STORIES


VON LANGEN REDEN UND KURZEN TATEN

von Eva Kalvoda



Najilas Baumhexenhaus hatte zwei neue Türglocken. Eine hing draußen neben der Eingangstüre, wie bei jedem anderen, beliebigen Haus auf den vier Kontinenten auch. Na ja, vielleicht abgesehen von den Pfahlhäusern der Entenzüchter von Ugomia, aber mal ganz ehrlich, wenn unter jedem Haus siebzig Enten ihre Nistplätze haben, sind Türklingen wirklich überflüssig.
Was Najilas Haus deutlich von den beliebig anderen unterschied, war die zweite Glocke, die im Haus, genauer gesagt in der Wohnstube hing. Und das Schild unter der Glocke, auf dem stand: "Bitte bei Eintreffen läuten!", und: "Drachenartige Wesen bitte nicht beachten!".
Die beiden Glocken verfügten über Hintertürzauber, die einen Geräusch-Schluck-Zauber umgehen konnten. Seit die Springer einen Klienten auf die Standuhr gejagt hatten, und Najila wegen des Geräusch-Schluck-Zaubers nichts davon mitbekommen hatte, hielt sie es für besser, einen direkten Draht zu etwaigen Besuchern zu haben.
Natürlich hatte die Hexe die Hintertürzauber erst nach einer Woche aktiviert, denn die ersten Tage hingen die Springer an den neuen Glocken wie die Trauben an der Rebe. Dadurch hatte Najila drei Tage keine Attraktionen heranschleppen müssen, um die kleinen Drachen zu beschäftigen. Heute wand sich im Springerzimmer ein Endlosband um sich selbst. Zumindest, wenn es nicht gerade den Arm eines Drachen zierte.
Die Hexe saß in ihrem Studierzimmer im ersten Stock und zwar am Schreibtisch, und nicht wie üblich im Schaukelstuhl. Vor ihr ausgebreitet lag allerlei Literatur über Knochenzauber, Schwarzmagier und Skelettanatomie. Denn seit die zwei Skelettchen aus dem Urlaub bei Jonathan in der Geisterbahn zurück waren, gingen ungewöhnliche Dinge in der Standuhr vor sich. Und damit waren nicht die zwei Silbermünzen gemeint, die der Geisterbahnbesitzer für die "tollen Drachenauftritte" als Honorar mitgeschickt hatte.
Nein, obwohl Najila einen ständigen Scharf-Sicht-Zauber trug, sah sie hin und wieder sechs Knochenhändchen aus dem Fenster winken. Oder die zwei Skelettchen saßen draußen, und doch hätte die Hexe schwören können, einen kleinen kahlen Kopf im Türchen zu sehen.
Da auf die regelmäßig, alle zwanzig Jahre stattfindende Gesundheitsüberprüfung nur noch ein paar Monate gefehlt hatten, war Najlia etwas besorgt in der Hexenkammer aufgetaucht, und hatte die Untersuchung vorziehen lassen. Aber es waren keine stillen Halluzinationen, wie die Hexe befürchtet hatte. Die Springer hatten sie also noch nicht um den Verstand gebracht. Im Gegenteil, die Untersuchung hatte ergeben, dass Najila sich einer ausgesprochen guten Gesundheit erfreute.
Und deshalb saß die Hexe nun am Schreibtisch, und versuchte zu ergründen, ob sich magische Skelette vermehren konnten. Bislang hatte sie keinen Hinweis gefunden, aber da die Skelettchen auf direkte Fragen rot anliefen und sofort im Uhrwerk verschwanden, war Najila auf die indirekte Methode angewiesen, wollte sie den seltsamen Umtrieben auf die Spur kommen.

Als eine der neuen Glocken läutete, war die Hexe deshalb wenig erfreut, sie glaubte gerade eine Spur gefunden zu haben, die etwas damit zu tun hatte, dass eines der Skelettchen ein Pixieskelett war. Seufzend erhob sie sich, und ging hinunter.
Najilas Laune wurde auch nicht besser, als sie den feinen Pinkel sah, der neben der Glocke stand. Er starrte demonstrativ an die Decke, während ein Schwarm kleiner orangefarbiger Drachen um ihn herumschwirrte, ja, er schloss noch nicht einmal die Augen, wenn direkt vor selbigen ein Springer auftauchte. Es war, als könnte er die kleinen Nervensägen gar nicht sehen. Aber blind war der Pinkel sicher nicht, denn als er die Hexe bemerkte, wandte er sich sofort zu ihr um, und verneigt sich. Najila empfand gegen ihren Willen etwas Bewunderung, denn es ist gar nicht so einfach, mehr als eine Hand voll Springer zu ignorieren.

"Werte Hexe, mein Name ist Henderik von Hohenhendrik, ich bin einer der Kronräte von Winterwald." Ungefähr bei Hohenhendrik kam der Kopf wieder hoch, und Najila konnte einen sehr gepflegt wirkenden Spitzbart bewundern. Dieser hing am Kinn eines ebenfalls sehr gepflegt wirkenden feinen Pinkels.
Die Hexe, sich nicht verneigend, und gar nicht dran denkend sich vorzustellen, wies auf die Stühle. "Vermutlich handelt es sich um eine berufliche Konsultation?"
"Ganz recht, werte Hexe, Winterwald benötigt eure Hilfe und Diskretion in einer heiklen Angelegenheit."
Offenbar war dem feinen Pinkel der Umgang mit Hexen zumindest nicht völlig fremd, da er keinerlei erstaunen über die knappe Begrüßung zeigt, und auch schon auf dem Wege sich zu setzen war. "Tee?" Auch Najila machte es sich bequem.
"Bitte, gerne. Mit feuchter Zunge erklärt es sich besser." Sogar als die dampfenden Tassen am Tisch erschienen, zuckte nicht der kleinste Muskel. Najilas Laune besserte sich, sie mochte professionelle Klientel.
"Gut, erzähl mir von dieser heiklen Angelegenheit."

"Nun, unser derzeitiger König, seine Majestät, Hugbart der Vierte, scheint allmählich den Verstand zu verlieren. Das ist in der Linie der Hugbärte nichts Ungewöhnliches, und Hugbart der Vierte hat länger durchgehalten als die meisten anderen Hugbärte. Allerdings kam es bei ihm schleichend, so dass wir es erst gar nicht bemerkten. Erst schien es, als hätte er sich flammende Füße eingefangen, sie wissen schon, diese unangenehme Krankheit, wo man ständig springt, stampft und ein wenig steif in der Hüfte wird."
Fleck hatte es sich auf Najilas Schoß bequem gemacht, und die anderen Springer sahen ein wenig betrübt aus der Wäsche, ob der fehlenden Aufmerksamkeit, die ihnen zu teil wurde. Das war eine ungewohnte Situation, die kleinen Kerlchen schienen darüber nachzudenken, wie sie den Besucher dazu bringen konnten, sie zur Kenntnis zu nehmen, ohne dafür gleich einen Zauber von der Hexe zu kassieren. Das um den Tisch herum Gehüpfe hatte keine Wirkung gezeigt, über dem Besucher immer wieder aufzutauchen hatte auch nichts gebracht, und alle drastischeren Methoden blieben an Najilas hochgezogener Augenbraue hängen.
"Dann begann er den Zimmermädchen nachzustellen, aber das tat er gelegentlich auch schon früher, also fanden wir auch das noch nicht beunruhigend. Erst als er sich weigerte Audienzen zu geben, mit der Begründung, sein Frau Mutter hätte ihm verboten mit Fremden zu sprechen, erkannten wir, dass der Familienwahnsinn ausgebrochen war. Mittlerweile wird es immer schlimmer mit ihm, wir mussten still und heimlich ein Kindermädchen engagieren, und erst als wir ein älteres Fräulein gefunden hatten, gab der König seinen Wunsch nach einer Amme auf. Na ja, wie gesagt, wir sind solche Situationen mit unseren Hugbärten gewohnt, normalerweise würden wir bekannt geben, das sich der König von seinen Pflichten zurückzieht, und seinen Sohn als Regenten einsetzt, aber leider hat uns Königin Julyanna keinen Thronfolger beschert."
Henderik seufzte tief, und der Hexe kam es so vor, als betrachtete er Unfruchtbarkeit als einen Mangel an Etikette.
"Dir ist aber klar, dass Unfruchtbarkeit nicht einfach weggezaubert werden kann?"
"Aber natürlich Verehrteste. Außerdem würde das auch nichts mehr bringen. Der König verkriecht sich unter dem Bett wenn Königin Julyanna sein Gemach betritt, weshalb sie sich nun weigert, Hugbart den Vierten auch nur zu erwähnen, und wir könnten des Königs Zustand auch nur schwerlich noch eine dreiviertel Jahr geheim halten, sogar wenn wir die beiden zu erfolgversprechenden Aktivitäten überreden könnten. Nein."
Während der feine Pinkel seine Geschichte erzählte, bemerkte Najila, dass die zwei Skelettchen interessiert zuhörten. Sie saßen bequem auf ihrem kleinen Balkon, und knabberten an ein paar Sehnen herum. Einmal schien es so, als würde ein Skelettchen etwas nach hinten rufen, aber da die Skelettchen ja nicht sprechen können, war sich die Hexe nicht sicher. Und da sie Henderik zuhören sollte, konnte sie der Sache nicht gleich nachgehen. Außerdem wuchs dem Sessel auf dem der Kronrat saß doch tatsächlich ein Pfote, die sich Richtung Henderiks Ohr bewegte. Die Hexe räusperte sich gerade noch rechtzeitig, bevor der schuppige kleine Unhold sein Ziel erreicht hatte.
"Wir wissen, dass der fehlende Kindersegen an der Königin liegt, da Hugbart der Vierte einige Male die so genannte Ausbildungsprämie ausbezahlt hat. Der Kronrat stellt auch den Schatzmeister, so dass wir über sieben derartige Auszahlungen Belege haben. Die Ausbildungsprämie wird traditionell dann ausgezahlt, wenn dem König die Ausbildung eines bestimmten, gerade geborenen Kindes besonders am Herzen liegt. Ihr versteht? Ja! Nun, wir haben die Belege, vier davon für Knaben. Leider sind solche Belege nur mit dem Namen der Mutter versehen, wir haben weder die Namen der Kinder noch Dörfer aus denen die Mütter stammen, oder sonst einen Hinweis, wo sich die potentiellen Thronfolger befinden."
Najilas Augenbraue dirigierten einen Springerschwanz von Henderik Teetasse weg, während einer ihrer Finger eine kleine Springerpfote verscheuchte, die sich von der anderen Seite an die Tasse herangetastet hatte. Lustigerweise nahm der Kronrat auch das nicht zur Kenntnis, und Najila wünschte sich, er würde wenigsten einmal kurz auf die kleinen Drachen reagieren, damit sie Ruhe gaben. Mittlerweile waren die meisten orange gesprenkelt, bis auf Fleck, der mit großen Augen alles beobachtet.
"Auch diese Situation ist uns nicht völlig unvertraut, wir hatten schon den einen oder anderen kinderlosen König, also gut, um ehrlich zu sein, irgendwie scheinen unser Könige recht eigenwillig zu sein, was ihre Potenz angeht. In solchen Fällen greifen wir normalerweise zum verfluchten Schwert von Winterwald, das unbeirrbar den legitimen Thonerben anzeigt."
Nun gingen beide Augenbrauen Najilas in die Höhe, worauf alle Springer ihre gerade angedachten Umtriebe einstellten. "Ihr Winterwäldler benutzt ein verfluchtes Schwert zur Thronerbensuche? Da braucht ihr euch aber nicht wundern, wenn eure Könige Wahnsinnig werden. Hat euch noch keiner gesagt, das ein verfluchter Gegenstand niemals etwas gutes bewirkt?"
"Oh, nein, werte Hexe, das habt ihr missverstanden. Das Schwert ist nicht wirklich verflucht, es wird nur so genannt. Eigentlich heißt es das Blutschwert derer von Winterwald, aber da es immer unbeirrbar den echten und wahren Thronerben anzeigt, ist es oft ‚verflucht' genannt worden. Ihr versteht vielleicht, wenn sich der neugeborene Thronerbe durch das Schwert als gar nicht legitim herausstellte, hat die eine oder andere Königin wenig schmeichelhafte Namen für dieses Schwert gefunden. Und auch die vermeintlichen Väter waren über diese Situation nicht glücklich. Eigentlich wurde das Schwert ja für genau diesem Zweck geschaffen. Einer der ersten Könige von Winterwald, Graubart der Zweite, hatte ein recht leichtlebige junge Gattin, und so ließ er von den Zauberern ein Schwert erschaffen, das mittels Blutmagie an das Herrscherhaus gebunden ist."
Najila scheuchte den Springer weg, der plötzlich mitten in ihrem Gesichtsfeld an der Lampenaufhängung herunterhing. "Vielleicht möchtest du zum Punkt kommen, bevor die kleinen Biester etwas Unangebrachtes tun."
Damit brachte die Hexe den Kronrat in eine Zwickmühle. Wie sollte er etwas ignorieren, über das gesprochen wurde. Najila konnte förmlich sehen, wie es hinter Henderiks Stirn arbeitete, und er einen Ausweg suchte, der innerhalb der Etikette lag.

Göttin-Sei-Dank nahm ihm ein Springer die Entscheidung ab, indem er direkt in Henderiks Armen landete. Der Kronrat sprang erschrocken auf, der Springer purzelte Richtung Boden, verschwand aber vor dem Zusammentreffen mit den Dielenbrettern, um triumphgelb leuchtend auf der Standuhr wieder aufzutauchen. Und natürlich applaudierten die zwei Skelettchen. In dem folgenden Trubel, konnte Najila leider nicht hören, ob auch noch ein drittes Paar Knochenhändchen klatschen, aber wenigsten herrschten im Hexenheim wieder gewohnte Zustände.
Die Hexe schrie, Teetassen kippten um, die Springer verschwanden eiligst, die Skelettchen hatten Spaß, und ein indignierter Besucher schnappte nach Luft.
"Also wisst ihr, ich habe mich wirklich redlich bemüht, dem Schild Folge zu leisten, aber das geht zu weit!"
"Soll das heißen, du warst nur deshalb so lange so beherrscht, weil es auf dem Schild steht, und nicht weil das eben so deine Art ist?"
"Natürlich heißt es das! Die Etikette verlangt ausdrücklich sich an die jeweiligen Bräuche der Ansässigen zu halten."

Für einen Moment war es ganz still in der Wohnstube, und dann lachte die Hexe laut los. Mit einem Fingerschnippen verschwand das Schild, dafür tauchten auf allen freien Plätzen kleine Drachen auf, die wissen wollten, warum die Hexe so lachte.
"Bitte, setzt dich wieder. Das Schild beschreibt keine örtliche Vorschrift, sondern soll nur dazu dienen, Besucher vor den Springern zu schützen, bis ich da bin. Wie du gemerkt hast, sind die kleinen Kerle recht neugierig, und hysterisches Herumgefuchtel spornt sie normalerweise noch an. Deshalb das Schild. Wenn du ihnen also ab jetzt hin und wieder einen Blick zuwerfen könntest, und vielleicht gelegentlich nach ihnen schlagen würdest, wenn sie versuchen dich anzutatschen, können wir dieses Gespräch fortsetzten."
Während die Hexe neue Teetasse heranwinkte, und die alten samt vergossenem Inhalt verschwinden lies, setzt sich der immer noch verkniffen aussehende Henderik wieder auf seinen Sessel. Zwar hockte dort auch gerade ein Springer, aber als sich des Kronrats Hinterteil unaufhaltsam senkte, zog es der kleine Drache vor, schnell zu verschwinden. Er tauchte auf der Standuhr wieder auf, wobei er zwei Artgernossen gefährlich weit über den Rand schob, und zwitscherte aufgeregt zu Fleck hinüber, der an der Gardinenstange hing.
Als sich die Hexe ebenfalls wieder setzte, räusperte sich der Kronrat, und rührte nervös in seiner Teetasse herum. "Also, wo war ich gerade? Ihr müsst entschuldigen, aber in Winterwald haben wir überall Abwehrzauber installiert, ich bin daher die Eigenarten der kleinen Biester nicht gewohnt. Ah, jetzt weiß ich wieder: Das verfluchte Schwert. Nun, es ist in solchen Situationen normalerweise sehr hilfreich. Wenn man es aus seiner magisch abgeschirmten Kiste holt, zeigt es unbeirrbar in die Richtung, in der sich der Thronfolger befindet. Die Zauberer haben großartig gearbeitet. Das Schwert zeigt immer nur denjenigen an, der in der Thronfolge an nächster Stelle steht. Gibt es also mehr illegitime Söhne, zeigt es nur auf den ältesten. Einmal hat ein vorgeblich eheloser Graubart, ich glaube es war der fünfte, seine Mätresse heimlich geheiratet, und als er starb, zeigte das Schwert genau auf den Knaben, der dieser Verbindung entsprungen war. Und das, obwohl der Kronrat von zwei älteren Söhnen wusste. Damit das verfluchte Schwert nicht ständig in der Gegend herumrotiert, haben die Zauberer auch eine Kiste dafür angefertigt. Diese ist magisch abgeschirmt, so dass keine Einflüsse an das Schwert heranreichen. Leider schützt sich diese Kiste aber auch noch selbst, in dem sie sich maskiert. Offenbar ist es nicht möglich, die Kiste magisch aufzuspüren."
"Willst du damit andeuten, ihr habt diese Kiste samt Inhalt verloren?"
"Nein, das will ich nicht. Nie würde der Kronrat etwas so Wertvolles verlieren. Wir wissen nur nicht genau, wo sie im Moment ist." Sprachs, und schlug beleidigt nach einer schuppigen Pfote, die gerade an den Rüschen seines Hemdes herumzupfte.
"Also für mich hört sich das doch nach verloren an." Najila hatte in ihrem langen Leben schon einiges verloren, nicht zuletzt dank der Springer, aber verloren war schließlich verloren.
Die Mimik von Henderik wechselte von Empörung zu Beleidigung.
"Rein technisch betrachtet, konnte der Kronrat die Kiste gar nicht verlieren, da sie sich nicht unter unsere Obhut befand."
"Oh, es hat sie also jemand anderer verloren."
"Na ja, wenn ihr es genau nehmt, ja. Allerdings haben wir den starken Verdacht, dass dieser Verlust absichtlich herbeigeführt wurde. Die Kiste mit dem Schwert befindet sich normalerweise in des Königs Gemächern. Wir haben dort alles durchsucht, und nicht die kleinste Spur entdeckt. Und wenn wir Hugbart den Vierten danach fragen, fängt er an herumzubrüllen. Mal schreit er, dass er der rechtmäßige König ist, ein andermal wieder kreischt er unter dem Bett, er hätte Angst vor verfluchten Dingen. Aber manchmal schaut er regelrecht verschlagen drein, bevor er anfängt herumzubrüllen. Deshalb denken wir, dass der König das Schwert absichtlich versteckt hat."

Heute Morgen hatte Najila Kekse gebacken, und das erwies sich nun als guter Einfall, denn so konnte sie sich nun einen Teller davon herbeizaubern. So ausführliche Kundengespräche machten sie hungrig.
"Auch einen Keks? Hmm, ihr Hinterwäldler erwartet also, dass ich ein Schwert wieder finde, dessen rechtmäßiger Besitzer es absichtlich versteckt hat, und das noch dazu magisch getarnt ist? Bei dem also weder ein Findezauber, noch ein Besitz-rückhol-Zauber, geschweige denn ein ganz normaler Ortungszauber wirkt."
"Ähäm, also so gesehen - ja. Köstliche kleine Leckerein übrigens."
Das fanden auch die Springer, denn einer nach dem anderen tauchte auf dem Tisch auf, grapschte sich einen Keks und verschwand wieder. Nur Fleck hatte wie üblich auf Najilas Schoß Platz genommen, und konnte sich so ungeniert einen Keks nach dem anderen einverleiben. Er fand die Kekse auch toll, obwohl sie ihm mit ein paar Fliegen noch besser geschmeckt hätten.

"Unser Hofmagier meinte, dass eine Hexe, aufgrund der anders gearteten Magie vielleicht auf Umwegen zumindest eine Spur aufnehmen könnte, während er als Zauberer gar keine Chance hätte. Wenn ihr das Schwert nicht findet, bleibt uns nur, ein Konzil einzuberufen. Ihr wisst, was die Zauberer dafür verlangen, wir müssten den gesamten Hof verpfänden. Wir würden natürlich auf Grund der Gegebenheiten von einem erfolgsabhängigen Honorar absehen. Wir zahlen das volle Honorar, auch wenn ihr das Schwert selbst nicht findet. Der kleinste Hinweis könnte uns schon helfen."
Die Hexe runzelte die Stirn, und dachte über das Problem nach. Es stimmte schon, Hexen waren sehr geschickt darin, Zauber von Zauberern zu umgehen. Aber das lag weniger an der anders gearteten Magie, als dem Drang der Hexen, den Zauberern eines auszuwischen. Auf diese Weise waren einige deutliche Unterschiede zwischen Hexen- und Zaubererzaubern zu Tage getreten. Die Zauber von Hexen beruhten im Grunde alle mehr oder weniger auf Naturgeistern und Naturenergien, während Zauberer ihrerseits eher die gewaltigen magischen Grundenergien nutzten. Hexen fanden das recht unelegant und barbarisch. Zauberer hingegen sahen nicht ein, warum sie sich um Gleichklang im Geisterreich kümmern sollten, wenn sie die magischen Energien durch pure Gewalt beherrschen konnten. Angeblich war einer von ihnen soweit gegangen, alle Naturenergien aus seinem Haus zu vertreiben. Und dann hatte er sich gewundert, warum sein Brunnen ausgetrocknet war.
Tatsache war, eine Hexe könnte Zauberermethoden anwenden, würde es aber auf Grund ihrer Einstellung nie tun, was umgekehrt genauso für Zauberer galt. Okay, da gab es Ausnahmen, wie Welledin der hübsche Hexer, und Klärchen, die böse Zauberin. Aber die wurden unabhängig von ihrem Geschlecht der jeweiligen Gruppe zugeordnet. Generell neigten Frauen eher dazu, Hexerei zu betreiben, und Männer neigten eben eher zu Zauberei. Aber schließlich neigten Männer ja auch eher dazu, mit dem Schwert in der Hand herumzufuchteln, während Frauen subtilere Methoden bevorzugten.
Aber das könnte die Lösung sein, gewisse Naturgeister reagierten sehr sensibel auf Zauberer und ihre magischen Spuren, möglicherweise reagierten sie auch auf das absolute Fehlen solcher Spuren. In einer Burg mit vielen Aberwehrzaubern und einem ständig anwesenden Hofzauberer könnte das tatsächlich klappen.
Während Najila gedanklich die Möglichkeiten durchging, versuchte Henderik gerade den letzten Keks zu bekommen. Keine leichte Übung, wenn einem alle zwei Handlang ein anderer Drachen im Weg saß, um seinerseits an den Keks zu kommen. Und es ist auch ein wenig schwierig, auf eine Pfote zu schlagen, die kaum dass man ausholt auch schon wieder verschwindet. Der Kronrat schien es als sportliche Herausforderung zu sehen, und die Springer waren begeistert von dem neuen Spiel, so dass keiner merkte, wie Najila aufstand, und in die Küche ging.

Als die Hexe mit fertig gepackter Tasche wieder auftauchte, bot sich ihr ein seltsames Bild. Ein Springer hing dem Kronrat um die Schultern, versuchte Henderik mit dem Schwanz die Augen zuzuhalten, und grapschte mit den Pfoten nach dem Keks. Der hatte kaum noch die ursprüngliche Form, war eher ein Bröselhaufen in Henderiks Hand, die unter wilden Herumgewedel versuchte, zu Henderiks Mund zu gelangen.
Die restliche Drachenbande hockte gespannt am Tisch und beobachtete den Kampf.
Najila seufzte leise, und ihr Haar fing an sich zu kräuseln, ebenso wie ihre Stirn, und ihr Mund, und überhaupt, die ganze Hexe sah plötzlich irgendwie knitterig aus.
"Was ist das nur immer zwischen Männern und Drachen?"
Die plötzlich unbehinderte Hand fand den Weg zum Mund, und Henderik erhob sich. "Mmpf, meint ihr, das war wiederum zuviel Aufmerksamkeit?"
Nun seufzte die Hexe laut. "Es ist besser, wir beeilen uns. Ich bin in einem Alter, in dem ich nicht mehr allzu geduldig bin, und heute habe ich die mir zur Verfügung stehende Geduld schon mit Zuhören verbraucht. Also los, wir begeben uns jetzt zum Schatzmeister, holen mein Honorar, und dann werde ich sehen, was ich tun kann."
"Gut, ich habe noch genügend Beförderungsbelege einstecken, wir können also direkt mit der interdimensionalen Post nach Winterwald zurückkehren. Wir haben im Burghof eine eigene Station."

Hexen reisen nicht gerne mit der interdimensionalen Post. Nicht weil es unsicher wäre, nein, sondern weil man den Geruch nach Zauberer noch tagelang im Haar hat. Die interdimensionale Post ist sozusagen ein automatisch funktionierender Dauerzauber der Zauberer. Angeblich eine sehr komplizierte und unheimlich aufwendige Weiterentwicklung des Teleportationszaubers.
"Uh, also eigentlich reise ich lieber mit den Springern. Du hast gesagt ihr habt Abwehrzauber. Die normalen Unhold-Abwehr-Zauber? Gut. Das ist kein Problem für mich. Hüpf schon mal vor, wir kommen nach."
Hüpf schon mal vor? Hatte sie das wirklich gerade gesagt? Henderik ging zum Postplatz neben der Glocke, und dachte darüber nach, ob er beleidigt sein sollte. Gut, sie war eine Hexe, aber: Hüpf schon mal vor?!
Als der Kronrat seinen Beförderungsbeleg aktivierte und mit einem lauten Gong verschwand, wusste er immer noch nicht, ob er gekränkt sein sollte.
Najila dagegen zog ein Tuch aus ihrer Tasche, das sie Fleck um den Hals band, der erwartungsvoll neben ihr aufgetaucht war. Die anderen Springer beschwerten sich lautstark, dass sie offenbar nicht mit durften. Einer hielt sich an Flecks Schwanz an, um doch mit zu kommen, und ein zweiter versuchte gerade in Najilas Tasche aufzutauchen, was lächerlich aussah, da die Hälfte von ihm noch heraushing. Schließlich musste die Hexe ein Machtwort sprechen, sonst wäre bestimmt ein Unfall passiert.
Die Skelettchen amüsierten sich offenbar prächtig, und das wiederum brachte Najila auf eine Idee.
"Ihr könnt nicht alle mit. Ich habe nicht so viele Maskenzauber für den Abwehrzauber. Aber wie wäre es, wenn ihr in der Zwischenzeit herausfindet, was in der Standuhr vor sich geht? Ich glaube nämlich dass sich da drinnen noch ein Skelettchen versteckt!"
Die Hexe freute sich diebisch, als die zwei Skelettchen aufsprangen, hineinliefen, und offenbar die Türe von innen verbarrikadierten. Und sie nutzte auch gleich die Ablenkung der Springer, um den Abwehrzauber im Halstuch zu aktivieren und mit Fleck in die Burg von Winterwald zu springen.

Fleck brauchte nur zwei Orientierungsstopps um in die für Springer sonst unzugängliche Burg zu gelangen. Und der Maskenzauber der Hexe funktionierte einwandfrei, für die Unhold-Abwehr-Zauber war Fleck nun ein liebliches, absolut unschuldiges und an nicht böses denkendes Büblein. Vielleicht ein etwas seltsam aussehendes Büblein, aber Schönheit liegt ja bekanntlich im Auge des Betrachters.
Als Najila und Fleck in der Stube des Schatzmeisters auftauchten, war Henderik schon dort. Und er hatte sich entschieden, nicht beleidigt zu sein, da Hexen offenbar noch seltsamer waren, als man ihm beigebracht hatte.
Tatsächlich wurde das Honorar vorab ausbezahlt, und es war der Aufgabe entsprechend großzügig bemessen. Dann begab sich die Hexe in den Hof, suchte sich den zentralen Punkt der Burg, und begann ihre Tasche auszuräumen. Fleck hatte das schon oft gesehen, und nach kurzer Zeit wurde er quengelig. Najila schickt ihm zum König, da sie dachte, dort würde der kleine Kerl am wenigsten Unfug anstellen können. Dann konzentrierte sie sich wieder auf ihre Arbeit. Für eine erfahrene Hexe ist es nicht allzu schwer, mit mehreren anwesenden Naturgeistern gleichzeitig Kontakt aufzunehmen, zumindest nicht, wenn sie ihr Handwerk verstand. Najila begann mit zwei kleinen Ritualen, in die sie nach und nach die verschiedenen Kräfte der Natur und ihre geisterhaften Erscheinungen einband. Bald umgab die Hexe ein blaues Leuchten, und der Geist aus Najilas Flasche war nicht der einzige, der um sie herumwaberte. Einmal hätte sie fast die Konzentration verloren, denn was ihr die Geister erzählten, fand sie ausgesprochen lustig. Aber sie schaffte es gerade noch sich zu beherrschen, und beendete die kleinen Rituale, eines nach dem anderen, bis alle Geister wieder dort waren, wo sie hingehörten. Einschließlich zweier blauer Augen in einer Flasche, nicht ohne der Hexe mitzuteilen, das derartige Treffen ruhig öfter stattfinden konnten.
Als Najila lächelnd aufsah, immer noch belustig über das Erfahrene, musste sie doch noch laut auflachen. Denn vor ihr stand ein kleiner, quietschgelb leuchtender Springer, der eine Schlafmütze an einem Ohr hängen hatte, und um den Bauch ein Spucklätzchen. Der beschwerte sich auch gleich lauthals. Er wollte nicht mehr mit dem König spielen, der sei doof! Der lies einen erst wieder los, wenn er einem was umgebunden oder aufgesetzt hatte. Fleck wollte heim. Die Hexe entfernte die ungeliebten Utensilien, und überredete Fleck noch ein bisschen Geduld zu haben, dann packte sie ihre sieben Sachen, und ging zum Kronrat. Auf dem Weg dorthin schickte sie noch einen kleinen Ortungszauber aus, der prompt fündig wurde. Sie hatte ausgesprochen gute Laune.
Henderik hielt sich immer noch beim Schatzmeister auf, und als er die Hexe sah, ging er ihr sofort entgegen, in der Hoffnung auf gute Nachrichten.
"Werte Hexe, ihr seid schneller zurück, als ich erwartet hatte. Ich hoffe ihr bringt gute Neuigkeiten."
Der Schatzmeister behielt mit starrem Blick den Springer im Auge, offenbar hatte er schon von solchen Wesen gehört.
"Nun, ich habe eine gute, eine nicht ganz so gute, und eine ärgerliche Nachricht, zumindest der Schatzmeister dürfte ärgerlich werden."
Henderik sah fragend zu dem Genannten, der seinen Blick achselzuckend erwiderte.
"Tja, nun denn, spannt uns nicht länger auf die Folter, zuerst die gute Nachricht, bitte."
"Ich weiß wo das Schwert ist."
Hätte es die Etikette erlaubt, hätte Henderik wohl einen Freudensprung getan.
"Oh, Göttin sei Dank, nun können die folgenden Nachrichten gar nicht mehr schlecht sein."
"Abwarten, die nicht so gute Nachricht ist: Offenbar hattest du Recht, als du den König hinterhältig genannt hast, er hat das Schwert in die Jauchengrube geworfen."
Betreten sah der Kronrat zum Schatzmeister. "Ich meinte damit natürlich nur in Zusammenhang mit dem Verschwinden des Schwertes, Du verstehst?!" Der Schatzmeister schien zumindest gewillt, ein Verstehen zu versuchen, angesichts der Jauchengrube. Dafür wollte er aber nun die Nachricht, die für ihn so ärgerlich sein sollte hören. Denn er war ein viel beschäftigter Mann, und hatte gerade noch ein Minütchen für wütendes Aufstampfen über, bevor er den nächsten Termin wahrnehmen musste.
"Tja, das hättet ihr zwei auch ohne mich herausfinden können, denn offenbar ist das Schwert gar nicht in seiner Kiste, und hätte euer Hofmagier zumindest versucht das Schwert zu finden, hätte er es mit einem stinknormalen Ortungszauber auch geschafft, was die Kosten für dieses kleine Unternehmen wohl unnötig gemacht hätten. Also, ich würde ihm das vom Lohn abziehen." Najilas Gesichtsausdruck klärte auch völlig unwissende darüber auf, dass Hexen und Zauberer nicht gut mit einander auskamen. Die Hexe sah sehr schadenfroh aus.

Als sich Najila verabschiedete, war sie bester Laune. Was für ein toller Tag: zweimal herzhaft gelacht, einem Zauberer eines ausgewischt, und den Skelettchen ihre Geheimniskrämerei unter die Nasenlöcher gerieben.
Allerdings änderte sich Najilas Gesichtsausdruck, als sie mit Fleck in der Wohnstube auftauchte. Die Standuhr war weg, dafür lagen auf dem Boden ein Berg aus Holzteile und die Reste eines Uhrwerks. Und mittendrin schlugen zwei kleine und ein noch kleineres Skelettchen mit Pendelketten nach kleinen orangefarbenen Drachen.


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