STORIES


TOD IN DER MARSCH


von Fred H. Schόtz



"Warum sind sie alle nur so böse, Mutter?" Die Stimme des Jungen klang weinerlich.
Die Mutter ließ ihren Blick einen Augenblick auf ihm ruhen, gerade lange genug um zu sehen wie er dasaß, den Kopf gebeugt, die Hände zwischen den Knien, dann wandte sie sich ab.
"Nicht böse, sie hassen dich nur," sagte sie leise und dann, nahezu unhörbar und begleitet von einem tiefen Seufzer setzte sie hinzu: "Mich auch …"
Es gab ihr jedesmal einen Stich im Herzen wenn sie ihn ansah. Sie war noch so jung gewesen, so blutjung und völlig unerfahren als sie dem Drängen eines fahrenden Ritters nachgab. Er war auch nicht lange genug geblieben um zu erfahren daß sie ein Kind von ihm erwartete.
Und hätte er es erfahren, er hätte nur gelacht. Sie zur ehrbaren Frau zu machen war für ihn indiskutabel, das wußte sie heute. Sie war ja nur ein Mädchen aus dem niederen Volk mit dem ein Edelmann wie er umgehen konnte wie er wollte. Odin allein wußte wie oft und wo überall er seinen wilden Samen gesät hatte.
Nicht einmal seinen Namen hatte sie erfahren und so nannte sie ihn wenn sie an ihn dachte - was heute lange nicht mehr so oft geschah wie zu Anfang - Dragomil aus dem fremden Land …
Fortan war sie geächtet und hätte im Elend enden können wäre es nicht um ihre Erfahrung in der Volksmedizin gewesen. So kamen die Leute, wenn auch eher heimlich, und suchten bei ihr Heilung ihrer Gebrechen. Werdende Mütter sandten nach ihr und nahmen ihre Dienste als Hebamme in Anspruch.
Als Heilerin war sie nicht besser und nicht schlechter als man von einer ungebildeten Frau aus dem Volk erwarten kann, aber sie hatte wohl ein Gespür für "das rechte Kraut für die rechte Krankheit," wie es viele Jahrhunderte später einer der sich aus Eitelkeit Paracelsus nennen würde formulieren sollte, und so gelangen ihr - zu oft vielleicht - auch ausgesprochen spektakuläre Heilungen.
Wäre sie ein Mann gewesen hätte ihr Name in den Annalen der Heilkunde wohl Eingang gefunden - dann würde man ihn heute sicherlich in einem Atemzug mit dem von Hippokrates oder Avicenna aussprechen - aber dem war, wie wir wissen, nicht so. Zudem waren allzu große Erfolge dem Volke schon immer suspekt, und schließlich stand sie als ledige Mutter in Ächtung. So fand sie sich nicht in Ruhm und Ehren, wie es ihr wohl angestanden hätte, sondern im Ruch eine Hexe zu sein …
Als dann die Wehen begannen fand sie sich allein; niemand war willens ihr zur Seite zu stehen und wäre nicht ihre Erfahrung als Hebamme gewesen hätte es wohl schlimm mit beiden geendet. Was schließlich aus ihr herausdrängte war ein Baby so groß wie sie es noch nie gesehen hatte.
Mit dem Kind verschlimmerte sich ihre Lage. Schon während ihrer Schwangerschaft hatten Männer des Kreises sie als Freiwild betrachtet, bedrängten sie ihnen die gleiche Gunst zu gewähren die der Ritter genossen hatte. Endlich drohten sie ihr offen: "Tu es oder du wirst den Morgen nicht erleben!"
Das war den Stammesweibern zuviel; die Zerrüttung ihrer Ehen durch eine wilde Frau konnten und wollten sie nicht hinnehmen. Sie rotteten sich zusammen und hätte sie nicht ihrer schlimmen Vorahnung nachgegeben - oder vielleicht warnte sie der Krach den die Furien im Heranziehen verursachten - wäre es ihr Ende gewesen.
So fanden die wilden Weiber lediglich ihre verlassene Hütte und an der ließen sie ihre Wut aus.
Im Fliehen wandte die junge Mutter den Kopf, sah die Rauchsäule in der Ferne die wie ein Fanal gen Himmel stieg, und wußte welch grausamem Schicksal sie mit knapper Not entgangen war.
Sie preßte den Kleinen der wie ein Stein in ihren Armen lag an ihre Brust und hetzte weiter.
Hetzen ist der rechte Ausdruck denn sie wurde gehetzt. Irgendwie eilte ihr der schlechte Ruf voraus an dem sie sowenig schuld war wie du und ich an der Lage der Nation, und wo sie auch hinkam erwartete man sie mit Knüppeln und Steinen um sie zu verjagen oder ihr gar noch schlimmeres anzutun.
Wie es ihr gelang sich und das Kind am Leben zu erhalten ist allen die danach fragen ein Rätsel geblieben, aber der Junge gedieh und trippelte alsbald tapfer neben ihr einher wenn sie wieder einmal von einem Ort vertrieben dem nächsten zustrebte.
So gelangten sie zur Küste und zogen diese entlang bis ihre Flucht hier in der Salzmarsch ein Ende fand. Am Rande der Marsch erhob sich im Schatten einer der vielen Burgen des Dänenkönigs die dieser nur selten besuchte und die deshalb meistens verlassen dastand ein kleines Dorf dessen Bewohner mehr schlecht als recht ihr Leben fristeten. Und noch ein gutes Stück weiter stand bereits tief in der Marsch eine verlassene Fischerhütte, und in dieser suchten Grendels Mutter und ihr Sohn Unterschlupf.
Grendel war nicht der Name den sie für ihr Kind gewählt hätte aber mit wem hätte sie über die Namenswahl reden können; es war das Volk das ihn so nannte. Sobald man seiner ansichtig wurde ging ein Schauer durch ihre Reihen und das schreckliche Wort erklang als Gestöhn des Abscheus: "Grenn-Dell-ll …"
Er war mißgestaltet zur Welt gekommen. Sein rechtes Auge war doppelt und blind, zudem war seine rechte Gesichtshälfte ein feuerrotes Mal. Er hatte nur drei Finger an jeder Hand und es schien als hätten diese ein Gelenk zuviel; dafür waren seine Füße wie lange schmale Paddeln und seine Spur im nassen Sand glich am ehesten der einer riesigen Ente.
Von seiner Hüfte hing ein verkümmertes drittes Bein das den Leuten wie ein dürrer gekrümmter Hundeschwanz vorkam der in der Erregung auf und ab wippte - und weiß Gott, Grund zur Erregung hatte er mehr als genug …
Zähle dazu seine grobschlächtige Riesengestalt - mit zwölf überragte er seine Altersgenossen um nahezu zwei Haupteslängen - was seinem grotesken Erscheinungsbild sozusagen den letzten Schliff gab. Moderne Medizin hätte ihn in einen ungewöhnlich großen zwar, aber nicht ungewöhnlich häßlich aussehenden jungen Mann verwandeln können, aber zu einer Zeit in der die Jahre anhand ihrer Katastrophen gezählt wurden -
"Weißt du noch, der Winter, als die Enten steif gefroren vom Himmel fielen …" - war und blieb dieser Junge an der Schwelle zum Mann nur das abscheuliche Ungeheuer. Grendel.
Was Wunder, daß sein Anblick seiner Mutter einen Stich im Herzen versetzte, denn obwohl sich an ihm der Spruch bewahrheitete, daß nur die eigene Mutter solch einen Ausbund an Häßlichkeit lieben kann, blind war sie nicht.
Darum schenkte sie ihm nur diesen kurzen Blick, wie um sich zu vergewissern daß was so jämmerlich in der kümmerlich eingerichteten Kammer am Tisch saß, noch heil war.
Daß er es war versicherte sie des Lebens …
Sie wagte sich schon lange nicht mehr ins Dorf und auch Grendel ging so selten wie möglich und nur wenn es sich nicht vermeiden ließ. Der Grund hierfür lag in dem ebenso blinden wie abgrundtiefen Haß aller dort ansässigen Menschen und jedesmal wenn diese ihrer ansichtig wurden flogen Steine, gelegentlich sogar Brände.
Wenn man jahrzehntelang nur Haß und Wut begegnet - selbst diejenigen die ihre Dienste als Heilerin in Anspruch genommen hatten schmähten sie - vergeht die Lust. Sie war geflohen solange sie vermochte; hier in der Marsch war ihre Flucht zu Ende. Sie hatte nicht mehr die Kraft weiterzuziehen und wenn es ihr Schicksal war würde sie hier untergehen.
Grendel war mit ihr gelaufen und solange er Kind war hatte er sich gefürchtet, hatte sich geduckt und war den Steinwürfen ausgewichen so gut er konnte. Allzu oft war ein Ausweichen nicht möglich und die Steine die trafen verletzten nicht nur seinen Körper.
Zorn und Scham ob seines Unvermögens brannten in ihm wie die Feuer der Sonnenwende.
Nun war er groß geworden und mit der körperlichen Größe wuchs seine Geschicklichkeit. Furcht kannte er nicht mehr. Wenn jetzt Steine flogen fing er sie aus der Luft und schleuderte sie gezielt zurück. Dann heulten diejenigen die eben noch vor Wut geheult hatten vor Schmerz und Angst.
Aber diese Kraft und Geschicklichkeit weckte eine neue Furcht. "Wenn ich nun versehentlich einen töte, Mutter, was dann?"
Dann würde der Büttel kommen. Er würde an der Spitze einer johlenden Stecken und Harken schwingenden Meute daherkommen und er würde das Zeichen seiner Würde hochhalten, daß alle es sehen konnten.
Das Zeichen seiner Würde, das war die von den Römern übernommene Fascia, eine Zieraxt mit langem Stiel der in ein Bündel Reiser mit kreuzweise gewundenen Bändern eingebunden war, und der stählerne Kopf der Axt würde in der trüben Marschsonne glitzern wie das zweihändige Schwert des königlichen Scharfrichters.
Das Schwert das mit einem Hieb den Kopf vom Rumpf schlug, so schwer und so scharf war es!
Aber das Schwert und mit ihm der Scharfrichter würden in Smaolsund bleiben. Wozu ihn bemühen? Grendels Schuld war doch von Anfang an erwiesen, einfach durch seine Existenz, da brauchte es keinen Schiedsspruch! Man würde ihn binden, zum nächsten Tümpel schleppen der tief genug war, daß er darin versank, und ihn mit schweren Gewichten beladen hineinstoßen. Rund um den Tümpel würde man einen Ring aus Salz streuen - ja, die Gemeinde würde diese Ausgabe auf sich nehmen wenn man seiner dadurch loswurde! - sodaß seine rachedürstende Seele nicht mehr den Weg zurück fand.
Mit seiner Mutter, falls sie sich nicht der Verfolgung durch rasche Flucht entzog, würde man ebenso verfahren, denn war sie nicht die Meerhexe und hatte den Tod tausendfach verdient! Man würde beide in den gleichen Tümpel werfen sodaß sie, aneinander geklammert wie zwei Liebende in den Tod gingen - und die Gemeinde würde die Geldauslage für einen weiteren Salzring sparen.
Sie lebten auf geborgte Zeit, das wußten beide nur zu gut, aber sie erlebten die Zeit auf verschiedene Weise. Grendels Mutter hatte nicht mehr die Kraft weiter zu fliehen, auch nicht mehr die Willensstärke sich aufzubäumen und für ihre Freiheit zu kämpfen; Sie erwartete ihr Schicksal ergeben und in der stillen Hoffnung daß, wenn es garnicht mehr zu umgehen war, sie nicht lange zu leiden hätte …
Wie grausam kann das Schicksal sein wenn es in der Hand des Pöbels liegt!
Grendel hingegen wartete nicht, sondern ging dem Geschick offenen Auges entgegen; ja, er forderte es heraus.
Wannimmer die männliche Jugend des Dorfes sich - womöglich gestärkt mit einigen Bechern Bier oder Met - den nötigen Mut zugesprochen hatte und sich vor der Hütte einfand diesem Hexenpack den endgültigen Garaus zu machen, stand er bewaffnet mit einer Armvoll Steinen bereit und seine Schüsse (wie er es nannte) trafen.
Er hatte längst gelernt sein drittes Bein das zu sonst nichts nütze war wie einen extra Arm zu gebrauchen. Ein dicker Stein, auf den Fuß gelegt und losgekickt, flog in hohem Bogen von oben herunter auf seine Gegner und löste bei ihnen Verwirrung, Angst und Schmerzgejammer aus.
Dann flohen seine Gegner hierhin und dorthin und schließlich ins Dorf zurück und schworen Rache - Rache die sie eines Tages an ihm nehmen würden und dann würde sein grausames Ende Balsam für ihre verletzten Gefühle sein!
Aus solch irrem Geplänkel ging Grendel stets als Sieger hervor und wiederum mußten sie ihre Rache verschieben …
Abgesehen von diesen auf Grendel lächerlich wirkenden Schaukämpfen verlief das Leben am Rande der Zivilisation recht beschaulich. Die Tage vergingen und die Monde und selbst Mutter begann in ihrer bangen Anspannung nachzulassen. Soweit es sie betraf hätte was man Leben nennt bis zum Ende ihrer Tage so weitergehen können, aber gerade wenn man es am wenigsten erwartet schlägt das Schicksal gnadenlos zu.
Das erste Ereignis stellte Grendels Befürchtungen auf die Probe als ein von seinem überzähligen Fuß getretener Stein nicht gegen Ivar Ingersens Körper prallte sondern dessen Schädel traf sodaß er augenblicklich entseelt zu Boden sank.
Nun war dieser junge Mann im Dorf nicht der Beliebteste. Er war im Gegenteil ein Stänker und Aufrührer gewesen und es gab wohl niemanden, der ihn nicht lieber tot gesehen hätte - sogar Inger, sein alter Vater, dem er nur Verdruß, Scham und ohnmächtige Wut einbrachte, hatte diesen Wunsch schon mehrfach laut geäußert obgleich bezweifelt werden darf daß er es damit wirklich ernst meinte - aber er wurde durch die Hand eines den die Dörfler noch mehr verabscheuten als ihn zu Tode gebracht.
Als der leblose Körper dalag, hellblaue, nun fahl gewordene Augen blicklos zum trübgrauen Himmel gerichtet, trat zunächst Totenstille ein. Das Kampfgeschrei verstummte und wurfbereite Geschosse polterten aus kraftlosen Händen als die Jungen stehen blieben wo sie sich gerade befanden und ihren erschlagenen Kameraden anstarrten, scheinbar ohne zu begreifen was sich gerade zugetragen hatte.
Als eine junge Elevin ihn einst um Rat bat wie sie die sterbende Desdemona am überzeugendsten darstellen könnte, riet Ernst Paul ihr niemals dem Publikum zugewandt liegen zu bleiben, denn sie könne keineswegs den Atem solange anhalten wie er die folgende elegische Arie sänge, und es würde doch sehr komisch wirken wenn die "Leiche" plötzlich tief Luft schöpfte.
Es gibt aber noch einen anderen Grund den Blick der Kamera nicht allzu lange auf der "Leiche" ruhen zu lassen und jeder gute Regisseur wird ihn beherzigen: Niemand kann einen Toten überzeugend darstellen. Irgendetwas ist an der Leiche, ein Mangel an Leben, das eine lebendige Person nicht nachahmen kann und das den Betrachter zurückschrecken läßt.
So war es auch hier: Als die jungen Kerle den Toten lange genug angestiert hatten und begriffen, daß was da wie ein willkürlich hingeworfener Haufen Glieder auf dem Boden lag und sich nicht rührte, nicht mehr ihr Kumpan war sondern etwas Unnatürliches, Totes, entrang sich ein Schreckensschrei ihren Kehlen. Sie machten kehrt und rannten ins Dorf zurück und sie schrien es schon von weitem, "Vater, Mutter, das Ungeheuer hat Ivar gemeuchelt!"
Niemandem fiel es zunächst ein dem Unglücklichen zu helfen versuchen oder wenigstens den Toten heimzuholen, und als das endlich geschah war der Körper von Aasfressern so übel zugerichtet, daß nur die Mutigsten und diese nur mit größtem Abscheu sich zu nähern wagten.
Auch der Büttel ließ sich nicht sehen. Jemand war durch Grendels Hand zu Tode gekommen und er war darauf gefaßt die gebündelte Axt zu sehen mit welcher der Mann seines Amtes walten sollte. Es war zu prüfen, ob Grendel einen heimtückischen Mord begangen (wie es Ivars Kumpane weithin hörbar herausgeschrieen hatten) oder den Burschen in Notwehr erschlagen hatte. Jedenfalls war er fest entschlossen sich nicht einfach lynchen zu lassen.
Aber Ole Hinrisson (so hieß der Büttel) trat nicht auf den Plan. An seiner statt erschien ein anderer dessen Ankunft man als das zweite Ereignis bezeichnen muß. Dieses zweite Ereignis verwandelte eine prekäre in eine bizarre und für Grendel nicht weniger gefährliche Situation.
Vor kurzem war nämlich ein fahrender Ritter aufgetaucht der sich im hiesigen Schloß des Königs einquartierte und den Dörflern Bedienung und Verköstigung für sich und seine zwei Pferde abverlangte.
Ein fahrender Ritter, das war nichts als ein herumvagabundierender Edelmann ohne Besitz, und ob seine noble Herkunft im das Recht verlieh Privilegien beim Volk durchzusetzen bleibt fraglich, aber wen hätten diese bescheidenen Leute so weit ab vom Schuß daß sie nicht einmal den Namen ihres Königs kannten fragen können? Fiel ihnen überhaupt ein, daß sie das Recht hatten zu fragen?
Was sie am meisten beeindruckte waren seine Pferde. Marschleute hatten so gut wie keine Ahnung was ein Pferd ist und kaum einer hatte jemals eines zu Gesicht bekommen, und dieser Beowulf besaß gleich zwei!
Wer Pferde besitzt ist zumindest ein Kerle am Königshof und hat alle Rechte die er sich anmaßt, auch wenn er keinen Herkunftsnamen nennt. Sie murrten weil er sie bedrückte, aber sie lieferten was er verlangte.
Und weil sie nicht mehr lieferten als sie hatten, von dem das beste höchstens frugal zu nennen war - kein Wildbret für seine Tafel sondern wildes Korn, und für seine Pferde Sauergras statt Hafer; nur Wasser hatten sie im Überfluß, Brackwasser aus den Marschtümpeln denn Meerwasser ist ungenießbar - murrte auch er.
Dieser Beowulf befand sich gerade auf dem Dorfanger und verhandelte mit dem Amtmann über seine nächste Mahlzeit - "Wenn schon kein Wildbret dann wenigstens Fisch! Fisch müsst Ihr doch haben wo Ihr direkt am Meer wohnt!" - kamen junge Burschen mit wilden Gesichtern ins Dorf gerannt und verkündeten laut schreiend den Frevel an Ivar.
Zunächst war Beowulf ungehalten weil man ihn bei seiner Lieblingsbeschäftigung störte, die darin bestand Menschen zu erniedrigen, aber dann horchte er auf. Was denn, ein Mord in dieser Einöde wo die Türen nicht einmal Schlösser hatten? Ein Monster sollte den braven Ivar von seinem irdischen Dasein befreit haben? Ein Monster!
Das war haargenau worauf Beowulf schon immer gewartet hatte! Er würde das Ungeheuer herausfordern und natürlich würde er es erschlagen - welches Monster kam schon gegen einen kampferprobten Ritter an! - und dann konnte er bei Hofe damit angeben. Und wenn König Harald nur ein wenig gnädig gestimmt war …
Ohne sich nach weiteren Einzelheiten zu erkundigen ließ er sich nur rasch den Weg zeigen - er war auch garnicht überrascht, daß es derselbe Weg war, den die Burschen in umgekehrter Richtung genommen hatten, als sie ins Dorf gelaufen kamen - und ritt los.
Unterwegs begann er zu bedauern, daß er nicht den Umweg über das Schloß genommen hatte um seinen Küraß anzulegen und den Hengst zu holen - den starken Hengst, den er nur zum Kampfe ritt und der stand jetzt im Stall - aber bah! Der leichtere Wallach war wendiger und das würde ihm den Vorteil bringen das Untier zu überraschen!
Grendel war allerdings überrascht als er in der Ferne statt des erwarteten Büttels einen Reiter gewahrte der sich rasch näherte.
Grendel wußte sehr gut was ein Pferd war. Seine Mutter hatte ihn stets zum Lesen angehalten und woimmer sich die Gelegenheit bot hatte er sie weidlich genützt. Viele Bücher waren illustriert und immer wieder fand er Abbildungen von Pferden. Pferde waren schöne Tiere und augenscheinlich waren sie sehr zahm wenn sie einen Menschen aufsitzen ließen …
Er fragte sich ob der Reiter, wenn er freundlich gesinnt war, ihm auch einmal gestatten würde auf dem Pferd zu reiten …
Der Reiter war nicht freundlich gesinnt. Er schwang eine Lanze und als er nahe genug heran war schleuderte er sie.
Grendel fing sie mit geübtem Griff aus der Luft und steckte sie, Spitze voran, neben sich in den Boden. Er würde sie dem Mann zurückgeben wenn er sie wiederhaben wollte, aber zuerst mußte er ihm sagen, was er eigentlich von ihm wollte.
Als der Reiter sah wie Grendel die Lanze auffing, riß er so heftig an den Zügeln daß sich der Wallach aufbäumte. Dann lenkte er das Pferd um und ritt im gestreckten Galopp den Weg zurück.
Grendel wurde durch das feindselige Verhalten des Anderen nicht überrascht, war er doch von Kindheit an nur Haß begegnet, aber er fühlte Bedauern. Ein Bedauern von dem er nicht wußte, wie er es einordnen sollte weil ihm in seinem ganzen Leben niemand - auch Mutter nicht - erklärt hatte was doch so offensichtlich war: Grendel fühlte sich einsam.
Er ging ins Haus um mit Mutter über die Gefühle zu sprechen die ihn bedrückten weil er sie nicht verstand, aber Mutter hatte keine Zeit für ihn; sie war beschäftigt - er hatte frühmorgens einen großen Fisch gefangen den sie jetzt für ihr gemeinsames Abendessen herrichtete - und weil ihr die Dinge nicht mehr so von der Hand gingen wie früher war sie unduldsam und mürrisch geworden. Mit einer knappen Kopfbewegung schickte sie ihn vor die Tür.
Er setzte sich auf die sandige Erde neben der Haustür, den Rücken an die Wand gelehnt, und räkelte sich zurecht. Diese Haltung war für ihn besonders schwierig weil das dritte Bein im Weg war, aber mit der Zeit gewöhnt man sich an alles und zum Nachdenken war die Stellung mit lockeren Gliedern die bequemste.
Er hatte einen Menschen getötet. Es erschien unglaubhaft aber er brauchte nur den Blick zu heben um die Leiche zu sehen die ein einiger Entfernung mit grotesk verdrehten Gliedern auf der Erde lag. Was würden die Leute sagen? Man würde ihm die Schuld zuweisen obwohl er sich nicht schuldig fühlte - es war doch ein Unglücksfall gewesen, nicht wahr - aber das würde man ihm nicht glauben. Der Büttel würde kommen ihn abzuführen und … überhaupt, wo war der Büttel? Warum war er noch nicht auf der Bildfläche erschienen?
Er war so ihn Gedanken vertieft, daß er den herantrabenden Reiter nicht bemerkte. Er ritt ein großes schwarzes Tier das in langsamem schwerfälligen Trab voranstrebte. Das andere, leichtere Pferd war schöner gewesen, hatte sich leichtfüßig bewegt, und sein Reiter war auch nicht gepanzert.
Gerade als Grendel aufschaute klappte der Reiter das Visier herunter sodaß man sein Gesicht nicht sehen konnte.
Grendel erhob sich und schaute ihm entgegen. Er hatte noch nie Pferde gesehen und heute erschienen zwei am gleichen Tag! Seltsam …
Als der Reiter heran war zog er am Zügel und das Pferd blieb schnaubend stehen. Grendel hob die Hand um den Kopf des Tieres zu streicheln. Das schreckte im Moment zurück, aber vom Zügel gehalten hielt es still und ließ sich die Liebkosung gefallen. Grendel spürte den heißen Atem auf seiner Hand.
Der Mann streckte die rechte Hand aus. Sein Handschuh war von darauf festgenähten Metallplättchen bedeckt. "Die Lanze!" Seine Stimme klang barsch.
Grendel schaute sich um wo die Lanze noch im Boden stak. "Diese Lanze?"
"Ja! Gib sie mir!" Der Mann machte eine ungeduldige Bewegung mit der Hand. "Sofort!"
"Wozu?" Grendel hob auch die andere Hand. Seine Finger legten sich um das Kopfgestell des Pferdes. Der Hengst blies durch geblähte Nüstern.
"Sie ist mein," knurrte der Mann und wiederholte die herrische Bewegung. "Her damit!"
"Wenn ich sie dir gebe," sagte Grendel mit ruhiger Stimme und blies sanft in die Nüstern. Das Pferd hob den Kopf und senkte ihn wieder; es sah aus als ob es nickte. "Was machst du damit?"
"Was wohl!" höhnte der Mann, "dann töte ich dich! Gib sie her!"
Grendel blickte den Mann an, sah seine Augen hinter den Visierstangen, und lächelte. "Nein," sagte er sanft.
"Dann geht's s -" schrie der Mann, griff quer über seinen Körper um das Schwert aus der Scheide zu reißen und gab dem Pferd die Sporen. Grendel verdrehte den Kopf des Pferdes und brach ihm das Genick.
Der Satz blieb unvollendet. Der Hengst krachte zu Boden und der Reiter flog aus dem Sattel. Sein Helm kullerte davon.
Grendel betrachtete das tote Pferd mit großem Bedauern. Alle Schönheit und jegliche Grazie die es im Leben besessen haben mochte waren in einem Augenblick von ihm gewichen. Was blieb war ein unförmiger Kadaver mit mattem Fell.
Und die Gelegenheit einmal auf dem Tier zu reiten war unwiederbringlich dahin.
Der Mann lag wie er gefallen war, mit dem Gesicht nach unten. Zuerst dachte Grendel auch er sei tot, aber als er ihn mit einiger Mühe auf den Rücken wälzte sah er die offenen Augen und erkannte das Gesicht. "Du bist der Reiter der die Lanze nach mir warf!"
Der Mann starrte feindselig. "Hilf mir auf!"
Das Gewicht des Panzers drückte ihn zu Boden. "Und wenn ich das tue was machst du dann?" Er kannte die Antwort ehe er die Frage stellte, aber Grendel war neugierig zu erfahren wie der Mann sich in dieser mißlichen Lage verhalten würde. Würde er einen Waffenstillstand anbieten?
"Dann töte ich dich!" fauchte der Mann, "wenn es sein muß mit bloßen Händen!"
Grendel betrachtete ihn mitleidig. Gelegentlich ist zu großer Stolz die größte Dummheit. "Ohne Panzer hättest du eine größere Chance," sagte er. "Wie ist dein Name?"
"Beowulf," erwiderte der Mann sichtlich widerstrebend. Er sah unter gefurchten Augenbrauen zu ihm hoch. "Ein Ritter geht gepanzert in den Kampf!"
"Kampf nennst du das?" Grendel pfiff leise durch die Zähne. "Ein Harnisch und Schwert gegen bloße Hände?"
Beowulf zog die Augenbrauen womöglich noch stärker zusammen. "Du hast doch jetzt meine Lanze!" sagte er trotzig.
"Die hast du zurückgefordert!"
"Na und? Sie ist mein!" Beowulf versuchte sich hochzustemmen, kam aber gegen das Gewicht seiner Panzerung nicht an. Ächzend sank er zurück. "Nimm deine eigenen Waffen!"
"Ich habe keine." Grendel hatte sich neben den Ritter niedergekauert und sah forschend auf ihn herab. Der Mann hatte ein starkes von der Sonne gebräuntes Gesicht und blaue Augen. Tiefe Rinnen zogen sich von der Nase zu den Mundwinkeln. In seinem blonden, schütter werdenden Haar zeigten sich erste graue Strähnen. Für einen fahrenden Ritter, einen der sich noch bewähren mußte, war er schon zu alt.
"Warum willst du mich töten?" fragte Grendel leise. Er blickte zu der Leiche des Jungen hinüber der durch seine Hand gestorben war. Der Tote lag noch wie er gefallen war; niemand hatte ihn fortgeholt. "Wegen ihm?"
Beowulf blickte trotzig zu ihm auf, bewegte keine Wimper.
"Bist du sein Verwandter?" Es war eigenartig, daß Ivars Vater nicht kam Genugtuung zu fordern und selbst ein Erscheinen des Büttels hätte Sinn gemacht. Aber ein Fremder? Weswegen war der gekommen? "Für Geld?"
"Für den Ruhm!" schrie Beowulf auf, "du - du - Monster!"
Grendel sog den Atem hörbar ein. "Ruhm? Monster? Du hältst mich für ein Monster?"
"Schau dich doch an!"
Grendel nickte. "Freya weiß, daß ich keine Schönheit bin. Aber ein Monster?" Er erhob sich, sah prüfend auf den gefallenen Mann hinunter. "Was bist denn du, der für Geld und Ruhm tötet!"
Das war keine Frage sondern eine Feststellung und Beowulf fühlte sich getroffen. "Ein Ritter," erwiderte er steif.
"Ein Ritter ohne Land, ohne Besitz, ein fahrender Ritter?" Grendels Ton ließ erkennen, daß ein solcher in seinen Augen keinerlei Wertschätzung erfuhr.
Der also Getroffene wand sich. "Ein Ehrenmann!" Er schrie es fast.
Grendel blickte mit strengen Augen auf ihn hinab. "Ein Mörder!" sagte er. Er wandte den Kopf, nickte seiner Mutter zu die in der Tür der Hütte stand und sah wieder auf den ehrlosen Ritter hinab. "Das Abendessen ist fertig. Es gibt Fisch. Soll ich Deinen Teil herausbringen?"
"Von dir nehme ich nichts!" zischte Beowulf, und als Grendel sich der Hütte zuwandte schrie er ihm nach, "es könnte vergiftet sein!"
Grendel gab einen Laut von sich der wie ein Knurren klang. Wie ein großer Hund, der kurz anschlägt. Er sah nicht zurück. "Dann nimm dich vor Mutter in acht!"
Die Dämmerung hatte eingesetzt und in der Hütte war es bereits dunkel. Das Kochfeuer verbreitete einen kleinen Kreis der Helligkeit und vertiefte die Dunkelheit dahinter. Er fand Mutter im Begriff die Lampe anzuzünden und nahm sie ihr aus der Hand. "Nein," sagte er mit leiser Stimme und stellte die Lampe auf den Sims der Feuerstelle. "Er braucht uns nicht zuzusehen."
Mutter sprach ebenso leise. "Mein Junge, laß uns fliehen," sagte sie und legte ein Messer auf die Platte mit dem Fisch die bereits auf dem Tisch stand. Es war ein Messer mit langer schmaler Klinge, das einzige das sie besaßen; sie hatte es benutzt um den Fisch zu zerlegen. "In der Dunkelheit wird man nicht erkennen wohin wir uns wenden und bis zum Morgen können wir schon weit weg sein!"
"Nein," erwiderte der Sohn. "Egal wohin wir uns wenden, man wird uns folgen und wenn nicht er - " seine Bewegung mit der er zur Tür deutete war schemenhaft in der Dunkelheit "- so doch andere. In ihren Augen bin ich ein Mörder. Es wird auf jeden Fall zum Kampf kommen und hier weiß ich wenigstens, wem ich mich stellen muß." Er tat einen tiefen Atemzug. "Es ist schon besser, wenn ich es hier und gleich zu Ende bringe."
Mutter rang ihre Stimme nieder. "Junge, er wird dich töten!"
"Das bleibt abzuwarten," sagte er mit rauer Stimme. "Laß uns essen, Mutter. Der Fisch verdient nicht zu verkommen."
Seine sanfte Stimme zwang Mutter zu Gehorsam. Sie nahmen Platz und aßen schweigend; es gab nichts mehr zu besprechen.
Währenddessen sank das Herdfeuer in sich zusammen und verlosch und als sie fertig gegessen hatten herrschte tiefste Dunkelheit.
Mit der Dunkelheit trauten sich die Mutigsten unter den Dörflern herbei, allen voran der Büttel den der Amtmann vor sich her schob. Beiden war nicht wohl in ihrer Haut aber sie hatten Autorität zu wahren.
Sie stolperten förmlich über den hilflos auf dem Boden liegenden Ritter und als der ihnen befahl ihm aufzuhelfen wuchteten sie ihn mit einiger Mühe hoch, ließen erst los als er sicher auf den Beinen stand.
Er befahl ihnen eine Fackel zu entzünden und sich zurückzuziehen, und nachdem sie gehorchten trat er mit gezogener Klinge vor die Hütte. "Komm heraus, Grendel! Laß es uns austragen!"
Grendel kam, aber er kam geduckt herausgehuscht. Beowulf, der nichts anderes erwartete, führte den Schlag in Hüfthöhe. Grendel hechtete unter der Klinge hindurch und im Fallen riß er die rechte Hand nach oben. Das Messer in seiner Hand traf unter die Beinschiene des Ritters, zerschnitt das Band das sie hielt und drang ins Fleisch.
Aufstöhnend taumelte Beowulf zurück.
Grendel rollte über den Boden, sprang auf die Füße und stürzte sich auf den Ritter. Der Stoß den er führte zerschnitt das rechte Schulterband des Brustpanzers der daraufhin nach vorne hing, verletzte aber nicht den Mann. Beowulf gelang ein Schlag mit der flachen Klinge an Grendels Kopf.
Der torkelte benommen rückwärts, schüttelte den Kopf wie um die Sterne loszuwerden die vor seinen Augen tanzten. Beowulf sah die Chance und führte einen wuchtigen Schlag von oben.
Der Schlag sollte Grendels Kopf treffen aber der wich aus und stieß zu. Das Messer riß Beowulfs linke Armschiene herunter. Der Ritter verfluchte seine Nachlässigkeit die ihn hatte den Schild vergessen lassen. Der lag nutzlos auf der Erde neben dem gefallenen Pferd.
Er konnte nicht ahnen, daß er Grendels schwaches drittes Bein empfindlich getroffen hatte. Blut schoß aus der zerfetzten Beinvene, aber das verbarg die fackelflackernde Dunkelheit.
Beide sprangen auseinander und umkreisten einander. Beowulf hielt mit der linken Hand seinen klaffenden Harnisch an den Leib gepreßt während seine Rechte das Schwert gegen Grendel hob; Grendel tänzelte trotz des Schmerzes an seinem Bein leichtfüßig und immer dem Gegner zugewandt.
Der Ritter schnaubte vor Wut. Er hatte es sich so leicht vorgestellt - zu leicht - und nun mußte er sich eingestehen daß sich sein Gegner nicht einfach abschlachten ließ sondern es ihm außerordentlich schwer machte. Die Verletzungen die Grendel ihm zufügte - nun, damit mußte man immer rechnen und sie würden heilen - aber er hatte den Hengst verloren; der war ein wertvolles Tier gewesen das sich nicht so einfach ersetzen ließ. Er begann sich zu fragen ob er recht getan hatte Grendel zum Opfer zu wählen, aber sich aus einem begonnenen Kampf zurückziehen? Niemals!
Er knurrte wie ein wilder Hund und sprang vorwärts - genau in Grendels erhobenes Messer. Nur der hastig emporgerissene Arm - der an dem die Schiene fehlte - bewahrte ihn vor dem Todesstoß, aber das Messer schlitzte seinen Unterarm vom Handgelenk bis zum Ellbogen. Blut - in der Dunkelheit schwarz - floß als breiter Strom und tropfte auf die Erde hernieder.
Während der Ritter eines fragwürdigen Ruhmes wegen - wer wagt es hier von Ehre zu reden - den Kampf angezettelt hatte kämpfte Grendel um sein Leben. Er wußte genau daß er mit nur dem Messer - ursprünglich das Schwert eines römischen Tribunen an dem zwar die Edelsteine fehlten, dem er aber eine scharfe Schneide und eine gute Spitze angeschliffen hatte - bewaffnet gegen Beowulfs Schwert so gut wie keine Chance hatte. Auch wenn ein Schwert seiner Zeit kaum mehr wert war als ein stählerner Knüppel mit schartiger Schneide und stumpfer Spitze hatte der Ritter mit ihm doch die größere Reichweite und zudem war er gepanzert.
Daher setzte Grendel alles daran ihm die Panzerung Stück für Stück herunterzureißen und jedes Mal versetzte er dem Ritter einen Stich oder Schnitt ehe er wieder zurück sprang und Deckung suchte.
Aber sooft Beowulf ein Stück seines Panzers verlor gewann er an Beweglichkeit. Das zahlte sich für ihn aus indem er Grendel immer neue Blessuren zufügte. Sie kämpften verbissen und ob einer von ihnen Mutters Anfeuerungsrufe für Grendel oder die Wutschreie der Dörfler wenn wieder einmal ein Hieb des Ritters ins Leere ging hörte ist fraglich.
Dann löste sich der ölgetränkte Stoffetzen der Fackel von seinem Stecken, flatterte zu Boden und verlosch.
"Licht!" schrie Beowulf und wirbelte in einer Pirouette die ihn gerade noch außer Reichweite von Grendels niedersausendem Messer brachte.
"Licht!" schrie der Amtmann mit überschnappender Stimme. "Zündet mehr Fackeln an! Wir brauchen mehr Licht!"
Das war einfacher gesagt als getan. Nervöse Stimmen schrien durcheinander als tapsige Hände versuchten Funken aus Stahl und Stein zu schlagen und bis endlich eine Flamme aufloderte verging eine Weile. Dann brannten mehrere Fackeln und erzeugten ein irrlichterndes Spiel aus Licht und Dunkelheit.
Indessen hatten die Kämpfer versucht sich in bessere Positionen zu bringen. Grendel war der Geschicktere. Er war hinter Beowulf gelangt und als das Licht aufflammte stieß er zu. Genau dahin wo der Rückenpanzer von Beowulfs Schulter wegklaffte. Die Klinge durchschnitt Sehnen und Blutgefäße und drang tief ins Fleisch.
Wenn er nicht just in diesem Augenblick sein Schwert mit beiden Händen gepackt hätte wäre der Kampf entschieden gewesen.
Beowulf brüllte vor Schreck, Wut und Schmerz laut auf. Sein Blut spritzte als er herumwirbelte und das Schwert krachte gegen Grendels linke Halsseite. Die schwere Klinge zerfetzte die Halsschlagader des Jungen und brach sein Genick.
Grendel stürzte zu Boden wie ein Stein. Den Schreckensschrei aus Mutters Kehle hörte er nicht mehr.
Beowulf taumelte zurück. Das Schwert entglitt seinen Händen ohne, daß er es merkte und dann saß er plötzlich auf dem Boden. Wie aus weiter Ferne drangen durcheinander rufende Stimmen auf ihn ein und eine Woge schwärzester Dunkelheit kämpfte mit dem rotflammenden Fanal feurigen Schmerzes. Die Dunkelheit gewann.
Als er das Bewußtsein wiedererlangte fand er sich auf dem Bett im Königsschloß, in das er sich gelegt hatte als er zuerst hier eintraf. Man hatte seine Wunden notdürftig mit irgendwelchen von alten nicht mehr brauchbaren Kleidern abgerissenen Stoffetzen versorgt und ihn dann allein gelassen. Seine Wunden brannten wie Feuer.
Mühsam und vor Erschöpfung zitternd rappelte er sich hoch. Die Erschöpfung, das lehrte ihn die Erfahrung, kam von hohem Blutverlust. Er mußte Nahrung zu sich nehmen um wieder zu Kräften zu kommen.
Am Fußende des Bettes lag auf dem Fußboden was von seiner Rüstung übrig war. Man hatte ihm die Teile abgenommen und auf einen wirren Haufen geworfen. Das meiste fehlte. Grendel …
Grendel war tot. Er hatte ihn besiegt. Ein Gefühl des Triumphes wollte sich nicht einstellen.
Beowulf taumelte zum Tisch hinüber der in der Raummitte stand. Sein rechter Arm hing kraftlos, ein totes Gewicht.
Auf dem Tisch stand eine kleine Schüssel, ein Löffel daneben, sowie ein Stück hartes Schwarzbrot. Die Schüssel enthielt Schleimsuppe wie er sie jeden Tag gegessen hatte seit er hier eintraf. Tag für Tag, tagein, tagaus. Sie war erkaltet.
In der Suppe schwamm ein klitschiges Stück gekochter Fisch. Das war der Dörfler Dank …
Ein Amtmann hat Rechte die andere, zum Beispiel ein Büttel, nicht haben. Wohl deshalb machte sich des Büttels Weib in der Frühe auf dem Weg zum Schloß, einen Korb am Arm. Der Korb enthielt eine Schüssel mit dampfendem Inhalt und weitere Stoffetzen die als Verbände dienen sollten.
Kaum angekommen machte sie sofort wieder kehrt und war eine Weile nicht ansprechbar bis endlich der Schrei ihre Erstarrung löste.
Darauf begab sich der Amtmann persönlich - in Begleitung des Büttels um nicht allein zu gehen - zum Schloß. Sie fanden Beowulf auf dem wackeligen Stuhl vor dem Tisch sitzend und sein Leichnam war bereits kalt und steif. Eine neue Wunde die seinen Tod hätte erklären können fanden sie nicht. Nur seine Gesichtszüge trugen unauslöschlich eingeprägt den Ausdruck höchsten Entsetzens.
Da wußten sie sofort: die Meerhexe hatte den Tod ihres Sohnes gerächt! Sie trommelten die Dörfler zusammen um Gerechtigkeit an dem Weib zu üben, aber als sie vor der Hütte ankamen fanden sie diese leer. Die Meerhexe war verschwunden und mit ihr verschwunden blieb der Leib des Ungeheuers, ihres Sohnes.
Nur der Kadaver des Pferdes lag dort wo es gefallen war.
Sie brachten Ivars Leichnam heim und sein Vater begrub ihn in stiller Trauer, nicht ohne Anrufung der Götter, besonders Baldur dem Lichtgott, dem er wie damals üblich seines Sohnes Seele anempfahl.
Der Amtmann schickte eine Nachricht über Beowulfs Ableben an König Harald und erbat dessen Verfügung über des Toten karge Besitztümer. Eine Antwort erhielt er nie.
Sie begruben den Ritter in einer Ecke des Totenfeldes und der Amtmann schrieb eigenhändig auf das Kopfbrett die Worte "Beowulf Grendelzwang," und dann stülpte man seinen Helm als Wahrzeichen über die Brettspitze.
Als die Herbststürme heranfegten kauerten sich die Dörfler in ihren Katen und lauschten in irrer Todesangst dem wahnwitzigen Heulen der Meerhexe …

Viele Jahrhunderte sind seither vergangen. Die Marschtümpel sind vertorft und sollte irgendwer zum Torfstechen hingehen findet er vielleicht einmal tief im Moor zwei infolge der Moorsäure gut erhaltene Leichen von denen eine ein Bein zuviel hat.
Armut ist beständig, arme Leute sind es nicht. Wo einst das Dorf stand breitet sich dürre Heide die nicht einmal als Schafweide taugt. König Haralds Schloß verfiel und nur wer danach sucht und dabei großes Glück hat, findet karge Reste der Grundmauern. Und wenn er Archäologe ist findet er womöglich seine akribische Suche nach Schätzen der Vergangenheit durch den Fund einer Steintafel belohnt, die man einst am Schloßeingang anbrachte und auf der in Runenschrift zu lesen stand:

Hir habet wunnen Beowulffen & zwungen en Ungeheur


zurück