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ZEITWEISE ZEITLOS - JÄGER UND GEJAGTER

von Andreas Leder



"Dein Bruder hat schon gewusst, warum er dich im Auge behält, Peregrinus", sprach ich ihn an. "Du bist ein asoziales, egoistisches und egozentrisches Wesen und außerdem bist du ein ..."
"Wie hast du mich so schnell gefunden?" unterbrach er mich und ich spürte, dass er den Raum um sich herum vorbereitete, um schneller in der Zeit verschwinden zu können. Aber damit hatte ich gerechnet. Ich packte ihn in eine Zeitschleife, jetzt konnte er mir nicht mehr entkommen.
"He, das ist gemein, das habe ich auch nicht mit dir gemacht", begehrte er auf.
"Ganz klar, weil du es nicht kannst", gab ich mit Genugtuung zurück.
"Glaubst du?" hörte ich ihn noch, dann war er fort.
Verdammt! Wie hat er das nur wieder hinbekommen?

Peregrinus war, nachdem er seinen Bruder Planus, den früheren Aeternus, niedergeschlagen hatte, in der Zeit verschwunden. Ich war sehr bestürzt darüber, dass Planus das nicht überlebt hatte. Nachdem ich also Planus' Körper in seine Zeitquanten aufgelöst und in die Unendlichkeit entlassen hatte, machte ich mich auf die Suche nach Peregrinus.
Dass er schlau, erfahren und verschlagen war, wusste ich aus früheren Begegnungen. Und bei meiner Suche nach ihm erinnerte ich mich daran, dass er eine Vorliebe für Schwarze Löcher hegte.
Gut, die gab's leider massenweise, trotzdem wollte ich mich mit ihnen befassen.
Schwarze Löcher verbiegen nicht nur den Raum sondern auch die Zeit. Ich hatte Geschichten gehört, dass nur Aeternus kein Problem mit diesen Schwerkraftriesen hatte. Er wusste mit der Zeit so umzugehen, dass sie ihn am Ereignishorizont nicht festhielt, wie es mir einmal passiert war. Ich hatte eine halbe Ewigkeit benötigt, wieder herauszukommen. Das war zum Glück meine einzige Erfahrung damit. Trotzdem sollte es möglich sein, wenn man geschickt genug war, sowohl hinein, als auch wieder heraus zu kommen - also hinter den Ereignishorizont und wieder zurück.
Jetzt war ich Aeternus, aber war ich auch so geschickt? Reichten meine neu gewonnenen Kräfte aus, einen Ausflug in ein Schwarzes Loch ohne Zeitverlust zu überstehen? Als grundsätzlich positiv denkendes Wesen ging ich einmal davon aus. Trotzdem wollte ich Sicherheit und übte zuerst einmal mit ein paar Neuronensternen, die schon so schwer waren, dass sie in kurzer Zeit zum Schwarzen Loch kollabieren würden.
Während ich also in den verschiedensten Universen den Umgang mit zerbröckelnder, zerfasernder, verzerrter, spiraliger, sich drehender und entarteter Zeit am Ereignishorizont verschiedener Schwarzer Löcher übte, ließ ich immer wieder meine Sinne schweifen. Nein, Peregrinus verhielt sich entweder sehr ruhig oder er war so vorsichtig, dass mir nicht auffiel, was er trieb.
Ich begab mich auch immer wieder an das Ende der Zeit, um zu sehen, ob er an seinem Zeitlosen Raum weiterarbeitete, konnte aber keine Veränderungen feststellen.
Langsam wurden meine Sinne schärfer, ich wurde sicherer und auch schneller. Jetzt erst erkannte ich, dass es nicht nur die sensiblere Wahrnehmung, sondern auch die Schnelligkeit war, die mir als Aeternus Vorteile brachte.
Ich hatte mir ein paar Routen durch die näheren Universen zu Recht gelegt, die ich öfters absuchte, in der Hoffnung, Peregrinus habhaft zu werden. Dabei gelang es mir manchmal mit der Runde fertig zu sein, bevor ich noch angefangen hatte. Das war dann immer ein Spaß, wenn ich mich sah, bevor ich aufbrach. Beim zweiten Mal wusste ich zwar, dass ich hinter mir stand und mich beobachtete, hütete mich aber, zurück zu schauen. Wer wollte sich schon selbst in die Augen sehen?
Aber das alles waren nur Randerscheinungen.
Mein Zorn auf Peregrinus war nach wie vor ungebrochen. Er hatte Planus getötet, den früheren Aeternus, der so etwas wie mein Vater gewesen war. Auf jeden Fall musste diese Tat gesühnt werden.
Auch Zeitwächter haben sich an Regeln zu halten und eine davon ist, dass man aus böswilliger Absicht heraus keinem Wesen einen Teil seiner Lebenszeit wegnehmen durfte.
Ich hatte mir zwar noch nicht überlegt, was ich mit Peregrinus tun würde, wenn ich seiner habhaft geworden wäre, aber als Aeternus war ich Ankläger, Richter und Vollstrecker in einer Person.
Während ich also daran arbeitet, immer besser zu werden, und nebenbei den anderen Zeitwächtern bei manchen interuniversellen und interdimensionalen Zeitbrüchen beistand, erkannte ich schön langsam ein Muster hinter den Geschehnissen der letzten Ewigkeiten. Peregrinus hatte etwas vor, ich wusste nur noch nicht was es war, wann es stattfinden sollte und wo er war.
Üblicherweise hatte ich mich an das Ende der Zeit zurückgezogen, um zu meditieren, zu mir zu finden, neue Kräfte zu schöpfen. Diesmal wollte ich bewusst etwas Anderes und begab mich den mühsamen Weg zurück an den Anfang der Zeit. Mühsam war der Weg deshalb, weil ganz am Anfang die Zeit zwar schon vorhanden war, aber noch kein Strom, der einen Zeitwächter tragen konnte. Ich musste mich ganz vorsichtig zwischen den zeitlosen Zonen bewegen, sonst hätte ich sicher wieder die eine oder andere Ewigkeit verbraucht, mich aus so einer Zone ohne Zeit zu befreien.
Und wie ich mich so vorsichtig in der Zeit zurücktastet, abgelenkt von den absonderlichsten Zeiterscheinungen, spürte ich plötzlich, dass Peregrinus hier war. Hier, irgendwo zwischen all den Anomalien hatte er es sich gemütlich gemacht und plante offensichtlich etwas, das sicher nicht positiv auf die verschiedenen Universen wirken würde.
Ja, hier zwischen all den zeitlosen Zonen und Räumen musste sich Peregrinus wohl fühlen. Ich nahm sogar ganz fest an, dass er hier die meisten Teile seines zeitlosen Raums fand, die er später und an einem ganz anderen Ort zu einem zeitlosen Universum zusammensetzte.
Damit er mich nicht erspürte, umgab ich mich mit ein paar Anomalien, mit denen ich relativ leicht umgehen konnte. Verdrehte Zeit in der linken Hosentasche, ein paar überschwappende Zeitspalten auf der anderen Seite eingesteckt und einen kleinen rückwärts laufenden Zeitvektor, der mich nicht stark behinderte, packte ich mir auf den Rücken.
Nein, die Hände reiben konnte ich mir noch nicht, Peregrinus war ja noch frei. Langsam bewegte ich mich durch die Zeit und kam ihm immer näher. Diesmal achtete ich auf seine kleinen Spielereien, die meistens mit Schwarzen Löchern zu tun hatten, doch hier gab es noch kaum welche, die Zeit war einfach noch nicht fortgeschritten genug dafür.
Als ich hinter ihm stand, verborgen von einer sich logisch logarithmisch drehenden Zeitwolke, musste ich bedauernd lächeln. Schon wieder baute er aus Zeitabfällen ein Haus, in das er Raum einlagert, der noch nicht vom ersten Zeitquant betroffen war und in dem somit auch keine Zeit verging. Hatte er so große Angst davor, dass die Zeit verging? Ich verstand nicht, warum er dem Strom der Zeit mit Hilfe eines zeitlosen Raumes entfliehen wollte.
Langsam dehnte ich die Wolke aus drehender Zeit aus, erfasste mit ihren Ausläufern ein paar zeitlose Zonen und verwob das Ganze mit ein paar zufällig generierten Zeitvektoren.
Natürlich bemerkte es Peregrinus in dem Moment, als ich das Gebilde über ihn und mich stülpte. Er wäre mir auch wieder entkommen, doch ich hatte die letzte Öffnung, die ich erst nachher verschließen konnte, mit einem retrograden Zeitvektor ohne Ankerpunkt versehen. Kein anderer Zeitwächter außer mir kann mit solchen Gebilden umgehen. Auch er nicht und wurde daher zurück in den von mir erzeugten Kokon aus entarteter Zeit geschleudert.
Keuchend lag er vor meinen Füßen.
"Du Hund, du!" schleuderte er mir entgegen.
"Vergiss nicht, dass es jetzt noch keine Hunde gibt!" entgegnete ich ruhig und verhinderte, dass er mit seinen Sinnen die Struktur des Käfigs erforschte, den ich für ihn und mich geschaffen hatte.
"Warum verfolgst du mich?" wollte er jetzt wissen.
Ich schaute ihn lange an, blickte geradewegs in seine unergründlich tiefen Augen, die auch ein bisschen von der Zeitlosigkeit widerspiegelten, die ich schon beim ermordeten Planus gesehen hatte.
"Du hast deinen Bruder getötet. Und weder mir, noch dir, noch einem anderen Zeitwächter ist es gestattet, einem Lebewesen absichtlich einen Teil seiner Lebenszeit wegzunehmen."
"Du hast sogar deine Geliebte umgebracht", argumentierte er jetzt etwas unter der Gürtellinie.
"Ich müsste zwar auf diesen Vorwurf nicht eingehen, aber du weißt, dass es erstens ein Unfall war und zweitens habe ich deinem Bruder große Vorwürfe gemacht,..."
"Das macht sie aber auch nicht wieder lebendig", unterbrach er mich.
"Ja, das ist richtig. Fakt ist, dass ich sie nicht absichtlich getötet habe, so wie du deinen Bruder."
"Du kannst mich dafür nicht bestrafen", begehrte er auf. "Wer bist du denn schon, du Emporkömmling."
"Ich werde dich nicht bestrafen, ich werde dich zur Rechenschaft ziehen", klärte ich ihn auf. Mit höhnischem Gelächter antwortete er mir.
Ich hatte unterdessen den Kokon, in dem wir uns befanden, weiterbefördert. Jetzt umgab uns schon seit längerem ein mächtiger Zeitstrom, der ihm die beste Gelegenheit bieten würde zu fliehen, wenn er es nur wüsste. Als wir in der richtigen Zeit und im richtigen Universum angelangt waren, stoppte ich. Mit großer Behutsamkeit griff ich mit meinen Sinnen nach ihm. Er bäumte sich auf.
"Nein, das darfst du nicht! Das kannst du nicht tun!" schrie er mich an.
Langsam, Stück für Stück, nahm ich ihm seine Fähigkeiten die Zeit zu manipulieren, entfernte ein Zeitquant nach dem anderen aus ihm. Schlussendlich stand er, nur mehr geschützt durch eine dünne Hülle still stehender Zeit vor mir, ein Lebewesen, wie sie hier geboren wurden, lebten und starben. Ich genoss es wirklich nicht, die Angst vor der langsam ablaufenden Zukunft in seinen Augen zu sehen, vor einem Leben, in dem er nicht mehr zurückgehen, einen anderen Anfang oder einen neuen Weg wählen konnte.
In dem Moment, in dem ich die still stehende Zeit rund um ihn zusammenbrechen ließ, nahm ich ihm auch die Erinnerung an seine frühere Existenz. Jetzt hieß es für ihn vorwärts zu schauen und aus seinen neuen Erfahrungen zu lernen.
Ich hingegen konnte mich wieder meinen üblichen Problemen widmen - Zeit hatte ich ja jetzt wieder wirklich genug.


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