SCHWERPUNKTTHEMA


SCHWERTER


DAS SCHWERT DES KÖNIGS

von Thomas Kager



Sicher und bestimmt ruhte die Hand des alten Königs auf dem Knauf seines Schwertes, das neben seinem Sitz stand.
Mit dieser exzellenten Waffe in der Hand hatte er als junger Mann, eben erst als alleiniger Erbe seines großen Vaters zum Herrscher gekrönt, den Ansturm des feindlichen Nachbarreiches im Osten zurück geschlagen.
Seine Truppen, durch sein leuchtendes Vorbild angespornt, waren dabei so erfolgreich, dass sie bei der Verfolgung der fliehenden Feinde bis zu deren Hauptstadt vorstießen und diese quasi im Handstreich eroberten. In nur wenigen Monaten hatte er somit die Ausmaße seines Reiches nahezu verdoppelt.
Der König im Norden, welcher der Meinung war, das Land wäre von dem gerade erst beendeten Krieg geschwächt und unter dem jungen unerfahrenen Herrscher eine leichte Beute, wurde schnell eines anderen belehrt und beendete sein Leben durch das Schwert, das bereits zu dieser Zeit zur Legende geworden war.
Selbst die wilden Reiterscharen aus der westlichen Steppe mussten schließlich erkennen, dass sie die Grenzen des Königreiches nicht länger ungestraft verletzen durften.
Den Jahren des Krieges folgten Jahre des Friedens, doch der König blieb ein Krieger. Hart und immer sein berühmtes Schwert an der Seite, aber gerecht und um das Wohlergehen seiner Untertanen besorgt.
Das Volk liebte und vertraute ihm und seinen Entscheidungen. Schließlich ehelichte er die älteste Tochter seines südlichen Nachbarn und als dieser starb, fielen auch diese Ländereien an ihn. Nun war das Königreich das Größte der bekannten Welt geworden und niemand wagte es mehr, sich gegen den König und sein Schwert zu erheben.

Die Jahre vergingen in Wohlstand und Frieden und niemand hätte sich träumen lassen, dass sich dies eines Tages wieder ändern könnte.
Doch die Zeit schritt voran und der König wurde älter. Er erkannte, dass er sein großes Reich nicht mehr lange würde führen können. Daher übergab er Teile davon seinen Söhnen zur Verwaltung. Anfangs lief alles gut, doch mit jedem weiteren Jahr, in dem der König älter und müder wurde, begannen die Spannungen unter seinen Nachkommen zu wachsen. Zuerst nur zaghaft, doch immer fordernder wurden ihre Ansuchen an ihn, einem von ihnen sein Schwert als Zeichen seiner Macht und Königswürde zu übergeben. Aber wer war würdig dazu.
Der Eine forderte das Schwert auf Grund seines Rechts als Erstgeborener. Der Andere als der Stärkste. Der dritte, weil er der Klügste war. Der vierte wegen seiner wirtschaftlichen Erfolge und so weiter. Lange hatte der alte König überlegt, wer denn nun tatsächlich der würdigste Nachfolger wäre, doch zum ersten Mal in seinem Leben wusste er keine Lösung. Daher hatte er die Wahl schließlich ihnen selbst überlassen.
Wie sich herausstellte war dies der größte Fehler, den der König in seinem Leben begangen hatte. Denn diese Entscheidung rief große Rivalität unter seinen Söhnen hervor und schließlich beschlossen sie, wenn ihr Vater sich nicht entscheiden konnte und sie selbst ebenfalls zu keiner Einigung kamen, dann musste dies durch einen Kampf entschieden werden!
Der König, entsetzt über die rücksichtslose Machtgier seiner ihm fremd gewordenen Söhne, rief sie zur Besinnung auf, doch die mahnenden Worte wurden bereits übertönt vom Kriegslärm und den Schreien der Soldaten. Lange war die Hauptstadt umkämpft von den verschiedenen Heeren, behielt jedoch jederzeit die Oberhand.
Aber ebenso wie das Umland in einem Meer aus Blut versank, so versiegten langsam auch ihr die Reserven und Kräfte. Schließlich floh der alte König mit den letzten seiner Getreuen. Keiner seiner verhassten Söhne sollte ihn besiegen und sein Schwert als Zeichen der Rechtmäßigkeit seiner Herrschaft an sich reißen.

Nun saß er hier in dieser Höhle, weitab seiner ehemals so prächtigen Hauptstadt und verbittert über das Leid, dass er von seinem Volk nicht hatte abhalten können. Seine Vertrauten, die ihm alle lieb und teuer waren und mit denen er so viel durchlebt hatte, berieten darüber, was nun zu tun sein, doch niemand wusste eine Lösung. Gerne hätte der König sein Schwert an jeden einzelnen von ihnen übergeben, doch keiner von ihnen hielt sich für würdig genug. Außerdem waren sie alle kaum jünger als er selbst. Ein junger und starker Mann musste gefunden werden, der die aufständischen Königssöhne besiegen, das Reich wieder einen und führen konnte. Daher wurden alle noch verbliebenen Boten ausgesandt, um nach einem passenden Kandidaten zu suchen.
Geduldig wartet der alte König und hielt dabei sein Schwert fest neben sich.

Die Zeit verging, doch keiner der Anwärter wurde den hohen Anforderungen der Königswürde gerecht. Keiner durfte das Schwert an sich nehmen.
In letzter Zeit waren die Meldungen der Boten immer spärlicher geworden. Viele waren von den Häschern der Usurpatoren aufgespürt und gefangen genommen worden. Doch keiner von ihnen hatte verraten, wo sich der alte König mit seinem Gefolge versteckt hielt, während dieser weiter auf einen würdigen Nachfolger wartete.
Immer mehr der alten Vertrauten starben. Doch niemand wollte sie zur letzten Ruhe betten, bevor nicht ihre große Aufgabe vollendet war. Daher wurden ihre Körper auf ihre Steinsessel fixiert, um mit ihrer Anwesenheit die verbleibenden Gefährten in ihren Bemühungen zu bestärken. Und der alte König wartete...

Der uralte König wusste nicht mehr, wie lange schon kein Wort mehr in der dunklen Höhle gesprochen worden war. Die letzte Kerze war abgebrannt, der letzte Laib Brot gegessen, der letzte Becher geleert. Dicker Staub hatte sich auf die Gegenstände des menschlichen Gebrauches gelegt. Doch weiterhin wartete der König...

Das durchdringende Jaulen der hungrigen Wölfe riss den uralten König auf seinem steinernen Thron aus seinem langen Dämmern. Unzählige Male hatte er schon gehört, wie die Raubtiere draußen um die Felsen gestreift waren und an den verborgenen Türen gekratzt hatten. Doch niemals waren sie so aufgeregt und voller Vorfreude auf warmes Fleisch gewesen. Rasch kamen die Laute immer näher und schließlich hörte der uralte König hörte ihre Krallen auf den Fels über ihm und das Poltern loser Steine.
Plötzlich, begleitet von einem undeutlichen Schrei, stürzte eine Gerölllawine durch eine der versteckten und inzwischen großteils verschütteten Eingänge.
Interessiert musterte der König den imposanten Krieger, der sich aus den Trümmern arbeitet und durch die Pfütze aus abgestandenem Regenwasser watete. Geschickt schlug der Fremde mit Hilfe eines Feuersteins und etwas Stroh ein kleines Feuer, das er behutsam anblies, um es weiter anzufachen. Währen die Flammen anschwollen, konnte der uralte König die muskelbepackten Arme erkennen, die von dem einfachen Lederwams nicht bedeckt wurden. Der Fremde schien kampfgestählt zu sein und der Blick, mit dem er sich neugierig in der dunklen Höhle umsah, war wach und zeugte von einem regen Geist.
Wie der König erwartet hatte, entdeckte der Kriege ihn recht bald und musterte ihn misstrauisch durch das Halbdunkel. Die Erscheinung des Königs war inzwischen nicht mehr so prächtig und eindrucksvoll wie vor vielen Jahren und hätte wohl die meisten Menschen erschreckt oder gar geängstigt, doch er konnte keine Anzeichen von Furcht an dem Fremden entdecken. Im Gegenteil. Aus einem Stück Holz und ein paar Lumpen fertigte er sich eine behelfsmäßige Fackel und kam langsam näher.
Der König war beeindruckt von der Geschicklichkeit, die der fremde Krieger dabei an den Tag legte und beobachtete weiterhin interessiert den unerwarteten Gast. Dabei bemerkte er die eiserne Kette, die dieser an einem Fuß hinter sich her zog. Das verunsicherte den König ein wenig. War der Fremde, der doch so einen überragenden ersten Eindruck hinterlassen hatte, vielleicht ein entflohener Gefangener? Ein Sklave? Ein gemeiner Verbrecher?
Doch nichts schien auf eine dunkle Seele hinzuweisen, wie er so achtsam, aber selbstbewusst die dunkle Höhle erkundete. Dabei wurde er der Überreste der Getreuen des Königs gewahr, die ihn scheinbar aus ihren leeren Augenhöhlen genauso interessiert musterten, wie es der König selbst tat. Der Fremde zuckte zwar im ersten Moment zurück, doch es war keine Furcht in seinen Augen, nur eine gesundes Maß an Vorsicht.
Und dann stand der Krieger unmittelbar vor dem König und erinnerte diesen daran, wie er selbst in der Blütezeit seines Lebens war. Groß, stark und unbesiegbar. Aufmerksam betrachtet der Fremde den König und fast schien es, als würden sich die beiden stumm verstehen können. Der Blick des Fremden wanderte schließlich zu dem Schwert, das immer noch neben dem Thron auf seinen neuen Herrn wartete.
War er es? War dieser Fremde, derjenige, auf den der uralte König so lange gewartet hatte? Würde er das Vermächtnis übernehmen, das zersplitterte Reich wieder zu Einen und mit dem legendären Schwert zu neuem Glanz verhelfen?
Der uralte König war schon soweit, diese Hoffnung wahr werden zu lassen, doch mit den Jahren waren seine Gelenke steif geworden und er konnte dem Fremden die Waffe nicht überreichen. Da kam der Hüne ihm zu Hilfe und löste die vertrocknete Hand behutsam vom Knauf des Schwertes. Fachmännisch nahm er sie in die Hand und es war deutlich zu sehen, dass ihm der Umgang mit dieser Waffe vertraut war und wie sich der Griff in die großen Hände schmiegte, als wäre sie dafür geschaffen worden.
Dies erfreute den uralten König in höchstem Maße. Er war aber auch zutiefst enttäuscht darüber, dass er die treue Klinge schon so lange nicht mehr hatte gebührend pflegen können. Der Fremde wischte mit einer Handbewegung die Spinnweben hinfort, schwang die edle Waffe gekonnt herum und schlug sie auf den harten Felsboden
Wie ein trockener Kokon platze die Kruste aus Jahrzehnte altem Staub auf und fiel vollständig von dem feinen Stahl ab. Die sorgsam gearbeitet Klinge glänzte im Schein der behelfsmäßigen Fackel und wirkte so scharf, wie eh und je. Der reine Klang des vorzüglichen Stahls, dem die lange Zeit nichts anhaben hatte können, hallte durch die dunkle Höhle und erfüllte die Seele des uralten Königs mit großem Entzücken.
Aber auch mit großer Müdigkeit. So lange und so intensiv hatte er auf einen würdigen Nachfolger, einen Erben für sein Vermächtnis gewartet, dass er vollkommen verdrängt hatte, wie viel Zeit darüber vergangen war.
Er war müde. So sehr müde. Und die Last der Jahre drückte plötzlich schwer auf sein Haupt. Denn nun war alles geregelt und hatte seine Ordnung. Langsam wich die Starre in seinen Gelenkten. Sein Körper sackte zusammen, die Hand, welche so lange seine Waffe gestützt hatte, rutschte von der Lehne und der Kopf sank ihm zur Seite. Mit lautem Klirren fiel sein Helm zu Boden, was den fremden Krieger, der die exzellente Klinge bewundert hatte, kampfbereit herumfahren ließ. Doch es drohte keine Gefahr. Nicht für den Fremden. Nicht von dem uralten König, der endlich seine letzte Ruhe gefunden hatte.

Durch die dichten Nebelschwaden der drückenden Müdigkeit konnte der uralte König erkennen, wie der Krieger durch die Öffnung, durch die er hereingestürzt war, wieder hinauf in das helle Sonnenlicht kletterte und sein Erbe mit sich nahm. Das erwartungsfrohe Jaulen der hungrigen Wölfe empfing ihn, doch nun war er nicht mehr ein unbewaffnetes Opfer.
Ein wehmütiges Lächeln stahl sich auf die vertrockneten Lippen des uralten Königs, als er den Klang von Metall auf Metall vernahm und gleich darauf die gesprengte Kette zwischen die Felsen rasseln hörte. Und wie sich das erwartungsfrohe Jaulen der Wölfe in ein klägliches Winseln verwandelte.
Er bedauerte es ein wenig, dass er nicht mehr miterleben konnte, wie der Krieger hinaus in die Welt zog, um seinen Weg zu gehen. Aber die Zeit des Königs war lange vorbei und er war glücklich darüber, dass sein treues Schwert nun in der Hand seines neuen Herrn einer neuen Bestimmung zugeführt wurde, um abermals große Taten zu wirken und in unzähligen Liedern besungen zu werden.
Oh ja, sein Schwert war gut aufgehoben in Conans Hand.

(Inspiriert durch den Film: Conan, der Barbar)


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