STORIES


GOLCONDA

Folge 6

von Susanne Stahr



Im Finanzamt

Arwed unterdrückte den Drang schreiend auf den Tisch zu springen und presste stattdessen abwehrend die Hände gegen die Schreibunterlage. Sechzehn kleine Agami wuselten fröhlich in seinem Arbeitszimmer herum. Mitten darin stand Tschrt-schlog mit stolz geschwellter Brust. Seine Schuppen leuchteten im Dunkelblau höchster Freude, vermischt mit stolzem Lila.
"Das ist also dein jüngstes Gelege?", brachte der junge Magier mühsam hervor während eine winzige, dreifingrige Hand seine dünnen Waden betasteten.
Gaspard saß am Bücherregal und wollte sich schier ausschütten vor Lachen. Die bösen Blicke seines vormaligen Meisters ignorierte er geflissentlich. Arwed hatte ihm nach der Sache mit den Zwillingen die Freiheit gegeben. Eigentlich hätte der Kobold das Haus verlassen können. Doch er hatte sich zum Bleiben entschieden, nachdem er mit Arwed nach zähem Ringen einen Arbeitsvertrag abgeschlossen hatte.
"Sie sind vor genau 29 Tagen geschlüpft. Als dein Sklave bitte ich dich demütig, mein jüngstes Gelege zu segnen", bat der Agami mit unterwürfig gesenktem Blick.
"Du bist nicht mein Sklave, sondern mein Angestellter!", wiederholte Arwed nun schon zum dritten Mal. "Auch habe ich keine Ahnung von den religiösen Bräuchen der Agami." In seinem Kopf entstand eine Horrorvision wie er nacheinander sechzehn kleine Agami küsste.
"Sag einfach etwas Nettes, einen guten Wunsch oder so", prustete Gaspard zwischen seinen Lachern. Tschrt-schlogs Echsenschädel nickte dazu eifrig und hoffnungsvolles Hellblau mischte sich in das freudige Dunkelblau.
"Was soll ich denn sagen?", rief Arwed in seiner Bedrängnis verzweifelt aus. "Ich wünschte, die ganze Bande wäre längst erwachsen und hätte ihre eigenen Gelege?" Erstaunt sah er wie sich die Kleinen um ihren Vater scharten und einen Gesang anstimmten, der so viele Dissonanzen enthielt, dass Arwed die Ohren schlackerten.
Als das Lied zu Ende war, rief Tschrt-schlog begeistert: "Ich danke dir, Meister Arwed!" und streichelte mit einer weiträumigen Handbewegung über die Köpfchen der kleinen Echsen. "Nun lass uns den Segen mit dem rituellen Schlammbad besiegeln!"
Arweds Unterkiefer klappte herunter und Gaspard krümmte sich unter einem erneuten Heiterkeitsausbruch. "Ein ... was?"
"Jetzt musst du's durchziehen, Bohnenstange", kicherte der Kobold von der Vorhangstange. "Ich helfe dir auch nachher beim Baden. Und für eine Sonderzulage putze ich auch deinen Anzug."
"Was? Ich muss mit dem Anzug ...?" Das war zuviel! In Arweds Kopf erhob sich ein dumpfes Dröhnen. Das Arbeitszimmer mit dem Echsengewimmel schien sich stetig von ihm zu entfernen. Dass er von Tschrt-schlog in den Garten geführt wurde, nahm er nur noch am Rande wahr.
Eine halbe Stunde später schleppte er sich, eine Schlammspur hinter sich her ziehend, in sein Badezimmer. Der Kobold hatte schon Wasser erhitzt und half ihm aus den matschigen Kleidern. Aufseufzend ließ er sich in den Bottich sinken. Winzige Koboldhände drückten ihn kurz unter Wasser. Als er prustend wieder auftauchte, goss der Kleine ein duftendes Shampoo über sein nasses Haar. "Du unten, ich oben!", kommandierte er und drückte Arwed ein großes Stück Lavendelseife in die Hand.
Gerade als Arwed, ein großes, lila Badetuch um seinen überschlanken Leib gewickelt, vor dem Spiegel stand und seine feuchten, braunen Locken ordnete, krachten dumpfe Schlage gegen seine Haustür.
"Ich komme", hörte er Tschrt-schlogs fröhliche Stimme, dann ein überraschtes "Oh!", gefolgt von einem "Nimm doch kurz in Meister Arweds Arbeitszimmer Platz. Der edle Magier wird dir in Kürze zur Verfügung stehen.
Ein letztes Mal kontrollierte Arwed den Sitz seines Haars, ordnete hier und da ein Löckchen und begab sich endlich in sein Arbeitszimmer. Auf einem Besucherstuhl thronte der magerste Zwerg, den Arwed je gesehen hatte, flankiert von zwei Trollwachen mit unbewegten Gesichtern. Der Unterschied zwischen diesem uralten Männchen und seinen Begleitern hätte nicht größer sein können.
Die vergoldete Kette mit dem staatlichen Siegel und die kostbare Kleidung wiesen den Besucher als einen hohen Beamten aus.
Arwed begrüßte ihn mit gebührendem Respekt und nahm hinter seinem Schreibtisch Platz. "Wie kann ich dir dienen, hoher Herr?", fragte er verbindlich.
"Ich bin Thorin Sigvaldsson, Leiter der Finanzabteilung des Senats von Golconda", stellte sich der Zwerg vor und drückte die Hühnerbrust heraus. Nachdem sich Arwed pflichtschuldigst nochmals verbeugt hatte, fuhr er fort: "Seit einigen Wochen verschwinden Gegenstände, Akten und auch Geldbeträge aus meinem Amt. Manches davon taucht an den unmöglichsten Stellen wieder auf manches ist einfach verschwunden. Geschirr und Fensterscheiben zerbrechen aus unerfindlichen Gründen. Auch sonst passieren immer wieder Dinge, die sich niemand erklären kann."
"Unkontrollierter Ausbruch von Magie", murmelte Arwed stirnrunzelnd.
"Der Präfekt meint, dass ein Kobold sein Unwesen treibt. Und da du ja Erfahrung mit Kobolden hast..."
Ein fuchsteufelswilder Gaspard materialisierte auf dem Schreibtisch. Die Ärmchen in die Hüften gestemmt, fauchte er den Beamten an: "Immer diese Pauschalverurteilungen! Ich protestiere energisch gegen diese Diskriminierung meiner Rasse!" Die lange, gelbe Feder auf seinem Hut tanzte bei dieser Rede wild vor Thorins rundem Näschen auf und ab.
Der Zwerg schielte in beängstigender Weise auf die Spitze der Feder während sein Gesicht puterrot anlief "Entferne diese freche Person!", verlangte er entrüstet.
"Das geht nicht", sagte Arwed schnell, dann rieb er überlegend sein Kinn. "Hm, ja. Wann kann ich mir die Sache denn ansehen? Durch meine Erfahrung mit Kobolden kann ich sicher leicht feststellen, ob es vielleicht noch einen anderen Grund für diese Vorkommnisse gibt." Schon wollte er sich über die Diplomatie seiner Worte freuen, da traf ihn ein verächtlicher Blick von Gaspard.
Thorin schüttelte energisch den Kopf "Der Kobold muss vernichtet werden!", erklärte er kategorisch. "Ich erwarte dich morgen früh im Amt." Hoheitsvoll schritt er auf den Ausgang zu, wo ihm Tschrt-schlog mit einer tiefen Verbeugung die Tür öffnete.
"Das wirst du nicht tun!", fauchte Gaspard erbost.
"Natürlich nicht", beschwichtigte ihn Arwed. "Das könnte ja einer deiner Verwandten sein. Er hatte kaum ausgesprochen, da meinte er, eine Horde tollwütiger Ratten hätte sich seinen Kopf als Spielplatz erkoren.
"Aua!", schrie er erschrocken und griff nach seiner Haarpracht. In Panik rannte er ins Badezimmer und stellte sich vor seinen mannshohen Spiegel. Was dieser ihm offenbarte, ließ ihn erbleichen. Gaspard saß in seinem Haar und zauste es nach Leibeskräften. In seiner Not wirkte er einen starken Abwehrzauber, der den Kobold samt einem Büschel ausgerissener Haar ins Waschbecken katapultierte, wo dieser benommen liegen blieb.
Als Erstes brachte Arwed seine Frisur wieder in Ordnung. Jedes ausgerissene Haar wurde mit einem wütenden Knurren begrüßt. Dann schnappte er sich den langsam zu sich kommenden Kobold und ging mit ihm zurück zu seinem Schreibtisch. Dort setzte er seinen Helfer vorsichtig ab.
"Nun sag einmal, was eigentlich in dich gefahren ist!", forderte er immer noch ein wenig verärgert. "Das kannst du mir doch nicht nur mit deiner Koboldehre erklären."
Das grün gekleidete Männlein zupfte seine Joppe zu Recht, wischte mit dem Ärmel über seine glänzenden Schnallenschuhe und tat auch sonst alles Mögliche, das den jungen Magier auf höchste Verlegenheit schließen ließ. Seit er Gaspard aus dem Bann entlassen hatte, war er auf den guten Willen des Kobolds angewiesen. Wenn dieser jedoch etwas sagte, so war es immer die Wahrheit. Kobolde konnten einfach nicht lügen.
"Geht es vielleicht um eine Familienangelegenheit?"; stellte er eine Vermutung an.
Schniefend und seufzend hob der Kleine den Blick. "Meine Lieblingsschwester Yvette wohnt seit hundertachtzig Jahren im Finanzamt. Die ganze Zeit hat sie nur ab und zu von den Kuchen der Beamten genascht. Aber das hat aufgehört als diese dazu übergingen, ihr jeden Tag ein Törtchen zu spenden. Nun ja, jedenfalls fast. Aber Geld gestohlen oder Fenster zerbrochen und so Sachen, wie dieser aufgeblasene Knilch erwähnt hat? Nein, niemals!"
Arwed dachte an die gelegentliche Gefräßigkeit Gaspards. Diese Schwester schien ihm ähnlich zu sein. "Wir gehen morgen gemeinsam hin und dann möchte ich mal mit ihr sprechen. Kannst du das arrangieren?" Als er sah, wie sich Gaspard ablehnend aufrichtete, sagte er schnell: "Du kannst sicher sein, dass ich deine Schwester nicht bannen werde. Bei meiner Magierehre."
Die kleinen Muskeln entspannten sich und der giftige Ausdruck verschwand von dem pausbäckigen Gesicht. "Mal sehen, was sich machen lässt", versprach er seufzend.

Das Finanzamt präsentierte sich mit der flüsternden Geschäftigkeit solcher Institutionen. Thorin erwartete den Magier wie ein König in seinem pompös ausgestatteten Büro. Dort thronte er hinter seinem kostbaren Schreibtisch. Der Geruch von Papier und Tinte war hier aber genauso präsent wie in den anderen Räumen. Über allem lag eine Aura der Gereiztheit, der sich auch Arwed nur schwer entziehen konnte.
"Du kommst spät", nörgelte Thorin von oben herab. Er sagte es wirklich von oben herab, denn der Finanzdirektor verwendete Menschenmöbel. Arwed entdeckte unter dem Schreibtisch eine kleine Treppe, mit Hilfe derer er wohl den für ihn zu hohen Stuhl erklomm.
Eine Unmutsfalte erschien zwischen Arweds Brauen. "Es tut mir leid, edler Thorin. Leider war ich noch mit einigen Vorbereitungen beschäftigt." Bezeichnend hob er seine Arbeitstasche. "Gibt es hier einen Raum, in den ich mich zurück ziehen kann?"
"Die Toilette ist neben der Garderobe der Beamten", antwortete Thorin mit gerümpfter Nase.
"Äh ... Ich würde einen ... äh, etwas geeigneteren Raum für meine Beschwörungen vorziehen", stotterte Arwed überrascht. Aus seiner Brusttasche klang ein verhaltenes Kichern. Hoffentlich hat er das nicht gehört, dachte der Magier.
"Beschwörungen?", fuhr Thorin bereits fort. "Ach so, da haben wir ein Besprechungszimmer." Er zog an einer Kordel aus goldenen Seidenfäden, die seitlich neben seinem Kopf von der Decke hing.
Wenig später betrat ein junger Mann das Büro und verbeugte sich tief "Zu Diensten, Exzellenz."
"Führe Meister Arwed in das Besprechungszimmer, Ulfried."
"Gewiss, Exzellenz. Mit Vergnügen!" Buckelnd öffnete er die Tür und machte eine einladende Geste. "Ich bitte, Meister Arwed." Mit leicht gebeugtem Rücken, den Kopf vorgestreckt lief er neben Arwed her durch einen langen Raum, in dem die Schreibtische der Beamten wie in einer Schule in langen Reihen hintereinander standen. Der junge Magier ging zwischen den Tischen durch und freute sich beim Anblick dieser vielen über Schriftstücke gebeugten Köpfe, dass er einen anderen Beruf gewählt hatte.
Ulfried sah immer wieder auf Arweds Magierabzeichen, das dieser am Revers seiner eleganten Jacke trug. Arwed schätzte ihn so in seinem Alter. Trotzdem schien dem Mann etwas anzuhaften, das ihn kindlich und unreif wirken ließ. Eine Weile druckste er herum, dann holte er tief Luft. "Meister Arwed, bist du ein Hexer oder ein Magier?"
"Ich bin diplomierter Magier", erklärte dieser indigniert.
"Dann hast du an der Magischen Universität studiert?" Er wartete nur kurz auf Arweds Nicken und fuhr gleich fort: "Welche Fakultät?"
"Luft." Arwed deutete auf sein Abzeichen, das in hellem Gelb leuchtete.
"Bis zum Diplom?", forschte Ulfried weiter.
"Natürlich! Sonst dürfte ich dieses Abzeichen doch nicht tragen." Langsam ging ihm die Fragerei auf die Nerven. Es fiel ihm immer schwerer, sich gegen die gespannte Atmosphäre zu stemmen.
"Dann kommst du aus einer großen Magierfamilie?", bohrte Ulfried unentwegt.
Arwed betrachtete den jungen Mann mit gerunzelten Brauen. "Nein. Ich bin der siebente Sohn eines siebenten Sohnes."
"Die dürfen auch Magie studieren?", wunderte sich Ulfried.
"Ja, ebenso wie besonders Begabte. Die Magische Universität ist kein Privileg der Magierfamilien."
"Hm, hm."
Sie waren vor einer Tür angelangt. Ulfried öffnete und vor Arwed lag ein nüchterner Raum mit einem langen Tisch und Stühlen darum. Zwei vorhanglose Fenster leuchteten den ansonsten kahlen Raum aus. Arwed stellte seine Tasche auf den Tisch und holte Gaspard aus seiner Brusttasche. Ulfrieds braune Augen quollen fast aus den Höhlen. Während er noch herumstotterte schob ihn Arwed zur Tür hinaus.
"Ich melde mich, wenn ich ein Ergebnis habe." Aufatmend setzte er sich auf einen der Stühle und erschrak als dieser leise ächzte.
"Das war vielleicht ein Schleimbatzen", murmelte der Kobold und erntete ein verständnisinniges Nicken.
"Gaspard! Ich möchte mit deiner Schwester sprechen."
"Wirst du sie auch sicher nicht bannen?", vergewisserte sich sein Partner noch einmal.
"Du hast mein Versprechen", bekräftigte Arwed noch einmal ernst.
"Kann eine Weile dauern." Im nächsten Augenblick war Gaspard verschwunden.
Um die Wartezeit auszufüllen nahm Arwed einige Utensilien aus seiner Tasche. Magische Kreide und einige Kräuter. Mit der Kreide schrieb er einige Runen auf den Tisch, umschloss sie mit einem Kreis und streute etwas von den Kräutern darauf. Dies sollte ihn vor negativen Einflüssen schützen. Zischend stieg blauweißer Rauch auf und zog sich kräuselnd zur Tür hin.
"So, so, dachte ich es mir doch!", brummte Arwed und drückte die Klinke nieder.
Ein dumpfes Poltern ließ ihn nachsehen. Ulfried war gerade im Begriff sich wieder aufzurappeln. "Was war denn das?", fragte er verdattert. Einige Rauchkringel hingen in den kurzen, braunen Haaren, die wie Borsten nach allen Seiten vom Kopf abstanden. Doch das Gros der bläulichen Fäden war weitergezogen zu den Reihen von Schreibtischen.
"Hast du keine Arbeit?", fuhr er den jungen Mann heftig an.
"Ich wollte nur sehen, ob du den Kobold schon gefangen hast, damit ich gleich Meister Thorin Bescheid geben kann", meinte Ulfried beflissen.
Es kostete Arwed seine ganze Beherrschung diese Mischung aus Neugier, Unterwürfigkeit und Impertinenz nicht mit einem Fausthieb aus diesem runden Gesicht zu wischen. Stattdessen schrieb sein Zeigefinger eine Rune in die Luft und die Rauchkringel in Ulfrieds Haaren lösten sich auf. Gleichzeitig sprang ein knisternder Funke auf Arweds Finger. Mit einem Wehlaut steckte dieser den Finger in den Mund.
"Bring mir Wasser und einen Schwamm!", knurrte er wütend.
Buckelnd verschwand Ulfried und Arwed fragte sich, wie es zu einer Rückkopplung magischer Energien kommen konnte, denn nichts Anderes war dieser Funke, der seinen Finger verbrannt hatte. War er beim Wirken des Zaubers schlampig gewesen? So etwas war ihm schon seit Jahren nicht mehr passiert. Vorsichtshalber schlug er in dem kleinen Runenbuch nach, das er immer in seiner Arbeitstasche hatte und verglich seine Arbeit mit den Zeichen auf dem alten Pergament. Er konnte keinen Fehler finden. Vielleicht war ja auch sein Elibraha-Kraut verdorben.
in überraschend kurzer Zeit war Ulfried mit dem Gewünschten zurück. Arwed warf ihm einen mörderischen Blick zu, den er mit kleinen Blitzen magisch verstärkte. Ulfried stellte die irdene Schüssel so hastig auf den Tisch, dass das Wasser überschwappte. Einen kleinen Schwamm warf er dazu und rannte aus dem Raum.
"Was hat der dir denn getan?", kicherte Gaspard vom anderen Tischende.
Arwed seufzte nur. Dann sah er genauer hin. Nein, das war nicht Gaspard im Doppelpack.
Zwei Kobolde standen da am Tisch. Einer davon war eindeutig eine Frau, auch wenn ihre Züge denen Gaspards sehr ähnlich waren. Das grüne Kleid spannte sich gefährlich straff um den tonnenförmigen Leib. Da sahen die funkelnden Schnallenschuhe unpassend zierlich aus.
Auf ihrem Kopf drückte ein Hut wie Gaspards, nur kleiner, auf einen Wust von braunen Locken.
"Das ist meine Schwester Yvette vom gespaltenen Stamm."
Arwed lächelte ihr grüßend zu. "Kannst du mir etwas über die ungewöhnlichen Vorgänge im Amt erzähln?"
"Können schon, aber wollen nicht", grinste die Koboldfrau listig.
"Yvette, ich ..."
"Da hast du es!", unterbrach ihn Yvette und stieß ihren Bruder mit der kleinen Faust so heftig vor die Brust, dass er sich gleich hinsetzte. "Jetzt will er mich doch bannen!"
"Aber, Yvette, liebe Schwester ... grchchch", versuchte Gaspard einzuwenden. Doch seine Schwester hatte seine Knollennase zwischen Zeige- und Mittelfinger eingeklemmt und drehte energisch.
"Ich habe Gaspard bei meiner Magierehre versprochen, dich nicht zu bannen", donnerte Arwed. "Wenn du aber weiterhin meinen Mitarbeiter tätlich angreifst, müsste ich einen Zauber gegen dich wirken."
Yvette ließ Gaspards Nase los und brummte: "Na gut. Ich bin ja nicht so."
"Ich hab's dir doch gesagt", stöhnte Gaspard und rieb sein Näschen.
"Ältere Brüder sind ätzend", seufzte sie. Arwed hätte sich fast zu einem verständnisinnigen Nicken hinreißen lassen. Schließlich hatte er sechs ältere Brüder. So brachte er ein Lächeln zustande, das hoffentlich aufmunternd wirkte.
"Hier läuft ein Dämon herum. Ich weiß nicht, von welcher Ebene. Dass er schlechte Manieren hat, ist jedoch sicher. Wenn die Blutsauger abends gegangen sind, haust er wie eine Horde Affen. Die Fenster gehen auf sein Konto. Ich musste schon zweimal umziehen, weil er meine Wohnung verwüstet hat."
"Wer hat ihn beschworen?", fragte Arwed schnell.
"Niemand." Die runden Schultern hoben sich bedauernd.
"Das gibt's doch nicht. Wer ist der Magier?", wollte Arwed noch wissen.
Doch Yvette lachte nur. "Ein Magier? Nein, ein eingebildeter Tölpel!" Und weg war sie.
"Das ist schon mal etwas", freute sich der junge Zauberer. "Ich werde ihr eine große Torte schicken."
"Damit gewinnst du ihr Herz", erklärte Gaspard ernsthaft.
Schulter zuckend machte sich Arwed an den nächsten Zauber. Nach kurzem Kramen in seiner Tasche förderte er ein rauchgraues, feines Seidentuch zutage. Sorgfältig breitete er es auf den Tisch und sprach eine kurze Zauberformel. Die Seide kräuselte sich kurz. Zufrieden pflückte er sie vom Tisch und begab sich in das große Büro.
Gaspard hatte es sich auf seiner Schulter bequem gemacht und beobachtete jeden Schritt aufmerksam.
Das Tuch an zwei gegenüber liegenden Ecken haltend trug er es langsam vor sich her. Sobald das Gewebe sich flatternd in eine Richtung neigte, folgte er dieser. Als Erstes zog ihn die Seide zu seinem Blumenstock, der auf einem Fensterbrett sein kümmerliches Dasein fristete. Ein rötlich schillernder Tupfen erschien auf dem Grau. "Hm, hm", brummte Arwed und ging weiter. Noch einige Male zog ihn das Tuch zu Schränken, Tischen oder in Ecken. Als er das ganze Büro durchwandert hatte, war das Gewebe voll roter und grüner Flecken.
"So ist das also!", murmelte er. Dann sah er sich suchend um. Alle Köpfe waren eifrig über Listen oder Rechnungen gebeugt. Er entschied sich für eine ältere Zwergin. "ich würde gern mit Meister Thonn sprechen."
Dunkle Augen maßen ihn indigniert. Dann brüllte die Frau: "Ulfried!"
Aus irgendeiner Ecke kam der Genannte hervorgeschossen. "Ja, Madame Sigruna?" Diesmal buckelte er nicht so intensiv. Es schien als stimme er seine Unterwürfigkeit auf die soziale Stellung des Betreffenden ab.
"Meister Arwed wünscht Seine Exzellenz zu sprechen. Damit wandte sie sich wieder ihren Papieren zu. Fasziniert beobachtete Arwed wie ihre Finger blitzschnell über das Rechenbrett huschten.
Ein säuerlicher Blick traf ihn. Dann setzte Ulfrieds Naturell wieder ein. "Sofort, Meister Arwed", säuselte er.
Zwei Minuten später stand er wieder Thorin gegenüber.
"Hast du den Kobold gefangen?", fragte dieser mit einem Blick auf Gaspard, der noch immer auf der Schulter des Magiers saß.
"Äh ... nein. Ich habe kurz mit ihr gesprochen. Aber …"
"Dann mach dich an die Arbeit!" Für Thorin war damit der Fall erledigt. Er wandte sich wieder einem Brief zu, der vor ihm auf dem Tisch lag.
"Meine magischen Untersuchungen haben ergeben, dass außer dem Kobold noch andere magisch begabte Wesen hier aktiv sind", fuhr Arwed ungerührt fort.
Thorin hob blinzelnd den Kopf. "Was? Andere Wesen? Was soll das?" Zornesröte stieg in das kleine, eingefallene Gesicht. Er schien es nicht gewohnt zu sein, dass man sprach, wenn er mit einer Person bereits fertig war.
Arwed biss die Zähne zusammen. Auch ihm stieg das Blut ins Gesicht. Nur der Gedanke an das zu erwartende Honorar hielt ihn zurück. "Hier sind die Spuren", erklärte er mit erzwungener Ruhe und entfaltete das Tuch.
"Willst du das Tuch verkaufen? Ich bin nicht verheiratet", wehrte Thorin ab. "Außerdem finde ich dieses Muster scheußlich."
"Das ist ein Kalendreva-Tuch zur Sichtbarmachung magischer Aktivitäten", quetschte der junge Magier zwischen den Zähnen durch. "Der Kobold bewegt sich vorwiegend in den Garderoben und im hinteren Teil des Büroraums. Dafür gibt es magisch begabte Menschen und einen Dämon der zweiten Ebene."
Thorins Augen quollen ein wenig aus den Höhlen und sein Kiefer klappte herunter. Der Ausblick auf seine Goldkronen war erschöpfend. "Menschen?", brachte er endlich heraus. "Und ein Dämon? Wo soll denn der herkommen?"
"Von der zweiten Ebene." Arwed beschloss, den Finanzdirektor wie ein schwachsinniges Kind zu behandeln. Allerdings kostete es ihm einiges an Nerven. "Es muss hier einen Hexer geben, der sich eines Dämons bedient."
"Warum fängst du nicht zuerst den Dämon bevor du auf Koboldjagd gehst? Die von der Zweiten Ebene sind doch nur bessere Schoßhunde", fragte Thorin mit gerunzelter Stirn.
"Die beiden dürften nur untergeordnete Rollen spielen", wehrte Arwed ab. "ich werde zuerst die Spuren auf der Rauchseide auswerten. Das dürfte einiges erklären. Einige wieder aufgetauchte Gegenstände wären auch sehr hilfreich."
Das Mienenspiel des Finanzdirektors verriet, dass ihm diese Eröffnungen nicht behagten. Doch wagte er Arwed nicht zu widersprechen. "Ulfried!" Sein ganzer Unmut lag in diesem Namen.
"Ja, Exzellenz!" Der junge Mann hatte den Raum nicht verlassen und war deshalb sofort zur Stelle.
"Gib Meister Arwed die blaue Tasse und vielleicht einige Splitter des Garderobefensters."
"Gewiss, Exzellenz! Mit Vergnügen, Exzellenz!", befleißigte sich Ulfried zu beteuern und hielt Arwed die Tür auf.
"Wann wirst du ein Ergebnis liefern können?", forschte Thorin schon wesentlich besser gelaunt.
"Ich habe eben erst mit meinen Ermittlungen begonnen", seufzte der Magier. "Sobald ich etwas Genaueres weiß, werde ich es dir berichten." Mit einen steifen Verbeugung verließ er den Raum. Nach wenigen Schritten fiel ihm auf, dass Gaspard verschwunden war. Ob er sich noch schnell von seiner Schwester verabschieden wollte? Achselzuckend folgte er Ulfried.
Der führte ihn in eine kleine Teeküche neben der Garderobe und holte eine hellblaue Tasse aus einem Schrank. "Diese Tasse verschwand von Madame Sigrunas Tisch und tauchte unter Meister Thorins Stuhl wieder auf".
Misstrauisch äugte Arwed auf den Rest einer goldgelben Flüssigkeit am Boden der Tasse. Zögernd hob er das Gefäß und schnupperte daran. Der säuerliche Geruch war unverkennbar. "Trinkt Madame Sigruna ihren Apfelsaft immer aus einer Tasse?", fragte er verwundert.
"Madame Sigruna trinkt nie Apfelsaft!", behauptete Ulfried im Brustton der Überzeugung.
"Da ist aber noch ein Rest drin", wandte Arwed ein.
"Unmöglich!" Ulfried begann im Mistkübel zu kramen. Zwei zackige Glasscherben holte er heraus. "Vorsicht! Da kannst du dich verletzen", meinte er ein wenig zu fürsorglich.
Arwed hob nur lässig den Zeigefinger und die scharfen Ränder quollen rund und weich auf. Der junge Finanzbeamte bekam große, runde Augen. "War das jetzt gezaubert?"
Etwas genervt nickte der Magier und packte die Scherben und die Tasse in seinen Schnappsack.
"Wie geht das? Zeig mir das!"
"Wenn du Magie wirken willst, musst du studieren oder bei einem Hexer in die Lehre gehen", lehnte Arwed ab.
Gaspard rettete ihn. Mit gewohnter Plötzlichkeit erschien er auf Arweds Schulter und krähte: "Schwing die Keulen, Langer. ich hab Hunger!"
Bevor Ulfried noch etwas sagen konnte, aktivierte Arwed das Nachtglas und ließ es im Schutz eines Unsichtbarkeitszaubers zurück. Dann verließ der Magier das Amt, mit dem festen Vorsatz, sich und Gaspard vor seinem nächsten Besuch mit einem starken Schutzzauber zu versehen.

Der Nachmittag verging mit einer Unterrichtsstunde für Violetta. Stolz stellte Arwed fest, dass das Mädchen Fortschritte machte. Seit sie mit seiner Hilfe die zweite Prüfung mit gutem Erfolg bestanden hatte, schien sie das Studium ernster zu nehmen. Parallel dazu schien ihr Respekt vor Arwed zu wachsen.
Während sie die zehn ethischen Regeln der Magie fehlerlos herunter rasselte, erfreute er sich am Glanz ihres goldblonden Haares, der feinen Zeichnung ihres Gesichts, dem sanften Schwung ihres Nackens ... Bevor sein Blick tiefer wandern konnte, war sie fertig und sah ihn erwartungsvoll an. Arwed riss sich mit einiger Anstrengung von dem süßen Anblick los. "Hm, ja, äh .... Ja, das hast du recht gut gemacht. Wer hat diese Grundsätze endgültig formuliert?"
Gerade als Violetta zu einer Antwort ansetzte, war ein Klopfen an der Tür zu hören. Tschrt-schlog rannte mit einer halb geschälten Kartoffel in der Klaue, gefolgt von seinem Gelege, los. Eine Frauenstimme schnatterte etwas, das Arwed nicht verstehen konnte. Dann hörte er seinen Diener sagen: "Meister Arwed unterrichtet gerade. Kannst du etwas später kommen?" Erneutes Schnattern. "Nein, Meister Arwed kann seine Schülerin nicht wegschicken." Das Schnattern verlegte sich um einige Stufen in eine höhere Tonlage. "Nein, Meister Arwed wird auch seinen Unterricht nicht unterbrechen. Außerdem kann er nicht entscheiden, ob dein Sohn geeignet ist. Es wäre besser, wenn du gleich mit dem Dekan der Magischen Universität redest."
Endlich klappte die Tür zu. "Noch ein Wort und ich hätte ihr die Kartoffel in den Hals gestopft!", zischte der Agami erbost. Seine Schuppen leuchteten dabei in hellem Orange während sein Gelege teils türkis, teils braun erschien.
Mit einem berückenden Augenaufschlag ratterte Violetta die Geschichte der ethischen Regeln herunter. Sie hatte wirklich gut gelernt.
"Das war sehr gut!", lobte er. "Wenn du zur Prüfung einen ... äh, etwas züchtigeren Rock anziehst, wirst du keine Schwierigkeiten haben. Meister Wunibert ist da etwas altmodisch."
"Gefällt dir mein Rock nicht?" Violetta zog einen Flunsch und blinzelte schelmisch.
Noch vor einem Monat hätte ihn das in arge Verlegenheit gebracht. Jetzt kannte er ihre Tricks. "Es war nur ein guter Rat. Ich finde deinen Rock hübsch, obwohl ich natürlich nur an deinen Fortschritten im Unterricht interessiert bin."
"Oh!", hauchte sie und schraubte sich graziös in die Höhe. Eine Wolke Veilchenduft schwebte in Arweds Nase. Warum gerade Veilchen? Das kleine Biest wusste genau, was ihn schwach machte. Ein Wink mit einem Finger ließ die Wolke verschwinden.
"Wann ist die Prüfung?", fragte er und ärgerte sich über das Kratzen in seiner Stimme.
"In vierzehn Tagen." Jetzt sah sie ihn an wie ein verletztes Reh. "Kannst du noch eine Stunde anhängen?"
"Heute nicht mehr", sagte er nach kurzer Überlegung. Er hätte das Geld gebraucht, aber Violetta trieb es heute besonders bunt. "Übermorgen. Ich habe einen Auftrag fürs Finanzamt", lehnte er ab, obwohl er am liebsten "Ja!!!" geschrien hätte.
Als ihre schwingenden Hüften endlich aus seinem Blickfeld verschwunden waren, nahm er sich die magische Seide vor. Mit geweihter Kreide zog er einen Bannkreis am Fußboden und breitete das Tuch darin auf
Er überlegte kurz, welche Spur er als Erstes verfolgen sollte und entschied sich für die grünen Zacken. Zuerst mischte er Kräuter in einer irdenen Schale und zündete sie an. Als der bläuliche Rauch sich stechend in seiner Nase bemerkbar machte, sprach er eine kurze Zauberformel. Das Grün löste sich von dem Tuch, wirbelte sich zusammenballend durch die Luft bis sich ein Gesicht aus dem Wallen schälte. Ein Wort bannte das Konterfei auf ein Blatt Papier.
Zufrieden musterte er die Züge Yvettes.
Erfreut über diesen ersten Erfolg legte der Magier das Blatt auf den Schreibtisch und wandte sich den rötlichen Spuren zu. Der Vorgang wiederholte sich. Mit dem Unterschied, dass sich nun ein anderes Gesicht aus dem Wallen löste. Eine lange Zunge hing hechelnd zwischen zwei Doppelreihen nadelspitzer Zähne hervor. Darüber blickten ihn drei handtellergroße Augen treuherzig an.
Arwed wusste, dass dazu ein sechsbeiniger Körper gehörte, der dem eines Marrenischen Bluthundes ähnelte, was bedeutete, dass er hauptsächlich aus Hautfalten bestand. Viel Schaden konnte diese Art Dämon nicht anrichten, nur kleine Zerstörungen und psychische Irritationen.
"Da bist du ja". murmelte er grimmig. "Ein Dämon der zweiten Ebene. Und wer hat dich beschworen?"
Er bannte das Bild auf ein Blatt Papier und wirkte einen neuen Zauber Ein Schemen erschien und verschwand wieder, Arwed versuchte es noch einmal, mit dem gleichen Erfolg. Er konnte den Magier nicht sichtbar machen. Ein Blick auf den tätowierten Hahn an Handgelenk zeigte ihm, dass seine magischen Kräfte praktisch erschöpft waren. Als er müde in sein Bett kroch, erschien Gaspard auf seinem Kopfkissen.
"Der Kerl, der mit seiner Magie rumschmeißt ist auch mit dem Dämon verbandelt eröffnete er.
"Was?" Arwed setzte sich kerzengerade auf Gaspard hatte ihn aus dem Halbschlaf gerissen.
"Ja. Ich konnte dein enttäuschtes Gesicht nicht mehr ertragen. Es gibt aber einige Leute, die nicht magisch begabt sind, jedoch trotzdem einiges verschwinden lassen." Er vollführte mit der Hand eine sprechende Geste.
"Willst du damit sagen, dass einige Beamte..."
"Klauen, ja!", vollendete Gaspard den Satz grinsend. "Damit wäre das Verschwinden einiger Akten und Geldbeträge zu erklären."
"Also Diebe, ganz gewöhnliche Diebe!"
"Ja, aber auch Hexer", stimmte Gaspard zu. Schlaf dich aus, wir reden morgen weiter."
"Diebe und Hexer, einer davon mit einem Dämon", resümierte Arwed nach dem Frühstück.
"Richtig!", krähte Gaspard.
"Wer ist nun der Hexer mit dem Damon? Und die Diebe?, überlegte der Magier. Wahre Horrorvisionen stiegen in seinem Geist auf. Ein ungeschulter Magier, der einen Dämon beschwor, konnte ungeahnten Schaden anrichten. Und dazu noch ein ungebannter Dämon!
Ein Räuspern trat in seine Gedanken und ließ ihn zusammen zucken. Tschrt-schlog stand vor ihm, in stolzem Lila leuchtend. "Dieser Brief wurde eben für dich abgegeben."
Verwundert sah sich Arwed um und entdeckte schließlich eine winzige Agami-Hand, die ein weißes Kuvert gegen seinen Schenkel drückte. "Vielen Dank." Er zupfte den Brief aus der kleinen Klaue und übersah großzügig die Schlammspuren auf dem feinen Papier. "Wo ist denn der Rest deines Geleges?", fragte er beiläufig.
"In Yazoohoola. Tschrt-boff hat sich in der Kartoffelkiste versteckt, weil er bei mir bleiben wollte. Ich bringe ihn noch heute Abend zu seinen vierzehn Geschwistern in den Familienmorast."
Demnach war ein kleiner Agami gestorben. Es war allgemein bekannt, dass sich ein Gelege trotz bester Fürsorge gewöhnlich in den ersten drei Monaten um ein Drittel reduzierte und diese natürliche Auslese wurde auch klaglos akzeptiert. Der Agami zog sich mit seinem Sprössling zurück und Arwed begann seinen Brief zu lesen. Das Dekanat der Magischen Universität teilte ihm mit, dass er zum Tester auserwählt worden war. Das bedeutete, dass er Personen, die Magie studieren wollten, aber keiner Magierfamilie entstammten, testen musste. Obwohl dieser Dienst verhältnismäßig gut honoriert wurde, war er doch wegen des Arbeitsaufwands nicht sehr begehrt. Deshalb schob man diese Arbeit meist jungen Magiern zu, die bereits ein wenig Erfahrung gesammelt hatten, aber noch nicht über großen Einfluss verfügten um sich davor zu drücken. Auch Arwed nahm diese Eröffnung mit gemischten Gefühlen hin. Besonders, da ihm ein erster Volontär bereits für die nächsten Tage angekündigt wurde.
"Du wirst der beste Tester aller Zeiten sein", kommentierte Gaspard den Brief feixend.
Arwed runzelte nur die Stirn. "Als Erstes muss der Dämon unschädlich gemacht werden. Wo ist mein Dämonenspürer? Gaspard, tu mal was für das gemütliche Leben, das du bei mir hast."
"Grmpf!" war alles, was der Kobold von sich gab. Dann lag die rauchige Kristallkugel vor Arwed auf der Tischplatte.
"Danke. Jetzt brauche ich nur noch mein Nachtglas."
"Das ist doch schon im Amt!", ereiferte sich der Kleine.
"Dann können wir ja gehen", freute sich Arwed und überprüfte kurz den Inhalt seines Schnappsacks. "Jetzt noch ein Schutzzauber." Sein Finger ließ in der Luft vor ihm ein feuriges Pentagramm erscheinen. Er vergewisserte sich, dass Gaspard auf seiner Schulter saß und trat hindurch.
Unterwegs besorgte er eine Torte für Yvette. Gaspard hatte ihm verraten, dass sie für Marzipan ihren rechten Arm opfern würde und Arwed kam diesem Wunsch nach.
Im Finanzamt meldete er sich wieder zuerst bei Thorin. Der Zwerg machte ein Gesicht als wollte er Arwed in einem Stück verschlingen. "Wenn du nicht bald den Kobold vernichtest, werde ich ein Arbeitsverbot für dich beantragen, fuhr er den überraschten Magier an. "Ich lasse mich auch nicht bestechen", fügte er mit einem Blick auf die Torte in Arweds Hand hinzu. In den letzten Worten glaubte der Magier jedoch einen sehnsüchtigen Unterton heraus zu hören.
"Die Koboldfrau hat mir sehr geholfen. Deshalb habe ich diese Torte als Geschenk für sie mitgebracht." Arwed hatte sich entschlossen, Thorins Drohungen zu überhören. "Um den Dämon zu bannen, brauche ich Ruhe. Könntest du viellei...
Er wurde von einem erstickten Schrei unterbrochen. "Was hast du?" Thorins Gesicht sah fürchterlich aus, puterrot mit hervor gequollenen Augen. "Du elender Stümper! Du willst sie für all ihre Untaten noch belohnen?!"
Nun fühlte Arwed die Wirkung seines Schutzzaubers. Er blieb ganz ruhig. "Ich lege den Auftrag gerne zurück, wenn du mit mir nicht zufrieden bist. Allerdings muss ich dir eine Rechnung für meine bisherigen Dienste vorlegen. Gleichzeitig werde ich eine Beschwerde bei Meister Golo, dem Dekan der luftigen Fakultät, einlegen. Deine Anwürfe sind auch eine Beleidigung der Magischen Universität."
Schon wollte er sich umdrehen und gehen, da hielt ihn Gaspard zurück. "Er kühlt bereits ah", flüsterte der Kobold in sein Ohr. "Du hast ihm's aber auch ordentlich gegeben."
"Nun ja", bequemte sich Thorin eines umgänglicheren Tons. "Ich könnte noch einmal über deine Fehler hinwegsehen. Was hast du jetzt vor?"
"Ich brauche freie Hand für meine Beschwörungen. Wenn all diese Beamten hier sind, stört das meine Magie."
"Aber ich kann sie doch nicht einfach nach Hause schicken", protestierte Thorin.
"Dann werde ich kommen, wenn sie ihren Dienst beendet haben. So gegen sechs Uhr abends?"
"Äh, ja, das wäre gut. Aber ich kann die Amtsräume nicht unbewacht lassen. Ein Wächter muss da sein", erklärte der Finanzdirektor bestimmt.
"Wenn er meine Arbeit nicht behindert, geht das in Ordnung", stimmte Arwed zu. Einen Seufzer der Erleichterung unterdrückend zog er sich zurück.
In der Garderobe wartete bereits Yvette. Auf dem Fensterbrett hatte sie sich bereits auf die Torte vorbereitet. Auf einer sauberen Serviette waren ein Teller, eine Tasse und eine Kanne, aus der es nach Kaffee duftete. angerichtet.
"Du hast einen Wunsch frei", sagte sie und lächelte dabei, dass ihre Äuglein fast in den Fettwülsten verschwanden.
"Ich wünsche mir, dass du den Angestellten hier nie wieder Kuchen klaust", antwortete Arwed rasch.
"Du hast mein Wort", gab sie schnell ernst werdend zurück. "Aber wisse, dass es mir äußerst schwer fallen wird."
Ein wenig aufgeheitert machte sich der junge Magier auf den Heimweg.
Die Sonne brannte noch hell als sich Arwed erneut auf den Weg machte. Die Schatten waren aber schon lang und die Nachtlilien in Meister Bardulfs Garten begannen bereits ihren süßen Duft zu verströmen. Schnell warf er einen Blick zu Violettas Fenster hinauf, doch seine Angebetete war nicht zu sehen. So schritt er kräftig aus und erreichte kurz nach sechs Uhr das Finanzamt.
"Ich sehe mal nach Yvette!", rief Gaspard und weg war er.
Thorin begrüßte ihn mit kühler Höflichkeit. "Du kannst das Besprechungszimmer für deine magische Arbeit verwenden. Ulfried wird dir alles bringen, was du brauchst."
Ulfried! Darüber war Arwed nicht besonders glücklich, doch sein Schutzzauber half ihm, die Fassung zu bewahren. "ich danke dir für dein Entgegenkommen", sagte er verbindlich und wandte sich um.
Ulfried wartete schon im Besprechungszimmer auf ihn. "Brauchst du etwas, Meister Arwed?", fragte er eifrig.
"Nein." Der Magier sah sich noch einmal um. "Nein, du kannst nach Hause gehen, Ulfried."
"Das darf ich nicht", eröffnete ihm dieser. "Meister Thorin hat mir den Schlüssel gegeben. Ich muss hinter dir das Amt absperren." Im Bewusstsein seiner Wichtigkeit schien er zu wachsen. Mit ernster Miene setzte er sich an den langen Tisch und sah Arwed erwartungsvoll an.
"Nun denn," seufzte der Magier. "Bleib, wo du bist, rühr nichts an und sprich kein Wort, was immer auch geschieht."
Ulfried verschränkte die Arme vor der Brust und nickte ernsthaft.
Als Erstes wandte er sich dem Nachtglas zu. Ein magisches Wort ließ die Vorgänge des Tages und der vergangenen Nacht vor ihm abspulen. Rückwarts und im Zeitraffer. Arwed kehrte den Vorgang magisch um. Er hatte nicht erwartet, besondere Vorfälle zu sehen. Deshalb entschlüpfte ihm ein überraschter Pfiff als er sah, wie ein unscheinbarer Beamter zwei dünne Aktenmappen in einer Tasche verschwinden ließ. Madame Sigruna rutschten immer wieder kleine Münzen in die weiten Ärmel ihrer Bluse. Viermal ging sie in die Garderobe und entleerte die Ärmel in ihre Handtasche.
"Madame Sigruna hätte ich das nicht zugetraut", erklang es düster neben Arwed.
Mit einem Japsen fuhr der Magier hoch. Ulfried stand neben ihm und lugte neugierig über seine Schulter.
"Hab ich dir nicht gesagt, du sollst sitzen bleiben?!", fuhr ihn Arwed heftig an.
Der junge Mann hatte ihn mit seinem lautlosen Auftauchen erschreckt. Nun ging er beleidigt zu seinem Stuhl zurück. "ich dachte, ich kann etwas lernen", maulte er.
"Wenn du nicht sitzen bleibst, wirst du mehr lernen als dir lieb ist", grollte Arwed und sah mit leiser Befriedigung, wie ein wenig Farbe aus Ulfrieds Gesicht wich.
Ein leises 'Plop' ertönte und Gaspard saß am Tisch. "Das war eine gute Torte", verkündete er und rieb sich sein Bäuchlein. "Yvette hat mir ein Stück aufgehoben. Sie ist doch ein Schatz."
"Die muss ja wirklich gut geschmeckt haben", grinste Arwed und deutete auf Gaspards Näschen, auf dem ein Tupfen Buttercreme klebte.
"Oh!" Ein Batisttaschentuch behob den Schönheitsfehler.
Ein Zauberwort ließ das Nachtglas fortfahren, die gespeicherten Ereignisse zu zeigen. Es gab den ganzen Tag keine kriminellen Vorkommnisse mehr. Nur einmal sah er Ulfried, wie dieser das Gespräch zweier Beamter belauschte.
"Du bist ziemlich neugierig, Ulfried", stellte er fest.
"Ich? Wieso?", tat dieser unschuldig.
"Belauschst du deine Kollegen öfter?", fragte er grinsend.
Das Blut schoss dem jungen Mann ins Gesicht. "Das war ... ich wollte ... also, Meister Gerold und Meister Rudolf standen gerade da und ich musste doch...
"Ja, ja, es war purer Zufall", lachte nun auch Gaspard. Dann sah er wieder gespannt in das Nachtglas. "Jetzt wird's spannend."
Tatsächlich verließen jetzt die Beamten ihre Schreibtische. Ulfried fegte den Boden und leerte die Papierkörbe aus. Dann ging auch er. Yvette huschte einmal über die Schreibtische. Dann senkte sich Stille über das Amt.
Arwed beschleunigte das Abspulen als plötzlich ein Schatten durchs Bild sauste. Schnell hielt er an und ging fünf Minuten zurück. Ja, da war er, der Missetäter! Ausgelassen tobte der Dämon über die Tische, warf Stühle um, schleuderte eine vergessene Kaffeetasse durch ein Fenster und holte dann einige Akten aus einem Schrank. Genüsslich biss er eine Ecke ab, nickte und fraß sie schließlich gänzlich auf. Das war also die zweite Möglichkeit, wie Akten verschwinden konnten. Ein Zauberspruch bannte die Untaten des Dämons in einen magischen Kristall. Den würde er Meister Thorin als Beweis übergeben. Nach kurzem Zögern fügte er auch noch die Verfehlungen der Angestellten hinzu. Jetzt galt es, den Dämon zu bannen. Dazu zeichnete er mit magischer Kreide einen Kreis auf den Fußboden.
"Machst du das auch wieder weg?", fragte Ulfried. ‚Meister Thorin wird nicht begeistert sein, wenn sein Besprechungszimmer so beschmutzt wird."
Seufzend sah Arwed auf. ‚Stör mich nicht", bat er.
In den Kreis legte er die Glasscherben und die Tasse mit den Apfelsaftresten. In der Tasse hatte sich bereits Schimmel angesetzt, was Gaspard veranlasste, die Nase zu rümpfen. Ulfrieds Hals wurde immer länger vor Neugierde. Aufzustehen wagte er jedoch nicht. Nur seine Füße scharrten unter dem Tisch.
Noch einmal kontrollierte Arved die Anordnung, schrieb drei starke Runen an den Rand des Kreises. Dann sprach er die Beschwörung. Vor dem letzten Wort war eine kleine Pause vorgeschrieben. Der Dämon war schon schattenhaft zu erkennen. Da passierte es.
Genau in diese Pause sagte Ulfried: "Den habe ich schon mal gesehen als ich Überstunden machte. Da war er aber ganz brav."
Der Zauber kollabierte mit Donnergetöse. Arwed brüllte noch schnell das Abschlusswort. Dann umgab er sich mit einem Schutzschild, der auch Ulfried umschloss. Eine titanische Faust schien die beiden zu Boden zu werfen. Der lange Tisch krachte in eine Ecke und brach entzwei. Stühle wirbelten durch die Luft und fielen auf die beiden Männer. Begleitet wurde diese Erscheinung von heftigen Blitzen und einem bestialischen Gestank. Trotz des Schutzschildes spürte Arwed schmerzhaft das Holz der geborstenen Stühle auf seinen Körper krachen.
Er zog die Beine an die Brust und legte die Arme schützend über den Kopf. Ulfried hustete sich schier die Seele aus dem Leib und auch der Magier kämpfte mit Atembeschwerden.
Endlich hatten sich die Energien ausgetobt. Ächzend wühlte sich Arwed aus den Holztrümmern. Ulfried rieb stöhnend seinen Hinterkopf, auf dem sich bereits eine große Beule bildete. Einen unversehrten Stuhl fand der Magier. Darauf setzte er sich und sah sich das Chaos einmal an. Sämtliche Fensterscheiben waren zerbrochen. An den Wänden fehlte teilweise der Putz, wo die Trümmer dagegen geknallt waren.
"Gaspard?" Besorgt sah er sich um.
"Hier bin ich!", erklang es vom Fensterbrett. "Da hat's aber ordentlich gekracht. Ulfried, das wird dich teuer zu stehen kommen." Sein grüner Anzug schien unversehrt und auch ihm selbst war offenbar kein Leid geschehen. Es knirschte leise als er über die Glasscherben ging, die nun das Fensterbrett zierten.
"Ich habe doch gar nichts gemacht", protestierte Ulfried.
Der Kobold brach in schallendes Gelächter aus während Arwed wütend die Zähne zusammen biss. Der Magier hatte einen Riss in seinem linken Ärmel entdeckt, was seine Laune nicht gerade verbesserte.
"Hast du noch nie gehört, dass man in einen Zauberspruch nicht hinein quatschen darf?!", keifte er aufgebracht.
"Aber du warst doch fertig." Tiefe Überzeugung sprach aus diesen Worten. Dabei wies er auf den Dämon, der hingebungsvoll an einem Tischbein nagte. Die vielen Splitter um ihn herum zeugten von der Schärfe seiner Zähne. "Er ist doch da!"
"Bring sofort eine Lampe!", brüllte ihn Arwed an, denn die Sonne war inzwischen fast untergegangen.
Dieser wilde Ton wirkte so effizient, dass der junge Mann schon Sekunden später mit zwei großen Kandelabern erschien. Ungeduldig wies ihn Arwed an, wo er leuchten sollte. Dann kontrollierte er akribisch den Bannkreis.
"Puh!", machte er erleichtert. Die Runen hatten gehalten. Doch der tätowierte Hahn auf seinem Handgelenk war sehr blass geworden. Mit diesem Restchen Magie würde er nichts mehr ausrichten können.
"Gaspard, wir gehen nach Hause."
"Aber, der Dämon!", rief Ulfried aus.
"Der ist doch in seinem Bannkreis. ich bin total ausgepumpt. Es reicht gerade noch für einen Notruf." Er nahm alle Magie zusammen, die er noch hatte und konzentrierte sich auf Nantwig, seinen Studienkollegen und Freund. Ein telepathisches "Hilf mir!" gelang ihm noch, dann sank er entkräftet vom Stuhl.
Ulfried, dem nun doch sehr mulmig wurde, sah besorgt auf die stille, zusammen gesunkene Gestalt. Doch er wagte nicht näher zu treten, da Gaspard ihm mörderische Blicke zuwarf. So blieb er an die Wand gelehnt stehen und streichelte seine Beule. Gaspard fühlte inzwischen nach Arweds Puls, hob ein Augenlid und horchte an der Brust nach dem Herzschlag.
"Er ist nur ein wenig ohnmächtig", stellte er fest. "Wenn du jetzt nur einen Muskel rührst, erlebst du den schlimmsten Tag deines Lebens."
‚Schlimmer kann's doch gar nicht mehr werden", murmelte Ulfried und erstarrte.
Nun begann Gaspard, Arwed Sachen zusammen zu suchen. Die Tasche lag unter den Trümmern des Tisches begraben. Als er sie hervorzog ließ ihn ein verdächtiges Klirren Schlimmes ahnen. Und wirklich Einige Gläser mit Kräutern waren zerbrochen, Dosen zerquetscht, der Inhalt heillos vermischt. Gaspard schloss die Tasche schnell. Das war Schrott. Der Erinnerungskristall hatte nichts abgekriegt. Auch das Nachtglas und der Dämonenspürer waren noch intakt. Der Kleine legte alles sorgfältig neben seinen Partner und setzte sich dann neben Arweds Kopf auf den Boden.
Es dauerte etwa eine halbe Stunde bis Nantwig eintraf. Er stieß einen überraschten Pfiff aus als er das Chaos in dem Besprechungszimmer sah. "Was ist denn hier passiert?", fragte er an Gaspard gewandt.
"Dieses wandelnde Unheil hat dem Meister in den Spruch gequatscht", verkündete der Kobold.
Ulfried holte Luft um etwas zu entgegnen, aber Gaspards giftiger Blick würgte das Vorhaben im Ansatz ab. Nantwig bedachte den jungen nur mit einem flüchtigen Blick und wandte sich dann seinem Kollegen zu. Er hob Arweds Handgelenk ein wenig an. Der tätowierte Hahn war nur noch ein blasser Umriss. Eben kam Arwed mit einem Seufzer wieder zu sich.
Jetzt holte Nantwig aus seinem Schnappsack eine kleine Wurzel und gab sie ihm. "Das wird dich stärken, Rooster."
"Alruwurzel!" Arwed schüttelte sich. Der Geschmack dieser starken Droge war unglaublich bitter, aber bei magischen Erschöpfungszuständen gab es einfach nichts Besseres. Es kostete ihn einige Überwindung bis er sie schließlich gegessen hatte. Doch dann fühlte er sich auch gleich ein wenig besser.
"Was machen wir jetzt mit dem Dackeldämon?", fragte Nantwig. "Kannst du ihn zurückschicken?"
Arwed warf einen zweifelnden Blick auf sein Handgelenk. Der Hahn trat nun etwas klarer hervor, doch immer noch zu wenig. "Das möchte ich lieber nicht versuchen", meinte er.
"Die Wache ist etwa fünf Häuserblocks entfernt", meldete sich Gaspard vom Fensterbrett. "Wenn du gleich losspurtest, erwischst du sie noch, Tonne!"
Der stämmige Magier grinste. "Immer noch so frech, Kleiner?" Dann trabte er los.
Wenig später kehrte er mit einem vierköpfigen Trupp wieder. Einer der Wachleute trug neben seinem Hauptmannstern ein Hexerabzeichen zweiter Klasse. Mit knappen Worten berichtete Arwed von den Ereignissen, die das Zimmer verwüstet hatten, Während all dieser Zeit saß der Dämon in seinem Bannkreis, nagte das Tischbein zu Spänen und brannte mit seinem herb tropfenden Speichel Löcher in den Fußboden.
Das Gesicht des Hexers nahm den Ausdruck einer dräuenden Gewitterwolke an. "Hanno und Wuifger, ihr bringt Meister Ulfried in Sicherheitsverwahrung", entschied er knapp. "Ich werde bei dem Dämon Wache halten. Und Meister Arwed, ich habe bis acht Uhr morgens Dienst. Es wäre wünschenswert, wenn du dann diese Sache zu Ende bringst."
Augenblicklich wurde Ulfried von zwei kräftigen Kriegern gepackt und abgeführt. Seine Unschuldsbeteuerungen waren noch eine Weile zu hören, dann verstummten sie abrupt. Die Magier wechselten einen bezeichnenden Blick, der von Gaspard durch eine sprechende Geste bereichert wurde. Der Wachmann verzog keine Miene.
"Ich bringe dich nach Hause, Rooster", bot Nantwig an und half seinem Freund auf die Füße. Und an den Hauptmann gewandt sagte er: "Ich danke dir für dein schnelles Eingreifen." und wurde durch ein würdevolles Nicken belohnt.
Arwed klopfte Staub und Späne von seinem Anzug und strich mit einer Hand übers Haar. "Ich muss furchtbar aussehen", murmelte er. "Und hier gibt es nicht mal einen Spiegel."
"Dann geht's dir schon besser", lachte Nantwig und Gaspard, der wieder auf Arweds Schulter saß, nickte verständnisinnig.
Es war kurz nach sieben Uhr als Arwed im Finanzamt erschien. Die Beamten kamen erst um acht Uhr und er wollte bis dahin den Job erledigt haben. Noch immer hatte er den bitteren Geschmack der Alruwurzel auf der Zunge und er wusste, dass das noch einige Tage anhalten würde.
Der Hexer empfing ihn mit hängenden Schultern und halb geschlossenen Augen. "Ich danke dir, dass du jetzt schon kommst", sagte er und seine Stimme klang rau vor Müdigkeit. "Lieber gehe ich die ganze Nacht auf Streife als so einen vertrottelten Dämon zu bewachen."
Arwed holte sich ein Tischchen aus der Teeküche und setzte sich auf den einzigen unversehrten Stuhl.
"Wie heißt du?", fragte er den Dämon streng.
"Sag nix", blubberte dieser. .Tjarko ist schlau."
Gaspard schlug seine Hand vor den Mund um nicht laut zu lachen. Die von der zweiten Ebene waren wirklich zu einfältig.
"Schön, Tjarko", begann Arwed und wob einen Zauber, der den Dämon vorübergehend an ihn band. "Wer hat dich beschworen?"
"Niemand. Tjarko ist selber durch Loch gekrochen. Schlauer Tjarko." Stolz richtete er sich auf die hintersten Beine auf, fiel aber bald wieder auf alle sechs Gliedmaßen.
Selber durch ein Loch gekrochen?, überlegte Arwed. Das bedeutete, dass jemand ein Tor zu der zweiten Dimension geöffnet hatte und dieses dann unbewacht offen ließ. Wenn dieses Tor noch immer offen war, konnte jederzeit noch so ein Dämon herüber kommen und noch einer und noch einer und... Welch ein Albtraum! Trotz des Schutzschildes, den er vor dem Weggehen erneuert hatte, fühlte er Aggressionen in sich hochsteigen. Die Beamten würden sich gegenseitig die Köpfe einschlagen, wenn noch mehr von Tjarkos Sorte hier ihr Unwesen trieben.
Bedächtig versetzte er sich in eine magische Trance und suchte nach dem Loch zwischen den Dimensionen. Das würde natürlich die Aufmerksamkeit der Bewohner dieser Dimension erregen. Leider gab es keine andere Möglichkeit. Nicht lange, dann hatte er es gefunden. Es war ein zerfranster Riss hinter dem es dunkelgrau wallte. Außerdem roch es nach ... Arwed suchte nach einem Vergleich für diesen Gestank. Nun, am ehesten passte noch verbrannte Socken eines schweißfüßigen Landstreichers.
Plötzlich schälte sich eine Gestalt aus dem Dunkelgrau. Eine siebenfingerige Pranke tastete nach den Rändern der Öffnung. Dazu ertönte ein tiefes Grunzen. Jetzt war Eile angesagt, denn hinter dem Schatten drängten sich noch weitere. Arwed ließ ein magisches Netz entstehen, das sich provisorisch über das Tor legte. Jaulend wurde die Pfote zurück gezogen.
Arwed zwang sich zur Ruhe. Wenn er diesen Zauber vermurkste, hatte er das Pack am Hals. So intonierte er sehr sorgfältig den Versiegelungsspruch. Die Ränder zogen sich langsam zusammen. Zu langsam, dachte Arwed, denn die Dämonenhorde stürmte gegen das magische Netz an. Schon rissen einige Fäden. Ein zahnbewehrter Rüssel schob sich auf den Magier zu. Mit zusammen gebissenen Zähnen fuhr Arwed fort. Nun streckte sich auch eine Klaue nach ihm aus. Die letzten Worte schlossen endlich das Tor. Klaue und Rüssel wurden blitzschnell zurück gezogen. Übrig blieb nur eine kleine Lache Dämonenspeichel, der sich zischend durch das Holz des Fußbodens fraß und eine abgebrochene Kralle von der Länge eines Schlachtermessers. Arwed löste sich aus der Trance.
In der Tür stand Meister Thorin und starrte ihn fasziniert an. "Und was machst du jetzt mit diesem Scheusal?", fragte er. "Außerdem hätte ich da noch einige Fragen." Der Finanzdirektor ließ seinen Blick über die demolierte Einrichtung gleiten. Dabei wirkte er überraschend ruhig und umgänglich, auch wenn ihm das Herz zu bluten schien.
So spät war es bereits? Die Trance musste länger gedauert haben als Arwed dachte. Und Thorin wirkte so verändert.
"Dein Bannkreis hält die negativen Einflüsse ab", flüsterte Gaspard in Arweds Ohr. "Es kommt ja auch kein Nachschub mehr aus der Zweiten."
"Das hier." Eine Handbewegung fasste den Raum zusammen. "Das kann dir Ulfried erklären. Allerdings musst du dich dazu in den Sicherheitstrakt der Stadtwache bemühen. Und was den Dämon betrifft, so wollte ich ihn jetzt in seine Dimension zurück senden."
"Nun, dann werde ich mich zurück ziehen", erklärte Thorin hoheitsvoll und verschwand.
"Hunger! Hunger!", tönte es aus dem Bannkreis. Tatsächlich hatte Tjarko alle Holzspäne aufgefressen.
"Du gehst jetzt nach Hause. Dort hast du genug Futter", stellte Arwed in Aussicht. "Aber vorher sagst du mir, wer das Loch gemacht hat, durch das du gekrochen bist."
"Guter Papa! Lieber Papa!", blubberte Tjarko. "Schönes Loch gemacht."
"Kennst du seinen Namen?", forschte der Magier.
"U-u-uh... weiß nicht."
"Du musst ihn wissen. Denk nach! Wie sah er aus? War es ein Mensch oder ein Elf oder ein Zwerg, oder gar ein Troll?" Arwed ließ eine kleine Feuerzunge auf der Nase des Dämons entstehen.
Der schlug abwechselnd mit vier Pranken danach und jaulte: "Uhuhuhuhh... weiß ich nicht. Großer Mensch, guter Mensch, lieber Papa!"
Arwed drang noch weiter in ihn, doch es war nichts mehr aus ihm heraus zu bekommen. Es blieb Arwed nichts Anderes zu tun als den Dämon in seine Dimension zu schicken. Damit war auch die Verbindung zu ihm gelöst.
Thorin war über seinen Bericht zufrieden und schrieb auch gleich eine Zahlungsanweisung aus. Nach seiner Miene zu urteilen, verlor er ein Vermögen, nach Arweds Gefühl war es ein Hungerlohn. Den Erinnerungskristall wollte er behalten, doch als Arwed zehn Silberdublonen von ihm verlangte, rückte er es zögernd heraus.
"Du hast der Stadt einen guten Dienst erwiesen, Meister Arwed", sagte er dann würdevoll. "Ich werde dich wärmstens weiter empfehlen." Damit war er mit dem Magier auch schon fertig. Ein Räuspern von Arwed ließ ihn aufblicken. "Ja?" Es klang ein wenig ungehalten.
"Ich muss noch den lizenzlosen Hexer finden, der das Tor geöffnet hat", erinnerte ihn der Magier. "Wenn er wieder ein Tor öffnet .... wer weiß, was dann durch kommt!"
Ein Lächeln huschte über Thorins schmales Zwergengesicht. "Ich schätze Geschäftstüchtigkeit, Meister Arwed. Nun, falls sich wieder Dämonen hier breit machen, werde ich deine Hilfe in Anspruch nehmen. Das ist aber mein letztes Wort. Meine Aufgabe ist es nämlich, der Stadt überflüssige Ausgaben zu ersparen."
Arwed wollte protestieren, aber ein feines Stimmchen flüsterte in sein Ohr: "Lass es gut sein, Langer. Ein zweiter Auftrag bringt dir vielleicht mehr Geld als wenn du diesen zu Ende bringst."
Widerstrebend fügte sich der Magier. Aber Meister Golo würde ganz sicher einen Bericht bekommen. Er musste sich doch absichern. Schließlich hatte er inzwischen einen Ruf zu verlieren.


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