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ZEITWEISE ZEITLOS - EIN UNRÜHMLICHES ENDE

von Andreas Leder



"Mit Ruhm hast du dich aber nicht gerade bekleckert, Aequalis", hörte ich eine bekannte Stimme hinter mir. Es war die Stimme einer Person, die ich jetzt ganz sicher hier nicht brauchte.
Ich hatte mich nach dem herben Rückschlag mit Munditia, meiner geliebten Zeitwächterin, an das Ende der Zeit zurückgezogen. Ich brauchte einfach Abstand. Abstand von den Geschehnissen und Abstand von meinen eigenen quälenden Gedanken. Ich wusste, dass ich versagt hatte, dass mir so etwas nicht hätte passieren dürfen. Ich wollte über Lösungen nachdenken und jetzt kam er daher und wühlte in meinen Wunden.
"Was machst du denn hier, Aeternus? Hast du nicht wegen Altersschwäche das Handtuch geworfen?" Ich konnte mir den sarkastischen Unterton nicht verkneifen, er aber ignorierte das.
"Schrei es nicht so laut hinaus, dass ich hier bin. Wer sagt dir denn, dass ich meinen alten Job wieder haben will?"
"Das liegt doch auf der Hand. Wenn du aber nur gekommen bist, mich zu verspotten, dann kannst du gleich wieder verschwinden", ich war ziemlich wütend auf Aeternus. Auch wenn es schon ein paar Ewigkeiten her war, er hatte mich in seine Position hineingedrängt, weil er eine "Auszeit" brauchte. Dann war er mit seinem Bruder Peregrinus im Schlepptau verschwunden. Er hatte mir nicht gesagt wo oder in welcher Zeit er sich aufhielt und ich war Aeternus geworden, weil ja irgendjemand schauen musste, dass der Ablauf der Zeit auch weiterhin in geregelten Bahnen verlief.

Die Frage, die sich mir jetzt plötzlich stellte war ganz offensichtlich. Wollte ich weiterhin Aeternus bleiben oder wollte ich wieder als einfacher Zeitwächter Aequalis eines von vielen Universen hüten? Verlockend war es schon, die Verantwortung wieder abzugeben. Gleichzeitig genoss ich es, über Aeternus' Fähigkeiten zu verfügen.
"Also, was willst du?" fragte ich und versuchte einen neutralen Ton einzuschlagen.
"Hilf mir bitte, Peregrinus zu finden."
"Wie bitte? Woher soll ich..." wollte ich ihn schon abweisen, aber ich nahm mich zurück und versuchte ohne überschäumende Emotionen an die Sache heranzugehen. Schließlich musste es gerade für ihn besonders peinlich sein, sich um Hilfe an einen seiner ehemaligen Untergebenen zu wenden.
"Also schön, erzähle einmal, was los ist", forderte ich ihn auf.
"Da gibt es nicht viel zu erzählen. Zuerst hatten wir eine gute Zeit. Wir stöberten hier und da nach den Geheimnissen des Ursprungs oder dem Ende der Zeit und plötzlich war er fort. Ich habe ihn in unzähligen Universen gesucht, ich habe alle Zeitebenen abgesucht, auf denen wir uns aufgehalten haben. Ich weiß nicht wo oder in welcher Zeit er sich aufhält."
Ich sah in Peregrinus einen potentiellen Ruhestörer. Daher war ich bereit, mitzuhelfen, ihn zu suchen.
"Na gut. Ich helfe dir. Aber ich habe eine Bedingung", schließlich wollte ich auch profitieren.
"Ich bin mir nicht sicher, ob du in der Lage bist, Bedingungen zu stellen", erhielt ich die überraschende Antwort.
"Willst du mir drohen?"
"Nein, Aequalis, ganz im Gegenteil", Aeternus lächelte mich fast schon entwaffnend an. "Es ist nur so, dass ich Peregrinus, wie ich schon gesagt habe, seit ein paar Ewigkeiten suche und noch immer nicht gefunden habe."
"Also versteckt er sich", mutmaßte ich.
"Ganz sicher", pflichtete mir Aeternus bei, "und wenn ich mir vorstelle, was er in dieser Zeit schon alles angestellt haben kann..."
"Nun, wir haben nicht mit mehr Anomalien zu kämpfen, als sonst üblich. Weder in der Vergangenheit, noch in der Zukunft. Also kann ich nicht erkennen, dass Peregrinus besonders schlimme Sachen anstellt", hielt ich dem früheren Aeternus entgegen.
"Du weißt doch, seine Spezialität ist der Raum zwischen den Zeitquanten..."
"Ja, ich kann mich dunkel erinnern... Und du glaubst, dass er wieder daran ist, einen zeitlosen Raum zu schaffen?" versuchte ich Aeternus Überlegungen nachzuvollziehen.
"Das sind genau meine Befürchtungen", bestätigte er.
Ein zeitloser Raum war zwar grundsätzlich nichts Schlimmes und kann in seltenen Fällen auch natürlichen Ursprungs sein. Ab einer gewissen Größe jedoch entwickelte die Physik in einem Raum, in dem keine Zeit vergeht, ihre Eigendynamik und beeinflusste die umliegende Gegend - das sowohl in räumlicher als auch zeitlicher Hinsicht - und das war keinem normalen Lebewesen zuträglich.
"Gut - Trotzdem gibt es jetzt ein vorrangiges Problem. Für zwei junge Universen müssen noch Zeitwächter rekrutiert werden." Ich wollte, dass er mir dabei half, gleichzeitig wollte ich nicht, dass er hier eine meiner Schwächen erkannte. Ich wusste nämlich noch immer nicht, wo er jederzeit die geeigneten Wesen gefunden hatte. Meine Bemühungen, genau dieses Unwissen zu verbergen, blieben aber erfolglos.
"Damit hast du Probleme?"
"Ja, verdammt - du hast doch mitbekommen, was mit Munditia passiert ist. Sie war so toll, sie konnte so wunderbar mit dem Zeitstrom umgehen, ihr Handeln war voll Eleganz, sie..."
"Sie hat dich um den Finger gewickelt", unterbrach mich mein früherer Chef.
Was sollte ich jetzt sagen. Ja, sie hat mich vom ersten Augenblick an umgarnt und ich habe mich in sie verliebt. Das änderte aber nichts daran, dass ich sie so, wie ich sie geschaffen habe, auch wieder vernichtet habe. Zwar wollte ich sie nicht gleich total zerstören, aber das lag eben auch daran, dass ich nicht bescheid gewusst habe. Und dafür gab ich dem früheren Aeternus die Schuld.
"Das ändert aber nichts daran, dass du mich unvorbereitet in deine Position gestoßen hast, du hast mir so viele Dinge nicht..."
"Du brauchst dich gar nicht aufregen. In unserem Job ist das eben so. Glaubst du, dass ich alles gewusst habe, bevor ich Aeternus geworden bin? Eigentlich habe ich damals..." Ich unterbrach seinen Redeschwall, noch bevor er richtig beginnen konnte.
"Also, was ist jetzt. Willst du mir helfen oder große Reden schwingen?"
"Okay, ich helfe dir und du hilfst mir. Abgemacht?"
"Abgemacht."
Ich spürte nur, dass er den Zeitstrom verließ, doch bevor ich noch reagieren und ihm folgen konnte, war er schon wieder da.

"Gut, dann habe ich dein Problem soeben gelöst."
"Wie bitte?"
"Ja, ich war gerade in den zwei Universen und habe dort ein paar Zeitwächter ausgebildet."
"Wie hast du die so schnell gefunden? Wie lange hast du gesucht?" wollte ich wissen.
"Da gab es nichts zum Suchen. Ich habe die nächstbesten Wesen genommen, die mir in die Arme gelaufen sind. Ich habe sie zu Zeitwächtern gemacht, ihnen ein paar Tricks und Tipps mitgegeben und jetzt sind sie schon am Werk."
"So einfach ist das?" ich konnte es nicht glauben.
"Ja, so einfach ist das. - Kommst du jetzt?"
"Ich komme schon. Wohin willst du?"
"Nun, ich denke, da, wo ich Peregrinus das letzte Mal gesehen habe, dort könnten wir vielleicht eine Spur von ihm finden." Aeternus brannte die Sache unter den Fingernägeln.
"Moment einmal. Zuerst muss ich dir sagen, dass ich Aeternus bin und du jetzt ... äh ... Planus. Klar?"
Ganz einverstanden war er zwar nicht und brummte ein bisschen herum, aber auf Grund der Fakten musste er schließlich einlenken.
"Dann will ich dir sagen, dass ich eine Spur deines Bruders gefunden habe, deine Fantasie aber nicht ausreicht, dir vorzustellen, wo oder wann er ist."
"Jetzt wirst du aber unverschämt", versuchte er die alte Rangordnung wieder herzustellen.
"Falsch! Du suchst schon sein ein paar
Ewigkeiten, ich gerade mal einen Augenblick."
"Wann hast du nach ihm gesucht?" wollte Planus wissen.
"Vorhin, wie du überlegt hast, ob du mit deinem neuen Namen einverstanden sein kannst oder nicht." Ich hielt ihm meine Hand hin. "Komm mit", forderte ich ihn auf und er griff zu.
"Wieso habe ich nicht bemerkt, dass du fort bist?" forschte er. "Das hätte ich doch bemerken müssen."
"Du vergisst, dass ich jetzt Aeternus bin", erklärte ich.
Er sah ein bisschen betreten drein. "Da hast sich also Einiges jetzt geändert", meinte er verstehend.
Ich versetzte uns an die Stelle, an der Peregrinus gerade gearbeitet hatte. Wohlweislich wählte ich einen Zeitpunkt, an dem er gerade nicht anwesend war.
"Was wollen wir hier zwischen den Universen?" wollte Planus wissen.
"Hier kannst du auf Peregrinus warten. Wenn mich meine Sinne nicht täuschen, dann wird er bald hier, an dieser Stelle und in dieser Zeit, wieder auftauchen und etwas vom Raum zwischen den Zeitquanten mitbringen."
Der Schlag traf mich unvermutet und von hinten.
Ich taumelte gegen Planus, hatte mich nicht unter Kontrolle und stürzte über ihn. Irgendetwas behinderte meine Sinne. So schnell ich konnte, drehte ich mich zu Seite, aber ich war zu langsam. Etwas streifte mich am Hinterkopf, was meinen Zustand nicht gerade verbesserte. Jetzt wurde ich wütend. Ich konzentrierte mich und ließ die Zeit um mich herum still stehen.
Planus hörte auf, mit seinen Armen wild herumzufuchteln und mich zu behindern, aber hinter mir hörte ich Schritte. Dass die still stehende Zeit nicht auf denjenigen wirkte, der gerade hinter mir stand und versucht hatte, mich außer Gefecht zu setzen, sagte einiges über ihn aus. Es gab außer dem früheren Aeternus, der jetzt Planus war, nur noch ein Wesen, das über ähnliche Fähigkeiten, wie er, oder wie ich jetzt, verfügte - das musste Peregrinus sein.
Ihn hatte ich ja schon ein paar Mal angetroffen, er war kein angenehmer Zeitgenosse.
"Lass das, Peregrinus", sprach ich ihn jetzt direkt an und dass ich ihn erkannt hatte, ließ ihn zaudern. Das gab mir wiederum die Zeit, mich endgültig zu sammeln und mich ihm zuzuwenden.
Da stand er. Graubärtig und griesgrämig, wie schon seinerzeit bei unserer ersten Begegnung auf der Müllhalde der Zeit. Zwischen den Händen hielt er etwas, das ich noch nie gesehen habe. Ich vermutete, dass es ein Teil des Raumes zwischen den Zeitquanten war.
"Lass das, Peregrinus!" rief ich ihm zu, denn er hob das Ding über den Kopf und es sah ganz danach aus, als wollte er es gegen mich schleudern.
Doch er drehte sich zur Seite und war verschwunden.
Er war auch so einer, der Zeitdurchgänge schaffte, fast ohne Spuren zu hinterlassen.
"Komm, Planus, wir müssen ihm nach."
Doch Planus rührte sich nicht mehr. Er lag starr vor mir, sein Kopf war seltsam verdreht, das Gesicht vor Schmerzen verzerrt. Ich beugte mich über ihn und musste erkennen, dass er nicht mehr lebte. Sein Hinterkopf war zerschmettert.
Vielleicht war es passiert, wie ich über ihn gestürzt war. Dem musste ich zuerst nachgehen.
Ich machte einen Schritt zur Seite und ging langsam in der Zeit rückwärts. Da sah ich es. Gleich, nachdem Peregrinus verschwunden war, tauchte er hinter Planus auf, der gerade aufstehen wollte und schmetterte ihm das Gebilde, das er zwischen den Händen hielt, an den Kopf.
Peregrinus war also zum Mörder geworden.
Die nächste Zeit verbrachte ich in stiller Trauer. Planus war als Aeternus mein Lehrer und Mentor gewesen, fast wie ein Vater.
Wenn der Vater geht, dann geht ein Teil von dir. Das erkannte ich in diesem Moment - und es tat weh.
Dann löste ich Planus' Köper in seine Zeitquanten auf und entließ sie in die Unendlichkeit.
Peregrinus, das wirst du mir büßen!
Langsam folgte ich seiner Spur.
Zeit hatte ich ja jetzt wieder genug.


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