ARTIKEL


GEISTERGESCHICHTEN

von Eva Kalvoda



Geister sind ein alter Hut, über den wir alles wissen, so glauben wir zumindest. Geht ein Geist um, der im Leben ein blutrünstiger Irrer war, so wurde er sicher von einem seiner Opfer verflucht, und muss nun in alle Ewigkeit umherwandeln. Oder wurde eine unschuldige Jungfrau getötet, geht ihr Geist um, bis ihr Tod gerächt, oder optional: ihre Knochen gefunden und gesegnet beerdigt werden.
Wir brauchen aber gar nicht weit zu gehen, um Geister zu finden, die nicht in solche einfachen Schubladen passen. Jeder Wiener weiß, dass Sissi's Geist in Schönbrunn umgeht. Dort sieht man sie an ihrem Frisiertisch sitzen, während ihr Fanny, ihre Friseurin die Haare macht. Das ist aber im Lichte dessen, was wir über Geister zu wissen meinen, eine ziemlich seltsame Erscheinung.
Sissi war in Schönbrunn und bei ihrem Gatten höchst unglücklich, warum sollte sie also ausgerechnet dort spuken. Wegen ihres unnatürlichen Ablebens wohl kaum, der Täter wurde gefasst, die Tat gesühnt, und all dies fand weit weg von Wien statt. Vielleicht aus schlechtem Gewissen? Weil sie ihre Pflichten als Kaiserin und Gattin nicht oft und nicht gerne erfüllte? Möglich, aber was hat die arme Fanny Feifalik damit zu tun. Soweit wir wissen, war sie eine treue Seele, deren böseste Tat es war, die Kaiserin bezüglich ihres Haarausfalles zu beschummeln. Muss sie deshalb auf ihre ewige Ruhe verzichten? Wäre dem so, könnten wir uns vor Geistern gar nicht retten!
Es muß also eine andere Erklärung für diesen Spuk geben, der sich den Regeln des Geisterhaften entzieht.
Diese kleine seltsame Erscheinung sozusagen vor meiner Haustüre hat mich nachdenklich gemacht. Und neugierig!
Auf den Spuren von Erscheinungen, die sich den gängigen Erklärungen entziehen, habe ich im Heimatland der Spukgestalten viele sonderbare Dinge gefunden. Nein, natürlich war ich nicht in England und habe dort jeden Stein nach seltsamen Geistern umgedreht. Ich folgte der Spukspur in der Literatur, von der es unglaubliche Mengen gibt. Ich bin also nicht die erste, die sich über sonderbare Geister wundert. (Dass die Geister des Tower ausschließlich auf Englisch erschienen sind, hat mich hart getroffen.)
Wenn ihr jetzt aber wissenschaftlich korrekte Erklärungen für all die Absonderlichkeiten der diversen Geister und Spukerscheinungen erwartet, muss ich euch leider enttäuschen. Dieser Artikel ist eine Aufeinanderreihung von Fragen, zur deren Antworten ich manchmal nicht einmal Vermutungen vorweisen kann. Und manchmal zähl ich auch nur Fakten, ähh, Geister auf, weil sie so schön kurios sind. Es gibt nämlich in Britannien derartig viele Geister, das schon der Versuch, sie in Klassen zu kategorisieren, ein Lebenswerk darstellen würde.
Und der Brückenschlag von Wien nach England ist gar nicht so weit. Bleiben wir gleich bei weiblichen, gekrönten Häuptern, springt einem sofort Maria Stuart ins Auge. Ihr Geist geht an vielen Orten um. Nicht nur an den Orten ihrer Gefangenschaft und Hinrichtung, nein, sie spukt auch in Borthwick Castle, wo sie sich in ihren Flitterwochen als Junge verkleidete, um sich aus dem Schloss zu schleichen. Maria Stuart geht also nicht nur an Orten um, an denen ihr Unrecht widerfuhr.
Ebenso wie die unglückliche Anne Boleyn, die natürlich im Tower spukt, schließlich wurde ihr dort der Kopf abgeschlagen. Nein, Anne kommt viel herum. Sie schließt sich gerne Prozessionen in Kathedralen an. Sie spukt in Lambeth Palace, wo sie ihre Anklage erhielt, sie spukt am Weg zum Tower in einem Boot, und sie spukt an vielen Orten ihre Kindheit, wie zum Beispiel auf Blickling Hall, wo sie aufwuchs. Allerdings muss sie Blickling Hall mit ihrem Vater teilen, der dort auch spukt.
Wie erklären wir nun, dass diese beiden hoch wohl geborenen Damen derartig viel beschäftigt umherspuken? Und nicht nur an verständlichen Orten, sondern gerade im Gegenteil zu unserer Sissi, auch auf Burgen, wo sie doch recht glücklich waren? Vielleicht hatten sie ja noch ein wenig Zeit zwischen dem Auftritt im Tower und dem nächsten?
Anne Boleyn ist übrigens einer der meist beschäftigten Geister Groß Britanniens. Wie sie das alles hinbekommt wissen nur die Götter.
Britische Geister fallen überhaupt ein wenig aus der Norm. Da gibt es Mönche (Ohh Ja!! Warum so viele Mönche und Priester in Britannien spuken ist eines der sonderbarsten Dinge überhaupt, wenn man theologisch darüber nachdenkt!), also da gibt es Mönche, die bis zu dreißig Zentimetern über dem Fußboden einherspuken. Je nach dem, wie viel Boden seit ihrem Tod "abgenützt" wurde. Okay, es gibt schließlich auch Geister, die durch nicht mehr vorhandene Türen verschwinden, oder auf längst entfernten Zwischenböden herumspuken. Ja, es gibt sogar einen, der bis zu den Knöcheln im Boden steckt, weil die heutigen Besitzer den Fußboden aufstocken ließen. Und einer lies eine Feier in Walworth Castle platzen, als er neben dem Schloss auf halber Höhe zu den Wänden entlang spazierte, dort, wo früher der alte Teil der Burg war. Ich bin sicher, er hatte nicht die Absicht, die Gäste zu erschrecken, dennoch wollten die nicht mehr weiterfeiern.
Aber einmal ehrlich, das ist schon ein wenig übertrieben konservativ, was diese Geister da abziehen. Die weiße Lady die in drei Metern Höhe durch eine jetzt sieben Meter hohe Halle wandert kann einen schon irritieren. Vor allem, da dies kein einheitliches Verhalten ist.
Es gibt auf der anderen Seite nämlich auch Geister, die sich soweit an die Gegenwart angepasst haben, das sie zweihundert Meter weit weg vom alten Turmzimmer spuken, weil der alte Turm nicht mehr steht, aber das neue Herrenhaus einen höchst komfortablen Dachboden aufweist. Da ist es doch egal, ob man sein Leben in gerade jenem Turm aushauchte.
Oder Banshees, die aus Ermangelung an Nachkommen ihrer Familien nunmehr den Mond anheulen. Ehrlich! Zumindest fällt mir keine bessere Erklärung dafür ein, wenn eine Banshee in den Ruinen des Stammhauses heult, wenn es gar keinen Menschen mehr gibt, der zu dieser Familie gehört, weil die ausgestorben ist. Oh, äh, mein kleiner Boggart flüstert mir gerade ins Ohr, das es bei Menschen anders heißen muss. Also wenn die Familie erloschen ist.
Natürlich könnte man in so einem Fall noch argumentieren, dass es irgendwo noch einen aus illegitimen Verbindungen stammenden Nachkommen gibt, aber wetten würde ich nicht darauf. Vielleicht ist sie ja streng konservativ, und weil sie immer dort geheult hat, macht sie das auch weiterhin.
Da kann ich ja den Boy in Pink noch besser verstehen. Der knutscht die Gäste des Hauses Renishaw, das heißt er schleicht in ein bestimmtes Zimmer, wenn eine Frau darin schläft, und küsst sie höchst unkeusch auf den Mund. Nicht verwunderlich, das er Kissing Ghost genannt wird. Womöglich will er im Tod nachholen, wofür er im Leben (seiner Meinung nach) zu wenig Zeit hatte. Das finde ich höchst modern, denn wer hat heute noch genügend Zeit für all das, was er noch tun möchte?
Richtig seltsam finde ich allerdings den Geist eines Minenarbeiters in Sheldon. Anscheinend hält er sich für Jesus, denn er kann auf Wasser stehen. Und dort wo er steht, war früher garantiert kein Boden! Warum also steht er dort? Der Show wegen kann es nicht sein, weil es nicht so oft vorkommt, dass sich Touristen in gesperrte Minen verirren.
Auch die Vielzahl an regelmäßig auftretenden Geistern ist in Britannien geradezu unglaublich, so als hätten alle einen stets aktuellen Kalender einstecken.
Lady Blunt zum Beispiel erscheint regelmäßig jedes Jahr am 30. Oktober im Garten von Lydiard Millicent, und das obwohl sie seit über zweihundert Jahren tot ist. Nein, das ist nicht ihr Todestag. Das ist der Tag, an dem sie mit ansehen musste, wie ihr damaliger Verlobter ermordet wurde. Das seltsame daran ist nur: er wurde gar nicht in diesem Garten ermordet! Auch geschah der späteren Lady Blunt dabei kein Leid, wenn man von dem grausamen Verlust an sich absieht. Wie kann ein Geist einerseits so zuverlässig jedes Jahr am selben Tag und zur selben Zeit erscheinen, beim Ort seines Erscheinens aber andererseits so nachlässig sein?
In Wadsley erscheint jeden Abend eine weiße Frau, die verzweifelt klagend die Arme in die Höhe wirft, oh, sie klagt aber stumm. Vielleicht ist das der Grund, warum sie nicht sehr pünktlich ist, wenn man stumm ist, kann man schließlich nicht nach der Zeit fragen. Daher taucht sie manchmal schon um neun Uhr auf, und manchmal erst um elf Uhr.
In Egremont erscheint immer an Heiligabend der Geist eines Bergbauern samt zugehörigem Pony. Vielleicht weil er im Mittelalter an Heiligabend verschwand.
Und nicht zuletzt sei auf Herold Noman verwiesen, der 1947 während der Aufführung von MacBeth auf der Bühne getötet wurde. Donnerstags gibt er Extravorstellungen, bis heute!
Tom Crocker, einer von Britanniens berühmtesten Piraten, wandert jedes Jahr in der dritten Augustwoche über Burgh Island. Das immer zu dieser Zeit ein Festival zum Andenken des Piraten stattfindet, ist sicherlich nur Zufall.
Und ein wirklich pünktlicher Geist ist der von Kentisbeare in Devon. Der fährt jede Nacht zur Geisterstunde Roller! Er starb vermutlich nicht mit diesem Roller, tatsächlich aber kann niemand überhaupt sagen, wer dieser Geist im Leben war. Und trotzdem fährt er unbeeindruckt jede Nacht weiter. Ein Roller ist übrigens ein landwirtschaftlich genutzter Schlitten, der von Pferden gezogen wurde. Unser Geist verzichtet allerdings auf diese Grundausstattung und fährt Pferdelos.
Die vielen Geisterschlachten die jedes Jahr zur selben Zeit stattfinden, werde ich hier nicht extra anführen, möchte sie aber als Beispiel für die gute zeitliche Organisation der britischen Geister erwähnt haben. Schließlich müssen dafür fast jedes Monat in irgendeinem Teil von Britannien alle zugehörigen Geister zu selben Zeit auftauchen.
Wirklich kurios wird es, wenn wir uns die vielen unbelebten Geister ansehen. Ähh, okay, das war jetzt nicht der richtige Ausdruck. Natürlich sind Geister an sich immer schon tot und von daher auch unbelebt. Aber sie haben einmal gelebt! Früher! Nun gibt es aber in Britannien auch jede Menge von ehemals unbelebten Geistern. Und ich spreche nicht von den Geisterkutschen, die ich auf Anwesenheit der dazugehörigen "echten" Geister zurückführe. Nein, ich meine Glocken, Kanonen, Brücken, Steine oder auch ganze Gebäude.
Da gibt es zum Beispiel eine Kirche, die sich selbst in Geisterflammen hüllt, wenn ein Mitglied der hier herrschenden Familie im Sterben liegt. Wie macht sie das? Ich meine, es ist schließlich eine Kirche: Steine, Steine, okay auch ein paar Holzbänke, aber hauptsächlich Steine! Oder die Geisterglocke von Forrabury. Die erklingt obwohl sie doch mit dem Schiff auf dem sie transportiert wurde unterging.
Da gibt es eine Kanone, die es nicht mehr gibt, aber immer noch schießt!
Und schließlich kennt jeder Drakes Trommel, die ertönt, wenn England Unheil droht. Aber sie wird nicht etwa von Drakes Geist geschlagen, der geht wo anders um (in halb England, um genau zu sein, auch recht viel beschäftigt dieser Geist), sie erklingt, um Drake aufzuwecken, auf dass er Englands Feinde bekämpfe.
Sie schlägt also von ganz alleine! Nicht, dass ich so einer Trommel einen schlechten Leumund nachsagen will, aber die meisten Menschen würden glatt behaupten, dass eine Trommel keine Seele hat. Wie also spukt sie?
Überhaupt scheint es in Britannien an jeder Ecke ein altes Musikinstrument zu geben, das von selber spielt.
Und Geisterschiffe, Geisterflugzeuge, und auch Geisterzüge wie der im Box-Tunnel, den man immer nur hört aber nie sieht, auch sie sind zuhauf in Old Britain zu finden.
Von den Tiergeistern fange ich besser gar nicht erst an. Praktisch jedes Dorf hat einen schwarzen Hund, mal mit Kopf mal ohne. Kopflose Pferde sind auch keine Seltenheit, und Athelhampton House kann sogar einen Geister-Affen vorweisen, der irrtümlich mit seiner Herrin sterben musste, als sich diese egoistische Dame in einem versperrten Geheimzimmer umbrachte. Aber nicht, dass dieses unmögliche Ding spuken muss, um den Tod des Affen zu sühnen, nein, der arme Affe ist's der umgeht. In St. Donat's Castle geht ein toter Panther um, jawohl: schwarz, vier Pfoten, kräftiges Gebiss. (Übrigens dasselbe Castle, das über ein selbstspielendes Klavier verfügt.) Und in Binhamy Castle spukt der Geist eines weißen Hasen.
Abschließen möchte ich diesen kleinen Auszug aus den geisterhaften Unmöglichkeiten mit einer höchst britischen Heimsuchung, auch wenn es sich dabei normalerweise nicht um Geister handelt: In Crondall in Hampshire spukt eine ganze Herde - Schafe!


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