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GOLCONDA

Folge 2

von Susanne Stahr



Der Wetterstein

Der Regen klatschte in großen Tropfen gegen das Fenster und floss in kleinen Bächen die Wand hinunter. Arwed lugte durch seinen neuen Store zum Nachbarhaus hinüber. Eben war ein Bote gekommen und Violetta hatte ein Päckchen in Empfang genommen. Hatte sie tatsächlich zu ihm herüber gesehen? Mit einem sehnsüchtigen Ausdruck in ihrem Gesicht?
"Du solltest mal sehen, welche Glubschaugen du machst, Rooster!", brummte der Kobold von seiner Schulter und brachte den jungen überschlanken Magier damit brutal in die Wirklichkeit zurück.
"Davon verstehst du nichts", wies dieser seinen dienstbaren Geist zurecht.
"Hehehe!", ließ sich dieser nicht einschüchtern. "Deine Lüsternheit verhindert wieder mal, dass du das Wichtige siehst."
Arwed funkelte den Kobold giftig an. "Wie kannst du meine Liebe als Lüsternheit bezeichnen!?", schimpfte er aufgebracht. "Und was soll da wichtiger sein als ..."
"Hast du nicht gesehen, was sie gemacht hat?"
Die grün-goldenen Augen wurden groß und rund. "Sie kam heraus und nahm das Päckchen ... Gaspard!" Jetzt endlich begriff er. "Warum regnet es nur bei mir?"
Das grün gekleidete Männlein lachte keckernd. "Du bist ja doch nicht so blöd wie ich dachte."
Ein nachdenklicher Blick traf Gaspard. "Hast du schon ...?", begann er.
"Arwed! Meister! Hab Mitleid!", fuhr der Kleine dazwischen und krallte seine Finger in Arweds Ohr. "Mir tut noch alles weh vom Fußboden schrubben." Er verschwand von der Schulter des Luftmagiers um wenige Sekunden später wieder zu erscheinen. "Sieh her! Ich habe dein neues Bücherregal abgestaubt! - Außerdem bekommst du Besuch, Langer!" Damit rutschte er von der Schulter und machte es sich in Arweds Brusttasche bequem. Der Magier sah sich in seinem Arbeitsraum um. Schreibtisch, Stühle und Bücherregale aus Rosenholz, dazu eine schöne geschnitzte Truhe für seine Zauberuntensilien, und ein Vorhang. Der letzte Auftrag war sehr lukrativ gewesen. Mit einer kleinen Bewegung seiner linken Hand zauberte er die Illusion von dicken Teppichen auf den Fußboden. Er konnte gerade noch eine antike Pendeluhr in der Ecke erscheinen lassen, dann klopfte es auch schon gegen seine Tür. Er wartete ein paar Sekunden, schob ein paar Papiere auf dem Schreibtisch durcheinander und warf noch einen prüfenden Blick in den Spiegel, bevor er öffnete.
Drei Agami standen in einer Reihe vor der Tür. Der mittlere trug das Diadem der Regenmacher auf dem haarlosen Echsenschädel und war in einen bunten Federmantel gehüllt aus dem es unaufhörlich tropfte. Die beiden anderen waren unbekleidet, abgesehen von diversen Gürteln und Riemen, an denen die verschiedensten Waffen hingen. Leibwächter, erkannte Arwed. Ein Sonnenstrahl brach durch die Wolken und ließ die geschliffenen Flusskiesel in dem Diadem aufblitzen. "Meister Glsch'tschiss wünscht eine Unterredung mit Meister Arwed", zischelte der rechte Krieger.
"Ich bin Arwed, diplomierter Luftmagier", antwortete er stolz und ließ die drei eintreten.
Glsch'tschiss pflanzte sich in einen Stuhl und ließ die gespaltene Zunge vorschnellen. Seine Schuppenhaut verfärbte sich sekundenlang zu hellem Orange, das Signal für eine ärgerliche Aufwallung, und kehrte dann zu dem üblichen Blaugrün zurück. "Hier ist Magie", fauchte er giftig. Agami zeigten ihre Gefühle durch Farbveränderungen ihrer Schuppen an.
"Was dachtest du bei einem Magier zu finden?", fragte Arwed forsch und schob ein Blatt Papier über ein anderes. "Was kann ich für dich tun?" Dann wurde er blass. Zwei rasiermesserscharfe, gezackte Klingen kitzelten seinen Hals, hinter denen die Agami-Krieger grinsend ihre langen, spitzen Zähne zeigten. Der junge Magier wich so weit als möglich zurück und stotterte: "So werden wir nicht ins Geschäft kommen."
Die Kurzschwerter verschwanden. "Dem Volk der Agami ist ein höchst wertvoller Gegenstand abhanden gekommen." Glsch'tschiss machte eine Kunstpause und stieß ein bedauerndes Zischen aus. "Wie viel Wissen über unser Volk kann man bei einem Menschen voraussetzen?", fragte er die Decke.
"Die Wahl des Großen Regenmachers steht bevor, so wie jeden 29. Vollmond. Falls der verlorene Gegenstand etwas mit dieser Wahl zu tun hat, ist Eile geboten. Wir haben in neun Tagen Vollmond." Arwed gestattete sich ein süffisantes Lächeln als sich die drei Echsen vor Überraschung türkis färbten. "Wie sieht der Gegenstand aus?"
Glsch'tschiss winkte mit der dreifingerigen Klaue und der rechte Leibwächter holte aus seinem Gürtel ein flaches Etui. Mit einem geschickten Griff klappte er es auf. Auf einem gegerbten Stück Echsenleder war ein uralter Agami abgebildet, auf dem runzligen Kopf das Diadem mit den Flusskieseln und um den Hals ein Amulett mit einem großen grünen Stein. "Der Wetterstein."
Arwed erkannte, dass sich die Agami tatsächlich in großen Schwierigkeiten befanden, und nicht nur sie, auch alle anderen Rassen. Wurde der Wetterstein nicht bis zur Wahl gefunden, so würde jeder Regenmacher nach Lust und Laune das Wetter gestalten. Was das bedeutete, mochte er sich gar nicht ausmalen. "Hast du eine Ahnung, was aus dem Stein geworden sein könnte?"
"Er wurde gestohlen!" Glsch'tschiss spuckte die Worte förmlich durch seine spitzen Zähne. "Wir haben einen Glatten am Schrein beobachtet."
"Das muss ich mir ansehen", kam Arweds professionelle Antwort.
Wieder bedrohten die Schwerter der Krieger Arweds Hals. "Kein Glatter betritt noch einmal unseren Schrein", fauchte der Regenmacher.
"Ich verstehe dein Misstrauen", beeilte sich Arwed zu beteuern. Er ärgerte sich, dass der Agami den abfälligen Ausdruck ‚Glatter' für ihn verwendet hatte, drängte seine Gefühle aber angesichts der gezackten Klingen und seiner misslichen finanziellen Lage zurück. "Wie soll ich die Spur aufnehmen, wenn nicht am Ort des Verbrechens?" Ein Blitz erhellte den Raum, gefolgt von einem Donnerschlag, der das Haus erzittern ließ. Wieder rauschte Regen an den Fenstern herab. Ein schneller Blick zeigte ihm, dass dieses Wetter nicht nur auf sein Haus beschränkt war. In Sekundenschnelle war die Straße wie leer gefegt. Nur zwei Agami-Krieger, die Arwed erst jetzt bemerkte, standen unbeweglich im Regen vor seinem Haus. Glsch'tschiss fuhr mit einem wütenden Zischen hoch und seine Schuppen nahmen eine braun-grüne Färbung an, ein deutliches Zeichen, dass er enorm irritiert war.
"Die Legenden schreiben dem Wetterstein magische Fähigkeiten zu. Wenn du mir sagst, welche davon der Wahrheit entsprechen, könnte ich ..." Er verstummte als zusätzlich zu den Klingen am Hals ein äußerst gefährlich aussehender Stern aus Haifischzähnen gegen seine Nase tippte. Arwed überlegte schon, wie schrecklich ein Leben ohne Nasenspitze wäre, da erschien Gaspards Kopf aus seinem Jackett. "Wer meinem Meister das geringste Leid zufügt, dem lasse ich die längsten Ohren von Golconda wachsen!", kreischte er und fuchtelte mit einer Nagelfeile wild vor den Augen der Agami herum. Alle drei färbten sich braun, was ihr Erschrecken zeigte, und die Waffen verschwanden. Ohren galten bei den Agami, die nur schlitzartige Gehöröffnungen besaßen, als besonders hässlich und lächerlich.
"Du kannst in drei Stunden zum Schrein kommen", zischelte Glsch'tschiss und erhob sich hoheitsvoll. Seine Schuppen hatten wieder das neutrale Blaugrün angenommen.
Ein tiefer Seufzer entrang sich Arweds Brust, als sich die Tür hinter den Echsen schloss. Schnell hob er den Illusionszauber auf und deutete auf eine große Wasserlache am Boden. "Wisch das auf, Gaspard. Der Regenmacher war undicht."

"Was soll ich nur anziehen!?", jammerte Arwed und drehte sich vor dem Spiegel hin und her. Sein braunes Haar saß Locke für Locke perfekt und schimmerte in sanftem Blaugrün. Auch sein Anzug wurde von keinem einzigen Stäubchen entehrt. Aber die Schuhe! Gaspard hatte sie letzte Nacht geputzt und sie glänzten wie die Augen einer Braut. "Wenn ich damit durch Yazoohula gehe, kann ich sie hinterher wegwerfen!" Der Wohnbezirk der Agami lag am Fluss Yazoo, der Golconda im Norden begrenzte. Das Land war dort sehr flach und zwischen den Mäandern des Stromes befanden sich sumpfige Wiesen. Für Agami die ideale Umgebung. Denn diese schwanzlosen Echsen liebten das feuchte Element und beschäftigten sich auch vorwiegend damit. Fischer, Fährleute und Regenmacher waren die am häufigsten ausgeübten Berufe unter ihnen. Die traditionell schlammigen Straßen der Agami-Siedlung waren es jetzt, die Arwed um seine Schuhe bangen ließen.
"Krieg dich wieder rein, großer Magier!", spottete Gaspard und stellte eine graugrüne Schachtel vor ihn hin. "Damit kannst du durch den Fluss waten ohne dass deine ach so schönen Schuhe Schaden erleiden."
Arwed hatte sich schon an die freche Ausdrucksweise seines Kobolds gewöhnt. So zuckte er nur die Achseln und hob den Deckel von der Schachtel. "Was ist das?" Er nahm einen etwas unförmigen Schuh heraus. "Die sind zu groß für mich. Willst du mich der Lächerlichkeit preisgeben?"
Gaspard zog eine beleidigte Schnute. "Galoschen. Du musst sie über deine Schuhe ziehen. Sie sind absolut wasserdicht."
"Und wie sehe ich damit aus?!" Arweds Schönheitssinn wand sich in grässlichen Qualen. "So kann ich doch nicht auf die Straße gehen!"
"Dann musst du deine guten Schuhe ruinieren. Wie die aussehen, wenn du Yazoohula verlässt, möchte ich lieber nicht beschreiben."
Der junge Magier wehrte sich entschlossen, aber schließlich gab er auf. Er stopfte die Galoschen in eine große Tasche und machte sich auf den Weg. Erst an der Grenze von Yazoohula würde er sie überstreifen.

Der Weg nach Yazoohula führte den Zauberer vorwiegend bergab, in die Ebene. Anfangs fiel Arwed in der feuchten Luft das Atmen schwer, doch dann gewöhnte er sich. Er nahm sogar hinter dem starken Fischgeruch ganz schwach den berauschenden Duft der Sumpflilie wahr. Zwei Agami-Krieger nahmen den Luftmagier in Empfang und führten ihn zu dem gut bewachten Schrein, einem gedrungenen Holzbau mit Grassoden am Dach. Die ihn umgebenden flachen Hütten, zwischen denen junge Echsen im Schlamm spielten, ließen ihn imposant erscheinen. Hier gab es keine Fußböden.
Arwed beschloss, auf dem Rückweg einige Sahnetörtchen für Gaspard zu besorgen. Die Galoschen waren einfach wunderbar bequem, leicht und schützten seine Schuhe perfekt.
Der Schrein wurde von zahlreichen rauchenden Kiefernfackeln erhellt, die außer Licht auch einen harzigen Geruch verbreiteten. Der Blick des Magiers glitt langsam über den von zahlreichen Spuren gezeichneten weichen Boden. Am häufigsten gab es die dreizehigen Abdrücke der Agami. Dazwischen fand sein scharfes Auge aber auch die Spur eines Stiefels. Es musste ein abgelatschter Stiefel mit schiefem Absatz und einem Loch in der Sohle sein. Der weiche Boden zeigte jede Einzelheit bestechend klar.
"Hast du Platz für eine Handvoll Erde?", fragte der Magier in seine Brusttasche hinein. Eine kleine Hand kam zum Vorschein und reichte ihm ein dunkles Leinensäckchen.
Eine grünblaue Klaue schnappte das Säckchen und ließ es drohend vor Arweds Nase hin und her baumeln. "Was machst du da, Mensch?", zischte der Wächter.
Arwed trat zurück und ...auf den Fuß des zweiten Wächters. Ein schrilles Pfeifen ließ sein Trommelfell fast platzen. Er stolperte ein paar Schritte zur Seite und hielt sich die Ohren zu. "Wollt ihr nun euren Wetterstein wieder oder nicht?", schrie er wütend. "Wie soll ich arbeiten, wenn ich von allen Seiten bedroht werde?" Der Agami reichte dem Magier wieder das Säckchen mit der Erde. Seine Schuppen hatten sich dunkelgrün verfärbt, ein Zeichen ängstlicher Verlegenheit. Mit einem hochmütigen "Ha!" drehte sich Arwed um und verließ den Schrein. Die Wächter folgten ihm langsam, einer von ihnen hinkend, und zischelten etwas in ihrer Sprache.
"Dem hast du's aber gegeben", erklang es lobend aus seiner Brusttasche.
"Diese Wächter haben ihre Nase einfach überall drin. Wie soll ich etwas finden, wenn sie mich dauernd behindern."
"Dieser Tritt! Er wird dir ewig treu sein!"
"Ach! Er stand nur zu knapp hinter mir. In Zukunft wird er aufpassen, wo er seine Füße hinsetzt."
Gaspard kicherte. "Du weißt doch nicht alles über die Agami."
"Gaspard! Was soll das?" Sie näherten sich bereits dem Rand der Agami-Siedlung und Arwed drehte sich um. Der hinkende Krieger war ihnen gefolgt und stand nun, umgeben von sechs kleinen Echsen, die Schuppen rosa leuchtend und stieß jammernde Laute aus. Auch die jungen Agami hatten sich rosa verfärbt, die Farbe der Trauer. Kopfschüttelnd machte sich der Magier auf den Heimweg. Fortgesetzte ungleiche Schritte ließen ihn umdrehen. Verwundert stellte er fest, dass ihm der Agami folgte. "Was willst du von mir?", fragte er ihn ungehalten. "Hat Glsch'tschiss dich beauftragt, mich zu beschatten? Sag deinem Meister, ich werde den Stein suchen, aber auf meine Art!"
Der Agami fiel auf die Knie. "Tschrt'schlog dient nur dir, Meister Arwed!"
Arwed war wie vom Donner gerührt. Jetzt fiel es ihm wieder ein. Eine Legende besagte, dass der, der auf den Fuß eines Agami trat, diesen zu seinem Diener auf Lebenszeit machte. Durch seinen ungeschickten Tritt im Schrein hatte er den Agami versklavt. Was hatte er getan! Ihm wurde heiß und kalt bei dem Gedanken. Er war immer auf seine liberale Gesinnung stolz gewesen. Der Gedanke, ein intelligentes Wesen versklavt zu haben, war ihm unerträglich.
Leises Kichern aus seiner Brusttasche erinnerte ihn an seinen Kobold. Er biss sich auf die Lippen und musterte die unglückliche Echse. Offenbar galt dieses Gesetz des Echsenvolkes noch immer. "Steh auf, Tschrt'-schlog, und merke dir. Du darfst nie wieder vor mir knien", brummte er rau. Die Schuppen des Agami nahmen langsam wieder ihre grünblaue Farbe an, als er aufstand. Nur die sechs Kleinen blieben rosa.
"Ist das dein Gelege?", fragte der Magier und zeigte auf die rosa Schar. Der Krieger nickte bekümmert. Die Gesellschaftsordnung der Agami verlangte, dass sich aus jedem Gelege nur eine männliche Echse fortpflanzen durfte, da es zehnmal mehr männliche Agami gab als weibliche. Die Brut wurde dann vom ganzen Gelege aufgezogen. So kam es, dass ein Agami eine Mutter und bis zu zehn Väter hatte, egal wer der biologische Vater war. "Geh zu deinem Gelege! Ich will nicht, dass du mir dienst", befahl er. Er würde nie einen Vater von seinen Kindern trennen.
"Ich folge dir, Meister", entgegnete die Echse störrisch. "Mein Leben liegt in deiner Hand."
"Ich will das aber nicht!" Arwed wurde langsam ungeduldig. "Es war ein Versehen!"
"Auch wenn es nicht deine Absicht war", trotzte Tschrt'schlog, "bin ich doch dein Diener solange ich lebe."
"Aber dein Gelege! Hast du kein Mitleid mit den Kleinen? Ich gebe dich frei!", beschwor er ihn. Der Agami starrte ihn nur bockig an und Arwed gingen die Argumente aus. Was sollte er nur tun? Vorerst musste er sich um diesen Fall kümmern. Der Echsenkrieger kam später dran, nahm er sich vor. Nachdenklich ging Arwed auf den Rand der Siedlung zu, streifte dort die Galoschen ab und steckte sie in die Tasche. "Die kannst du tragen", sagte er und reichte sie seinem neuen Diener. ‚Was werden die Leute sagen, wenn sie mich in dieser Begleitung sehen?' dachte er und schritt kräftig aus.
Das Häufchen Erde aus dem Schrein der Agami lag in einer flachen Keramikschale auf Arweds Schreibtisch. Davor standen Phiolen mit verschieden farbigen Pulvern und Döschen mit zerstoßenen Kräutern. Der junge Magier mischte in einem kleinen Tiegel von jedem etwas zusammen, prüfte schnuppernd den Geruch, murmelte eine Beschwörung und leerte die Mixtur über die Erde.
Hellblauer Rauch stieg auf und formte das Bild eines Mannes mit kurzem, schwarzem Haar, einer Hakennase und einem Spitzbart. Die dunklen, unsteten Augen schienen die Umgebung ständig nach einer Bedrohung abzusuchen. Arwed kannte diesen Mann.
Er war ein Bettler, der vorzugsweise um Ellas ‚Strammen Finger' herumschlich. Die Wirtin trug ihm gelegentlich kleine Arbeiten auf, da er, bedingt durch eine schwere Verletzung in seiner Jugend, ein verkrüppeltes Bein hatte und keine schwerere Arbeit leisten konnte.
Thilo mochte zwar ab und zu einen Betrunkenen um seinen Geldbeutel erleichtern, doch er war kein Gewohnheitsdieb. Und für einen Einbruch im Schrein der Agami hielt Arwed ihn gänzlich ungeeignet. Arwed winkte dem Agami-Krieger, der sich in einer Ecke seines Büros zusammengekauert hatte. "Bring mir diesen Mann", befahl er. "Gaspard wird dich hinführen. Aber behandle ihn ..."
Tschrt'schlog färbte sich braunrot, eine heftige Angstreaktion, und stieß einen schrillen Schrei aus als der Kobold auf seiner Schulter materialisierte. Dann fiel er der Länge nach um. "Was ist los mit ihm?", fragte Arwed irritiert.
Gaspard umkreiste die Echse, hob eine Klaue an und ließ sie wieder fallen. "Bewusstlos", konstatierte er. "Hat sich wohl erschreckt."
Seufzend holte der Magier ein Fläschchen mit Kampfer aus seiner Truhe und hielt es dem Agami unter die flache Nase. Dazu murmelte er einen Heilzauber. Sekunden später schlug dieser die Augen auf und kam wieder auf die Beine. Während er Gaspard musterte, der nun auf der Schreibtischkante saß, wetterleuchteten seine Schuppen zwischen Grün, der Farbe für Verlegenheit, und Braunrot.
"Ich sehe, du musst dich erst an den Stöpsel gewöhnen", brummte der Magier und ging zur Hintertür seines Hauses. Zu dem Anwesen gehörte ein kleiner Garten, durch dessen unteren Teil ein schmaler Bach floss. Das Gras stand fast hüfthoch und daraus ragten ein Apfelbaum und einige Haselnusssträucher. "Bau dir eine Hütte, Tschrt'schlog", ordnete er an und wehrte zugleich die Proteste seines Dieners mit einer Handbewegung ab. "Wenn du austrocknest, kannst du mir nur noch als Statue dienen."

Ein letzter Blick in eine Fensterscheibe
überzeugte Arwed, dass sein Haar richtig saß und sein Anzug staubfrei war. Er öffnete die Tür zum ‚Strammen Finger' und wurde sofort in eine Wolke verschiedenster Essensdüfte gehüllt. Ella schlenderte zu seinem Tisch und wartete bis er sich gesetzt hatte. Dann stellte sie ein Glas Ale vor den Luftmagier. "Willst du auch etwas essen, Rooster?", fragte sie. "Wir haben frischen Fisch von den Agami bekommen."
Arwed sah sie mit zusammengezogenen Brauen an. Konnte sie etwas von dem Diebstahl wissen? Von Thilo? "Hm. Fisch ist gut", antwortete er. "Zwei Portionen, eine zum Mitnehmen." Gaspard saß schon im Schneidersitz am Tisch und wischte über seinen Mund. Er hatte einen tüchtigen Schluck Ale aus Arweds Glas genommen und zückte jetzt ein Fischbesteck. "Ist Thilo da?", fragte der Luftmagier beiläufig als er sein Essen bezahlte und das warme duftende Paket in Empfang nahm.
"Thilo?", echote Ella. "Den habe ich seit drei Tagen nicht mehr gesehen. Versuchs mal in seiner Absteige." Sie beschrieb ihm das Haus. Es befand sich in Wadena, dem Armenviertel von Golconda.
Arwed legte kurzerhand einen Konservierungszauber über das Essenspaket und machte sich auf den Weg. Wadena, das Armenviertel von Golconda, bot sich ihm in all seiner Trostlosigkeit dar. Die Häuser waren ungepflegt und manche sahen aus, als könnten sie dem nächsten Regen nicht mehr standhalten. Thilos Unterschlupf sah wenigstens noch nicht baufällig aus, auch wenn es nur noch wenige Fensterscheiben gab, die nicht von Sprüngen durchzogen waren. Manche Fenster waren auch von Lumpen verhüllt. Gleich im Hausflur wurde er von einer Schar zerlumpter verdreckter Kinder umringt, die ihn um ein paar Pennys anbettelten. "Wo ist Thilo?", rief er in die Runde und versuchte angesichts des Gestanks nach Müll und Dreck flach zu atmen.
"Ich bin Thilo!", krähte ein halbnackter Dreikäsehoch.
"Nein, ich bin Thilo!", piepste ein Mädchen mit zerrupften braunen Zöpfen.
Verärgert ließ Arwed sein Magierabzeichen aufblitzen. Die Kinder wichen erbleichend zurück. Einige rannten davon. Der Zauberer hob ein paar Kieselsteine auf und transformierte sie magisch. Nun hielt er eine Handvoll Bonbons in der Hand. "Wo ist Thilo?", fragte er noch einmal. Ein Junge mit einer eitrigen Schramme neben dem Auge deutete auf eine schmale windschiefe Tür. Arwed schoss einen Heilstrahl auf die Verletzung ab und warf die Süßigkeiten in die Luft. Sofort stürzte sich die Meute unter Gejohle darauf.
"Eine dieser Gören hat deine Brieftasche gestohlen", informierte ihn Gaspard aus der Brusttasche. "Ich hole sie eben."
Arwed nickte und trat ein. Wieder umfing ihn eine atemberaubende Geruchsmischung. Da das scheibenlose Fenster mit einem schmutzigen Lappen verhängt war, lag das Kämmerchen in gnädigem Halbdunkel. Ein erschrockenes Ächzen lenkte seinen Blick in eine Ecke, in der ein Haufen Lumpen zum Leben erwachte. Arwed erkannte eine zerschlissene Matratze, die das einzige Mobiliar bildete und darauf einen mageren Mann. Sein Anzug starrte vor Schmutz und hatte früher einem dickeren und dafür kleineren Mann gehört. Die Stiefel hielten nur noch durch Dreck und Fußschweiß zusammen. Er saß mit dem Rücken gegen die kalte Wand gelehnt, die Hände abwehrend ausgestreckt, Augen und Mund weit offen.
"Hallo, Thilo!", sagte Arwed. "Kennst du mich nicht mehr? Ich bin Arwed!"
Der verwahrloste Mann entspannte sich ein wenig. "Was willst du von mir, edler Meister?" Dabei sog er sehnsüchtig den Duft des gebratenen Fisches ein, der aus Arweds Tasche strömte. "Immer zu Diensten", schmeichelte er und schluckte. Offensichtlich hatte er seit einigen Tagen nichts Ordentliches mehr gegessen. Nein, dieser Mann war nicht fähig, einen derart frechen Diebstahl zu bewerkstelligen.
"Ich brauche deine Stiefel", grinste er und hielt sich die Ohren zu.
Thilo hatte ein durchdringendes Geheul ausgestoßen. "Nein! Niemals! Nicht noch mal! Nicht meine Stiefel! Hab Mitleid mit mir, edler Meister! Ich bin ein Nichts, ein unnützes Stück Dreck!"
Als die Tirade zu Ende war, versuchte es Arwed noch einmal. "Du gehst mit mir, Thilo, und während ich mir deine Stiefel ansehe, bekommst du etwas zu essen. Na, wie wär's?" lockte er. "Nicht das Essen in meiner Tasche. Etwas viel Besseres", korrigierte er als er Thilos Blick auf seine Tasche geheftet sah.
Die Augen des Bettlers jagten Schatten, während er sich die trockenen Lippen leckte und sein Magen dazu vernehmlich knurrte. "Und du wirst mich verschonen, Meister Arwed?", meldete sich sein Misstrauen noch einmal, schon halb betäubt von der Aussicht auf eine Mahlzeit.
Unterwegs stieß Arwed den Mann in einen Brunnen und befahl Gaspard ihn gründlich abzuschrubben. Das Geheul Thilos, der um seine Patina trauerte, lockte eine Menge Leute an. Doch Arwed setzte sein strengstes Gesicht auf, hüllte sich in eine goldene Aura und die Menschen, Zwerge und Elfen verliefen sich wieder. Niemand mischte sich ungefragt in die Geschäfte eines Magiers.
Als Arwed sein Haus erreichte, saß Tschrt'-schlog vor der Tür, das Schwert über den Knien. Der Magier reichte ihm den Fisch und führte Thilo in die Küche. Während dieser Nudelauflauf und Gurkensalat in sich hineinstopfte, widmete sich der Magier den Stiefeln. Unter ständigem Naserümpfen, da die Reinigung bei ihnen am wenigsten gefruchtet hatte, streute er magische Kräuter auf die desolate Fußbekleidung, deren würziger Geruch den Gestank nach Fußschweiß nur mangelhaft übertünchte.
Leise sprach er eine Beschwörung. Blaue Rauchfäden stiegen aus den Stiefeln auf, wurden dunkler und dicker bis gelbe Flämmchen am Oberleder leckten. Arwed starrte wie gebannt auf den Vorgang.
"He, Langer! Willst du uns abfackeln!?" Der Kobold stand auf Arweds Schulter und brüllte hysterisch in sein Ohr. Inzwischen qualmte bereits die Schreibunterlage. "Dein Tisch brennt! Mach es aus!" Arwed schreckte wie aus einem tiefen Schlaf auf. Als er die brennenden Stiefel sah, riss er das Fenster auf und warf sie telekinetisch hinaus.
"Meine Stiefel! Meine einzigen guten Stiefel!" Thilo hatte den Arbeitsraum betreten und jammerte jetzt wie eine verlorene Seele. Dabei liefen dicke Tränen über seine Wangen in seinen Spitzbart. Der Magier hatte sein Kinn auf eine Faust gestützt und fixierte den Brandfleck auf seiner Schreibunterlage. Ein Magier hatte den Wetterstein gestohlen? Noch dazu ein Feuermagier? Was sollte ein Feuermagier mit dem Wetterstein? "Wie soll ich nur nach Hause kommen? Barfuss!" Thilo greinte noch immer. Arwed winkte ab und blätterte in einem dicken Buch. "Du hast meine Stiefel ruiniert!" Der hinkende Bettler fuchtelte mit einer fettigen Faust vor Arweds Gesicht.
Verärgert wich dieser den zustoßenden Fingern aus. "Schaff mir den Kerl vom Hals, Gaspard. Ich muss nachdenken", brummte er. "Hast du nicht irgendwelche Stiefel für ihn?"
Jetzt war es mit dem Nachdenken endgültig vorbei. "Irgendwelche? Was heißt hier irgendwelche?" Der Kobold sprang auf das aufgeschlagene Buch und hüpfte vor Arweds Nase auf und ab. Dabei drohte er mit den kleinen knorrigen Fäusten. "Ich mache die besten Stiefel von ganz Golconda!", kreischte er.
Der junge Magier hob interessiert die Brauen. "Tatsächlich? Dann kannst du ja gleich auch für mich welche machen."
Gaspard setzte sich auf die Seiten und stützte den Kopf in die Hände. "Ach, hätte ich nur meinen Schnabel gehalten! Ich arbeite mich so schon halb tot für dich, Langer."
Ein blendender Blitz mit darauf folgendem markerschütterndem Donner beendete den Disput. Arwed sprang zum Fenster und warf es zu. Einige Hagelkörner rollten über den Boden, bevor sie sich in kleine Wasserpfützen auflösten. Auch dieses Wetter beschränkte sich nur auf sein Grundstück. Zwei Elfenmädchen blieben vor Arweds Haus stehen und starrten verwundert auf das merkwürdige Schauspiel. Wieder donnerte es. Dann klopfte es an der Haustür. Tschrt'schlog ging zur Tür und kehrte mit drei anderen Agami wieder.
Glsch'tschiss kam im selben Aufzug wie das erste Mal. Auch seine Leibwächter waren dieselben. Verwirrt blickte der Regenmacher von dem barfüßigen Thilo zu Gaspard, der noch immer auf Arweds Buch saß. Der Luftmagier deutete mit säuerlichem Lächeln auf einen Besucherstuhl und gab Tschrt'schlog den Auftrag, Thilo in der Küche zu bewachen. Der Agami zeigte grinsend seine Zähne, während Thilo ängstlich schnaufte. Mit einer Hand scheuchte Arwed den Kobold von seinem Buch und schlug es zu. "Was kann ich für dich tun, Meister Glsch'tschiss?"
Der Regenmacher rückte an seinem Diadem, zupfte seinen feuchten Federmantel zu Recht und ließ die Spitzen seiner Zunge vor und zurück schnellen. Seine Schuppen nahmen ein dunkles Grün an.
"Meister Arwed, hast du schon eine Spur von unserem Kleinod? Nicht, dass ich dich drängen will ..." Der Grünton changierte ins Bräunliche.
Was ist bloß los mit ihm? dachte Arwed. Wovor hat er Angst? "Ich habe in der Tat schon eine Spur", hob er an. "Hast du eine Ahnung, was ein Feuermagier mit eurem Wetterstein anfangen könnte?"
"Ein was?" Die Verwirrung ließ die Schuppen des Agami zu türkis wechseln.
Arwed hob entschuldigend die Schultern. "Ein Feuermagier ging in Thilos Stiefeln in den Tempel und stahl den Stein." Er lehnte sich zurück, zum Zeichen, dass dies alles war.
"Die Eidechse soll sich mal zu Hause umsehen", ließ sich Gaspard vernehmen.
Die Hände der Leibwächter zuckten nach den Waffen, aber der Regenmacher stoppte sie mit einer knappen Bewegung. "Was hat dein Zwerg gesagt?", fragte er stirnrunzelnd.
"Zwerg?" Gaspard reckte seinen zwei Spannen langen Körper hoch und stemmte die Fäuste in die Hüften. "Wenn ich ein Zwerg bin, bist du ein Frosch!", fauchte er wütend.
"Mein Kobold ist ein wenig empfindlich", versuchte Arwed den Echsenmenschen zu beschwichtigen. "Im Moment kann ich sonst nichts Neues berichten. Falls ich zu neuen Erkenntnissen komme, werde ich Tschrt'-schlog zu dir senden." Er erhob sich zum Zeichen, dass die Unterredung beendet war.
Glsch'tschiss wuchtete sich ebenfalls hoch. "Ich werde deinen Sklaven erwarten. Aber denk daran, dass in acht Tagen Vollmond ist." Er raffte hoheitsvoll seinen Federmantel und rauschte davon.
"Wieso war der heute nicht so großkotzig wie letztes Mal?", sinnierte Arwed als er wieder allein war.
"Seit 218 Zyklen hat kein Agami mehr einem Menschen gedient", sagte Tschrt'schlog in die folgende Stille. Arwed erinnerte sich an seinen Geschichteunterricht. Vor mehr als 200 Jahren hatte das damals von einem Kaiser regierte Groß-Randosa gegen die Agami Krieg geführt. In der entscheidenden Schlacht war Prinz Lauritz dem Agami-Heerführer auf den Fuß gestiegen. Dadurch war die Schlacht entschieden und der Krieg beendet. Der Agami hatte dem Prinzen bis an sein Lebensende gedient. Seither war es nie wieder einem Menschen gelungen, einem Agami so nahe zu kommen, dass er ihn treten konnte. Jetzt wusste er, woher der Respekt kam, den die Agami ihm so unerwartet entgegen brachten.
Thilo kam vergnügt pfeifend aus der Küche. "Solche Stiefel hatte ich noch nie!", rief er strahlend. "Dein Kobold ist Spitze!" Er hob ein Bein und zeigte auf das glänzende schwarze Leder. "Für so ein traumhaftes Paar tue ich alles. Hast du Arbeit für mich?"
Erstaunt sah Arwed, dass Thilo nicht mehr so stark hinkte, da ein Absatz höher war als der andere. Gaspard saß mit stolz geschwellter Brust auf dem Schreibtisch.
"Du kannst nach Hause gehen, Thilo", gebot Arwed. "Wenn ich dich brauche, lasse ich es dich wissen."
"Aber der Feuermagier ...", wandte dieser ein.
"Vergiss ihn. Dir droht keine Gefahr. Tschrt'-schlog lass ihn raus." Der Agami packte den Mann am fadenscheinigen Kragen und stellte ihn vor die Tür. Dann sah er seinen Herren erwartungsvoll an. "Nun erzähl mir mal von den Regenmachern. Wer ist jetzt der Große Regenmacher?"
"Zrst'fosch. Er ist sehr alt und wird nicht wieder zur Wahl antreten."
"Und wer stellt sich zur Wahl? Kann jeder Regenmacher teilnehmen?"
"Theoretisch schon. Aber die jungen haben keine Chance gegen die Alten. So wird es ein Kampf zwischen Glsch'tschiss und Hrft'gazz. Kscht'muss hätte eventuell auch noch Chancen gehabt, wenn er den letzten Landregen nicht vermurkst hätte. Er behauptete, Hrft'gazz' Schüler hätten seine Wolken zerstreut. Aber niemand glaubte ihm. Seit er Glsch'tschiss' dritte Brutgefährtin abgeworben hat, hat er kaum noch Wetter gemacht und die wenigen, die er versuchte, gingen daneben."
Arwed polierte gedankenverloren seine Fingernägel. Sein Blick fiel auf Gaspard, der noch immer auf dem Tisch saß und an einer Hühnerkeule nagte. "Was wolltest du mir sagen, Stöpsel?"
"Deine Stiefel sind längst fertig und du schaust sie gar nicht mal an", antwortete der Kobold beleidigt und schlug mit der Keule nach ihm.
Der Magier wich aus und sah unter den Tisch. Dort stand das schönste Paar Stiefel, das er je gesehen hatte. Begeistert schlüpfte er hinein. Sie schmiegten sich weich und warm wie eine zweite Haut um seine Füße. "Gaspard, du bist ..." Er suchte nach Worten. "Das ist ..."
In das kleine Gesicht malte sich ein breites Grinsen. "Hab ich's nicht gesagt?"
"Damit hast du einen Wunsch frei."
"Eine Schokoladentorte", kam es pfeilschnell von Gaspard und Arwed schickte Tschrt'-schlog mit etwas Geld zum Zuckerbäcker.
"Was hast du nun gemeint, als du zu Glsch'tschiss sagtest, er soll ..."
"Ja, ja!", winkte Gaspard ab. "Ich weiß, was ich gesagt habe. Der Wetterstein ist in Yazoohula."
"Aber er wurde doch gestohlen!"
"Ja, von einem Feuermagier. Aber jetzt ist er wieder in Yazoohula, allerdings nicht im Schrein."
"Sieht so aus, als wollte da jemand die Wahl manipulieren", sinnierte Arwed und zupfte unbewusst seine Locken zu Recht. Er überlegte hin und her, aber es half nichts. Um den Feuermagier kam er nicht herum. Mit gemischten Gefühlen machte er sich auf den Weg zur Magischen Universität.
Gaspard weigerte sich ihn zu begleiten, da er auf seine Torte warten wollte. So marschierte Arwed denn wohl oder übel allein los, die verkohlten Stiefel in einem festen Sack mit sich schleppend, immer darauf bedacht, seine Kleidung nicht zu beschmutzen.
Beim Pförtner bat er um eine Audienz beim Dekan der feurigen Fakultät. Der junge Mann, der gerade Dienst machte, blätterte in einem Terminkalender. "Großmeister Bardulf aus dem Hause Zeilinger kann dich in einer halben Stunde empfangen", sagte er dann und sah zu ersten Mal auf. Als er Arweds Magierabzeichen sah, wurden seine Augen groß. "Hast du dich nicht in der Fakultät geirrt?", fragte er schüchtern. "Die Luftmagier sind einen Stock tiefer."
Arwed verneinte mit unbewegtem Gesicht und hielt dem Pförtner den Sack hin. Sobald dieser den Brandgeruch der Stiefel erschnupperte, nickte er mitleidig. "Viel Glück!", rief er dem Magier nach als dieser den Gang hinunter ging.
Großmeister Bardulf machte gar nicht so den Eindruck eines Feuermagiers. Er war klein und untersetzt. Sein dunkelblondes Haar war schon an den Schläfen ergraut, aber die strahlend blauen Augen in dem fein geschnittenen Gesicht blickten Arwed mit jugendlicher Neugier an. "Wie kommt es, dass sich ein Luftmagier zu mir verirrt, Meister Arwed?", begrüßte er den jungen Mann erstaunt.
"Ich .... ich habe ein Problem, das in deinem Ressort beheimatet ist", antwortete Arwed stockend und stellte die verkohlten Stiefel auf den Tisch. Irgendwie kam ihm der Mann bekannt vor, aber er wusste nicht woher.
Bardulf rümpfte die Nase. "Erzähle schnell. Das stinkt ja bestialisch."
Arwed kam dieser Aufforderung nach und zehn Minuten später wusste der Großmeister über alle Vorkommnisse bescheid. "Tritt zurück", sagte der Dekan und wedelte mit einer fleischigen Hand. Noch bevor Arwed drei Schritte gemacht hatte, sprangen Funken aus den dicken Fingern und hüllten die Stiefel ein. Ein schmales, verschlagenes Gesicht erschien. "Aha!" Bardulfs Augen blitzten zornig. "Schon wieder Lando!" Er ließ die Funken verschwinden. "Nimm deinen Müll, Meister Arwed. Ich kümmere mich um den Fall", sagte er.
"Aber, Großmeister!", protestierte Arwed schwach.
In Bardulfs Augen tanzten kleine Teufelchen und Arweds Hosenboden wurde unangenehm heiß. Entsetzt sah der junge Mann Qualm aus allen Nähten entweichen. "Komm heute
Abend in mein Haus", grinste der Dekan. "Da hast du nicht weit zu gehen, bloß über die Straße."
Nun wurde Arwed erst so richtig heiß. Jetzt wusste er, warum ihm der Großmeister so bekannt vorgekommen war. Das war Violettas Vater! Er errötete bis unter die Haarwurzeln. "Du bist .... äh ..."
Bardulf kicherte. "Überraschung! Das hättest du nie gedacht, was? Wie kommst du mit Hilarions Geisterhaus zurecht? Die Mieter vor dir hielten es nur 14 Tage aus."
"Es war nur ein Kobold. Ich habe ihn gebannt", antwortete Arwed schwach. Violettas Vater, schoss es ihm unentwegt durch den Kopf.
"Nicht übel", schmunzelte der Großmeister, der die Verlegenheit des jungen Kollegen weidlich genoss. "Und was macht der Agami bei dir? Hat Glsch'tschiss ihn als Wache abgestellt?" Offenbar wusste Bardulf bestens Bescheid über ihn.
Arwed bewegte sich unbehaglich. "D... d... das ist nur mein Diener", stotterte er.
Nun malte sich Respekt auf Bardulfs Züge. "Das ist außergewöhnlich", brummte er und schloss die Audienz mit einem: "Wir sehen uns heute Abend."

Gaspard und Tschrt'schlog waren am Ende ihrer Nervenkraft angelangt. Ihr Herr war als einziges Nervenbündel nach Hause gekommen. Nach einem ausgiebigen Bad hatte er sich beim Rasieren geschnitten. In seiner Aufregung war der Heilzauber daneben gegangen als er sich in die Reste der Schokoladentorte gesetzt hatte. Er hatte eben seinen dritten Anzug wieder ausgezogen und lief barfuss und in Unterhosen durchs Haus auf der Suche nach passender Kleidung. "Wo ist das Hemd mit den hellgrünen Streifen?"
"Du hast es vorhin ausgezogen." Gaspard saß am Bücherregal und las in einem schmalen Band. "So wie du jetzt bist, wirst du sicher Violetta gefallen. Du bist spät dran."
"Das Hemd ist total verdrückt", jammerte der Magier verzweifelt.
"Nun sag ja nicht, ich soll es noch einmal bügeln!" Der Kobold steckte wieder die Nase in sein Buch.
Mit einem frustrierten Schnaufen schlüpfte Arwed in das Hemd und seinen besten Anzug. Danach verbrachte er eine halbe Stunde vor dem Spiegel. "Wie sehe ich aus?" Er drehte sich in seinem Arbeitszimmer einmal um seine Achse.
"Dein Haarwasser allein wird Violetta schon umwerfen. Du stinkst wie ein Iltis", brachte Gaspard mit gewohnter Unverfrorenheit hervor.
"Was? War das zuviel?" Er rieb mit einem Handtuch über sein Haar. "Geht es jetzt?"
Gaspard wollte sich ausschütten vor Lachen. "Ja! Besonders die Frisur!"
Eine halbe Stunde später überquerte er endlich die Straße und betätigte den Türklopfer. Eine runzlige Alte öffnete und krächzte: "Der Großmeister erwartet dich schon, Meister Arwed." Sie führte in ein Arbeitszimmer, das ihn vor Neid erblassen ließ. Die Möbel aus Ebenholz passten phantastisch zu den dunklen Vorhängen und dem brandroten Teppich. Bilder, die das Element des Großmeisters unterstrichen zierten die Wände und überall standen magische Gerätschaften.
Ein fuchsgesichtiger, junger Mann kniete zitternd in einem Kreis, der von winzigen Flammen gebildet wurde. Aber keine Spur von Violetta.
"Das ist Lando", stellte Bardulf seinen Gefangenen vor. "Er hat einem Bettler die Stiefel abgeschwatzt und ging damit in den Schrein um den Wetterstein zu stehlen." Die Stimme des Großmeisters grollte wie Donner.
"Und wo ist der Stein jetzt?", fragte Arwed dazwischen. "Mein Kobold sagte ..."
"Einer der Regenmacher hat ihn. Nämlich jener, welcher der nächste Große Regenmacher werden will", fuhr Bardulf unbeirrt fort.
Arwed stöhnte. Politische Intrigen waren das Letzte, das er brauchen konnte. Wer hatte den Stein gestohlen? Glsch'tschiss wohl kaum. Blieben nur noch Zrst'fosch und Hrft'gazz.
"Er kennt den Namen seines Auftraggebers nicht", brach der Feuermagier in Arweds Gedanken. "Ich frage mich nur, warum beauftragt Glsch'tschiss einen Luftmagier, der noch nicht trocken hinter den Ohren ist, anstatt eines erfahrenen Wassermagiers."
Arweds Eitelkeit bäumte sich kurz auf und verdrängte dann den letzten Satz. Er bedankte sich und wandte sich zum Gehen. Mit leisem Schaudern erkannte er, dass er noch einmal nach Yazoohula musste. Aber der Gedanke an seine neuen Galoschen versöhnte ihn wieder. Von der Straße aus warf er noch einen Blick auf das Haus des Großmeisters, aber Violetta blieb unsichtbar.

Die Agami-Siedlung bot sich dem Magier und seinem Diener nicht anders dar als beim ersten Mal. Schlammige Straßen zwischen den feuchten Hütten, auf denen sich kleine Echsen gegenseitig mit Dreck bewarfen.
Arwed ließ sich von Tschrt'schlog zuerst zum Schrein bringen. Zwei Krieger verwehrten ihnen den Eintritt. Tschrt'schlog verhandelte mit ihnen in ihrer eigenen Sprache, worauf sie zögernd beiseite gingen. Diesmal ging er bis zum Altar vor. Ein Moosbett mit einer Vertiefung zeigte an, wo der Wetterstein liegen sollte. Arwed ließ eine Hand über dem Moos schweben. Es war noch genügend von dem Od des Steins da, um die Charakteristika zu erkennen. Zufrieden verließ er den rauchigen Raum.
"Du musst meinen Anzug auslüften, wenn wir wieder zu Hause sind", flüsterte er in seine Brusttasche. "Er stinkt entsetzlich nach Rauch." Dann wandte er sich an den Agami. "Führ mich zu den Hütten der Regenmacher", befahl er.
Der Agami entwand sich den Umarmungen seines Geleges, das sich inzwischen eingefunden hatte, und ging voraus. Die sechs jungen Echsen blieben ihm dicht auf den Fersen, in sattem Blau leuchtend, ein Zeichen für ihre Wiedersehensfreude. Tschrt'schlog führte ihn zuerst zu den Behausungen der Anwärter für das Amt des Großen Regenmachers. Arwed öffnete sein drittes Auge und konzentrierte sich. Genau in diesem Augenblick kam eine kleine Hand aus seiner Brusttasche und zog an einer braunen Locke. "Geh nach Hause, Langer."
Verärgert befreite der Magier sein Haar. "Stör mich jetzt nicht."
"Ich verhungere!", krähte der Kleine und strampelte in seinem Versteck.
"Du hast eine ganze Torte verdrückt", wehrte Arwed ab.
"Das war nicht die ganze. Du hast dich auf das letzte Stück gesetzt!"
"Gaspard!" Jetzt wurde es brenzlig für den Kobold, denn sein Meister war nun echt wütend. Grummelnd verschwand das Männlein im Jackett und Arwed konzentrierte sich wieder, ohne Erfolg. Auch die nächste Hütte brachte keine neuen Erkenntnisse. So ging es weiter durch die ganze Siedlung.
Nach den mächtigen Regenmachern besuchte er die jüngeren. Aber auch hier war der Wetterstein nicht zu finden. Als er alle Hütten kontrolliert hatte, wandte er sich seufzend heimwärts. Dort setzte er seinen kleinen Helfer auf den Schreibtisch. "Was hast du mir da erzählt?!", funkelte er ihn an. "Der Wetterstein ist in Yazoohula? Ich habe alles kontrolliert und er war nicht da!"
"Er hat Yazoohula verlassen, als wir aus dem Schrein kamen", verteidigte sich der Kobold. "Ich wollte es dir doch sagen, aber du hast nicht zugehört!"
Arwed starrte den Kleinen an und biss sich auf die Lippen. Wo er recht hat, hat er recht, dachte er und ging nach Hause. "Und wo ist der Stein jetzt?", fragte er dort.
"In Yazoohula!" Gaspard duckte sich und verschwand um am Bücherregal wieder aufzutauchen. "Ich kann nichts dafür. Der derzeitige Besitzer muss ihn mit sich herumtragen."
Etwas bohrte in Arweds Hinterkopf, etwas, das er nicht wissen wollte und ihm trotzdem keine Ruhe ließ. Was hatte Bardulf gesagt? Ein Luftmagier, der noch nicht trocken hinter den Ohren ist? In Arwed bäumte sich alles auf. Er würde Bardulf und jedem anderen beweisen, dass er sehr wohl trocken hinter den Ohren war. Aber eins ließ sich nicht leugnen. Er war ein Luftmagier und Wettermachen gehörte eindeutig zum wässrigen Element. Es tat verdammt weh, aber er konnte Bardulfs Einwand nicht so ohne weiteres zurückweisen. Tief in seinem Inneren wusste er, dass er noch nicht allzu viele Erfahrungen hatte. Also warum? "Warum ist Glsch'tschiss ausgerechnet zu mir gekommen?", fragte er nachdenklich.
"Hast du's immer noch nicht geschnallt?" Gaspard ließ seine Beine vom Regal baumeln. "War alles nur Schmus. Er wollte gar nicht, dass du den Stein findest."
Arwed krümmte sich unter dieser Wahrheit. Der alte Regenmacher hatte ihn von Anfang an für unfähig gehalten. Seine verletzte Eitelkeit gebar rotglühende Wut. "Dir werd ich's zeigen!", knirschte er. "Gaspard! Tschrt'-schlog!" Die beiden ungleichen Diener standen stramm. Der eine auf dem Tisch, der andere davor. "Wie geht die Wahl des Großen Regenmachers vonstatten?"
Tschrt'schlog trat ein wenig näher. "Am Tag des 29. Vollmondes versammeln sich die erwachsenen Agami und geben ihre Stimme für einen der Kandidaten ab ..."
"Wie tun sie das? Mit Handzeichen?"
"Nein. Wir benutzen ein Lederplättchen, auf dem die Namensrune des gewünschten Regenmachers steht. Wer die meisten Stimmen erhält, bekommt den Wetterstein und regiert die nächsten 29 Monate."
"Und was passiert, wenn der Wetterstein nicht vorhanden ist?"
"Dann herrscht Anarchie. Kein Stein, keine Wahl. Jeder macht das Wetter, das ihm gerade einfällt. Nicht gut für uns."
"Nicht gut für alle Rassen", korrigierte Arwed. "Was passiert, wenn der Wetterstein später wieder auftaucht?"
"Dann ist der der Große Wettermacher, der den Stein hat."
"Man muss also nur den Wetterstein stehlen und einen Tag nach dem Vollmond präsentieren um Großer Regenmacher zu werden."
Der Agami verfärbte sich orange. Sein Rachen öffnete sich und messerscharfe Zahnreihen aufblitzen. Ein wütendes Zischen kam aus seiner Kehle. Dann erinnerte er sich seiner Verpflichtung. Seine Schuppen wurden zuerst grün, dann bräunlich. "So könnte es ablaufen", gab er zu und färbte sich rosa. "Nicht gut für Agami", seufzte er.
"Willst du mithelfen, eine gerechte Wahl zu ermöglichen?" fragte Arwed. Tschrt'schlog färbte sich augenblicklich blau. Das sagte mehr als viele Worte. Die Tage bis zum Vollmond verbrachte Arwed mit der Planung seines Coups. Er wanderte in Yazoohula herum, besah sich den Versammlungsplatz, umkreiste den Schrein und vertröstete Glsch'tschiss, der sich, jedes Mal mit einem Gewitter, bei Arwed nach Ermittlungsergebnissen erkundigte.

Der Tag des 29. Vollmondes brachte passendes Wetter, allerdings nur für Agami. Es regnete. Arwed hüllte sich in einen wetterfesten Umhang, schlüpfte in seine Galoschen und machte sich, Gaspard in der Brusttasche und Tschrt'schlog im Gefolge, auf den Weg nach Yazoohula. Auf dem Versammlungsplatz wimmelte es bereits von Bewohnern der Agami-Siedlung. Die Regenmacher hatten sich auf eine Tribüne begeben, streng nach Rangordnung aufgereiht, umgeben von Leibwächtern. Ihre Diademe blitzen im Licht der Sonne, die nun durch die Wolken brach. Arwed beugte den Kopf zu seiner Brusttasche hinunter. "Ist der Stein da?", flüsterte er.
"Ja, auf dem Podest", kam die ebenso leise Antwort.
"Wer hat ihn?"
"Der hässliche Kerl neben Glsch'tschiss."
Arwed deutete auf den jungen Agami neben dem Regenmacher. "Wer ist das?", raunte er seinem Echsendiener zu.
"Das ist Glsch'zerff, der Sohn des Regenmachers."
Er flüsterte seinem Diener etwas zu, das diesen hellbraun aufleuchten ließ. Eindringlich flüsterte er weiter bis sich Tschrt'schlogs Schuppen über grün wieder blaugrün färbten. Inzwischen war Glsch'tschiss vorgetreten und gab zischende und rasselnde Laute von sich. "Was sagt er?"
"Er teilt der Versammlung mit, dass der Wetterstein nicht gefunden wurde." Tschrt'schlogs Schuppen wurden orange vor Zorn. Er drängte sich durch die Menge. Arwed blieb knapp hinter ihm. Vor dem Podest scheuchte der Agami mit Zischen und Zähnefletschen seine Artgenossen weg, um für seinen Meister Platz zu schaffen. Der Luftmagier kletterte unter erstauntem und protestierendem Zischen der Menge auf die Tribüne.
"Verschwinde, Mensch! Du hast den Stein nicht gefunden. Nun wird Anarchie herrschen!", zischte der alte Regenmacher wütend. Seine Schuppen wetterleuchteten zwischen orange und braun.
"Irrtum!", grinste Arwed. Seine Hände woben einen Bann um den Sohn des Regenmachers. "Der Stein ist da! Er war es immer." Er öffnete den Umhang Glsch'zerffs und enthüllte einen großen, grünen Stein, der an einem Lederband am Hals des jungen Agami hing. Der Bann verhinderte, dass dieser sich bewegen konnte, aber das gelb seiner Schuppen offenbarte blanke Mordlust. Auch sein Vater hatte sich grell orange verfärbt, aber mehrere Agami-Krieger rangen ihn nieder, rissen das Diadem von seinem Kopf und zerfetzten seinen Federmantel. Dann warfen sie ihn, von den Insignien seiner Macht entblößt, in die tobende Menge. Arwed wandte den Kopf ab. Die wütenden Schreie der Agami verhießen nichts Gutes für Glsch'tschiss. Mit einem Seufzer kletterte er vom Podest und wanderte heimwärts. Niemand verschwendete auch nur einen Blick an ihn.

Der junge Magier saß deprimiert in seinem Arbeitszimmer und beäugte sein Gesicht in einem Handspiegel. Mit akribischer Genauigkeit suchte er die Haut nach kleinsten Pickeln oder sonstigen Unreinheiten ab.
"Was ist los mit dir?", fragte Gaspard. "Du hast den Fall doch gelöst, obwohl dir das niemand zugetraut hat. Ich übrigens auch nicht."
"Danke!", schnappte Arwed und fletschte die Zähne. "Freut mich, dass du so eine hohe Meinung von mir hast.- Wolltest du nicht das Badezimmer putzen?"
"Du gemeiner Kerl!", regte sich der Kobold auf. "Du lässt nur deinen Frust auf mir aus! Das war ein Kompliment!"
"Auf deine Komplimente kann ich verzichten. Ich habe ganz umsonst gearbeitet. Schließlich wurde mein Klient zu Fischfutter verarbeitet!" Er seufzte tief, hob dann den Kopf und sog witternd die Luft ein. "Riechst du das auch, Kleiner?"
Gaspard hatte schon eine Gabel in der Hand. "Essen ist immer gut", erklärte er und sah Tschrt'schlog erwartungsvoll entgegen, der eine große Schüssel, aus der es nach Fischragout duftete, mit einer demütigen Geste auf Arweds Schreibtisch abstellte.
Der Magier ließ seinen Spiegel verschwinden. "Du hast recht, Gaspard", sagte er. Zu dritt machten sie sich über die Delikatesse her. Als sie endlich mit gut gefüllten Bäuchen dasaßen, fragte Arwed: "Wie kann ich dich von deiner Verpflichtung befreien, Tschrt'-schlog? Du hast mir gut gedient, aber als zivilisierter Mensch widerstrebt es mir, einen Sklaven zu halten, noch dazu einen Familienvater!"
"Alle Agami sind Familienväter", wich die Echse der Frage aus.
"Dann geh nach Hause und kümmere dich um dein Gelege! Ich nehme an, dass die Familie auch bei den Agami einen hohen Stellenwert hat."
"Das hat sie", gab Tschrt'schlog in traurigem Rosa zu. "Aber ich bin dein Diener auf ewig. Meine Ehre verlangt es."
"Wie kann ich dich nur loswerden?", stöhnte der Magier und überhörte Gaspards Kichern, der diesen Disput sichtlich genoss.
"Du kannst mich töten. Mein Leben gehört dir."
Entsetzt starrt Arwed die Echse an. "Das kann doch nicht dein Ernst sein!" Aber der sture Ausdruck in den roten Augen belehrte ihn eines Besseren.
"Wo bewahrst du dein Geld auf, Meister?", fragte Tschrt'schlog unschuldig.
"Das geht dich nichts an", antwortete Arwed milde tadelnd und ein wenig überrascht über den plötzlichen Themenwechsel.
"Dann weiß ich nicht, wo ich das hintun soll", gab der Agami zurück und legte einen prallen Beutel auf den Tisch. Arweds Augen wurden groß und rund. "Was ist das?"
"Ein Präsent des Großen Regenmachers, Hrft'gazz, weil du den Wetterstein gefunden hast und unser Volk vor Glsch'tschiss' Diktatur gerettet hast."
Überrascht nahm Arwed den Beutel entgegen. Er war angenehm schwer. Bilder von Teppichen, Schränken, Gemälden und vielen anderen nützlichen Dingen für sein Heim huschten durch Arweds Kopf. Und nicht zuletzt auch eine Lösung für sein leidiges Agami-Problem. Er setzte eine strenge Miene auf und sagte: "Tschrt'schlog, du willst mir dienen?"
"Aber, Meister, das tue ich doch schon seit du auf meinen Fuß gestiegen bist", antwortete der Echsenmann demütig.
"Gut. Und du willst alle meine Befehle befolgen?"
"Ja, Meister."
"Guuut!", dehnte er. "Du wirst mir fünf Tage in der Woche dienen. Dafür bekommst du eine Dublone. Und am Wochenende gehst du nach Yazoohula zu deinem Gelege. Das befehle ich dir!" Er lehnte sich mit einem triumphierenden Grinsen zurück. Tschrt'schlog färbte sich türkis, aber es kam kein Widerspruch mehr.
"Jetzt fehlt mir nur noch Violetta", seufzte Arwed bedauernd.
Gaspard warf einen gebrauchten Zahnstocher nach ihm. "Bist du eigentlich nie zufrieden?"

Ende Teil 2


Die Farben der Agami

Violett - Liebe
Rosa - Trauer
Blau - Freude, Glück
Türkis - Verwirrung
Orange - Wut, Zorn
Hellblau - Hoffnung
Braun - Angst
Gelb - Mordlust
Schwarz - Schock
Rot - Schmerz
Grün - Verlegenheit
Weiß - Wahnsinn


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