelöst. Erbitte Anweisungen."
"Bleib, wo du bist. Verstärkung ist unterwegs", klickte das glitzernde Ding.

Endlich war es Zeit für die Frühstückspause. Heute war ein sonniger Tag. Marten hoffte, dass Mr. Holloway seine Pause auf einer Bank im Park verbrachte. Er wollte mit ihm allein sein, wenn er ihm seinen Fund zeigte. Die anderen Wissenschaftler, besonders Mr. Kobinski, belächelten sein Hobby und das tat weh.
"Sehen Sie, Mr. Holloway. Das hab' ich heute früh am Bahnsteig gefunden", sprudelte er heraus. Dabei hielt er dem Mann das Glitzerding hin.
Der Forscher nahm es mit zwei Fingern und drehte es interessiert herum. Dabei brummte er Unverständliches.
"Was ist das?", drängte Marten. "Es summt, wenn man da drauf drückt." Sein Finger schoss vor und drückte auf den Knopf. Ein leises Summen ertönte und auf dem Gehsteig vor dem Forschungsinstitut lösten sich zwei unauffällige Männer in unauffälligen, grauen Anzügen in blauen Rauch auf.
"Das solltest du lieber nicht tun, Marten", sagte Mr. Holloway freundlich, aber bestimmt. "Das scheint irgendein Gerät zu sein. Ich weiß selber nicht, welches. Da weiß man nie, was das Summen bewirkt. Du willst doch niemand Schaden zufügen."
Marten wurde ganz heiß. Was konnte das sein, wenn selbst Mr. Holloway nicht wusste, was es war? "Ich wird's nicht mehr tun", versprach er ernsthaft.
"Das scheint etwas sehr Ungewöhnliches zu sein", fuhr Mr. Holloway fort. "Borgst du es mir? Ich möchte es Mr. Kobinski zeigen."
Marten nahm seinen Schatz hastig an sich und presste es an die Brust. "Aber Mr. Kobinksi wird ..." wandte er ängstlich ein.
"Du bekommst es wieder", versuchte der Forscher ihn zu beschwichtigen. Doch er sah bald, dass seine Worte nichts fruchteten. "Nach der Arbeit kommst du in mein Büro und wir sehen und das gemeinsam an", schlug er vor. "Und Mr. Kobinski wird es dir sofort zurück geben, wenn du es willst."
Marten nickte glücklich. Ja, das war ein guter Vorschlag. Mr. Holloway würde sein Wort halten. Das hatte er immer getan. Zufrieden ging Marten an seine Arbeit zurück.

Inzwischen versuchte ein verzweifelter Raumschiffskommandant vergeblich mit seinen Crewmitgliedern Kontakt aufzunehmen. Schließlich scannte er die Gegend, fand aber nur noch einige Partikel mit der DNA seiner Leute.
"Das sehen wir uns persönlich an", klickte er seinen Ersten an. "Dieser Eingeborene hat einen wesentlich geringeren IQ als die meisten seiner Artgenossen. Wenn so ein minderwertiges Exemplar schon so gefährlich ist, dann muss das eine höllisch gefährliche Rasse sein."
Diese Schlussfolgerung kam nicht von ungefähr. In seiner Crew waren nur Spitzenkräfte. Gewesen, korrigierte er sich grimmig.
"Wir werden ganz vorsichtig vorgehen", wies er seinen Untergebenen an. "Keine Extratouren. Wir beobachten nur."

Marten war zu Mittag mit dem Rasenmähen fertig. Nach der Pause widmete er sich der Hecke. Er musste sich zur Ruhe zwingen, so aufgeregt war er. Systematisch zwickte er alle überstehenden Zweige. Was hatte Mr. Holloway gesagt? Er sollte das Ding nicht summen lassen? Verstohlen holte er es hervor. Es passierte doch gar nichts. Versuchsweise drückte er auf den Knopf. Na, bitte! Gar nichts war passiert. Grinsend ließ er es wieder in die Hosentasche gleiten.
Auf der anderen Straßenseite löste sich ein unauffälliger Mann in einem unauffälligen, grauen Anzug in blauen Rauch auf. Ein ebensolcher Mann ergriff in heller Panik die Flucht.



Es dauerte, bis er im Handbuch das Kapitel für Notfälle gefunden hatte. Der ganze Nachmittag verging mit der Programmierung des Autopiloten. Dann gönnte sich der Erste Offizier, jetzt Kommandant und einziges Besatzungsmitglied, eine Pause.

Endlich war es soweit. Marten stand mit schwitzenden Händen vor Mr. Kobinski. Mr. Holloway nickte ihm aufmunternd zu und er rückte zögernd seinen Schatz heraus. Stirnrunzelnd drehte Mr. Kobinski das Ding hin und her, ähnlich, wie es Mr. Holloway schon getan hatte. "Und es summt, wenn man da drauf drückt?", fragte er.
Das Ding maß summend den IQ der Anwesenden.
"Das ist ein Spielzeug", behauptete der Laborleiter fest. "So etwas hängen sich die Kinder an die Schultaschen. Mein Sohn hat auch eins davon." Als er die Enttäuschung in Martens Gesicht las, fügte er hinzu: "Aber es ist sehr hübsch. Sicher war es teuer."
Marten rang sich ein Lächeln ab und ging nach Hause. Auf dem Weg zur Bahn zog er es wieder hervor. Er wollte es noch einmal summen hören. Wenn es ein Spielzeug war, konnte gar nichts passieren. Andächtig drückte er auf den Knopf.

Bei Einbruch der Dunkelheit aktivierte der Erste den Autopiloten. Das Raumschiff schoss in den wolkenlosen Himmel. Es hatte fast die Stratosphäre erreicht, als es der Strahl des (unübersetzbares Wort) traf. Auf diese Entfernung konnte er keinen Schaden mehr anrichten. Der einzige Passagier wurde nur heftig durchgeschüttelt. Bebend vor Entsetzen gab er seine Meldung durch:
"Plant X05873B ist unverzüglich unter Quarantäne zu stellen. Gefährliche Spezies tötet ohne Warnung, besonderer Sinn für Gefahrenerkennung möglich. Gezeichnet S-17, einziger Überlebender."


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