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GOLCONDA

Folge 5

von Susanne Stahr



Die Zwillinge

"Meinen herzlichen Glückwunsch!" Mit einer formvollendeten Verbeugung neigte Arwed seinen Kopf und drückte einen sanften Kuss auf Violettas kleine Hand.
Die angehende Feuermagierin hatte ihm eben mitgeteilt, dass sie die Prüfung in Dogmatischer Thaumaturgie bestanden hatte.
"Danke!", hauchte sie und lächelte betörend.
Die beiden saßen in Arweds Küche und tranken Kaffee. Tschrt'schlog, Arweds Agami-Diener hatte seinen freien Tag und Gaspard steckte vermutlich in seiner Werkstatt. Somit waren die zwei allein und das genoss der junge Luftmagier.
"Es war mir ein Vergnügen, dir behilflich zu sein", erklärte er und suchte krampfhaft nach einem Grund, ihren Besuch noch länger auszudehnen. "Noch eine Tasse Kaffee?" Wehmütig dachte er an die vergangene Zeit. Fast täglich war sie zum Unterricht gekommen.
"Nein, danke", lehnte sie ab und zupfte verlegen an den Fransen des rotkarierten Tischtuchs. "Wie geht es dir, Meister Arwed?" Ihr Blick suchte seine rechte Hand, wo eine sternförmige Narbe in seinem Handballen von dem Biss der Kreuzotter zeugte, in die sich der Schwarzmagier verwandelt hatte.
"Alles in Ordnung", behauptete er, achtete aber sorgsam darauf, sein linkes Handgelenk mit dem tätowierten Hahn nicht sehen zu lassen. Seit seiner Verletzung zeigte das magische Zeichen noch immer nicht das gewohnte Dunkelblau.
Violetta maß den jungen Mann prüfend und sagte dann: "Wenn es für dich nicht zu anstrengend ist, kannst du mir doch in Elementenlehre helfen. Ich krieg das einfach nicht hin." Ein entzückender Augenaufschlag begleitete diese Bitte.
Eben wollte Arwed begeistert zustimmen, da klopfte es an seiner Haustür. "Entschuldige!", brummte er und erhob sich. Schnell strich er über sein Haar und öffnete die Haustür. Sehe ich doppelt? fuhr es ihm beim Anblick seiner Besucherinnen durch den Sinn. Als er erkannt hatte, dass es sich tatsächlich um zwei Damen handelte, war sein nächster Gedanke:
Die Tugendhaften Kriegerinnen! Hoffentlich singen sie nicht! Ein Lied dieser wohltätigen Vereinigung hatte selten weniger als zwanzig Strophen. Laut sagte er: "Was kann ich für die Damen tun?"
Gehäkelte Spitzenhäubchen thronten auf dicken, mit glänzenden Haarnadeln festgesteckten grauen Zöpfen. Darunter lächelten ihn zwei runde fast identische Gesichter mit leicht geröteten Knollennäschen und hellen, scharfen Augen an. Sie waren mehr als einen Kopf kleiner als der Magier, dafür aber dreimal so alt und schienen ihre Kleidung im Doppelpack zu kaufen. Was hatte die beiden zu ihm verschlagen? Eine Spendenaktion für Trolle mit Staublunge? Fieberhaft überlegte er, wie er die beiden möglichst schnell wieder loswerden könnte, um zu Violetta zurückzukehren.
"Wir suchen die Dienste des edlen Meisters Arwed aus dem Hause Berenger", antwortete die linke Hälfte des Duos.
Bei dem Wort 'edel' richtete sich Arwed stolz auf. Gleichzeitig riss er überrascht die Augen auf. Offenbar waren das keine Tugendhaften Kriegerinnen. "Tretet ein, Ladies. Ich bin Meister Arwed."
In einer Wolke von Maiglöckchenduft trippelten sie in sein Arbeitszimmer, das nun schon fast seinen Vorstellungen entsprach. Von dem Honorar, das der Maler Jeldrik ihm gezahlt hatte, war es ihm gelungen, eine allegorische Darstellung der vier Winde zu erstehen. Das Bild war verbilligt, weil es an der unteren rechten Ecke einen kleinen Kratzer aufwies. Doch der fiel fast nicht auf.
Vier scharfe Äuglein sahen sich flugs in dem Raum um, dann nahmen sie auf den Besucherstühlen Platz. "Ich bin Frolinde aus dem Hause Kollinger und das ist meine Schwester Theodelinde", stellte nun die rechte Hälfte das Paar vor.
Bei dem Namen Kollinger schlug in Arweds Hinterkopf eine Glocke an, doch er konnte nicht darauf achten.
"In unserem Haus verschwinden Gegenstände", fuhr Theodelinde fort. "Wir können uns gar nicht erklären, wie das zugeht."
"Kannst du uns helfen?", übernahm wieder Frolinde.
"Meister Arwed! Ich kann dir zwei Silberstücke für eine Stunde zahlen, wenn du mir hilfst", erklang es von der Tür. Violetta war ungeduldig geworden. "Mein Vater hat mein Taschengeld erhöht, weil ich die Dogmatische ..."
Die Spitzenhäubchen drehten sich unisono der Stimme zu und das Mädchen verstummte. Zwei Knollennäschen rümpften sich leicht beim Anblick des kurzen schwarzen Rocks und der engen gelben Bluse. "Wenn du zuviel Arbeit hast, ....", fing Theodelinde indigniert an.
"Oh nein! Das ist meine Schülerin." Er wandte sich streng an das blonde Mädchen. "Komm morgen Nachmittag um vier Uhr", befahl er. "Mit allen Skripten." Dann wandte er sich wieder den Zwillingen zu. "Diebstahl? Wart ihr schon bei der Polizei?"
Die beiden sahen einander an und kneteten ihre gestickten Täschchen. "Wir haben den Verdacht, dass ein Mitglied unserer Familie etwas damit zu tun haben könnte. Und da wollten wir nicht gleich mit der Polizei ... na, du weißt schon", quetschte Frolinde verlegen hervor.
"Oh, so ist das! Habt ihr schon mit dieser Person gesprochen? Vielleicht war es ein Versehen."
"Wozu brauchst du den Dämonenspürer, Frolinde?", erklang Gaspards Stimme von der Vorhangstange. Der Kobold war wohl neugierig geworden, wer seinen Meister besuchte.
"Huch, ein Kobold!", rief die alte Dame aus und warf die Kristallkugel auf den Tisch. "Ich weiß gar nicht, wie das Ding in meine Hand gekommen ist! Tut mir leid. Ich wollte nicht dein Missfallen erregen."
"Keine Ursache", gab Arwed verbindlich zurück und registrierte am Rande einen bösen Blick, den Theodelinde ihrer Schwester zuwarf. "Es wäre am besten, wenn ich mir die Sache an Ort und Stelle ansehe", schlug Arwed vor. "Vielleicht hat der Dieb Spuren hinterlassen."
"Ach ja?" Die runden Gesichter zogen sich in die Länge. "Muss das sein?" fragte Frolinde.
"Wie soll ich den Fall sonst aufklären?"
"Ja, da hast du wohl recht", gab Theodelinde zu.
"Wann ist es euch angenehm?" Fast schien es dem Magier, dass die beiden unangenehm berührt auf ihren Stühlen wetzten.
"Nun?" Frolinde sah ihre Schwester an. "Morgen früh? Fingerhutzeile 13."
Dabei blieb es dann auch. Jede der beiden legte ein geklöppeltes Säckchen mit fünf Dublonen als Anzahlung auf den Tisch. Dann verabschiedeten sie sich.
"Die alte Schnepfe wollte deinen Dämonenspürer klauen", behauptete Gaspard und materialisierte auf dem Schreibtisch.
"Warum sollte sie?", wehrte Arwed ab. "Es wäre ziemlich dumm, einen Magier zu bestehlen. Besonders, wenn man selbst nicht zaubern kann."
"Es sah aber verdammt danach aus", brummte das grün gekleidete Männlein. "Du nimmst mich doch morgen mit?"
"Das hatte ich vor", stimmte der Magier zu und stellte sich vor seinen Spiegel.

Die Fingerhutzeile verlief durch den ältesten Teil Golcondas. Sie war eine der Straßen, die sternförmig zum Palast des Präfekten führte. Reiche und angesehene Leute wohnten dort in von parkähnlichen Gärten umgebenen Villen. Die Nummer 13 gehörte zu den kleineren, dafür aber älteren Domizilen. Das Haus, das nur über einen kleinen Garten verfügte, sah aus als hätte es ein Zuckerbäcker entworfen und würde beim nächsten Regen wegschmelzen. Blumenkästen an den kleinen Fenstern gaben dem Gebäude den Anschein eines Gesichts, das Arwed anzulächeln schien.
Die vielen Türmchen, Erker und Balkone waren die Frisur. Dazu kam der kunstvoll geschnitzte und weiß gestrichene Dachkasten. Selbst das Haus trägt ein Spitzenhäubchen, dachte Arwed und ging an duftenden Rosenbüschen in dem kleinen Vorgarten vorbei auf die rot lackierte Haustür zu, die wie ein großer Mund wirkte. Ein Zug an der Klingelschnur und eine der Damen, welche konnte Arwed bei besten Willen nicht sagen, öffnete die Tür.
"Meister Arwed!", rief sie und breitete die kurzen Arme aus.
Schnell wich der Magier einen Schritt zurück um nicht an ihren eingefallenen Busen gedrückt zu werden. "Das ist Theodelinde", flüsterte Gaspard aus der Brusttasche.
"Lady Theodelinde", begrüßte er sie und verbeugte sich.
Sekundenlang blinzelte sie verwirrt, dann fing sie sich. "Ich werde dir die Zimmer zeigen, aus denen etwas verschwunden ist", flötete sie und lief ihm geschäftig voraus.
Arwed folgte ihr in einen mit liebevoll gepflegten alten Möbeln vollgestopften Salon, in dem der Geruch nach Möbelpolitur im Kampf mit Theodelindes Maiglöckchenparfum lag.
Den Schnappsack mit seiner magischen Grundausstattung hatte er im Vorzimmer auf einer gedrechselten Kommode abgelegt. Die Spitzendeckchen auf den Armlehnen der Polstersessel, die vergoldeten Rahmen mit uralten Familienportraits, die glasierten Trollfigurinen auf dem Kaminsims, das alles rundete das Bild, das sich der Magier von den beiden Schwestern gemacht hatte, perfekt ab.
Theodelinde steuerte auf einen behäbigen Ohrensessel mit grünem Plüschbezug zu. "Hier, auf beiden Armlehnen lagen gestickte Deckchen. Jetzt ist nur noch eins da." Mit der Übung vieler Jahre wand sie sich zwischen zwei Beistelltischchen durch. "Wir hatten sechzehn Trollfiguren auf dem Kamin. Jetzt fehlen zwei. Unser Großvater hat sie damals als Kriegsbeute mitgebracht. Kannst du dir vorstellen, was sie für uns bedeuten?"
Hinter dem Magier ging eine Tür und eine fröhliche Stimme rief: "Schwesterchen, sieh nur, was ich mitgebracht habe!" Frolinde tänzelte in den Raum und stellte eine kleine bauchige Kristallvase auf einen runden Tisch mit blauem Samtüberwurf. Dann zog sie eine Schriftrolle und zwei silberne Gabeln aus einem hellen Leinenbeutel und legte sie daneben.
"Oh, wie schön!", rief Theodelinde aus. "Hast du alles problemlos bekommen?"
Frolinde nickte, wobei ihr rundes Gesicht vor Freude strahlte. "Ich sehe, Meister Arwed beehrt uns", wandte sie sich an den Magier. "Du wirst uns doch helfen können?", fragte sie mit großen Augen.
"Sicher wird er euch helfen!", krähte Gaspards Stimme aus Arweds Brusttasche. "Und wie er euch helfen wird!" Hämisches Gelächter beendet diese kurze Rede.
Zwei runde Gesichter verfinsterten sich. "Du hast deinen Kobold mitgebracht?", fragte Frolinde mit leisem Vorwurf.
"Da kann man ja richtig Angst bekommen!", stimmte Theodelinde ihrer Schwester zu.
"Mein Kobold ist sehr hilfreich", erklärte Arwed und schob das Kerlchen energisch in die Brusttasche zurück. "Jedenfalls meistens."
"Du hast meinen Hut verbeult!", protestierte Gaspard noch einmal und zog sich dann zurück.
"Manchmal ist er vorlaut", sagte Arwed entschuldigend. "Wo waren wir stehen geblieben?"
Nach einem zweifelnden Doppelblick gingen die Zwillinge ihm voraus in ein helles Zimmer, dessen Südseite von großen Glastüren gebildet wurde, die auf eine Terrasse hinaus führten. Vor Arweds grüngoldenen Augen breitete sich ein Zwergenreich aus gestutzten Büschen und bunten Blumenrabatten aus.
"Das ist unser Esszimmer." Theodelindes Handbewegung schloss den Raum samt Terrasse ein.
"Hier!" Frolinde zog eine Lade aus einem mit reichen Schnitzereien verzierten Schrank. "Jetzt fehlen schon vier Dessertmesser!", rief sie entsetzt und schlug die Hände zusammen. "Die Gabeln sind alle weg und von den Löffeln fehlen zwei."
Ein Stück Wand von der Größe eines mittleren Bildes schob sich zur Seite und ein rundes frisches Gesicht wie eine dreißig Jahre jüngere Ausgabe der Schwestern erschien. "Möchtest du ein Tässchen Tee, Meister Arwed?", flötete die rundliche Frau.
Erstaunt erkannt der junge Zauberer, dass die Sprecherin hinter einer Durchreiche stand. "Vielen Dank, Lady", antwortete er höflich. "Aber ich führe hier Ermittlungen durch. Hast du etwas gesehen, das mir weiterhelfen könnte?"
Bevor die Frau antworten konnte schloss Frolinde die Schiebetür mit einem schnellen Ruck. "Unsere Nichte Thusnelda", erklärte sie hastig. "Sie wohnt zeitweise bei uns."
"Sieh mal, Schwester!", rief Theodelinde dazwischen. "Die Lampe ist weg!"
"Ach! Die schöne Öllampe!", jammerte Frolinde. "Du hast sie doch erst vor einer Woche erworben." Ihre kurzen Finger strichen suchend über das glänzende Holz einer Kommode als könnte sie den fehlenden Gegenstand ertasten.
"Wer pflegt den Garten?", fragte Arwed. Er wollte zuerst einmal wissen, wer bei den Kollingers verkehrte.
"Das meiste machen wir selbst", berichtete Theodelinde stolz. "Nur die schweren Arbeiten nimmt uns unser Neffe Gordian ab. Er stutzt gerade die Hecke."
Nach einigem Suchen entdeckte Arwed einen drahtigen Mann in einem grünen Overall auf einer Leiter neben einer hohen Buchsbaumhecke. "Wer kommt sonst noch ins Haus?", forschte er weiter.
"Niemand. Seit Jahrzehnten hat kein Fremder mehr unser Haus betreten", gab Theodelinde bekannt.
"Wir leben hier sehr abgeschieden", kam Frolindes Kommentar. "Deshalb haben wir auch so lange gezögert, bis wie dich engagiert haben."
"Deckchen, Lampen, Besteck ...", murmelte Arwed vor sich hin. "Lauter Gebrauchsgegenstände." Er sah von einer Schwester zur anderen. Sie trugen zarte Ohrringe, silberne Armreifen und schmale Fingerringe. "Vermisst ihr auch Schmuckstücke?"
Die beiden wechselten einen Blick. "Nein", entgegneten sie im Chor.
"Dann will ich mal das Terrain sondieren", erklärte Arwed und ging ins Vorzimmer. Ein spitzer Schrei ließ ihn seine Schritte beschleunigen. Befremdet sah er Thusnelda vor seiner Tasche stehen, zwei Finger der rechten Hand im Mund.
"Dieses verdammte Ding hat mich gebissen!", schimpfte sie undeutlich.
"Auf der Tasche liegt ein Bann, damit niemand durch die Zaubermittel zu Schaden kommt", teilte Arwed ihr freundlich mit. "Ich verstehe nicht ..."
"Und was ist das?!", unterbrach sie ihn. Zornig stachen ihre Finger nach seinem Gesicht. Die Brandblasen an den Spitzen waren beachtlich.
Arwed zuckte zurück. Wie konnte das nur passiert sein? Der Schutzzauber war so angelegt, dass er einem Fremden, der die Tasche irrtümlich berührte, ein scharfes Prickeln vermittelte. Nur wer sich davon nicht abschrecken ließ, wurde mit einem Hitzestoß bestraft. "Hast du versucht, die Tasche zu öffnen?", fragte er verwundert.
"Sie sieht wie Gordians Schnappsack aus", verteidigte sich Thusnelda.
"Oh Thusnelda!" Frolinde war ihm gefolgt. "Das hast du jetzt von deiner Neugier!", schimpfte sie und schob die Frau in die Küche.
Leicht verwirrt nahm der Magier seine Tasche und ging in den Salon. Nachdenklich sah er sich um. Nein, hier konnte er nicht mit magischer Kreide arbeiten. So breitete er ein glattes schwarzes Tuch auf eins der Beistelltischchen, legte in die Mitte seinen Sucher, einen kunstvoll geschliffenen Kristall, dessen Facetten in den verschiedensten Farben schillerten.
In seiner Brusttasche krabbelte es und Gaspards Kopf erschien. "Jetzt bin ich aber gespannt, was das wird", brummte er.
"Dürfen wir zusehen?", flötete Theodelinde und beugte sich neugierig vor.
"Wenn ihr nicht zu nahe kommt", meinte Arwed und legte die sieben Symbolkarten fächerförmig vor den Kristall. Die Schwestern zogen sich mit großen Augen bis an die Tür zurück und starrten den Magier erwartungsvoll an. Arwed warf einen Blick auf sein linkes Handgelenk und nickte befriedigt. Der tätowierte Hahn leuchtete dunkelblau. Ein paar tiefe Atemzüge aktivierten seine Magie. Fast unhörbar floss ein Zauberspruch von seinen Lippen. Die Symbolkarten schoben sich auseinander und bildeten um den Sucher einen Kreis.
Ein helles Summen erklang aus dem Kristall, während einmal die eine, dann die andere Facette aufleuchtete. Arwed legte ein Blatt Papier vor den Kristall, der sich langsam zu drehen begann und Lichtfinger durch das ganze Zimmer schickte. Auf dem weißen Bogen erschienen, zuerst nur schattenhaft, dann immer deutlicher, die Konturen einer menschlichen Gestalt. Als das Bild klar erkennbar war, legte Arwed eine neue Seite darauf und sprach einen magischen Befehl. Der Kristall drehte sich und wieder zeichneten sich Linien auf dem Papier ab. Doch diesmal waren sie dunkel und verwischt.
Während er ein neues Blatt vor den Sucher legte, sprach er einen Zauber, der Klarheit bringen sollte. Wieder huschten dunkle Linien über das Papier. Für einen Moment schien sich eine kleine Gestalt abzuzeichnen, doch dann stieg Rauch auf und Arwed warf das Papier schnell auf den Boden und trat die aufkeimenden Flammen aus. Erschöpft sank er auf einen Polstersessel und atmete ein paar Mal tief durch. So ganz erholt hatte er sich noch nicht. Sonst hätte ihn der Zauber nicht so hergenommen.
"Ladies, euer Fall bedarf besonderer Aufmerksamkeit", eröffnete er den Damen müde. "Aber ein kleiner Erfolg ist doch zu verzeichnen."
Die Schwestern waren vorsichtig näher gekommen. Wie hungrige Gänse streckten sie die Köpfe vor und äugten neugierig auf das erste Bild, das der Sucher geformt hatte. Ein etwas 40jähriger Mann mit einem dünnen dunklen Schnurrbart und schütterem dunklem Haar sah ängstlich über seine Schulter, während er mit beiden Händen nach je einer Trollfigur griff.
"Das ist Gordian!", rief Theodelinde empört.
Arwed erkannte nun auch eine Ähnlichkeit mit dem Mann, den er im Garten gesehen hatte.
"Und was bedeutet das?" Frolindes Zeigefinger tippte auf das zweite Blatt. Das Mobiliar war undeutlich, aber doch erkennbar. Darüber lag eine Art Nebel, die die kleine Gestalt im Zentrum des Bogens verschleierte.
"Dieses Wesen verfügt über Magie. Es hat sich mit einem Zauber getarnt. Und es agiert nur nachts", erklärte Arwed und trug seine magischen Utensilien ins Esszimmer. Dort wiederholte er das Ritual. Wieder erschien der Neffe der Zwillinge auf einem der Bilder wie er vorsichtig eine kostbare Öllampe hochhob. Dabei hatte er einige schneeweiße Damastservietten unter den Arm geklemmt. Das zweite Bild war ebenso verwischt wie das aus dem Salon.
"Dieser Schlingel!", ereiferte sich Theodelinde. "Die Servietten habe ich noch gar nicht nachgezählt. Ich dachte, sie sind noch in der Wäscherei."
"Wir werden ein ernstes Wörtchen mit Gordian sprechen müssen", versprach Frolinde drohend. "Überlässt du uns die Bilder, Meister Arwed?"
"Wenn ihr nicht gerichtlich gegen den Dieb vorgehen wollt", stimmte der Magier achselzuckend zu.
"Er ist unser Neffe!", rief Frolinde entrüstet. "Wir regeln das familienintern."
"Und was ist mit diesem Geschöpf, das hier sein Unwesen treibt? Es könnte ein Dämon aus einer niederen Ebene sein, der im Auftrag einer Diebesbande arbeitet." Der Zauberer erinnerte sich, dass er erst vor wenigen Wochen einen Bericht über die Verhaftung einer derart agierenden Gruppe im Aushang Krötenzeile-Geckozeile gelesen hatte.
"Kannst du den Dämon fangen?", wollte Theodelinde wissen.
Arwed wiegte überlegend den Kopf. "Fehlt aus anderen Räumen auch etwas?"
"Nein, nur aus diesen beiden", erklärte Frolinde fest.
"Tantchen, hast du ein bisschen Geld?" Thusnelda erschien, bereit zum Ausgehen. Ihre verbrannten Finger verhüllte ein dicker Verband. Ein abenteuerlicher Hut mit einem wilden Arrangement von Federn und künstlichen Blumen saß keck auf ihrem Kopf. "Wir haben keinen Kuchen mehr. Und der Schinken ist auch fast alle", verkündete sie vorwurfsvoll.
Theodelinde zog irritiert die Brauen zusammen. "Hast du keins mehr?", wunderte sie sich und reichte ihrer Nichte einen kleinen roten Samtbeutel. "Bring ein paar Äpfel mit. Und denk daran, wenn du soviel Kuchen isst, wirst du noch dicker."
"Ich habe nur zwei Stücke gegessen. Das muss Gordian gewesen sein", verteidigte sie sich und warf die Tür hinter sich zu.
"Gordian ging doch gleich in den Garten", sinnierte Frolinde.
"Und Heidelbeerkuchen mag er nicht besonders", ergänzte Theodelinde. Dann schüttelten die beiden unisono die Köpfe.
"Ich müsste eine Nacht hier verbringen. Da es aber zwei Räume sind, müsste ich einen Helfer mitbringen", erinnerte Arwed die Damen an den Grund seines Hierseins.
"Ein Helfer?" Die Gesicherter der beiden wurden lang als sie diese Worte im Chor hervorstießen.
"Ich verbürge mich für meinen Diener", beruhigte der Magier die alten Damen. "Die Chance, den Dieb zu fangen sinkt beträchtlich, wenn ich allein Wache halten muss."
"Kann nicht eine von uns dir assistieren?", fragte Frolinde zweifelnd. "Oder brauchst du einen zweiten Magier?"
"Mein Diener ist kein Magier." Arwed begann über das Sträuben der Schwestern, Fremde in ihr Haus zu lassen, langsam ungehalten zu werden. "Der Dieb wird nicht erscheinen, wenn du hier wachst. Er kennt deine Aura, aber nicht die meine oder die meines Dieners. Wenn es genehm ist, werde ich jetzt nach Hause gehen und alles vorbereiten. Bei Einbruch der Dunkelheit komme ich wieder."
Mit sorgenvollen Mienen begleiteten die Zwillinge ihn zur Tür.

Arwed befand sich in Hochstimmung als er seinem Heim zustrebte. Der Auftrag reizte ihn. Geschickt schlängelte er sich an einigen Agami vorbei, die einen großen Behälter mit Fischen in Richtung Markt schleppten. Der Geruch ließ ihn ein wenig die Nase rümpfen, doch seine Laune konnte er nicht trüben. Vor einer blanken Fensterscheibe prüfte er den Sitz seiner Frisur und putze unsichtbare Stäbchen von seinem Jackett.
"Es macht dir anscheinend richtig Spaß für die Kollingers zu arbeiten", meldete sich Gaspard aus der Brusttasche.
"Warum sollte es nicht?", gab er zurück und ging befriedigt weiter. "Es bringt Geld und außerdem interessiert mich der Fall."
"Dann halt deine ach so schönen Hosen fest, bevor sie weg sind, Langer", kicherte der Kobold.
"Was soll das nun wieder heißen?" Arwed wich einem Rudel spielender Elfenkinder aus, die mit kurzen Peitschen kleine Reifen vor sich her trieben. "Schließlich verdiene ich damit die Butter auf deine Brötchen! Hast du etwas gegen die Kollingers?" Da war doch etwas gewesen, vor vielen Jahren. Aber es wollte ihm nicht einfallen, was.
"Ich habe nichts gegen sie. Nur bezweifle ich, dass du viel an ihnen verdienen wirst." Gaspard war auf Arweds linke Schulter geklettert und hielt sich an seinem Ohr fest.
"Gaspard! Was ist mit den Schwestern los? Du weißt doch etwas!" Der Magier blieb abrupt stehen, dass das Männlein sich mit beiden Händen an seinen langen Haaren festhalten musste, um nicht herab zu fallen.
"Hm, kann sein, dass du da noch zu jung warst", räumte Gaspard ein. "Kollinger, der Vater unseres Duos, war der erfolgreichste Dieb aller Zeiten. Den Raub der 16 Trollfiguren aus dem Tempel des Mog konnte man ihm nie nachweisen."
"Die Trollfiguren? Das sind die heiligen Statuen, nach denen die Trolle immer noch suchen?" Hin und her gerissen von seinen Gefühlen nagte Arwed an seiner Unterlippe. Was sollte er tun? Die Priester des Mog hatten eine hohe Belohnung für sachdienliche Hinweise zur Auffindung der Statuetten ausgesetzt. Aber er hatte die Anzahlung der Schwestern angenommen und das besiegelte den Vertrag. Außerdem, wer würde einen Detektiv engagieren, der seine Klienten auffliegen ließ? Andererseits hatten die beiden, was die Figuren betraf, gelogen. Und warum sie nicht zur Polizei gegangen waren, war ihm jetzt auch klar.
"Willst du hier anwachsen, Bohnenstange?", riss ihn Gaspard aus seinen Überlegungen. "Ich hab Hunger!"
Schnell ging Arwed weiter. Er befand sich in einer verzwickten Situation, die ihm gar nicht behagte. "Hast du noch andere Sachen gesehen, die aus einem Diebstahl stammen könnten?"
"Ja, eine ganze Menge", bestätigte der Kobold fröhlich. "Die Lampe, die Gordian gemopst hat, stand noch vor wenigen Tagen im Museum für exotische Künste."
"Das kann aber nicht Linhard gewesen sein."
"Hast du's endlich geschnallt, du Blitzkneißer! Seit du die kleine Feuerfliege unterrichtest bewegt sich dein IQ auf dem Niveau einer Salatschüssel! Linhard hat seine Kinder gut ausgebildet."
Arweds Schritte beschleunigten sich. In der Aufregung überhörte er sogar Gaspards Beleidigungen. "Das muss ich nachprüfen. Nach dem Essen werde ich gleich ..."
"...Violetta unterrichten. Und nachher hüpfst du wie ein gehirnamputierter Pavian herum", unterbrach ihn Gaspard und lachte über Arweds ärgerliches Gesicht.
"Violetta!" Richtig, er hatte ihr eine Stunde versprochen. "Halt die Luft an, Stöpsel. Ich muss nachdenken."
"Oh, kreisch! Mal was Neues!", ließ sich der Kobold noch einmal hören. "Womit eigentlich?" Dann rutschte er vor Arweds mörderischem Blick in die Brusttasche.
Als Arwed sein Haus betrat, kam ihm Tschrt'schlog entgegen. Ein freundliches Grinsen entblößte seine spitzen Zähne, doch als er das böse Gesicht des Magiers sah, nahmen seine Schuppen gleich ein ängstliches Braun an. "Das Essen ist fertig", meinte er schüchtern. "Und ein Bote von der Präfektur hat einen Brief abgegeben. Eine Vorladung."
Ein grüner Blitz huschte in die Küche. Mit zwei Schritten war ihm Arwed gefolgt. "Du schrubbst das Badezimmer!", fauchte er den Kleinen an, der bereits mit gezücktem Besteck auf seinem Platz saß und genüsslich den lieblichen Duft des Nudelauflaufs einsog. "Nach dem Essen", schränkte er ein als eine dicke Träne über Gaspards Wange kullerte. "Was hast du noch bei den Kollingers gesehen?", nahm Arwed den Faden ihres Gesprächs wieder auf.
"Das Silberbesteck trägt den Stempel der Präfektur. Und der Kristallluster im Salon hing früher in der Aula der Magischen Universität", sprudelte der Kleine hervor. "Das Tischtuch im Esszimmer gehörte dem Krankenhaus und das kleine Bild mit dem Gebirgssee auch. Was aus Privatbesitz stammt, konnte ich auf die Schnelle nicht eruieren."
"Bei allen Göttern!", rief Tschrt'schlog und färbte sich vor Überraschung türkis. "Wo bist du da hineingeraten? Ich dachte, du sollst einen Dieb fangen!"
"So wie es aussieht, soll ich einen Dieb fangen, der Diebe bestiehlt", brummte der Detektiv und machte sich über seine Mahlzeit her. "Das muss der Polizei gemeldet werden." Hastig schob er den letzten Bissen in den Mund und sprang auf.
"Die Kollingers werden dich verklagen. Du hast ihr Geld genommen", unkte der Kobold grinsend.
Sekundenlang zögerte er. Dann straffte er sich. "Ich werde einige Erkundigungen einziehen. In die Präfektur muss ich ohnehin."
"Denk an die Stunde, die du Violetta versprochen hast", erinnerte ihn Gaspard.
"Oh, Violetta!" Nachdenklich kratzte er sich hinterm Ohr. "Dann muss ich mich eben sputen." Unverzüglich lief er ins Badezimmer um sein Äußeres zu kontrollieren.
Nach zwanzig Minuten zwickte ihn Gaspard ins Ohr. "Jetzt reicht's, du eingebildeter Kikeriki. Ich dachte, du hast's eilig!"
"Du hast es nötig!", schoss Arwed zurück. "Denk lieber an deine Haarpracht!" Damit meinte er die Perücke, die Gaspards kahlen Schädel bedeckte.
Das Männlein lief rot an, machte "Grmpf!" und griff nach einem Putzlappen.

Der Magier-Detektiv steckte einen Stift und ein Notizbüchlein ein und verließ eilig das Haus. Sein erster Weg führte ihn ins Sekretariat der Präfektur.
Eine ältliche Angestellte, an der alles spitzig aussah, Nase, Backenknochen, vorstehende Zähne, maß ihn kritisch von oben bis unten. "Meister Arwed!", begann sie dann mit knarrender Stimme. "Der Präfekt hat beschlossen, dir für deine Dienste im Fall Billinger ein Honorar von zwanzig Dukaten zuzubilligen." Damit zählte sie achtzehn Münzen vor Arwed auf den Tisch. Als der Magier keine Anstalten machte, sie an sich zu nehmen, meinte sie naserümpfend: "Nun nimm endlich dein Geld! Ich habe noch mehr Arbeit."
"Aber das sind nur achtzehn Dukaten", protestierte er.
"Natürlich", grinste sie, wobei sich ihr Gebiss noch mehr vorschob. "Die Steuer ist schon abgezogen."
Seufzend strich Arwed das magere Honorar ein und ging in die Fahndungsabteilung der Hauptwache. An einem schwarzen Brett, das sich über die ganze Länge eines beachtlichen Korridors zog, hingen Anzeigen gegen Unbekannt. Arwed begann zu lesen. Manche Zettel waren schon alt und vergilbt, andere zeigten noch das frische Weiß. Er fand Anzeigen von der Magischen Universität über den Verlust eines Kristalllusters. Das Krankenhaus vermisste zwei Bilder und jede Menge Bettwäsche, Tischtücher und eine Leibschüssel. Eine besonders große Anzeige war ein Fahndungsaufruf der Präfektur nach den Dieben eines 24-teiligen Bestecksets aus Silber.
Mit wachsender Verblüffung fand Arwed noch Anzeigen von reichen Privatpersonen, die verschiedene Kunst- und Gebrauchsgegenstände vermissten, welche nun das Heim der Kollingers schmückten. Die Zwillinge waren offenbar sehr fleißig gewesen. Von den Mog-Priestern gab es keine Anzeige. Die Trolle gingen ihre eigenen Wege.
"Die haben wirklich nichts anbrennen lassen", brummte er vor sich hin und notierte alles sorgfältig in seinem Notizbuch.
Sein nächster Weg führte ihn ins Kriminalarchiv. Immer noch nachdenklich ging er die gewundene Treppe in den Keller der Präfektur hinunter. Schon von weitem hörte er zwei streitende Stimmen.
"Ich hatte eine Wasser-Sieben!", rief eine sehr tiefe Stimme. "Die sticht jedes andere As, weil es Atout ist!"
"Nein, nur die anderen Sieben!", kreischte eine hellere Stimme zurück. "Wenn du die Regeln nicht kennst, lass die Finger von den Karten!"
"Deine Regeln, Stinksocke!"
"Du kannst einfach nicht verlieren, Müllbeutel!"
"Halt die Klappe, Froschgesicht! Da kommt einer!"
Als Arwed die letzten Stufen der Treppe herunterkam, sah er sich in der dumpfen Luft des Kellers den Besitzern der Stimmen gegenüber. Der eine war ein Troll mit einem Gesicht, wie aus groben Felsbrocken gemeißelt. An einem kleinen Tisch ihm gegenüber saß ein Zwerg, dessen hervorquellende Augen und dicke Lippen die Bezeichnung Froschgesicht in gewisser Weise rechtfertigten. Hinter den beiden verloren sich endlose Regale mit Akten im Dunkel des Kellers. Finster blickten ihm die beiden entgegen, wobei der Troll seine klobige Pranke auf ein Päckchen abgegriffener Karten legte.
Der Magier legte seine Lizenz auf den Tisch und lächelte sie an. "Ich ersuche um Einblick in die Kollinger-Akte."
Vier Augenbrauen rutschten nach oben. "Welche?", kam die Antwort von dem Zwerg.
"Die Kollinger-Akte", wiederholte Arwed irritiert.
"Welche Kollinger-Akte?" Der Troll seufzte genervt. "Wir haben hier Linhard, Fulbert, Thusnelda, Frolinde, Theodelinde und Gordian Kollinger. Die von Helmbrecht wurde durch das Feuer vor sechs Jahren vernichtet."
Arweds Gedanken überschlugen sich. "Wer ist denn Fulbert?", überlegte er laut.
"Das war Linhards Sohn, Thusneldas und Gordians Vater. Er wurde vor siebzehn Jahren hingerichtet, weil er am Tod einer edlen Lady schuldig war. Als sie sah, dass ihr gesamter Schmuck gestohlen war, traf sie der Schlag", erteilte der Zwerg bereitwillig Auskunft.
"Nun, die von Linhard wird wohl fürs erste genügen", entschied der Magier und steckte seine Lizenz wieder ein.
Grummelnd erhob sich der Troll. "Das ist wieder ein Job für mich", nörgelte er und verschwand mit einer kleinen Lampe zwischen den Regalen.
"Was willst du von den Kollingers?", forschte inzwischen der Zwerg. "Kannst du sie vielleicht überführen? In den letzten drei Jahren wurde keiner von ihnen verurteilt."
"Bedeutet das, dass man sie wohl verdächtigte, aber aus Mangel an Beweisen wieder freilassen musste?", gab Arwed zurück.
Der Zwerg lachte, dass sein runder Bauch wackelte. "Immer, wenn etwas besonders Wertvolles gestohlen wird, werden die Kollingers verdächtigt. Kollinger ist das ultimate Wort für Dieb."
Stampfende Schritte zeigten das Nahen des Trolls an. Arweds Augen wurden groß als er sah, was der Koloss anschleppte. Das waren ja drei riesige Kisten. die dieser nun vor ihm auf den Boden knallen ließ. Eine Wolke beißenden Staubes stieg auf, der alle drei niesen ließ.
"Gibt es ein Verzeichnis der Anklagen?", fragte Arwed und klopfte seinen Anzug ab. Ich muss zu Hause sofort meine Haare waschen, schoss es ihm durch den Kopf.
Die klobigen Pranken des Trolls wühlten in einer der Kisten und förderten eine mittelgroße Schriftrolle zutage. Der Magier rollte sie auf und überflog die endlose Liste von Straftaten. Es gab kaum eine Institution oder wohlhabende Familie, die nur einmal von Linhard Kollinger heimgesucht worden war. Der alte Langfinger war offenbar sehr schlau gewesen, denn er wurde nur sechsmal verurteilt. Seine letzten Jahre verbrachte er bei seinen Töchtern, die ihn erst vor wenigen Monaten zu Grabe getragen hatten. Wo bin ich da nur hineingeraten, fragte er sich unangenehm berührt. Hastig notierte er sich die wichtigsten Punkte und legte die Rolle wieder in die Kiste. "Vielen Dank", sagte er mit einer kleinen Verbeugung. "Du hast mir sehr geholfen."
Der Unterkiefer des Trolls klappte herunter, während der Zwerg sich schier ausschütten wollte vor Lachen. "Das war alles?", grunzte er und seine grüne Haut wurde vor Ärger einen Ton dunkler.
Ein schneller Rundblick ließ Arwed ein Häufchen Staub in einer Ecke entdecken. Eine komplizierte Handbewegung, ein magisches Wort und aus der Ecke glitzerte ein Netz mit bunten Glaskugeln. Begeistert stürzten sich die beiden ungleichen Beamten darauf und Arwed machte sich aus dem Staub.

Violetta wartete schon auf ihn. Nur halb konzentriert paukte er mit ihr das Magische Rad der Elemente. Wie immer hatte das Mädchen seine eigene Auslegung und Arwed hatte einfach nicht die Geduld, alles immer und immer wieder zu erklären. Nach einer Stunde schickte er sie frustriert weg, obwohl ihr verletzter Blick ihm tief ins Herz schnitt.
Methodisch suchte er alle magischen Hilfsmittel zusammen, die er für die kommende Nacht brauchte. Zur Sicherheit las er noch einmal die wichtigsten Bannsprüche durch. Endlich hatte er alles beisammen. "Tschrt'schlog! Du musst mir heute assistieren!", rief er nach dem Agami.
Der Echsenmann kam zögernd in Arweds Arbeitszimmer. Seine Schuppen wechselten schnell von einem ängstlichen Braun zu einem zarten Türkis, das Verwirrung andeutete mit einem gelegentlichen Stich in ein hoffnungsvolles Hellblau und wieder zurück.
"Ich werde heute Nacht einen Dämon fangen und du musst mir dabei helfen", eröffnete der Magier seinem Diener.
Tschrt'schlog entwickelte ein Braun, das zu einem verlegenen Grün tendierte. "Aber ich kann nicht zaubern", wandte er ein.
"Das ist auch nicht nötig", beruhigte ihn Arwed. "Ich werde alles vorbereiten und du brauchst dem Dämon nur noch die Kräuter ins Gesicht blasen. Er ist, meiner Schätzung nach, ohnehin nur von der zweiten, höchstens von der dritten Ebene."
"Und was passiert, wenn ich nicht schnell genug bin?" Der Agami war noch nicht überzeugt.
"Dann verschwindet er wieder und wir müssen uns noch eine Nacht um die Ohren schlagen", meinte Arwed trocken.
"Oh!" Jetzt kehrten Tschrt'schlogs Schuppen zu einem neutralen Blaugrün zurück. "Ich werde Binah-Tee kochen." Eilig lief er in die Küche.
"Gute Idee!", rief ihm der Magier nach. Binah-Tee war ein wahrer Muntermacher. Damit würden sie die Nacht putzmunter überstehen. Der Kobold musste natürlich auch mit. "Gaspard!", trompetete er. "Du gehst heute Nacht mit mir ..." Verwundert verstummte er. Der Kleine war nicht aufgetaucht. "Gaspard!" Wieder kein Erfolg. Ärgerlich ging er durch die Räume, den Namen des Männleins rufend. Im Badezimmer sah er endlich einen grünen Schatten über den Spiegel huschen. "Gaspard? Was machst du da?"
Der Kleine materialisierte am Rand des Waschbeckens. "Hast du schon vergessen? Ich muss doch das Badezimmer putzen! In deinem Kopf gibt's nur noch einen Zettel mit dem Wort 'Violetta'!"
"Es ist doch bereits alles blitzblank", wunderte sich Arwed. "Ich brauche dich heute Nacht."
"Was?" Das kleine Gesicht lief puterrot an. "Und das Schlafen soll ich mir wohl abgewöhnen? Du Sklaventreiber! Du wirst mich zu Tode schinden! Ich bin zu alt für Nachtschichten!"
Stirnrunzelnd fixierte Arwed den Kobold. "Gaspard!", stellte er fest. "Du verheimlichst mir etwas. Warum willst du mir bei der Jagd auf den Dämon nicht helfen?"
So einer direkten Frage konnte das Männlein nicht ausweichen. "Weil es kein Dämon ist. Ich kenne den Dieb." Über die trotzig vorgeschobene Unterlippe rollte eine dicke Koboldträne.
"Ist es ein Kobold, den du kennst?", fragte der junge Mann bestürzt.
Ein Nicken des grün behüteten Kopfes bestätigte ihm, in welchen Gewissensnöten der Kleine steckte. "Ich könnte es nicht ertragen, ihn gebannt oder im Gefängnis zu sehen."
"Hm!" Arwed schnappte sich kurzerhand den Knirps und ging in sein Arbeitszimmer. "Vielleicht gibt es eine Lösung, die allen Interessen gerecht wird", murmelte er. "Ich habe da eine Idee. - Tschrt'schlog!"
Neugierig steckte der Agami den Kopf zur Tür herein. "Geht es schon los?"
"Bald! Wir müssen nur noch ein paar Details besprechen."

Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne färbten den wolkenlosen Himmel dunkelrot. Einzelne Sterne blinkten vom Himmel und in den Gärten zirpten leise die Grillen. Golconda machte sich zum Schlafen bereit. Die beiden ungleichen Gestalten gingen durch wenig belebte Straßen. Nur in den Kneipen herrschte noch Hochbetrieb. Je näher sie dem vornehmen Viertel kamen, umso weniger Passanten waren auf der Straße. Nur ab und zu wurden sie von einer streng blickenden Wache gemustert. Es war stockdunkel als sie endlich ihr Ziel, das Kollinger-Haus, erreichten.
Arwed klingelte dezent an der rot lackierten Eingangstür. Neben ihm stand Tschrt'schlog, ein für Agami freundliches, zahnreiches Grinsen in seinem Echsengesicht. Gaspard hatte es sich in Arweds Brusttasche gemütlich gemacht. Obwohl er keine undichten Stellen in Arweds Plan entdeckt hatte, war er immer noch misstrauisch. Ein Seufzer nach dem anderen verließ den kleinen Brustkasten.
Da öffnete sich schon die Tür und Frolinde stieß einen spitzen Schrei aus, der ihre Schwester auf den Plan rief. "Bei allen Göttern! Was soll dieses Ungeheuer hier!?"
"Das ist mein treuer Diener Tschrt'schlog", erklärte Arwed pikiert. Er hatte gehört, dass die Menschen in alter Zeit arge Vorurteile gegen Agami gehabt hatten. Dass es aber immer noch solche Leute gab, war ihm neu. "Ich verbürge mich für ihn", fügte er mit Nachdruck hinzu.
Widerstrebend gaben die Damen die Tür frei und ließen die beiden eintreten. "Wenn du es sagst ...", murrte Theodelinde.
Arwed beschloss, ihre rassistischen Tendenzen zu überhören. "Ich werde zwei Fallen aufstellen", begann er geschäftig. "Bei der einen wird mein Diener wachen, bei der anderen ich selbst. Wenn wir Erfolg haben sollen, darf sich aber kein Mitglied der Kollingerfamilie auch nur in einem der angrenzenden Räume aufhalten. Der Dämon würde es sofort wissen und dann ..." Er hob bedauernd die Hände. "Dann müsst ihr einen anderen Magier um Hilfe bitten."
"Das kommt nicht in Frage!", kam es wie von der Sehne geschnellt.
"Wir werden die ganze Nacht in unseren Zimmern im Oberstock bleiben."
"Das wäre sehr ratsam", kommentierte Arwed lächelnd und packte seine Zauberutensilien aus. Die Flasche mit dem Binah-Tee und drei kleine, graue Steingutbecher stellte er daneben. Gaspard war aus Arweds Brusttasche gekrochen und saß jetzt, nervös an seinen Nägeln kauend, auf dem Tisch.
"Wer ist denn das?", regte sich Frolinde auf. "Du hast nur von einem Begleiter gesprochen. Was soll dieser kleine Wicht hier?"
"Oh, Gaspard!", rief Arwed aus. "Der begleitet mich immer." Er verbeugte sich elegant. "Darf ich die Damen jetzt bitten?" Seine schlanke gepflegte Hand deutete auf die Tür. Zögernd gaben die Zwillinge seinem Wunsch nach.
Ungeduldig lauschten die drei auf die Geräusche der zu Bett gehenden Hausbewohner. Endlich wurde es still. Ein Blick auf die Sterne sagte Arwed, dass es auf Mitternacht zuging. Bedächtig goss er Binah-Tee in die kleinen Becher. Das anregende Getränk mit dem feinen Geschmack nach Frühling im Gebirge wirkte schnell. Arweds Kopf, der in der Wartezeit mehr als einmal auf seine Brust gesunken war, wurde fast augenblicklich wieder klar. Auch Tschrt'schlog und der Kobold sahen den Magier tatendurstig an. Dieser rollte einen Teppich zur Seite, der einst das Wohnzimmer einer reichen Elfenfamilie geschmückt hatte und zeichnete mit geweihter Kreide einen Kreis auf die abgetretenen Bohlen des Fußbodens. Leise sprach er die Bannformel. Dasselbe tat er im Speisezimmer. Dann ließ er Tschrt'schlog am Eßtisch Platz nehmen und gab ihm ein Säckchen mit Kräutern. "Wenn er erscheint, blase sie ihm ins Gesicht", wies er seinen Diener an. "Dann rufst du mich. Alles klar?"
"Klar", bestätigte der Agami ernsthaft in stolzem Lila leuchtend.
Arwed kehrte in den Salon zurück und warf sich in einen Polstersessel. Seine langen Finger spielten mit einem zweiten Kräuterbeutel. "Mach nicht so eine Leichenbittermiene, Kleiner!", versuchte er den Kobold aufzumuntern. "Vertraust du mir nicht?"
"Menschen brechen oft ihr Wort, wenn sie sich einen Vorteil erhoffen", seufzte Gaspard herzerweichend.
"Du beleidigst mich." Arwed tat gekränkt.
"Menschen können auch lügen", setzte der Kleine sein Gejammer fort. "Was war es denn, das du den Damen eben aufgetischt hast!"
Da ertönte im Speisezimmer ein helles Kreischen, das in ein heftiges Niesen überging. Mit weit ausholenden Schritten eilte der Magier in den Raum. In dem Bannkreis saß ein Kobold, der Gaspard zum Verwechseln ähnlich sah. Nur seine Kleidung unterschied sich durch ein gelbbraunes Wams und eine weiße Feder auf dem spitzen grünen Hut. Wie ein Häufchen Elend saß er auf dem Fußboden und nieste und fluchte und wischte sich mit einem hellgrünen Taschentuch die Tränen ab, die unaufhörlich aus seinen gelben Äuglein liefen.
"Das hast du gut gemacht!", lobte Arwed den Agami und wandte sich der kleinen Gestalt im Bannkreis zu.
Gaspard stand vor dem Kreidestrich und rang die kleinen Hände. "Honoré, mein armer Junge!", rief er ein ums andere Mal. "Dass ich das erleben muss!"
Der andere Kobold hatte sich nun einigermaßen erholt. "Wenn du mein Gold willst, wirst du nicht viel Freude daran haben", zischte er Arwed wütend an. Ein irdener Spucknapf erschien neben ihm, dessen Boden nur dünn mit Goldmünzen bedeckt war. "Ich bin noch ein junger Kobold."
Arwed lachte. "Schon an der Wahl des Behälters hätte ich erkannt, dass du Gaspards Sohn bist", grinste er. "Ich will dein Gold nicht. Du sollst mir einen Dienst erweisen. Danach bist du frei. Das habe ich deinem Vater versprochen und ich halte mein Wort." Ein wenig Wehmut klang aus dem letzten Satz, denn es wäre schon verlockend gewesen, zwei Kobolde in seinen Diensten zu haben.
Honoré legte den Kopf schief. "Was soll ich tun?", fragte er misstrauisch.
"Bring alle gestohlenen Gegenstände ihren rechtmäßigen Besitzern zurück."
"Das ist aber kein kleiner Dienst", beschwerte sich der Kleine. "Hast du eine Ahnung, was in diesem Haus alles Diebesgut ist?!"
"Von klein war nicht die Rede", konterte Arwed.
"Tu es, Sohn. Du hast gehört, dass du danach frei bist", sagte Gaspard im Befehlston. Im nächsten Moment saß er auf Arweds Schulter und flüsterte diesem ins Ohr: "Du bist doch ein guter Mensch, Bohnenstange. Das vergesse ich dir nie. Honoré ist mein einziger Sohn."
"Du kannst morgen Nachmittag beginnen, Honoré", meinte Arwed und gähnte. Die Wirkung des Binah-Tees war verflogen und sein Körper verlangte energisch nach Schlaf. Zufrieden rollte er sich auf einem Sofa zusammen und ließ die Lider nach unten sinken.
Flüsternde Stimmen weckten den jungen Magier. Gähnend streckte er sich und fuhr erschrocken hoch. "Was ...? Wo ...?" Dann erinnerte er sich und unterdrückte ein Grinsen. "Ladies ...", begann er und wurde sofort unterbrochen.
"Meister Arwed, hast du den Dieb gefangen? Wo ist er?" Das war Theodelinde. Ihre Schwester stand neben ihr und fixierte den Magier aufgeregt.
Würdevoll erhob er sich. "Ja, ich habe ihn gefangen und ..."
"Was hast du mit ihm gemacht? Umgebracht?", schoss ihn Frolinde an.
"Oh nein! Ich wollte euch den Schock seines Anblicks ersparen und habe ihn mit einem Bann belegt." erklärte Arwed stolz und griff nach seinem Ohr. Gaspard hatte ihn mit einem leise gezischten "Na, hör mal! Honoré ist doch ein attraktiver Kobold!" heftig ins Ohrläppchen gezwickt.
"Und wo sind die gestohlenen Sachen?", forschte Theodelinde weiter.
"Alles in Ordnung", strahlte der Magier. Tschrt'schlog hatte sich zu der Gruppe gesellt und stand nun hoch aufgerichtet neben seinem Herrn. Seine scharfen Zähne waren entblößt und wer ihn nicht kannte, konnte nicht erkennen, ob das nun ein Lächeln oder eine Drohung sein sollte.
"Wo sind denn jetzt die Sachen?", fragten die Schwestern im Chor und rückten ein wenig von dem Agami ab. "Welcher Bann ist denn das?"
Arwed bewegte sich auf die Tür zu, Tschrt'schlog immer an seiner Seite. "Ich habe ihm befohlen, alles seinen rechtmäßigen Besitzern zurückzugeben. Ihr braucht euch also keine Sorgen zu machen. In Kürze wird alles wieder auftauchen."
Theodelinde wurde blass, während ihre Schwester puterrot anlief. "An ihre rechtmäßigen Besitzer?", wiederholten sie schrill.
"Nun, das schien mir das Effektivste zu sein." Arwed hatte die Haustür erreicht. "Ich muss jetzt schnell nach Hause. Eure Anzahlung deckt mein Honorar voll ab. Wünsche einen schönen Tag!" Er verbeugte sich elegant und drückte auf die Klinke.
"Willst du nicht noch mit uns frühstücken?", säuselte Frolinde. Sie hatte sich schneller gefangen als ihre Schwester.
"Oh, nein! Vielen Dank!", lehnte Arwed bedauernd ab. "Nach einer nächtlichen Zauberarbeit muss ich immer einen Tag fasten." Schnell trat er auf die Straße, mit dem Agami als Rückendeckung. Dann strebte er mit schnellen Schritten seinem Heim zu.
Arwed zählte seine Barschaft. Das Ergebnis war nicht überwältigend. "Eine kleine Weile können wir noch gut leben", stellte er fest. "Dann wird's problematisch." Schmerzhaft wurde ihm bewusst, dass er den eleganten Läufer, der so gut in sein Vorzimmer gepasst hätte, nun nicht kaufen konnte. Der nächste Fall wird hoffentlich mehr abwerfen, tröstete er sich selbst in Gedanken. Der nächste Fall? Die Sache mit Kollingers lag nun schon vier Tage zurück, in denen zwar immer wieder kleine Geschenke von dankbaren Leuten, die ihr lange vermisstes Eigentum zurück erhalten hatten, eingetroffen waren. Doch Geld war bisher nicht dabei.
"Du kriegst Besuch, Langer!", krähte Gaspard, der am Fensterbrett saß.
Schnell strich sich der Magier über seine braunen Locken. Da klopfte es schon an der Tür. Wenig später führte Tschrt'schlog einen dicklichen Mann mit dünnem; graubraunem Haar und einer dicken Hornbrille auf der kleinen spitzen Nase in Arweds Arbeitszimmer.
"Was kann ich für dich tun?", fragte der junge Mann hoffnungsvoll. Vielleicht war es ja ein Klient.
"Ich bin der Finanzbeauftragte der Präfektur", quetschte der Dicke heraus und legte eine kleine quadratische Schatulle aus poliertem Holz auf Arweds Schreibtisch. "Der Präfekt verleiht dir diesen Orden für die Auffindung des seit langem vermissten silbernen Bestecksets." Ein tiefer Seufzer entrang sich ihm als er noch einen kleinen Beutel daneben legte. "Und das ist die dafür ausgesetzte Belohnung." Man konnte sehen wie ungern er das Geld aus der Hand gab.
"Oh!" Arweds grün-goldene Augen weiteten sich überrascht. Ein Orden und ein paar Dublonen Belohnung, besser als nichts, dachte er. Der Beamte erhob sich und verließ mit einem knappen Gruß das Haus.
"Da kommt noch einer!", rief Gaspard vom Fenster her. Im nächsten Moment erzitterte das Haus unter wuchtigen Schlägen gegen die Haustür.
Der Magier hörte Tschrt'schlog wütend zischen, dann ging die Tür auf und der hässlichste Troll, den Arwed je gesehen hatte, trat ein. Er trug die blitzblaue Robe der Mog-Priester über seinem massigen Körper und eine komplizierte, graue Haube auf seinem verwitterten, grünen Schädel. Mit Schwung wuchtete er einen dicken Sack auf den Schreibtisch. Als er zu sprechen begann, hüllte Arwed eine übelriechende Wolke ein. "Die Synode der Getreuen des einzigen Gottes Mog hat beschlossen, dir die Belohnung für die Auffindung der sechzehn heiligen Statuen zuzuerkennen." Arwed konnte nur mit offenem Mund starren. "Du scheinst überrascht", meinte der Priester und zeigte grinsend einen abgebrochenen Fangzahn. "Vor zwei Tagen kam ein Kobold mit den Figuren zu uns und sagte, du hättest ihn geschickt. Wo waren sie die ganze Zeit? Das hat er uns nämlich nicht verraten."
"Ist das wichtig?", wich Arwed zögernd aus. Obwohl er Diebstahl verabscheute, hatte ihn der Charme der alten Damen dennoch berührt. "Ich habe mich verpflichtet zu schweigen."
Der Mog-Priester schien die Antwort nicht zu mögen. Dennoch sagte er ruhig: "So schweig. Denn wer sein Wort bricht, der wird von Mog verstoßen." Umständlich verabschiedete er sich.
"Wir sind reich!", rief Gaspard als sie wieder allein waren. "Das sind Latrobe-Diamanten der besten Qualität!" Natürlich hatte das neugierige Geschöpf seine Nase in den Sack stecken müssen.
"Woher wussten all die Leute, dass ich dahinter steckte?", forschte der Magier. "Ich habe Honoré nicht angewiesen ..."
"Das habe ich gemacht, Langer", gab Gaspard herablassend zu. "Du denkst doch nur bis zum Ende deiner lächerlich spitzen Nase. Außerdem war ich dir etwas schuldig, weil du meinen Sohn freigelassen hast. Es genügt, dass ich dein Gefangener bin."
"Und eine Nachspeise haben wir auch!", ergänzte Tschrt'schlog und betrat mit einem runden Korb den Raum, aus dem es verführerisch nach Mandeln duftete. "Das wurde eben abgegeben", sagte er.
Arwed sah den Kobold an, der mit trübsinnigem Blick auf dem Tintenfaß saß. "Du hast auch die Freiheit verdient", sagte er, einem spontanen Impuls nachgebend. Gaspards Kopf fuhr hoch. "Was hast du gesagt?"
"Ich gebe dich frei, Gaspard von den Hügeln. Du kannst hingehen, wohin du willst." Müde zog er den Korb näher. "Willst du ein Stück Kuchen zum Abschied?"
Die winzigen Nasenflügel blähten sich als sich der Kleine über den Korb beugte. "Und wenn ich hierbleiben will?", fragte er lauernd. "Das Haus gefällt mir und bei einer 30%igen Gewinnbeteiligung wäre ich bereit, dich weiterhin zu unterstützen. Ohne mich bist du doch aufgeschmissen."
Ungläubig starrte Arwed den Kobold an. "Du willst freiwillig bei mir bleiben?"
"Natürlich! Hast du eine Ahnung, wie schwer ein gutes Quartier zu finden ist? Und dann die Kosten für die Einrichtung. Und wenn du Pech hast, gibt es auch noch eklige Mitbewohner, die jeden Keks nummerieren."
"Gut, ich bin einverstanden. Aber über die geschäftlichen Formalitäten sprechen wir noch. Das müssen wir feiern. Tschrt'schlog, bring Kuchenteller und ein Messer", rief der Magier erfreut.
"Tschrt'schlog, wirf den Kuchen in den Müll!", widersprach Gaspard. "In der Konditorei in der Spinnenstraße gibt es eine Erdbeertorte, die viel besser schmeckt."
"Aber, Gaspard, was soll das?", wunderte sich Arwed.
"Dieser Kuchen ist von den Kollinger-schwestern und außerdem vergiftet", dozierte das Männlein und musterte hämisch grinsend die betretenen Gesichter der beiden. "Na, was hab ich gesagt? Ohne mich wärt ihr beiden jetzt schon Geschichte."


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