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ZEITWEISE ZEITLOS - AUFGABENVERTEILUNG

von Andreas Leder



Aeternus und die Zeitwächter, die von ihm rekrutiert wurden, wachen darüber, dass in allen Universen der Ablauf der Zeit nicht gestört wird. Doch hin und wieder müssen auch hier Veränderungen verkraftet werden.

"Aeternus!"
Nein, der rührte sich nicht.
"Aeternus!!!"
Was war nur los mit ihm?
Oh. Damit bin ja jetzt ich gemeint. Für die anderen bin ich doch jetzt Aeternus und nicht mehr Aequalis. An den neuen Namen habe ich mich noch nicht so richtig gewöhnt.
"Was gib es, Cultor?"
"Das neue Universum macht mir Probleme. Ich kann nicht gleichzeitig hier und dort sein. Kannst du nicht jemanden schicken?"
"Ich bemühe mich. Du hörst von mir."
Ja, so war das jetzt. Ich war kein einfacher Zeitwächter mehr, ich war jetzt Aeternus. Der, der sich um alles sorgen, der alles organisieren und am Laufen halten musste. Woher sollte ich jetzt, auf die Schnelle, einen neuen Zeitwächter nehmen?
Ich ließ mich ein bisschen durch die Zeit treiben um meine Gedanken zu ordnen. Zeitalter endeten und Sonnen verglühten - ich hatte noch immer kein geeignetes Wesen gefunden.
Ich betrat - was selten genug vorkam - eine einsame Welt. Vielleicht würde mir hier, am Rand eines planetaren Meeres, im langsamen Ablauf der Zeit, eine zündende Idee kommen.
Gerne ließ ich mich ein bisschen ablenken. Es war richtig spannend hier. Was sich da alles abspielte, im Sand unter meinen Füßen! Die Lebewesen führten sich auf, da war der Umgang mit dem jungen, ungezügelten Zeitstrom noch das reinste Zuckerschlecken!
Ein paar Sonnenumläufe später war ich noch immer ohne den Hauch einer Eingebung - wenigstens kündigte sich Abwechslung an.
Ein Raumschiff landete.
Die technischen Kunstwerke, mit denen sich die Intelligenzwesen dieses Sonnensystems von Planet zu Planet bewegten waren schon lustig anzusehen. Offensichtlich handelte es sich um eine erste Erkundung, denn der Raumfahrer verhielt sich sehr vorsichtig. Ich konnte die verschiedenen Energieformen spüren, mit denen er versuchte, so viel als möglich über diesen Planeten zu erfahren.
Weil mir die ganze Sache doch zu langweilig wurde, spazierte ich einen kleinen Zeitsprung vorwärts und siehe da, ein Zweibeiner bewegte sich in einem hübsch anzusehenden Ganzkörperanzug über den Sandstrand.
Ich hielt die Zeit an, um mir diesen Raumfahrer näher anzusehen. Wie erstaunt war ich, als ich entdeckte, dass es sich um ein weibliches Wesen handelte. Ich löste den Helm von ihrem Kopf. Für sie war das ganz ungefährlich, die Zeit stand ja still. Ich sah ihre weichen Züge, das Gesicht von kurzem, hellem Haar umrahmt. Jetzt bemerkte ich, dass sich da ein Gefühl in meiner Brust entwickelte, das ich bisher nur ganz selten verspürt hatte. Sofort wollte ich alles über sie wissen. Mit meinen Sinnen griff ich nach ihr und - es war mir möglich, Einfluss auf sie zu nehmen.

***

Sie ließ die Zeit weiterlaufen und blickte mich mit ihren strahlenden Augen an. "Ich grüße dich, Aeternus", vernahm ich ihre angenehm helle Stimme. "Mein Name ist Munditia. Ich bin jetzt eine..." sie dachte kurz nach " ... Zeitwächterin."
Es sah süß aus, wenn sie den Kopf beim Nachdenken ein bisschen schief hielt.
"Welche Aufgaben hast du für mich?"
Ich freute mich, dass sie so voller Tatendrang war.
"Herzlich willkommen, Munditia. Ich habe ein junges Universum für dich ausgewählt, von dem ich annehme, dass dir dort die Arbeit Spaß und Freude bereiten könnte."
Am Weg zu ihrem Einsatzgebiet unterrichtete ich sie in den verschiedenen Vorgehensweisen. Wir übten das Glätten und Falten des Zeitstromes, und wie man mit einer Zeitspalte umging.
Anfangs tat sich Munditia ein bisschen schwerer. Sie nahm ihre Hände zur Unterstützung, wenn sie, beispielsweise, eine Zeitfalte erzeugte. Dann schloss sie die Augen, bewegte ihre Hände, als wolle sie eine Kugel formen und fertig war die Zeitfalte. Ich erklärte ihr, wie sie mit diesen Gebilden umgehen konnte, was alles möglich war und ich erzählte ihr die Geschichte von Peregrinus, dem Wanderer zwischen den Zeiten, der sich ein eigenes Universum ohne Zeitablauf geschaffen hatte, indem er den Raum zwischen den Zeitquanten in einer Zeitspalte gesammelt hatte.
Zeitspalten waren ja nicht ganz ungefährlich, wenn man sich aber an einige grundlegende Spielregeln hielt, dann kam man auch ganz sicher wieder heraus.
Ich zeigte ihr, wie sie sich auf einer eigenen kleinen Zeitströmung fortbewegen konnte und wie wir die Zeitsprünge genau dosierten. Für ihre Arbeit war natürlich auch wichtig, wie sie Zeitvektoren und Ankerpunkte finden konnte und wozu man sie verwendete. Leider hatten wir kein Chaosloch zur Verfügung, stattdessen produzierte ich für Munditia eine kleine Zeitsenke und ließ sie damit arbeiten.
Langsam offenbarte sich, dass Munditia doch über eine besondere Begabung verfügte. Während ich mir früher die Sohlen löchrig gelaufen bin - also im übertragen Sinn natürlich - um geeignete Zeitsplitter zum Auffüllen einer Zeitsenke zu finden, so beeinflusste Munditia mit ihren Fähigkeiten den Zeitstrom derart, dass er die Zeitsenke blitzschnell auffüllte und sofort schien es, als hätte es nie eine Anomalie gegeben.
Ich zeigte ihr auch noch, wie man die Zeitlinien manipulierte und wie sie von einem Universum in das nächste wechseln konnte.
"Wenn du dich in einer geraden Linie fortbewegst, wirst du immer in deinem eigenen Universum bleiben. So durchquerst du, entlang der Raumkrümmung, das Universum vom Anfang bis zum Ende, und wenn du am Ende angekommen bist, hast du auch wieder den Anfang erreicht. Daher könntest du glauben, dass dein Universum unendlich groß ist. So ist es aber nicht. Dein Universum ist zwar ein in sich geschlossener Raum, sein Volumen, ist jedoch endlich."
Auf Munditias Stirne entstanden zwei kleine Falten. Irgendwie musste ich das also anders erklären.
"Stell dir eine Kugeloberfläche vor."
"Sind wir nicht sozusagen in der Kugel?"
"Ja, das sind wir. Aber der Vergleich mit der Kugel ist ja nur eine Analogie. Die Kugeloberfläche ist endlich aber trotzdem unbegrenzt - man kann sich auf ihr fortbewegen, ohne jemals einen Rand zu erreichen. So geht es dir auch bei der Reise durch dein Universum.
Um dein Universum zu verlassen, musst du dich in einer Kurve, entgegengesetzt der Raumkrümmung, bewegen. Dann näherst du dich dem Rand des Universums und mit deinen Kräften wirst du ihn auch überwinden."
Ich brachte ihr all die Dinge bei, die ich oft erst durch langwieriges und mühseliges Ausprobieren erlernt hatte. Ich wollte, dass sie es am Anfang nicht so schwer hatte.
Und dann bedankte sie sich mit einem langen Kuss.
Es war schon unzählige Ewigkeiten her, dass ich mich so heiter und ausgelassen gefühlt habe. Die Anfragen der anderen Zeitwächter, die immer wieder zu mir kamen, erledigte ich nebenher. Auf einmal musste ich mich gar nicht mehr anstrengen, alles unter Kontrolle und am Laufen zu halten. Es war jetzt so einfach geworden.
Ich sah in Munditias Augen und wusste, nichts mehr konnte schief gehen.
Das Baby-Universum, dessen Entstehung ich knapp vor Aeternus - also jetzt meine ich den früheren Aeternus - Abgang beobachten konnte, war noch ohne eigenen Zeitwächter. Cultor hatte sich beschwert, ihm würde die Arbeit zu viel werden. In einem jungen Universum war doch noch mehr zu tun, als in einem, das schon eine gute halbe Ewigkeit existierte.
Ab sofort war er entlastet und Munditia wachte über diesen jungen Raum. Ich war sicher, sie würde mit dem noch unreifen Universum wachsen und zu einer guten Zeitwächterin werden. Die Anlagen und Fähigkeiten dazu hatte sie. Außerdem nahm ich mir vor, hier öfter mal vorbei zuschauen.
Ich zog mich zurück. Sie musste jetzt mit ihren Aufgaben alleine fertig werden.
Die viele Zeit, die ich hatte, war ohne Munditia irgendwie leer.


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