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GOLCONDA

Folge 4

von Susanne Stahr



Der Schwarzmagier

"Nein, nein, nein!" Arwed rang die Hände. "Du sollst dem Licht dienen, nicht das Licht dir!" Wie sollte er nur den Prüfungsstoff in diesen hübschen, eigenwilligen Kopf hineinbringen?
"Ist das nicht egal?", fragte Violetta mit provozierendem Augenaufschlag. Seit fast zwei Wochen war sie nun seine Schülerin und derzeit einzige Einkommensquelle. Jeden Morgen war er zur Ecke Geckozeile-Krötenzeile gegangen, um den Aushang zu lesen. Vergeblich. Er hatte nichts gefunden, das ihm, einem Magier-Detektiv, Geld bringen konnte. Das Silberstück, das ihm Violetta für den täglichen Unterricht gab, half nur wenig. Seine Reserven schmolzen dahin, denn der Prozess gegen Billinger war noch nicht entschieden und das Ende war nicht abzusehen. "Du musst den Text so lernen, wie er da steht", beharrte er.
"Heißt es nicht, dass das Licht den Magiern dient?", fragte sie.
"Ja, wenn du dem Licht dienst, dient es auch dir", gab er widerwillig zu.
"Es ist doch egal, wer damit beginnt. Einer dient dem anderen." Die Tochter des Feuermagiers vereinfachte die Dinge gern.
"Unsere Magie ist strengen ethischen Grundsätzen unterworfen. Wir beugen uns den Gesetzen der Elemente. Früher konnte jeder zaubern wie er wollte. Dazu wurden Kräuter und Essenzen verwendet. Das war ein leichter Weg. Aber er verlockte viele zu Schwarzen Ritualen. Deshalb haben wir uns vor vielen Jahren von dieser Art von Magie abgewendet. Du wirst durchfallen, wenn du den Text veränderst. Balko wird das nicht akzeptieren", zog er sich auf seine letzte Zuflucht zurück. Das tat er immer, wenn Violetta seine Lehren nicht annehmen wollte. Insgeheim fühlte er sich dabei hilflos, aber es fiel ihm nichts Besseres ein. Wenn sie dann noch ihr entzückendes Näschen rümpfte...
"Denk an deinen Blutdruck, Langer!", erklang es von seiner Schulter, wo es sich Gaspard gemütlich gemacht hatte.
Arwed richtete sich ruckartig auf, was den Kobold zu einem Balanceakt veranlasste. "Die Stunde ist um", sagte er betont streng. "Wir sehen uns morgen."
"Aber die Prüfung ist übermorgen", bat sie und sah dabei so überwältigend hilfsbedürftig aus, dass er sie am liebsten in die Arme geschlossen hätte. "Kannst du nicht noch eine Stunde einschieben? Ich zahle es auch."
Schon bröckelte der Widerstand des Magiers, da enthob ihn Gaspard einer Entscheidung. "Du kriegst Besuch, großer Meister! Könnte Kundschaft sein. Dann kommt endlich wieder ordentlich Geld in die Kasse."
Er hatte noch nicht ausgeredet, da ertönte schon der Türklopfer. Mit einem zufriedenen Nicken registrierte Arwed Tschrt'schlogs Schritte in Richtung Haustür. Ein spitzer Schrei ertönte, dann kam die Echse mit einem gut gekleideten stämmigen Mann in den Vierzigern auf den Armen in das Arbeitszimmer des Magiers. "Ich weiß gar nicht, was der hat", wunderte er sich, die Schuppen in hellem Türkis vor Verwirrung, und legte den Bewusstlosen behutsam auf den Teppich.
"Sieh dich doch an!", schimpfte Arwed. "Deine Hände und die Schürze sind voll Blut und dazu hast du das größte und schärfste Messer in der Klaue! Und da soll man sich nicht erschrecken!"
"Das Ragout wirst du aber nicht verschmähen!", schnappte Tschrt'schlog beleidigt zurück und verschwand wieder in der Küche. Dabei wechselte die Farbe seiner Schuppen immer wieder von Rosa zu Orange und zurück.
Violetta kicherte hinter vorgehaltener Hand. "Du könntest mich doch noch unterrichten, bis der Kerl aufwacht", bat sie mit ihrem verführerischsten Lächeln.
Arwed wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, da schlug der Mann stöhnend die Augen auf. Gaspard materialisierte auf seiner Brust und machte einen formvollendeten Kratzfuß. "Willkommen bei Meister Arwed! Ich hoffe, du hast dich nicht in der Tür geirrt." Geschickt hüpfte er auf den Boden, als der Besucher sich mühsam erhob. Dazu verwendete dieser nur den linken Arm, da der rechte schlaff von seiner Schulter baumelte. "Meister Arwed? Ja, zu dem wollte ich. Aber da war plötzlich dieses blutrünstige Monster ..."
"Nimm doch Platz, Meister ... äh?", beeilte sich der Magier zu sagen. "Mein Diener ist absolut harmlos."
"Wenn blutverschmierte Agami mit Küchenmessern harmlos sind", entgegnete er trocken und streifte Violetta mit einem neugierigen Blick.
"Meine Schülerin wollte gerade gehen", erklärte Arwed.
"Meine Prüfung!", rief Violetta verzweifelt aus.
"Lerne den sechsten Artikel auswendig. Morgen Vormittag will ich ihn hören." Sein Ton war so streng und unerbittlich, dass sie sich schmollend fügte und mit hängendem Kopf aus dem Raum ging. Arwed brach fast das Herz, aber es half nichts. Wenn er ihr immer nachgab, lernte sie nichts. Mit einem aufmunternden Lächeln wandte er sich an seinen Gast.
"Ich bin Jeldrik aus dem Hause Grieserer", begann dieser. "Ein Schwarzmagier hat meinen rechten Arm verhext."
Arweds Augenbrauen rutschten hoch. Jeldrik war der berühmteste bildende Künstler von Golconda. Seine schwache magische Begabung hauchte seinen Gemälden eine verblüffende Lebendigkeit ein. "Du brauchst einen Heiler", antwortete er bedauernd. "Ich aber bin ein Detektiv."
"Bei einem Heiler war ich schon. Er konnte die Besprechung nur feststellen, aber nicht lösen", erklärte Jeldrik. "Ich kann seit mehr als einer Woche nicht mehr malen. Erst wenn der Hexer neutralisiert oder tot ist, wird der Fluch erlöschen."
"Und ich soll den Verbrecher finden? Warst du schon bei der Polizei?"
"Da war ich schon. Die haben jede Wache zum Schutz von diesem Vilmos Takaszy abkommandiert. Mein lahmer Arm ist da nur eine lästige Randerscheinung." Hilfloser Zorn malte sich in seinen Zügen. "Wie soll ich meine Familie ernähren?", klagte er.
"Hast du es schon mit der linken Hand versucht?", meldete sich Gaspard. Es war bisher noch nie vorgekommen, dass er sich in eine geschäftliche Besprechung einmischte. Das Erstaunen seines Meisters war dementsprechend.
"Wer ist denn das?", fragte Jeldrik verwirrt.
"Mein Kobold, Gaspard von den Hügeln."
"Kann er mir vielleicht helfen?" Der Künstler schien nach jedem möglichen Rettungsanker zu greifen. "Wenn er den Schwarzmagier ausfindig machen kann ..."
"Kannst du den Mann beschreiben? Oder hat er etwas bei dir zurückgelassen?", begann Arwed zu forschen.
"Er hat mir die Erinnerung an ihn genommen. Ich dachte zuerst an eine Krankheit. Dass dieses Leiden magisch verursacht ist, entdeckte der Heiler. Ich habe nur so ein paar Erinnerungsfetzen von einem Mann, der sich porträtieren lassen wollte. Was soll ich nur tun, wenn meine Arme verhext sind?!"
"Beide?", fragte Arwed überrascht. Die Lähmung des rechten Arms war offensichtlich. Doch der Linke schien in Ordnung.
Wortlos zog der Maler eine kleine Papierrolle aus seiner Brusttasche und überreichte sie Arwed. Der Geruch von Ölkreiden überdeckte den scharfen Salmiakgestank nur unzureichend. Der Magier rollte das Blatt auseinander und prallte zurück. Eine furchterregende Teufelsfratze grinste ihn an. Gaspard stieß einen spitzen Schrei aus und verschwand. Ja, das war zweifellos ein Werk von Jeldrik. Sein Stil war unverkennbar. Aber er war zu einer Scheußlichkeit pervertiert.
Ganz automatisch errichtete Arwed ein Bannfeld um das Blatt. Die dämonische Fratze verzog sich wütend. Für einen Moment sah es so aus, als wollte sie das Papier verlassen, doch dann erstarrte sie wieder zu ihrem höllischen Grienen. So etwas war neu für Arwed. Das Bild stellte einen Dämon dar, aber wer kam auf den Gedanken einen solchen zu malen? Irgendetwas an der Sache kam ihm bekannt vor. Hatte nicht Meister Balko etwas darüber in seiner Vorlesung ‚Die Ethik der Magie' gesagt? Er musste in seinen Skripten nachsehen. "Das hast du mit der linken Hand gemalt?", vergewisserte sich der Magier schaudernd. Ein unglückliches Nicken kam als Antwort. "Warum hast du es vollendet?"
"Ich konnte nicht anders."
"Du hast doch hoffentlich nicht noch so ein Bild gemalt?", fragte Arwed.
"Bei allen Göttern, nein!", rief Jeldrik aus. "Eins ist schon zuviel!" Er legte einen kleinen, aber prallen Beutel auf den Tisch. "Das ist eine Anzahlung für dich. Finde den Schwarzmagier, Meister Arwed."
"Ich werde meine ganze Kraft darauf verwenden", versprach Arwed und brachte seinen Klienten zur Tür.

Suchend ging der junge Magier durchs Haus. "Gaspard?", rief er in kurzen Abständen immer wieder. Der Kleine war einfach nicht zu finden. Offenbar hatte ihm das grässliche Bild einen gehörigen Schrecken eingejagt. Missmutig ging er in die Küche. Der kräftige Duft des Ragouts ließ ihm das Wasser im Mund zusammen rinnen. "Tschrt'schlog, hast du Gaspard gesehen?"
Im nächsten Augenblick hatte er den Kobold entdeckt. Er saß schmatzend auf dem leeren Kuchenteller und pickte gerade die letzten Brösel auf. "Jetzt geht's mir besser", brummte das Männlein und rülpste dezent.
"Gaspard! Hast du den ganzen Kuchen aufgegessen?" Leiser Vorwurf schwang in Arweds Stimme.
"Das musste ich doch", verteidigte sich der Kobold, richtete sich stolz auf und strich seinen grünen Rock glatt. "Der Schreck hat mich so hungrig gemacht .... ich wäre fast gestorben." Verstohlen öffnete er einen Jackenknopf, um seinem Bäuchlein mehr Platz zu machen.
"Hast du so etwas schon mal gesehen?", fragte sein Meister, einer Eingebung folgend.
"Ja", gab Gaspard zu. "Der Schwarze Hasvarino hat damit gearbeitet."
"Du hast den Schwarzen Hasvarino gekannt?", rief Arwed aus. Der berühmt-berüchtigte Schwarzmagier war vor mehr als 100 Jahren hingerichtet worden. Offenbar stimmte das Gerücht über die hohe Lebenserwartung der Kobolde.
Gaspard spielte mit der langen gelben Feder, die von seinem Hut hing. "Ich musste ihm 46 Jahre dienen", knirschte er. "Als ihn endlich sein Schicksal ereilte, wanderte ich nach Golconda aus. Ich war frei, bis du kamst mit deinem blöden Bannspruch."
"Richtig schlecht geht's dir aber nicht", wandte Tschrt'schlog ein und wies auf den leeren Teller. Das helle Orange seiner Schuppen ließ seinen Ärger klar erkennen.
"Naja, deine Kochkünste sind entwicklungsfähig."
"Entwicklungsfähig! Was hältst du von Kobold am Spieß?", ereiferte sich der Agami. Das Türkis wurde greller.
"Hat Hasvarino die Bilder selbst gemalt?", fragte Arwed schnell. Er wollte verhindern, dass sich die beiden noch mehr in die Wolle bekamen. Ein Streit zwischen Gaspard und dem Echsenmann konnte ewig dauern.
"Nein, der doch nicht! Er hatte einen Maler in seinem Verlies. Das arme Schwein musste die Bilder herstellen. War total verzweifelt, der Junge, aber Hasvarino hatte ihn in seinem Bann."
"Ich muss meinen Fakultätsvorstand sprechen", murmelte Arwed und setzte sich. Tschrt'schlog hatte schon den Tisch gedeckt und teilte das Ragout aus. "Wer ist eigentlich Vorstand für dieses Studienjahr?"
"Die edle Meisterin Ursina aus dem Hause Reiminger", antwortete Gaspard und zückte sein Besteck.
"Woher weißt du das?", wunderte sich der junge Magier und kaute an einem herrlich zarten Stück Fleisch.
"Mein Vetter Rene lebt schon seit 200 Jahren in der Universität", knurrte der Kobold. Seine finstere Miene drückte aus, dass er dieses Geheimnis gar nicht gern preisgab. Aber er musste seinem Meister antworten.
"Morgen, gleich nach dem Frühstück", beschloss Arwed und widmete sich seinem Teller.

Die magische Universität glich einem Ameisenhaufen, über den eine Herde Ziegen getrampelt war, als Arwed die ehrwürdigen Hallen betrat. Verschreckte Studenten wurden von grimmig dreinschauenden Wachen durchsucht und durch die Gänge gescheucht. In einer Ecke standen ein paar Professoren, erkennbar durch ihre langen Roben und goldenen Magierabzeichen, und unterhielten sich zwar leise, aber dafür nicht weniger heftig.
Irgendetwas war hier im Gange. Suchend sah er sich um, da drückten ihn zwei baumlange Polizisten gegen eine Wand. Während ihn der eine nach Waffen durchsuchte, bedrohte ihn der andere mit seinem Kurzschwert. Arwed versuchte mehrmals nach dem Grund ihres Handelns zu fragen, doch die Schwertspitze lehrte ihn schweigen. Endlich war die Prozedur beendet und die Polizisten traten zurück. Das Schwert drohte aber immer noch. "Wer bist du und was willst du hier?", fragte der, der ihn durchsucht hatte und schielte auf Arweds Magierabzeichen.
"Ich bin Arwed aus dem Hause Berenger, diplomierter Luftmagier. Und ich muss mit Meisterin Ursina sprechen." Ärgerlich strich er seine Jacke glatt und suchte nach etwaigen Schmutzflecken.
"Die Meisterin bespricht sich gerade mit Meister Vilmos", wurde ihm ungnädig mitgeteilt.
"Ich werde warten", verkündete Arwed. "Meine Sache ist von höchster Wichtigkeit."
"Wie du willst." Die Wache musterte ihn noch einmal prüfend und wandte sich mit einem Schulterzucken ab. Frustriert bahnte sich Arwed einen Weg durch die Studenten auf der Suche nach Ture, dem Sekretär Ursinas.
"Die holde Ursina wirst du heute nicht mehr sehen", piepste es aus seiner Brusttasche.
Überrascht blieb er stehen. "Wie kommst du darauf?" Er öffnete die Jacke ein wenig um Gaspard ansehen zu können.
"Meister Vilmos hat sie vor einer halben Stunde verlassen. Bald darauf wurde ihr übel. Jetzt sitzt sie auf dem Örtchen und wird auch nicht so bald herunterkommen."
"So genau wollte ich es nicht wissen."
"Du hast gefragt, ich habe geantwortet", rechtfertigte sich Gaspard. "Meister Golo oder Meister Balko sind in ihren Zimmern. Such dir einen aus. Die anderen sind mit diesem Vilmos oder mit einer Vorlesung beschäftigt."
"Gerade diese beiden!", seufzte Arwed. Golo war der stellvertretende Vorstand der luftigen Fakultät. Doch der junge Magier hatte es seit seinem Examen vermieden dem alten Fuchs unter die Augen zu treten. Golos Sarkasmus war weit über die Grenzen des Campus gefürchtet. Und er ließ ihn vorzugsweise auf Studenten aus, auch auf ehemalige. Da blieb nur noch Balko. Ein Stöhnen rang sich aus Arweds Brust. Grund dafür war ein Streich, den er, zusammen mit Nantwig und einigen anderen Studenten, Balko gespielt hatte. Es hatte zwar nur zwei Tage gedauert, bis der strenge Professor seinen Rülpszwang besiegt hatte, doch sein Zorn war furchtbar.
"Was ist mit Meisterin Malfalda?", versuchte er zu entkommen. Die Elfenmagierin war ihm immer wohlwollend begegnet.
"Die hat ein Furunkel an einer höchst unangenehmen Stelle", wehrte Gaspard ab. "Julef und Otfried kannst du auch vergessen. Die sind nach einem verunglückten Zauber damit beschäftigt ihre Knochen zu nummerieren."
Arwed grinste. Die beiden jungen experimentierfreudigen Assistenten hatte er gemocht. Es war nicht das erste Mal, dass ein Zauber schiefging und sie zu Schaden kamen. "Also doch Golo", entschied er sich und steuerte auf das Arbeitszimmer des Professors zu. Plötzlich stieg ein scharfer undefinierbarer Geruch in seine Nase und ein eisiger Schauer jagte über seinen Rücken. Alarmiert drehte er sich um und sah gerade noch einen hageren Mann mit schulterlangen schwarzen Haarsträhnen in der Menge verschwinden. "Was war das?", fragte er leise in sein Jackett.
Gaspard hockte zitternd im tiefsten Winkel seiner Brusttasche. "Der Schwarze!", stieß er hervor. "Geh schon! Golo wartet bereits auf dich."
Bevor er noch an die Tür klopfen konnte, flog sie auf und Golos scharfes Organ begrüßte ihn. "Ist das nicht unser Meister Arwed, der schönste Mann Golcondas? Ah, du hast dich aber fein herausgeputzt. Es tut mir nur sooo leid, dass ich dir mit keinem Spiegel dienen kann. Deine Schönheit ist einfach umwerfend." Ein höhnisches Lachen beendet diese Rede.
Arwed trat ein und schloss die Tür. Meister Golo thronte hinter einem mächtigen eichenen Schreibtisch, der mit sauber geordneten Stapeln von Büchern und Schriftrollen bedeckt war. Nur eine Ecke war für Blechdosen in verschiedenen Farben und Größen reserviert. Sein weißer Haarkranz stand wie fingerlange Stacheln von seinem runden Kopf ab und unterstrich noch seinen Charakter. Listige helle Äuglein schienen den jungen Magier zu durchbohren. "Was führt dich denn hierher, mein Sohn?", fragte er neugierig. "Das muss dir aber ordentlich auf den Nägeln brennen, wenn du dich zu mir wagst." Golo kannte seinen Ruf und schien ihn zu genießen.
Er muss einen Kobold in der Familie haben, dachte Arwed beim Anblick der kleinen rundlichen Gestalt und suchte nach Worten. "Meister Golo, ich habe ... also, da kam dieser Mann ... ich meine, es gibt Anzeichen ..." Er verstummte verärgert. Golo hatte ihn noch jedes mal aus dem Konzept gebracht. Eben noch war eine wohlgesetzte Rede in seinem Kopf und jetzt stotterte er wie ein Schuljunge, der beim Äpfelstehlen erwischt worden war.
"Mein liebes Meisterlein, was hat dich denn so erschüttert, dass du keinen ganzen Satz mehr zustande bringst?" Der Hohn war offensichtlich, doch dahinter glaubte Arwed auch Interesse zu entdecken.
"Das da!" Er zog Jeldriks Bild aus der anderen Brusttasche und entrollte es vor dem Professor.
Der Meistermagier zuckte zurück. Mit einem Mal war aller Sarkasmus von ihm gewichen und zum Vorschein kam ein anderer Golo, ernst, scharfsinnig und verantwortungsbewusst. Erstaunt registrierte Arwed den Wandel. "Das ist Jeldriks Stil. Hast du es von ihm?" Eine winzige Bewegung seines Zeigefingers ließ ein Bannfeld um die Zeichnung entstehen.
Arwed beneidete ihn ob der Eleganz dieses Zaubers. "Ich bin nicht befugt, den Namen meines Klienten preiszugeben", sagte er fest. "Meiner Meinung nach ist das Schwarze Magie."
"Oh, unser Meisterlein hat eine Meinung!" Der alte Golo war wieder zurück. "Du hast sogar recht! Es ist Schwarze Magie der übelsten Sorte." Feixend lehnte er sich zurück und faltete die dicken Finger über dem Kugelbauch. "Und jetzt geht dir der Allerwerteste auf Grundeis. Was haben wir denn da?" Aus einer flachen gelben Dose nahm er eine grobe Silberkette an der eine derbe dreieckige Holzscheibe hing. Wieder vollführten die Wurstfinger geschmeidige Bewegungen.
"Das wird dich warnen und schützen. Trag es Tag und Nacht", sagte er grinsend. "Ich habe es speziell auf dich zugeschnitten. - Hast du dir schon Jeldriks Atelier angesehen?" Arwed schüttelte den Kopf. "Der Schwarze hat sicher etwas hinterlassen. Komm wieder zu mir, wenn du ihn gefunden hast. Das schaffst du nicht allein."
Damit war Arwed entlassen. Aufatmend schloss er die Tür hinter sich und lehnte sich gegen die Wand. Jetzt erst betrachtete er das Amulett, das ihm Golo gegeben hatte genauer. Es war schlichtweg hässlich und es passte absolut nicht zu seiner eleganten Kleidung. Und das sollte er Tag und Nacht tragen? Arweds Schönheitssinn krümmte sich, aber es half nichts. Widerstrebend streifte er die Kette über seinen Kopf und fühlte augenblicklich das feine Pulsieren des Schutzzaubers auf seiner Brust. Ein grüner Hut schob sich aus seinem Jackett. "Der hat's dir aber ganz schön gegeben", piepste Gaspard.
"Golo ist eben Golo", knurrte Arwed und schielte auf den unschönen Talisman. "Wer war der schwarzhaarige Mann vorhin?"
"Hab ich dir doch gesagt, der Schwarze. Er ist sehr stark. Golo hat recht, dass du ihn nicht allein schaffst."
"Wie heißt er?", bohrte Arwed weiter.
"Ich weiß es nicht." Die kleinen Schultern hoben und senkten sich. "Aber er verwendet Bedalkörner." Bedal war das beste Mittel gegen Motten. Viele Menschen hängten kleine Säckchen mit den scharf riechenden Körnern in ihre Kleiderschränke. Arwed bevorzugte Lavendel. Das wuchs in seinem Garten und roch wesentlich besser. Außerdem reinigte er sein Haus in regelmäßigen Abständen magisch von allem Ungeziefer. Er stieß sich von der Wand ab und strebte dem Ausgang zu. Die wachsamen Blicke der Polizisten folgten ihm, aber sie ließen ihn unbehelligt. "Hast du nicht etwas vergessen?", drang Gaspards Stimme in seine Gedanken.
"Was?" Abrupt blieb er stehen. Ein blutjunger Student, der hinter ihm gegangen war, konnte gerade noch abbremsen und wich fluchend aus. Als er Arweds Magierabzeichen sah, entschuldigte er sich stotternd und suchte das Weite.
"Das Bild! Wo hast du denn deinen Holzkopf?! Golo hat es behalten." Damit hatte er recht.
"Bei Golo ist es sicher besser aufgehoben" ,entschied Arwed kurzerhand. "Sehen wir uns mal das Atelier Jeldriks an."
"Geht nicht. Violetta wartet schon auf dich", widersprach der Kleine. "Du hast ihr die Stunde versprochen. Und noch eine am Nachmittag dazu, weil morgen die Prüfung ist."
"Oh, Violetta!" Sofort beschleunigte er seine Schritte.
"In ihrem Namen liegt Magie!", sang Gaspard spöttisch. "Du brauchst nur ihren Namen zu hören und schon schwingst du die Keulen. Wie wär's, wenn du dich als Rennpferd verdingst? Das wäre auch ..." Energisch schloss der Magier sein Jackett und der Redefluss verstummte abrupt.

Nach einer entnervenden Stunde mit Violetta und einem exzellenten Mittagessen konnte sich Arwed endlich, einen Schnappsack aus festem grünem Stoff mit Zaubermitteln in der Hand, zu Jeldriks Atelier aufmachen. Es lag in einem zweistöckigen Haus am Rande des Basars. Liebtraud, Jeldriks Ehefrau, eine gutaussehende blonde Mittdreißigerin, öffnete ihm. "Mein Mann erwartet dich bereits im Atelier", sagte sie und wies ihm den Weg.
Jeldriks Werkstatt erwies sich als ein großer sparsam möblierter Raum am Dachboden des Gebäudes, der durch mehrere große Fenster erhellt wurde. Der Geruch nach Ölfarben und Lösungsmitteln hing noch in der Luft, obwohl hier seit mehr als einer Woche nicht mehr gearbeitet wurde. Die Palette lag eingetrocknet auf einem Tischchen mit Glasplatte und die leeren Leinwände lehnten sauber geordnet an der Wand. Stieren Blicks saß der Maler auf einem farbbeklecksten Hocker vor einer großen hölzernen Staffelei mit dem angefangenen Portrait einer älteren Dame. Die Gesichtszüge waren bereits gut erkennbar, doch das Haar und das Kleid waren nur skizziert.
"Das ist Meret, die Frau des Polizeichefs!", rief Arwed überrascht aus.
"Und was habe ich davon?", brummte Jeldrik. "Wenn ich es nicht fertig stellen kann, wird die Dame nichts dafür zahlen."
"Vermutlich hat der Schwarzmagier hier etwas hinterlassen. Ich werde es sichtbar machen", begann Arwed und zog mit geweihter Kreide einen Kreis um Jeldriks Hocker. Die Staffelei schob er an die Wand. "Du darfst den Kreis unter keinen Umständen verlassen, was auch immer passiert", beschwor er ihn ernst. "Erst, wenn ich den Kreis auslösche." Damit machte er sich an die Arbeit. Er legte einen Schutzbann um den Maler und holte seinen Dämonenspürer aus der Tasche. Die faustgroße Kristallkugel lag schwer in seiner Hand.
Graublauer Nebel wallte in ihrem Inneren. Halblaut hauchte der Magier ein Zauberwort auf den Spürer und hob die Hand hoch. Die Kugel schwebte langsam durch den Raum, wich Arweds Bannkreis aus und blieb vor einer Ecke mit leeren Bilderrahmen in der Luft stehen. Der Nebel im Kristall begann zu pulsieren und sandte blaue Lichtfinger in die Ecke.
"Das dachte ich mir doch!", brummte Arwed und warf eine Handvoll eines gelb glitzernden Pulvers in die Ecke. Gleichzeitig sprach er einen machtvollen Bann. Mit lautstarkem Getöse erschien ein vierarmiger Dämon. Sein Gesicht glich der Fratze auf Jeldriks Bild. Wütend hieben seine dreifingrigen Klauenhände nach dem Magier. Doch der Bann hielt ihn in der Ecke fest. Rotglühende Augen suchten den Blick seines Bezwingers. Ein kaltes Lächeln huschte über Arweds Züge. Dass man einem Dämon nicht in die Augen sehen durfte, lernte man im dritten Semester. Stattdessen fixierte er den silbernen Anhänger, der an einem Lederband vom Stiernacken der Kreatur baumelte. Es war ein großes U eingraviert, vermutlich der Anfangsbuchstabe seines Namens. Ein Seitenblick auf den Dämonenspürer, der immer noch neben ihm schwebte, zeigte ihm, dass das Wesen aus der vierten Ebene stammte. Nicht sehr mächtig für einen Magier, doch gefährlich für einen nicht magiebegabten Menschen. "Dein Name, Dämon!", donnerte er und schickte eine kleine Lichtkugel in die Ecke.
Die Kreatur quiekte und schlug mit der unteren rechten Hand nach seiner pelzigen Hüfte, wo das struppige Fell qualmte. "Den wirst du nie erfahren, Magier", zischte sie.
"Du bist ganz schön frech für einen Dämon der dritten Ebene", höhnte Arwed. Er hatte absichtlich eine tiefere Ebene erwähnt, um den Dämon zu reizen.
"Ich verrate dir gar nichts", beharrte das hässliche Wesen und schielte böse auf die Kugel, die nun wieder graublaue Nebel zeigte.
"Nun, ich sehe ein U auf deinem Talisman. Welcher Name kann das wohl sein?" Arwed legte in einer theatralischen Geste den Zeigefinger vor die Lippen. "Wenn du mir deinen Namen nicht verrätst, werde ich dir einen neuen geben. Wie gefällt dir denn ‚Unerfreulich' oder ‚Umweg'?"
"Das ist nicht mein Name", knurrte er. Dabei blitzten seine Augen wütend.
"Wie wär's dann mit ‚Uhu' oder ‚Unterhemd'?", höhnte Arwed.
"Du machst mich wütend!", knirschte es aus der Ecke. Gespaltene Hufe scharrten unruhig über den Holzboden.
"Dann eben ‚Unke'. Ist das besser? Nein, jetzt hab ich's! Ich werde dich ‚Urinflasche' nennen." Schon hob er die Hände, um den Namen magisch zu fixieren.
Da rief der Dämon kläglich: "Ich bin Ugolino aus der vierten Ebene!"
"Ugolino!", rief Arwed erfreut aus. "Du wirst also doch vernünftig. Wer ist dein Meister?"
Der Dämon drückte die muskelbepackte Brust heraus. "Ich bin ein freier Dämon, Lord der sieben ..."
Ein höhnisches Lachen unterbrach ihn. "Ein freier Dämon? Dann komm doch aus der Ecke heraus!" Rasend vor Wut warf sich Ugolino gegen die unsichtbare Barriere. Stinkende Wolken quollen aus Nase und Ohren, doch Arweds Bann war stärker. "Siehst du! Das zum Thema Freiheit. Was machst du überhaupt in Jeldriks Atelier?"
"Ich bin als Wache hier. Mein Meister befahl mir ..." Knurrend verschluckte er den Rest.
"Wer ist dein Meister?", fragte Arwed wieder.
"Das kann ich dir nicht sagen."
"Bist du schon wieder störrisch?" Arweds Blick erfasste die Schwanzquaste des Dämons. Die blauen Haare glänzten wie gelackt. Sein linker Zeigefinger zeichnete eine Rune in die Luft und die Quaste begann zu qualmen.
Mit einem grässlichen Schrei griff die Kreatur mit allen vier Händen gleichzeitig nach ihrem Schwanz. "Oh bitte! Edler Meister, nicht mein Schwanz! Er ist der ganze Stolz meines Daseins!" Heiße Tränen tropften aus den rotglühenden Augen und brannten kleine Löcher ins Holz. "Ich kann dir den Namen meines Meisters nicht sagen, sonst verbrenne ich."
Ja, das war die Wahrheit, erkannte Arwed. Ein Dämon brach nicht so leicht in Tränen aus. Sein magischer Spürer erkannte einen starken Schweigebann. Doch der örtliche Zauber war schwach. Arwed verstaute zuerst einmal seinen Kristall. Dann holte er eine kleine Schale aus Blutstein heraus und stellte sie auf den Boden. Seine Hände malten geometrische Figuren in die Luft und die gebrochenen Zauber perlten in die Schale. Wieder befreit sprang der Dämon mit gespreizten Klauen aus der Ecke. "Ugolino!", befahl Arwed streng. "Verschwinde auf die fünfte Ebene!"
"Die fünfte? Aber dort sind doch ..." Jammernd und klagend verblasste die gedrungene Gestalt, nur ein Hauch von Salmiak beleidigte die Nasen der Zurückbleibenden.
Als Erstes öffnete der Magier eins der großen Fenster und wandte sich dann Jeldrik zu. "Das wäre erledigt." Der Maler hatte sich die ganze Zeit nicht gemuckst. Auch als Arwed den magischen Kreidekreis zerstörte, rührte er keinen Finger. Nur seine Augen verfolgten den Magier ängstlich. "Du kannst jetzt aufstehen", sagte dieser aufmunternd. "Probier mal eine Zeichnung."
"Nein, nein!", rief Jeldrik. "Du hast doch gesehen, was daraus wird."
"Der Dämon ist weg. Die Dämonen auf der fünften Ebene werden ihn für Jahre zum Latrine putzen festhalten. Die mögen keine unerwarteten Besuche von tieferen Ebenen." Mit geschärften Sinnen ging Arwed noch einmal durch den Raum. "Keine dunklen Stellen", stellte er befriedigt fest. "Mal etwas!"
"Und wenn es wieder so etwas Scheußliches wird?", zweifelte der Künstler. "Ich kann nicht aufhören, bis es fertig ist."
"Ich werde dich stoppen. Zeichne einen Baum."
Jeldrik holte ein leeres Zeichenblatt aus einer Lade und befestigte es an einer kleinen Staffelei. Auch mit nur einer Hand bewerkstelligte er das sehr geschickt. Dann griff er mit spitzen Fingern nach seinen Ölkreiden. "Du meinst, ich soll wirklich ...?", fragte er noch einmal.
Ungeduldig nickte Arwed. "Mach schon!"
Jeldriks Hand huschte mit der Kreide über das Papier. Ein Apfelbaum nahm langsam Gestalt an. Und es gab keine Anzeichen von Perversion. Aufatmend ließ der Meister schließlich die Hand sinken. Die reifen Äpfel erinnerten Arwed, dass es bald Zeit zum Mittagessen war. Er glaubte fast, ihren Duft riechen zu können. "Vielleicht solltest du vorsichtshalber Portraits vorerst noch vermeiden", riet er und verabschiedete sich.

"Ok, du hast den Dämon entfernt", meldete sich Gaspard am Heimweg. "Dem Schwarzmagier bist du aber keinen Schritt näher gekommen."
Das dämpfte Arweds gute Stimmung ein wenig. "Das ist richtig. Aber ich habe noch einige gute Ideen. Schließlich hab ich mein Diplom nicht in der Lotterie gewonnen." Er blieb vor einer Fensterscheibe stehen, die seine Erscheinung haarscharf spiegelte und drehte sich hin und her. Was er sah, stellte ihn zufrieden, nur dieses Amulett passte einfach nicht zu seinem Anzug. Kurz entschlossen öffnete er den obersten Kragenknopf und schob den Talisman unters Hemd. Doch schon im nächsten Moment zog er ihn wieder mit einem entsetzten Keuchen heraus. Tausend feurige Nadeln hatten sein Brustbein gequält.
"Keine Zeit für Eitelkeit", kicherte Gaspard. "Deine Schönheit bleibt vorerst verschandelt. Was Violetta sich wohl gedacht hat!"
Violetta! Sie hatte ihn mit diesem Ding gesehen! "Sie hat doch gar nichts gesagt", überlegte er.
"Warum hat sie dann immer gegrinst, wenn du nicht hingesehen hast?", fuhr Gaspard unerbittlich fort.
Arwed krümmte sich innerlich unter diesem Stich. "Das sagst du doch nur, weil du mich ärgern willst", versuchte er zu relativieren, doch im Inneren wusste er, dass Gaspard die Wahrheit sprach. Kobolde konnten gar nicht anders.

"Dieser Brief wurde für dich abgegeben." Tschrt'schlog hielt ihm ein blütenweißes Kuvert mit dem Stempel der magischen Universität hin.
Neugierig öffnete Arwed den Umschlag und zog eine Einladung heraus. "Das Dekanat der magischen Universität erlaubt sich alle diplomierten Magier zu dem Vortrag ‚Neue Wege in der Magie' von Vilmos Takaszy einzuladen. Anschließend gibt es bei einer kleinen Erfrischung Gelegenheit das Thema zu diskutieren", las er. "Das ist so einer der mit Pulvern und Tränken arbeitet. Ich gehe hin."
"Dieser Vilmos behauptet, dass diese Art Magie jetzt sicher ist vor Missbrauch. Wenn man bedenkt, dass dort jährlich ein gutes Dutzend Hexer wegen unerlaubten Praktiken abgeurteilt werden ..."
"Willst du damit andeuten, dass Vilmos der Schwarze ist?", forschte Arwed. "Der hat doch noch weitere Stationen auf seiner Vortragsreise."
"Nun, mir scheint, dass unser Bösling sich zumindest für Vilmos Arbeit interessieren wird. Dass er Jeldrik verhext hat, erinnert mich zu sehr an Hasvarino. So hat die alte Krätze auch angefangen und dann hat er das ganze Tyndelonische Reich terrorisiert. War echte Knochenarbeit, das Ekelpaket abzuservieren."
"Dann muss ich unbedingt dabei sein!"
"Ich auch!", erklärte Gaspard. "Aber vorher hast du noch eine Stunde mit deiner Angebeteten."
"Oh Violetta!" Arwed hatte kaum den letzten Bissen seines Mittagessens hinunter geschluckt, da ging schon der Türklopfer und die angehende Feuermagierin stand vor ihm. Nach einer guten Stunde entließ er sie mit einem Haufen guter Ratschläge. Wenn sie es schaffen will, braucht sie eine gehörige Portion Glück, dachte er und ging in sein Schlafzimmer. "Ich muss mich umziehen", erklärte er und öffnete den Kleiderschrank. Aber was? überlegte er, während er aus den Hosen stieg.
"Denk daran, dass du das Amulett nicht ablegen darfst", erinnerte ihn Gaspard und schielte grinsend auf die haarigen, dünnen Waden des Magiers.
"Dieses vermaledeite Amulett!", schimpfte Arwed und suchte unter seinen Anzügen. "Welcher passt am besten?", jammerte er verzweifelt.
"Dieser hier", meinte der Kobold und zeigte auf einen blau gestreiften Pyjama.
"Gaspard!" Arwed wurde langsam panisch. "So kann ich mich doch nicht sehen lassen."
"Mach dich unsichtbar", kicherte der Kleine. Schließlich entschied er sich für einen hellbraunen Anzug mit dunklen Revers, in der Hoffnung, dass der klobige Anhänger hier am wenigsten auffiel. "Du wirst Furore machen", flüsterte ihm Gaspard spöttisch ins Ohr als sie das Haus verließen und rutschte in die Brusttasche.

Für Arwed war die Begegnung mit Freunden, ehemaligen Studienkollegen und Professoren ein einziger Spießrutenlauf. Von allen Seiten schienen sie auf den hässlichen Talisman zu starren. Nur Golo ignorierte es zuerst. Der dickliche Professor drängte den jungen Mann in eine Ecke und nagelte ihn dort mit einem Blick fest. "Hast du schon etwas herausgebracht?", flüsterte er zischend.
"In Jeldriks Atelier war ein Dämon der vierten Ebene", berichtete Arwed. leise.
"Gut, dass du das Amulett getragen hast. Hast ja doch einen Brösel Grips unter der Kniescheibe. Was hast du mit ihm gemacht?"
Arweds Magierstolz bäumte sich auf. Das hätte ich auch ohne dieses hässliche Ding geschafft, dachte er und biss sich auf die Lippen. "Ich habe ihn in die fünfte Ebene verbannt. Jeldrik kann jetzt wieder ....."
"Böser Junge!", unterbrach ihn Golo grinsend und drohte scherzhaft mit dem dicken Zeigefinger. "Vielleicht hast du ja doch ein Fünkchen Anrecht auf dein Diplom."
Verzweifelt suchte Arwed nach einer Möglichkeit zu entkommen. "Arwed!" Gaspard kam ihm zu Hilfe.
"Hast du deinen Teddy mitgebracht?", höhnte Golo, doch im nächsten Moment war er wieder der scharfsinnige Professor. Seine hellen Augen saugten sich an dem Amulett fest. "Er ist hier!", brummte er. Das Holzdreieck hatte sich leuchtend orange verfärbt.
"Genau das wollte ich auch sagen." Gaspard steckte den Kopf aus Arweds Jackett. Dann lächelte er. "Oh! Ein Familientreffen!" und verschwand. Arwed bemerkte erst jetzt, dass etliche Magier Kobolde auf den Schultern sitzen hatten, die immer wieder kurzfristig verschwanden. Einer führte sogar einen Dämon der ersten Ebene an einer silbernen Kette. Reine Angeberei, dachte Arwed. Die Dämonen der ersten Ebene waren nur bessere Schoßhunde.
"Sieh mal an! Du hast dich ja ganz schön gemausert." Neben der Ironie schwang auch Anerkennung in Golos Stimme. "Du wirst schön in meiner Nähe bleiben", befahl er dann und strebte auf die erste Sitzreihe vor dem Podium zu. Sie war für die Professoren und Würdenträger reserviert. Golo unterbrach ein Gespräch der Vorstände der wässrigen und der erdigen Fakultät und redete auf sie ein. Bardulf gesellte sich neugierig zu ihnen und dann musterten drei Augenpaare den jungen Magier, der in einiger Entfernung verlegen auf seine glänzenden Schuhe starrte.
Das orange Leuchten auf seiner Brust war ihm entsetzlich peinlich. "Arwed Berenger!", erklang Golos Organ. "Du wirst hier Platz nehmen. Balko ist nicht gekommen, da fällt es nicht auf." Damit drängte er ihn auf einen Stuhl in der rechten Hälfte der Reihe und nahm links von ihm Platz. Bardulf setzte sich an Arweds rechte Seite und die beiden anderen Vorstände auf die Plätze links und rechts daneben. "Schieb das Ding unters Jackett", zischte Golo.
Aufatmend gehorchte Arwed. Ein leichter Druck auf seiner Schulter signalisierte ihm Gaspards Rückkehr. Dann fesselte ihn Vilmos, der, ganz in Schwarz, aufs Podium trat. Ölige schwarze Strähnen umrahmten ein schmales bleiches Gesicht mit scharfen Zügen. In den nächsten zwei Stunden enthüllte er ein Konzept für eine Magie, die sich nicht an den vier Elementen orientierte. Dafür wurden für jeden Zauber chemische Substanzen benötigt. Arwed schielte ab und zu in sein Jackett, wo der Talisman unentwegt orange glühte. Vilmos führte mit Hilfe eines Assistenten einige Zauber vor. Arwed fragte sich, ob in Vilmos' Heimat alle Menschen schwarze fettige Haare hatten. Schließlich beendete der Magier seinen Vortrag und gab seinen Dienern, ebenfalls Männern mit fetten, schwarzen Haaren, einen Wink die Utensilien wegzuräumen. Geschmeidig stieg er vom Podium. "Wenn noch Fragen offen sind .... ich stehe zur Verfügung."
Die versammelten Magier erhoben sich. Kleine diskutierende Gruppen formten sich, die sich stetig auf das Buffet zu bewegten. Die vier Dekane nahmen Arwed in ihre Mitte und schoben ihn zu den langen, reich gedeckten Tischen. Von rechts duftete es nach Kuchen und Torten und von links nach Braten und Geselchtem. Dazwischen lockten geräucherte Fische und verschiedene Käsesorten. Kellner in langen, dunkelblauen Roben boten Getränke an. Eben wollte sich Arwed ein Glas Rotwein nehmen, da fuhr eine dickliche Hand dazwischen. "Kein Alkohol!", zischte Golo und reichte ihm ein Glas Apfelsaft. "Solange du das Amulett trägst, musst du klar im Kopf bleiben." Während er an einer Hühnerkeule nagte sah er sich um. "Wo ist denn dein Kobold?"
"Mal sehen." Der Magier steuerte auf die Kuchentische zu. Sieben leere Teller bestätigten seinen Verdacht. Gaspard und seine Sippe hatte zugeschlagen. Die Kellner beeilten sich, die Lücken wieder zu füllen, doch gegen den Appetit der Kobolde hatten sie einen schweren Stand. "Gaspard!", rief Arwed streng. "Hast du noch nicht genug?"
Der Kleine wischte sich die Finger am Tischtuch ab und materialisierte auf Arweds Schulter. "Er ist hier und er weiß, dass er gesucht wird", flüsterte er ins Ohr seines Meisters.
Arwed drehte sich einmal um seine Achse. Außer Vilmos gab es niemanden in der Nähe, der schwarzes strähniges Haar hatte. "Ist es Vilmos?", fragte er leise.
"Nein. Es ist ... Ahhhh!" Ein scharfer Blitz traf den Kleinen an der Schulter und er purzelte in eine volle Kompottschüssel.
"Gaspard!" Arwed zog den kleinen Körper aus dem Kompott und wickelte ihn in eine große Stoffserviette. Dann sah er zu seinem Schrecken Gaspards Hut und ein haariges Ding, in dem er eine winzige Perücke erkannte, im Obstsaft schwimmen. Schnell fischte er beides heraus und drückte es auf den Kopf des Kleinen. Dieser hustete und strampelte nach Leibeskräften. Es kostete Arwed große Mühe, zu verhindern, dass er vom Tisch fiel.
Inzwischen hatten die Dekane den Ursprung des Blitzes ausfindig gemacht. Er war aus den Falten des dunkelgrünen Vorhangs gekommen, der den Hintergrund des Podiums bedeckte. Vilmos, der sich mit einem Teller voll Bratenscheiben und Gemüse näherte, riss entsetzt die Augen auf, als die vier Erzmagier eine Große Magische Union bildeten und einen mächtigen Zauber gegen den Vorhang schleuderten.
"Ist das eine Gegendemonstration?", fragte der fremde Zauberer indigniert und ein wenig beleidigt. Er bekam keine Antwort. Rundherum verstummten die Gespräche. Alle sahen gebannt auf die Dekane. Eine Große Magische Union, die Vereinigung aller vier Elemente, wurde nur in eklatanten Notfällen errichtet. Blendend weißes Pulsieren umgab die Dekane, breitete sich aus und erfasste den Vorhang, der sich sofort in grüne Flecken auflöste und einen mageren Mann hinter einem Tischchen voll Flaschen und Dosen enthüllte. Hastig streute er verschiedene Pulver in ein breites Glas, sprach einige Worte und war verschwunden. Stattdessen kroch eine schwarze Kreuzotter übers Podium. Ein Stöhnen ging durch die Menge.
Arwed steckte den Kleinen, der nur noch schwach ächzte, samt Serviette in seine Brusttasche. Eine hastige Untersuchung hatte ergeben, dass er nicht lebensgefährlich verletzt war. "Was kann ich tun, Kleiner?", flüsterte Arwed. "Hilf mir, damit ich dir auch helfen kann."
"Das Amulett. Sein Tierkörper kann es nicht ertragen."
Wellen weißen Lichts brandeten gegen das Podium, auf dem die Schlange eilig auf den Seitenausgang zu kroch. Arwed rannte ihr nach, streifte im Laufen die schwere Kette ab und hieb nach dem giftigen Reptil. Das hölzerne Dreieck krachte einen Zoll neben dem Kopf der Kreuzotter auf den Boden. Die Kiefer öffneten sich zu einem wütenden Zischen und enthüllten lange Giftzähne. Wieder zielte Arwed auf den Kopf der Schlange und wieder verfehlte er sie. Dafür flutete weißes Licht über ihren Schwanz und ließ ihren Körper konvulsivisch zucken. Jetzt sah Arwed seine Chance. Er beugte sich tief hinunter, holte aus ... und schrie auf. Die Otter hatte sich in seinen Handballen verbissen.
"Jetzt mach schon, Langer!", rief Gaspard aus der Brusttasche.
Mit zusammen gebissenen Zähnen drückte Arwed das Amulett auf den kleinen schuppigen Schädel. Sofort erlosch das orange Glühen. Ein Zucken durchlief den Schlangenleib, die Kiefer öffneten sich und dann lag ein magerer Mann verkrümmt vor ihnen auf dem Boden. Das weiße Licht hüllte ihn ein und bildete eine flache Kuppel über ihm.
"Schwarze Magie!", schrie Vilmos und sprang aufs Podium. Mit einer schwungvollen Geste schüttete er den Inhalt einer Dose über den Bewusstlosen. "Empfange deine Strafe, Undankbarer!", grollte er und sprach ein einziges Wort. Die Lichtkuppel erlosch und der Körper des Mannes zerfiel vor den Augen der entsetzten Zuschauer zu Staub. Das Gift in Arweds Hand brannte. Eisige Schauer liefen über seinen Rücken und eine große Müdigkeit ließ ihn schwanken. Der Saal begann sich um ihn zu drehen, zahllose Gesichter zogen an ihm vorbei, tanzten auf und nieder, Kobolde und Dämonen rissen an seinen Gliedmaßen, hoben ihn hoch und warfen ihn in einen schwarzen Höllenschlund. Dann stach ein heißer Schmerz in Arweds Hand und holte ihn in die Realität zurück. Er lag auf einem Bett in der Ersten Hilfe-Station der Universität. Stöhnend beobachtete er, wie Bardulf ein blutig-schwarzes Loch in seinem Handballen dick mit Salbe bestrich und fest mit einer Mullbinde umwickelte.
"Ich habe die Wunde ausgebrannt", sagte Violettas Vater ruhig. "Du wirst dich in ein paar Tagen wie neu fühlen."
"Du hast mir das Leben gerettet ...", begann Arwed mit schwacher Stimme.
"Hör auf!", unterbrach ihn Golo, der wie ein vollgefressener Geier auf einem metallenen Hocker kauerte. "Ohne dein beherztes Eingreifen wäre uns der Schwarze vielleicht noch entwischt."
"Ihr habt ihn gefangen?", fragte Arwed und richtete sich ein wenig auf. Keine gute Idee. In seinem Kopf drehte sich alles.
"Er ist tot", berichtete Bardulf ernst. "Vilmos hat ihn kurzerhand hingerichtet. Dieses Urteil hätte er auch bei uns zu erwarten gehabt, doch erst nach einer Gerichtsverhandlung."
"Vilmos' Magie war stärker als der Lichtbann?", wunderte sich Arwed.
"Das kann man so nicht sagen. Seine Magie basiert auf anderen Prinzipien. Wir kamen zu dem Schluss, dass sie bei uns überflüssig ist. Außerdem mögen wir Selbstjustiz nicht."
Arweds Lider wurden schwer, doch er kämpfte dagegen an. "Mein Kobold!" Seine gesunde Hand tastete nach der kleinen Gestalt in der Serviette.
Das Männlein winkte ihm müde zu, während es mühsam Luft holte. "Leb wohl, Langer", ächzte Gaspard. "War nett in deinem Bann zu stehen. Aber jetzt lass mich in Freiheit sterben."
"Gaspard!" Behutsam bettete Arwed den Kobold neben sich auf das Bett und untersuchte seine Verletzungen. Ein großer Bluterguss hatte sich an der Schulter gebildet und das Schlüsselbein war gebrochen.
"Gib ihn frei", verlangte Golo. "Du siehst doch, dass er aus dem letzten Loch pfeift." Wie zur Bestätigung stieß der Kleine ein rührendes Stöhnen aus. Arwed überlegte fieberhaft. War Gaspards Leben tatsächlich bedroht? Ein Blick auf den tätowierten Hahn an seinem Handgelenk zeigte ihm nur noch ein blasses Leuchten. Ugolino hatte ihm eine Menge magische Energie gekostet. Für einen Heilzauber müsste es jedoch noch reichen, dachte er, legte einen Finger auf die verletzte Schulter und sprach die Formel. Ein eigenartiger Ton entstand in seinen Ohren, vor seinen Augen tanzten bunte Sterne. Arwed fragte sich, ob er den Zauber vermurkst hatte. Dann umfing ihn Dunkelheit.

"Er kommt zu sich", flüsterte eine Stimme an Arweds rechter Seite.
"Ich sagte doch immer, dass er zäh ist", antwortete eine andere gedämpfte Stimme neben seinem linken Ohr. Warum sind meine Lider so schwer? dachte er.
"Er wird doch wieder gesund?" Diese Stimme kannte er und sie gab ihm soviel Kraft, dass er die Augen öffnen konnte. "Violetta!", war sein erstes Wort. Sie stand am Fußende seines Bettes und sah ihn sorgenvoll an. "Wie geht es dir?"
Violetta ist besorgt um mich! jubilierte sein Herz. "Ich bin nur ein wenig müde", erklärte er heldenhaft.
"Dein Haar hat diesen bescheuerten Glanz verloren. Wenn du wieder ganz gesund bist, solltest du ihn magisch unterdrücken. Das schlichte Braun passt viel besser zu dir", riet sie ihm. Arwed antwortete nicht. Nie würde er Violetta gestehen, dass er den blaugrünen Schimmer immer magisch erzeugt hatte. Das unterdrückte Kichern neben seinem Kopf war schon schlimm genug.
"Ich habe einen feinen Gemüseauflauf gekocht", erklang Tschrt'schlogs Stimme von rechts. "Das wird dich wieder auf die Beine bringen." Seine Schuppen leuchteten in hoffnungsvollem Hellblau, in das sich ab und zu ein besorgtes Beige mischte.
"Hoffentlich bald!", rief das Mädchen. "Balko hat die Prüfung auf nächste Woche verschoben, weil er plötzlich krank wurde. Du musst mit mir lernen!"
"Das werde ich tun", versprach er und schloss wieder die Augen. Es tat weh, dass Violetta nur an ihre Prüfung dachte und er konnte nicht verhindern, dass sich eine kleine Träne aus seinem Augenwinkel stahl.
"Er braucht jetzt Ruhe", sprach der Agami ein Machtwort und schob Violetta zur Tür hinaus.
"Gaspard?" Arwed drehte den Kopf zur Seite und fixierte den Kobold. "Wie geht es dir?"
"Alles in Ordnung, Bohnenstange. Warum hast du das getan? Du hast dich total verausgabt." Er griff nach einer braunen Locke und zog sacht. "Mach das nie wieder. Du warst viel schlimmer dran als ich."
"Hast du nur markiert, damit ich dich freilasse?"
"Na, probieren kann man doch, oder?"
"Wenn ich wieder gesund bin, lasse ich mir ein paar Arbeiten für dich einfallen", brummte Arwed und hob seine bandagierte Hand. "Es tut gar nicht mehr weh." Versuchsweise bewegte er die Finger. Ein leichtes Stechen aus dem Ballen meldete sich. "Was ist eigentlich passiert, während ich geschlafen habe?"
"Geschlafen nennst du das?", rief Gaspard. "Also, Jeldrik hat einen Boten mit einem Beutel Dublonen geschickt. Sein Arm ist wieder gesund und er hat sehr viel Arbeit nachzuholen. Er ließ dir ausrichten, dass er dich kostenlos malen will. Außerdem sollst du zum Statthalter kommen, sobald du wieder kriechen kannst." Arwed nickte stumm. Sein Hahn zeigte immer noch ein stumpfes, kränkliches Graugrün. Wann würde wieder das gewohnte satte Dunkelblau erscheinen? "Das wird schon wieder", tröstete Gaspard.
Inzwischen war Tschrt'schlog in die Küche geeilt und kam nun, mit vor Freude blau leuchtenden Schuppen, mit einem Tablett zurück. Arwed setzte sich auf und schnupperte. Herrlicher Kaffee und ein duftender Kirschenkuchen lachten ihm entgegen. Und davor eine große Schüssel mit Gemüse. "Magst du ein Stück Kuchen, Stöpsel?", fragte er großzügig.
"Nein, danke", gab Gaspard überraschend zurück. "In nächster Zeit kann ich keinen Kuchen mehr sehen. Aber für eine Essiggurke bin ich zu haben."


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