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GOLCONDA

Folge 7

von Susanne Stahr



Siegrams Hochzeit

Die hochsommerliche Hitze lag wie eine dicke Decke über Golconda. Tagsüber waren die Straßen wie leer gefegt, erst am Abend, wenn ein kühlender Wind vom Yazoo aufkam, belebte sich die Stadt wieder. Wer es sich leisten konnte, fuhr aufs Land hinaus.
Arwed konnte es sich nicht leisten. Griesgrämig saß er in seinem Arbeitszimmer und sichtete seine Barschaft. Sonst hatte er im Moment nichts zu tun. Violetta hatte alle erforderlichen Prüfungen bestanden. Ihre Familie konnte sich einen Sommer am Land leisten, zumal die Magische Universität, wie alle Schulen Golcondas, für drei Monate ihre Pforten geschlossen hatte. Der junge Magier warf einen wehmütigen Blick zu dem verlassenen Haus hinüber. Das war ein gefundenes Fressen für den Kobold.
"Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ich mit dir leide, Bohnenstange." Triefender Hohn sprach aus Gaspards Worten,
Dass er jetzt nichts mehr gegen den kleinen Quälgeist tun konnte, da er ihn ja aus seinem Bann entlassen hatte, erhöhte Arveds Frust noch. "Warst du noch nie verliebt?", seufzte er.
Zu seinem Erstaunen huschte ein Ausdruck der Betroffenheit über das kleine Gesicht. "Kannst du nicht die Temperatur ein wenig senken?", grummelte der Kleine. Er hatte sein kurzärmliges Hemd bis auf die halbe Brust geöffnet und zupfte an den wenigen Haaren, die dort sprossen.
"Du könntest doch ein kühles Bad nehmen", schlug Arwed vor, wohl wissend, dass Kobolde zwar sehr auf Reinlichkeit achteten, aber nie badeten. Ein Blick auf den tätowierten Hahn an der Innenseite seines Handgelenks zeigte ihm, dass er nicht mehr viel Magie zur Verfügung hatte.
"Tschrt-schlog!", rief er.
Sofort steckte der Agami den Kopf durch die Tür. "Ja, Meister Arwed? Möchtest du einen kühlen Trunk?" Seine Schuppen funkelten in dunklem Blau. Er musste erst vor kurzem aus dem Schlammbad gekommen sein.
"Du hast meine Gedanken erraten. Bring für Gaspard auch einen Becher."
Die beiden waren vor einer Woche gewaltig aneinander geraten. Arwed konnte aus keinem den Grund für den Streit herausbekommen. Aber seither musste der Magier für Gaspard immer ausdrücklich bestellen, da der Agami sonst keinen Finger für den Kobold krumm machte. "Meister Arwed ist auf meinen Fuß getreten, nicht du!", pflegte er trotzig zu sagen, wenn Gaspard ihn um etwas bat.
Dieser unselige Tritt auf den Fuß, von Arwed vollkommen unbeabsichtigt, hatte ihm die lebenslange Treue Tschrt-schlogs eingebracht. Nach Agarni-Tradition bedeutete es nämlich Versklavung. Obwohl Arwed immer betonte, dass er Tschrt-schlog als seinen Angestellten betrachtete, beharrte der Agami darauf.
"Du kriegst Besuch, Langer", meldete Gaspard mit einem hämischen Grinsen. "Es wird dir eine besondere Freude sein."
Im nächsten Moment klopfte es an der Haustür. Tschrt-schlog, der gerade mit einem Tablett aus der Küche kam, zögerte.
"Heh, du Eidechse!", schrie Gaspard. "Bring zuerst den Saft herein! Der Kerl kann ruhig warten."
Mit einer gezierten Bewegung stellte Tschrt-schlog Gaspards Lieblingsbecher auf den Küchentisch zurück und brachte das Tablett ins Büro.
"Selber schuld", meinte Arwed trocken und erstickte dadurch Gaspards Proteste. "Warum musstest du ihn auch beleidigen?"
Der Kleine gab keine Antwort. Sekunden später erschien er mit dem Becher und goss sich ein.
"Eine offizielle Zahlungsanweisung. Soll ich die einlösen?" meldete Tschrt-schlog würdevoll.
"Na, sicher! Mach schnell!" Das musste das Geld vom Finanzamt sein, dachte Arwed.
"Und Meister Ulfried Kallerer." Damit verschwand der Agami.
"Ulfried?" Arwed bedeckte kurz sein Gesicht mit einer Hand. Der hatte ihm gerade noch gefehlt. Wegen des verpatzten Zaubers im Finanzamt hatte der junge Mann seine Arbeit verloren und eine saftige Geldstrafe musste er auch zahlen.
Da stand er nun, in Lebensgröße, das kurze, braune Haar nach allen Seiten abstehend, eine unförmige Reisetasche in der einen Hand, einen Brief in der anderen. Er verbeugte sich tief als er grüßte und reichte dem Magier den Brief.
Erstaunt erkannte dieser darauf das Siegel der Magischen Universität. Neugierig öffnete er den Brief.
"Fakultätsvorstand Golo entbietet Meister Arwed seinen kollegialen Gruß!" las er. "Dieses Schreiben wird von dem Magie-Aspiranten Ulfried Kallerer überbracht. Eine Zahlungsanweisung in der Höhe von 90 Dukaten liegt bei und kann jederzeit an der Universitätskasse eingelöst werden. Mit der Entgegennahme des Geldes erklärst du dich bereit, den Aspiranten für einen Monat bei dir aufzunehmen. Ich wünsche Dir viel Freude an dieser interessanten Aufgabe. Golo, Dekan - Luft."
Verwundert drehte Arwed das Kuvert um und schüttelte es. Nichts. "Wo ist die Zahlungsanweisung?"
"Die habe ich deinem Diener gegeben", gab Ulfried bereitwillig Auskunft.
"Was?" Erschrocken sprang er auf. "Tschrt-schlog! Komm zurück!"
"Der ist schon weg", klärte ihn Gaspard grinsend auf
Arwed unterdrückte einen Seufzer. "Wie ist er nur auf mich gekommen?"
"Ich habe ihn darum gebeten, weil wir uns doch kennen", gab Ulfried bereitwillig Auskunft.
"Du warst ein bisschen zu neugierig", kicherte Gaspard, der es sich neben dem Limonadenkrug bequem gemacht hatte.
"Aber Meister Golo sagte...", stotterte Ulfried verdattert.
"Ist schon in Ordnung", gab Arwed ein wenig schroff zurück. "Tschrt-schlog wird dir dein Zimmer zeigen. Wenn du dich eingerichtet hast, kommst du zu mir." Damit wandte er sich wieder seiner Buchhaltung zu. Das Honorar vom Finanzamt hatte er noch immer nicht bekommen, obwohl, dank Gaspards Aussage, seine Schuldlosigkeit an den Zerstörungen bewiesen war. Da kam der Scheck gerade recht. In seiner Geldkasse waren gerade noch achtzehn Dukaten und ein paar Kupferstücke.
"Die Miete ist nächste Woche fällig", erinnerte ihn Gaspard noch zusätzlich.
Ein Räuspern ließ ihn aufsehen. Ulfried stand vor ihm, stramm wie ein Soldat. Nur sein erwartungsvolles Lächeln sah nicht militärisch aus. "Ich habe großen Hunger und Durst". verkündete er. "Aber vorher möchte ich baden." Das trug er in leutseligem Ton vor. Darauf folgte ein sehnsüchtiger Blick nach der Limonade.
Gaspard applaudierte verhalten. Auf Arweds Stirn erschien eine steile Falte. Seine Augen verengten sich als er antwortete:
"Mein Haus ist weder ein Hotel, noch bist du hier auf Urlaub. Wann es Essen gibt, werde ich dir gegebenenfalls mitteilen." Er holte aus einer Schreibtischlade eine kleine Broschüre. "In diesem Heft findest du die Rechte und Pflichten einer Testperson. Damit du mich aber nicht für einen Unmensch hältst, gestatte ich dir einen Trunk. Hol dir ein Glas aus der Küche."
Der Soldat verschwand und machte dem Bürodiener Platz. "Jawohl, Meister Arwed. Wird sofort erledigt", stammelte er und drückte die Broschüre gegen die Brust.
"Dem hast du's aber gegeben!", kommentierte Gaspard als Ulfried gegangen war und nahm sich noch einen Becher Limonade.
"Ich wollte nur die Positionen klären", knurrte Arwed. Dann zog er einen Handspiegel aus einer anderen Lade und kontrollierte den Sitz seiner Frisur. Hier ein Löckchen. da eine Strähne ... Sollte er sein Haar etwas kürzen lassen?
"Ähem". Ulfried stand knapp hinter der Tür. Er schien ein wenig geschrumpft. "ich habe alles gelesen", berichtete er mit einer Blickmischung aus verletztem Reh und treuem Hund.
"Gut", antwortete Arwed möglichst neutral. "Dann wollen wir gleich beginnen. Zuerst ein paar Fragen. Setz dich." Je schneller er die Sache hinter sich brachte, umso eher war er Ulfried wieder los.
Zögernd folgte der junge Mann der Aufforderung, setzte sich aber nur auf äußerste Kante des Besucherstuhls. Mit großen Augen sah er den Magier an. Seine Hände zupften dabei ständig an den Außennähten seiner Hose.
Arwed holte ein Formular aus einem Stapel Papiere auf dem Tisch. "Gab es in den letzten drei Generationen deiner Familie magisch begabte Personen? Nur Blutsverwandte nennen."
"Nun ... ähem ... da war eine Großtante mütterlicherseits. Sie war eine Seele, immer hilfsbereit."
"Welche Ausbildung hatte sie? Grundkurs der Volkshochschule, Hexenlehre oder Universität?"
"Das brauchte sie nicht. Sie war ein Naturtalent."
Arweds Solarplexus zog sich schmerzhaft zusammen. Er hatte gesehen, was autodidaktische Magier ihren Opfern antun konnten. Im Zuge seines Studiums hatte er auch ein Praktikum in der Ambulanz für magische Unfälle absolvieren müssen. Die Erinnerung daran jagte ihm noch immer kalte Schauer über den Rücken.
"Hatte sie eine Sondererlaubnis?"
"Was?" Ulfried sah ihn mit offenem Mund an.
Arwed kreuzte 'illegal' an und fuhr fort. "Welche Zauber hat sie gewirkt?"
"Sie half den Verliebten und den Enttäuschten." Ulfrieds Hände krochen über die Hosenbeine bis sich die Finger verschlingen konnten. In ununterbrochenem Tanz der Verlegenheit verknoteten sie sich um sich wieder zu lösen, gleich wieder zu verschränken und so fort.
"Soll das heißen Liebeszauber, Racheakte und...?"
Das junge Gesicht vor dem Magier wurde bis unter die braunen Haarstoppel puterrot. "Sie hat den Frauen nur geholfen und auch nur ganz wenig Geld dafür verlangt", blubberte er entrüstet.
"Das kommt auf den Blickwinkel an."
"Warum hackst du auf Tante Adelgunde herum? Sie ist seit sechzehn Jahren tot!"
Mit unbewegtem Gesicht notierte Arwed die Zauber. "Wie lange hat sie ihre . . . . hm, Tätigkeit ausgeübt?"
"Bis die Kontrollbehörde ihr die Magie nahm. Sie haben sie verstümmelt! Und das war nur wegen ..."
Arwed winkte ab. Er hatte keine Lust, sich Ulfrieds Rechtfertigungen anzuhören. Seine Großtante musste zumindest eine Person schwer geschädigt haben und der Pfusch konnte ihr nachgewiesen werden. Nur das konnte die Richter bewegen, die Magie einer Person zu neutralisieren.
"Nun", versuchte Arwed seine Abwehr unter Kontrolle zu bringen. "Ich begrüße es sehr, dass du beschlossen hast, einen legalen Weg einzuschlagen. Wann hast du deine magischen Fähigkeiten das erste Mal bemerkt? Schildere den Vorfall."
"Das war vor sechs Jahren. Ich hatte eine Vision." Er sah Arwed an. Als keine Reaktion kam, fuhr er fort. "Ein schreckliches Wesen sah mich an. Seither kann ich Dinge bewegen und verändern. Er plusterte sich auf wie ein balzender Rebhahn "Am besten, ich zeige es dir: Geschäftig sprang er auf und hob die Hände.
Blitzschnell schoss Arwed einen Erstarrungszauber auf ihn ab. "Du wirst hier nur Magie anwenden, wenn ich es ausdrücklich gestatte." Damit löste er den Zauber. "Noch etwas?
Uifried sank in sich zusammen wie ein angestochener Ballon. Man konnte direkt sehen, wie die Luft entwich "Manchmal sehe ich .... äh, nein, das ist wohl nichts."
"Hrn. Stell dich in den Kreis dort." Der junge Magier deutete auf die Stelle, wo er gewöhnlich Beschwörungen vornahm.
"Was? Wo ist ein Kreis?" Suchend sah sich Ulfried um.
"Ach, du kannst ihn nicht sehen? Dort neben dem Teppich. Er dirigierte seine Testperson an die richtige Stelle. Ein Rest von Magie war noch schwach erkennbar, allerdings nur für geübte Magier. Gaspard quittierte diese kleine Bosheit mit einem Kichern.
Eine elegante Handbewegung ließ eine magische Glocke um Ulfried herum entstehen. "Jetzt kannst du loslegen."
Was Ulfried jetzt bot, war die jämmerlichste Darbietung angewandter Magie, die Arwed seit langem erlebt hatte. Die Gesten waren eckig und teilweise unvollständig ausgeführt, was seine Zauber höchst unberechenbar machte. Immer wieder erschienen Blitze. Manchmal wallte es mattgrün und bräunlich in der Glocke. Diese Erscheinungen waren aber zu kurz um sie zweifelsfrei zuzuordnen.
"Ist gut, Ulfried. Es reicht jetzt", rief Arwed. Er wartete nur noch, bis der junge Mann seine Hände sinken ließ. Dann hob er den Schutzschirm auf.
"Na? Wie war ich'?", fragte Ulfried stolz.
"Ich muss es erst auswerten", wich Arwed aus. Da war doch irgendetwas. Das unangenehme Gefühl, etwas übersehen zu haben, beschlich ihn. "Geh in die Küche. Tschrt-schlog hat sicher Arbeit für dich:'
"Aber ich soll doch ...", setzte Ulfried an.
"Hast du nicht die Broschüre gelesen? Ein gewisses Quantum an Dienstleistungen ist einer Testperson ohne weiteres zuzumuten. Das ist Punkt elf.
Sinnend tippte Arwed mit dem Stift gegen die Vorderzähne. Diese Blitze. In seinem Hinterkopf meldete sich eine kleine Stimme. Leider zu leise. Es wollte ihm nicht einfallen.
"Ich sehe wie die Räder deines Verstandes im Schlamm deiner kontraproduktiven Bemühungen stecken bleiben", singsangte Gaspard.
"Was? Drück dich doch mal klarer aus, brummte Arwed ungnädig.
"Paradoxe Logik", erklärte der Kobold dozierend. "Wenn du ein Ziel zu schnell erreichen willst, behinderst du dich selbst und es dauert viel länger.
"Gaspard!" Arweds Finger trommelten gegen die Tischplatte.
"Emotionelles Engagement kann sich als Rohrkrepierer erweisen." Gluck, gluck, gluck. Wieder leerte der Kleine ein Glas. Seine Miene drückte äußerste Zufriedenheit aus.
"Offenbar leidest du wieder mal an einem Anfall von geschwollener Ausdrucksweise", stellte der Magier trocken fest. "Darf ich dich daran erinnern, dass du einen Vertrag unterschrieben hast? Und zwar ohne Schnörkel!"
"Mein Gedächtnis funktioniert sehr gut. Ich bin verpflichtet, dir bei allen deinen Aufträgen nach besten Kräften zu helfen. Das habe ich eben getan. Für eventuelle medizinische Probleme deiner Hörorgane oder die Degeneration deines Intellekts bin ich nicht zuständig:
Schnell brachte er sich auf der Gardinenstange in Sicherheit.
Arweds Gesicht rötete sich. Dass der Kobold recht hatte, und Arwed fühlte das, erhöhte noch seinen Frust. Dazu kam, dass sich die kleine Nervensäge absolut korrekt verhielt, In ihrem Vertrag war die genaue Form der Hilfeleistung nicht festgelegt. Der Magier bezweifelte auch, dass es eine Möglichkeit gäbe, seinem Helfer einen bestimmten Stil vorzuschreiben. Er setzte zu einer geharnischten Antwort an. Doch die Worte blieben unausgesprochen. Aus der Küche drang ein Höllenlärm. Zuerst krachte es, dass das Haus in den Grundfesten erbebte, dann hörte man Ulfrieds Schreie und Tschrt-schlogs Kampfzischen.
Mit höchst unerfreulichen Vorahnungen setzte sich Arwed in Bewegung. Der Anblick, der sich ihm bot, übertraf jede Erwartung. Ulfried lag mit kreidebleichem Gesicht am Boden und brüllte sich die Seele aus dem Leib. Auf seiner Brust kniete Tschrt-schlog, das größte und schärfste Messer an seiner Kehle. Was von seinen Schuppen sichtbar war, schillerte in grellem Orange, das sich immer mehr in Richtung Gelb veränderte. Rasende Wut und Mordlust, erkannte Arwed. Am Körper des Agami und auch in der ganzen Küche klebten gelblichweiße Flocken.
"Ruhe!", brüllte Arwed mit magisch verstärkter Stimme.
Ulfried klappte den Mund zu und beschränkte sich auf Zittern und Schnaufen.
"Lass ihn los, Tschrt-schlog", befahl Arwed. "Was ist hier geschehen?"
Der Agami zischte noch einmal wütend, dann erhob er sich. Doch das Messer drohte noch immer. Nur langsam verblasste das Gelb um zwischen neutralem Blaugrün und mattem Orange zu schwanken.
"Er ist plötzlich über mich hergefallen", beschwerte sich Ulfried. "Völlig grundlos."
Sofort wurden Tschrt-schlogs Schuppen grellorange. "Diese schuppenlose Missgeburt hat mit den Händen gefuchtelt. Dann ist die Kartoffelkiste explodiert."
"Da kann was dran sein", mischte sich Gaspard ein. "Es riecht nach Magie."
Auch Arwed hatte verwehende, magische Emanationen wahrgenommen. "Hast du entgegen meines strikten Verbots Magie angewendet?
Unter Arweds strengem Blick kroch Ulfried in sich zusammen. "Ich hatte die besten Absichten", verteidigte er sich. "Ich wollte..."
"Du solltest Kartoffel schälen!", knirschte der Agami und ließ das Messer aufblitzen.
"Bei meiner Mutter hat es immer geklappt", beteuerte Ulfried. "Na ja, fast immer."
"Du hast meine Anweisungen missachtet und dadurch mutwillig Sachgüter zerstört und mein Heim beschmutzt. Damit hast du Punkt 1 und Punkt 9 der Regeln übertreten. Ich werde diesen Vorfall in meinem Bericht an die Kommission erwähnen. Außerdem wirst du für den entstandenen Schaden aufkommen." Er wandte sich an seinen Koch. "Ab ins Schlammbad! Ulfried wird inzwischen die Küche putzen, ohne Magie." Als er sich seinem Aspiranten zuwandte, glich sein Lächeln mehr einem Zähnefletschen. "Gaspard wird dir Gesellschaft leisten."
"Mit Vergnügen!", krähte der Kobold.
Die nächsten Tage verliefen mit weiteren Tests und weitgehend ruhig. Ulfried war tatsächlich magisch begabt, doch sein Talent schwankte auf höchst merkwürdige Weise. An manchen Tagen zeigte es sich so schwach, dass es kaum für eine Hexenlehre reichen würde. Dann wieder war es so mächtig, dass es Arwed mulmig wurde. Er wurde nicht recht klug aus dem Burschen.
Jedenfalls holte er sich das Geld von der Universitätskasse und kaufte sich ein Gemälde für sein Arbeitszimmer, die allegorische Darstellung des Elements Luft. Eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf schalt ihn, soviel Geld für so eine unnötige Sache auszugeben, doch er überhörte sie gekonnt. Vergnügt machte er sich daran, einen Nagel dafür in die Wand zu schlagen. Zwischen dem Schrank für Zauberutensilien und dem Bücherregal schien ihm der beste Platz.
Dann geschahen mehrere Dinge fast gleichzeitig. Ein markerschütternder Schrei kam aus der Küche. Der Hammer traf Arweds Daumen. Aus Ulfrieds Zimmer drang ein verdächtiges Poltern und Stöhnen. Es klopfte an der Haustür. Arwed steckte seinen malträtierten Daumen in den Mund und hastete in die Küche.
Der Agami glänzte braun mit grünen Flecken. Etwas hatte ihn mordsmäßig erschreckt, worüber er jetzt sehr verlegen war. "Da war ein Geist", flüsterte er. Die Agami waren furchtlose Krieger und stolz darauf. Das Einzige, das ihnen Angst einjagen konnte, waren Geister. Nun deutete eine schuppige Klaue auf das zerbrochene Küchenfenster. Mit der anderen hielt einen Fleischschlegel.
"Geister zerbrechen keine Fenster", erklärte Arwed nuschelnd, aber bestimmt, stieg über die am Boden ausgestreuten Nudeln und verfehlte nur knapp ein zerbrochenes Ei. Dann war er am Fenster und sah hinaus. Auf dem Ast des verwilderten Apfelbaums saß der größte rote Kater, den er je gesehen hatte und putzte sich.
"Ein Kater", sagte er. "Wem der wohl gehört? So ein freches Tier! Wo ist eigentlich Ulfried?"
"In seinem Zimmer, aufräumen." Noch immer hatte der Agami braune Flecken.
Wieder klopfte es an der Tür, diesmal dringlicher. Doch Arwed wollte zuerst sehen, was da gepoltert hatte. Ulfried war keuchend bemüht, den Kleiderschrank am Umfallen zu hindern.
Arwed richtete das Möbel magisch auf und fragte verwundert: "Was machst du denn da?"
"Ich wollte nur abstauben, da ist er umgefallen." Der junge Mann leckte das Blut von einem tiefen Kratzer auf seinem Handrücken.
"Es riecht nach Magie", meldete sich Gaspard.
"Ich hab nicht gezaubert!", beteuerte Ulfried. "Ich schwör's! Ganz sicher nicht!"
Arwed nahm den Daumen aus dem Mund und lauschte. Ja, da war ein Hauch von Magie, aber nicht Ulfrieds. Wieder schrie jemand, diesmal von der Haustür.
Tschrt-schlog war gewohnheitsmäßig öffnen gegangen, mit dem Fleischschlegel in der Klaue. Arwed packte Ulfried am Kragen und ging zur Tür. Schmerzhaftes Klopfen in seinem Daumen ließ ihn diesen wieder in den Mund stecken. Ein königlicher Postbote starrte den Agami erschrocken an. Als der Magier mit seiner Testperson dazukam, wurden seine Augen noch um einiges größer. Das Trio bot auch einen sehenswerten Anblick.
Nun nahm Arwed den Daumen aus dem Mund und fragte höflich: "Wen suchst du, ehrenwerter Bote?"
Der Mann starrte noch einige Sekunden, dann fasste er sich. "Ein Brief für Meister Arwed Berenger, Luftrnagier", stieß er hervor. Er schaffte es sogar, einigermaßen würdevoll zu klingen.
"Der bin ich", erklärte Arwed.
Nun reichte ihm der Bote einen Umschlag aus grobem, braunem Papier.
Mit den Worten "Es tut mir leid, dass wir dich erschreckt haben. Ein kleines Missgeschick magischer Natur", gab er dem Boten ein reichliches Trinkgeld. Dieser nahm die Münzen zwar, aber in seiner Miene spiegelte sich klar seine Meinung über den Geisteszustand der Drei. Sein Abgang sah verdächtig nach Flucht aus.
Als Erstes wirkte Arwed einen Heilzauber für seinen Daumen. Dann ging er noch einmal in Ulfrieds Zimmer. Wer hatte hier Magie gewirkt? Doch die Reste waren verflogen und er konnte nichts mehr feststellen. Endlich konnte er sich dem Brief widmen.
Die etwas ungelenke Schrift auf dem Kuvert war die seines Vaters. Seit Arwed sein Studium an der Magischen Universität in Golconda aufgenommen hatte, war er nicht mehr in Marreno gewesen, wo sein Vater einen Gutshof besaß. Einmal im Jahr bekam er einen Brief, in dem er über alle bemerkenswerte Vorkommnisse in der Familie und im Dorf informiert wurde. Obwohl es etwas früh dafür war, vermutete Arwed, dass dies wieder so ein Jahresbericht war. Also machte er es sich in seinem Arbeitszimmer bequem und begann zu lesen. Doch schon nach den ersten Zeilen stockte er.
"Mein lieber Sohn Arwed!", las er da. "Es wäre erst in zwei Monaten Zeit, dir zu schreiben. Sicher hast du dich schon gewundert, dass mein Brief diesmal früher kommt. Nun, der Grund dafür ist, dass dein Bruder Siegram heiraten wird. Sein größter Wunsch ist, dass du sein Trauzeuge bist. Also mache dich auf, denn die Hochzeit soll am Fest der Aprikosengöttin stattfinden." Der Rest waren gute Wünsche und ein Abschiedsgruß.
Ein Lächeln huschte über Arweds Gesicht. Siegram war sein fünfter Bruder und auch der fünfte, der in den Stand der Ehe trat. Siegram, der Hundetrainer. Wenn er einen fliegenden Teppich mietete, konnte er in wenigen Stunden in Marreno sein. Einen Ein-Personen-Teppich vertrug sein Budget gerade noch. Das Fest der Aprikosengöttin wurde in zwölf Tagen gefeiert. Da hatte er noch genügend Zeit
"Darf ich ein Bad nehmen?" Ulfried stand in der Tür und sah ihn fragend an.
"Du meine Güte!", entfuhr es dem Magier. An Ulfried hatte er jetzt gar nicht gedacht.
"Wie bitte?"
"Ah, was? Ach, ein Bad. Da musst du erst Holz hacken. Du badest so oft, dass alles Holz verbraucht ist."
Buckelnd verschwand Ulfried wieder und ließ einen sorgenvollen Magier zurück. Er überlegte hin und her bis ihm auffiel, dass Siegrams Hochzeit ja zwei Tage nach Ende des Testmonats stattfand. Ein wunderbares Timing. Gaspard konnte in seiner Rocktasche reisen, Ulfried hatte ihn wieder verlassen und Tschrt-schlog konnte sich einmal ausgiebig seiner Familie widmen. Genau an diesem Punkt trat ein Problem auf, mit dem er nicht gerechnet hatte.
Sein Agami-Diener legte sich quer. "ich gehe mit dir", erklärte er stur.
"Du hast hier eine wichtige Aufgabe", widersprach Arwed. "Deine Kinder brauchen dich und du kannst ja auch das Haus hüten. Das befehle ich dir."
"Du bist mir auf den Fuß getreten, nicht das Haus", beharrte der Agami. "Warum legst du nicht einen Bann auf das Haus, der Einbrecher abschreckt? Können wir nicht die Postkutsche nehmen?"
Verflixt! So eine Argumentation hatte der Magier befürchtet. Die Postkutsche. Das wäre eine Möglichkeit. Sie machte in Ipsam Halt, einer kleinen Stadt vier Wegstunden von Marreno entfernt. Aber nein, das ging auch nicht. Das würde ja mindestens drei Tage in Anspruch nehmen. Und Ulfried? Den musste er dann ja mitnehmen. Und für drei Fahrkarten reichte sein Geld nicht aus.
"Dann werde ich nebenher laufen." Seine Schuppen wurden vor Angst braun, denn er wusste, dass er so eine Anstrengung nicht durchhalten würde.
Ein tiefer Seufzer quälte sich über Arweds Lippen. Ja, das war ihm zuzutrauen. Tschrt-schlog würde lieber sterben als seine Ehre verlieren. "Dann müssen wir zu Fuß reisen", kapitulierte er notgedrungen. Und das bedeutete, dass er in zwei Tagen aufbrechen musste.
Sofort färbte sich der Agami dunkelblau vor Freude. "Ich werde sofort alles vorbereiten."
Arwed schickte Ulfried in den Garten zum Holz hacken und überlegte. Was war alles zu erledigen, bevor er abreiste? Die Testunterlagen. Damit war er fertig. Es fehlte nur noch ein abschließender Bericht. Den konnte er auch nach seiner Rückkehr verfassen. Das Fenster musste erneuert werden. Blieb nur noch diese fremde Magie. Aber was er auch unternahm, er konnte die Quelle nicht ausfindig machen. Dass sie weiter aktiv war, zeigte sich daran, dass Teller und Tassen durch die Luft flogen, Möbelstücke wackelten und Lebensmittel verschwanden. Dies geschah zwar in allen Räumen des Hauses, hauptsächlich aber in Ulfrieds Zimmer. Nur sein Arbeitszimmer blieb verschont. Ein Klopfgeist? Hatte Tschrt-schlog doch recht? Gaspard wusste auch keinen Rat. Er brauchte mehr Zeit, um die Sache zu untersuchen. So sehr ihm dieses Problem auf der Seele brannte, er musste es auch verschieben. Ach ja, ein Hochzeitsgeschenk für Siegram fehlte noch. Mit unbewegtem Gesicht ging er in den Garten und gab Tschrt-schlog die Erlaubnis, Ulfried zu filetieren, falls dieser wieder Magie anwandte.
Der junge Mann erbleichte. "Aber ich habe doch gar nicht ..." wandte Ulfried ein.
Tschrt-schlog ist ein ehrenwerter Agami und wird meine Anweisungen genauestens ausführen", schnitt ihm Arwed das Wort ab und machte sich auf den Weg.
Im Basar erstand er eine kleine Rolle feinen Damast, gut geeignet für Bettwäsche. Der Händler versicherte ihm. dass dieses edle Gewebe auch mit einem Zauber für gute Träume ausgestattet war, der einige Wochen anhielt. Arweds drittes Auge zeigte ihm, dass dies die Wahrheit war. So schätzte er sich glücklich so ein schönes Geschenk gefunden zu haben.
Arwed wandte für den Schutzzauber seines Hauses besonders viel Sorgfalt auf. Dreimal ging er ihn Schritt für Schritt durch, bis er zufrieden war. Tschrt-schlog und Ulfried standen währenddessen wartend auf der Straße, der eine in stoischer Ruhe, der andere ungeduldig zappelnd. Man sah es Ulfried an, dass er gern etwas gesagt hätte, aber die Strafe, die ihm das Gericht für den gestörten Zauber aufgebrummt hatte, wirkte noch immer nach.
"Auf geht's, Leute!" Frohgemut setzte sich Arwed in Bewegung. Wenn er ehrlich war, freute er sich auf die Reise. Er setzte sich Gaspard auf die Schulter und war fast versucht, ein Liedchen zu pfeifen.
Jeder trug sein Gepäck, das auch Proviant für drei Tage beinhaltete in einem Rucksack bei sich. Später würden sie jagen oder fischen müssen. Zu diesem Zweck hatte Tschrt-schlog einen kleinen Bogen nebst Pfeilen und Angelhaken mitgenommen. Sein Schwert trug er in einer Scheide auf dem Rücken.
Die kleine Gruppe ging bis ans Ende der Geckozeile Dann kam sie auf die Überlandstraße, die sich durch die Wiesen schlängelte um im Wald zu verschwinden. Die Wanderer kamen am ersten Tag gut vorwärts. Noch vor dem Mittagessen hatten sie die Felder und Weiden hinter sich gelassen und tauchten in den Wald, der Golconda auf drei Seiten umgab. An der vierten, der Ostseite, begrenzte der Yazoo die Stadt. Dass ihnen ein großer, roter Kater folgte, zuerst versteckt in den Gärten, dann im Unterholz, bemerkte keiner. Arwed genoss den erdigen Duft des Waldes und den Wind in seinem Haar. Einmal sahen sie einen dünnen Rauchfaden zwischen den Bäumen. Der musste von der Hütte des alten Balder kommen, eines alten, schrulligen Hexenmeisters. Ach, wie lange war er nur in der Stadt gewesen?
Als es Abend wurde, schlugen sie an einem klaren Bach ihr Nachtlager auf Tschrt-schlog hatte einen Köder in das Wasser des Baches geworfen und lauerte darauf dass ein Fisch anbiss währenddessen Ulfried Holz für ein Feuer sammelte. Der Magier bereitete einen Abwehrzauber für die Nacht vor als er einen erstickten Aufschrei hörte.
"Das war Ulfried. Ich sehe mal nach", erbot sich Gaspard. Sekunden später war er wieder da. "Das solltest du dir lieber selber ansehen, Rooster", meinte er.
Aus dem Unterholz drangen jetzt würgende Geräusche. Mit einem Seufzer erhob sich der Magier und folgte den Lauten. Ulfried lehnte mit einer Schulter an einem Ahornbaum und versuchte, seinen ohnehin leeren Magen noch mehr zu entleeren.
Arwed bemerkte zuerst den Geruch. Es stank nach Blut und Tod. Hinter einem kleinen Haselstrauch fand er die Ursache. Aufatmend stellte er an Hand von Fellfetzen fest, dass es die Überreste eines kürzlich geschlagenen Tieres und nicht die eines Menschen waren. Zu welcher Gattung dies gehörte, war beim besten Willen nicht mehr feststellbar, so zerfetzt wie der Kadaver war.
Das größte Raubtier, das in den Wäldern um Golconda lebte, war ein Luchs. Das wusste Arwed. Das, was dieses Tier getötet und halb aufgefressen hatte, war erheblich größer gewesen. Alarmiert aktivierte er sein drittes Auge. Ein Schleier von Magie lag über der Stätte.
"Dachte ich mir doch", brummte der Magier und schrieb eine Rune in die Luft. Die schattenhaften Umrisse einer bizarren Gestalt erschienen. Triefaugen schauten gierig aus einem runden Gesicht mit einer riesigen Nase. Die dünnen Lippen waren halb geöffnet und gaben den Blick auf kleine, aber sehr spitze Zähne frei. Ein magerer, dreibeiniger Körper mit krallenbewehrten Pfoten hockte zusammen gekauert im Gras. Ein Dämon der zweiten Ebene, stellte Arwed fest. Das musste Balders Schoßhund sein. Er war harmlos, wenn man von seinen Jagdmethoden und seiner Gefräßigkeit absah.
Halbwegs beruhigt ging er zu ihrem Lagerplatz zurück. Ulfried hatte sich wieder gefangen und war dabei ein Feuer zu entfachen. Er stellte sich dabei erstaunlich geschickt an. Auf Arweds Frage erklärte er stolz: "Ich war bei den Pfadfindern." Das bedeutete in erster Linie, dass Arwed keine Magie fürs Feuermachen verwenden musste. So brauchte er nur einen magischen Zaun errichten, der sie vor allen Fährnissen, die der Wald bergen mochte, schützen würde. Zur Sicherheit fügte er noch eine Abschreckung gegen magische Wesen hinzu. Dass dies eine gute Idee gewesen war, zeigten die tiefen Abdrücke unförmiger Tatzen und abgerissene Rindenstücke von den umliegenden Bäumen, die am nächsten Morgen die Umgebung ihres Lagers zierten.
Ein Konzert der verschiedensten Singvögel begrüßte einen strahlenden Morgen. Arwed erwachte erfrischt, wenn auch ein wenig steif. Tief inhalierte er die frische Waldluft. Gaspard polierte bereits vergnügt pfeifend seine Schuhe und Tschrt-schlogs Schuppen glänzten dunkelblau. Auch er teilte die gute Laune seines Brotherrn. Nur Ulfrieds Mundwinkel hingen nach unten.
"Was ist denn mit dir los?" fragte Arwed verwundert. "Hast du schlecht geschlafen?"
"Ganz und gar nicht. Ich warte nur schon eine Ewigkeit, dass ich endlich zum Wasser kann. Ich muss mich doch waschen."
"Ach so!" Arwed hatte ganz vergessen, dass sich Ulfried jeden Tag mindestens einmal ganz wusch. Eine lässige Handbewegung hob den magischen Zaun auf.
Sogleich rannte Ulfried mit seinem Rucksack zum Bach.
"Geh ein Stück den Bach abwärts", rief ihm Tschrt-schlog nach. "Ich will fischen!"
"Das hatte ich vor", knurrte Ulfried grimmig. Eine halbe Stunde später kehrte er weitaus besser gelaunt an den Lagerplatz zurück. Er warf Arwed einen scheuen Blick zu und setzte sich still ans Feuer.
Zwei dicke Fische brutzelten an zugespitzten Stöcken über den Flammen. Sie waren schon fast gar und ließen allen das Wasser im Mund zusammen rinnen.
An diesem Tag spielte das Wetter leider nicht so gut mit, wie tags zuvor. Gegen Mittag zogen dunkle Wolken auf und wenig später fielen die ersten Tropfen. Gaspard kroch in Arweds Brusttasche während sich der Magier und sein Aspirant in Regenumhänge hüllte. Nur Tschrt-schlog begrüßte das Nass. Er benötigte keine Kleidung, seine Schuppen schützten ihn ausreichend.
"Kannst du nicht besseres Wetter zaubern?", nörgelte Ulfried.
"Das würde zuviel Zeit und Magie kosten", lehnte Arwed ab. "Hinter der nächsten Bergkuppe müsste eine Station der Postkutsche sein. Dort können wir uns unterstellen."
"Dauert so ein Wetterzauber länger als ein Reinigungszauber?", ließ Ulfried nicht locker. "Heute früh ging das ja ganz fix."
"Ich habe heute früh nicht gezaubert", antwortete Arwed automatisch.
"Aber dein Anzug war doch ganz voll .... äh, ich weiß nicht, was das war." Ulfried senkte den Kopf und zog seine Kapuze tief ins Gesicht.
Mit einem Ruck blieb Arwed stehen. "Was sagst du da?" Er packte Ulfried Schulter und drehte ihn zu sich herum. "Wo hast du mich mit einem schmutzigen Anzug gesehen?"
Ulfrieds Augen waren schreckgeweitet. "Heute früh, beim Waschen. Du kamst an den Bach und ... ah, blicktest über das Wasser. Nun, du hast in meine Richtung gesehen, aber ich denke nicht, dass das ... äh, Absicht war. Du hast mich so böse angesehen
"Ich weiß nicht, wo du gebadet hast und mein Anzug war nicht schmutzig", sagte Arwed eindringlich. Das war ein Dämon, der meine Gestalt angenommen hat. War die Kleidung blutig?"
Ulfrieds Miene schwankte nun zwischen Erleichterung und noch größerem Schrecken. "Jaaha!", stotterte er. "Ganz blutig. Im Dickicht lag auch ein geschlagenes Rehkitz ..."
"Warum hast du nichts davon gesagt?", herrschte ihn nun der Magier an.
‚Aber, ich dachte doch ... du hast so böse geschaut. Da wollte ich nicht
"Was denkst du eigentlich von mir!" Jetzt war Arwed richtig böse. "Hältst du mich für ein Ungeheuer?
"Aber nein!" Ulfried wusste nicht mehr, was er sagen sollte und nach einigem Herumstottern verstummte er endlich.
"Mir bleibt auch nichts erspart!", seufzte Arwed. Jetzt hatte er die Erklärung für die fremde Magie in Ulfrieds Zimmer. Kein Klopfgeist. Nein! Ein Dämon der zweiten Ebene. Und noch dazu ein Täuscher. Im Grunde war diese Art Dämon zumeist nicht sehr gefährlich. Mit einem einfachen Zauber konnte man sie enttarnen. Und einmal erkannt, flohen sie meist von selbst zurück auf ihre Ebene. Gelang es ihnen aber, sich hier zu etablieren, konnten sie beträchtliches Unheil anrichten. Arweds Problem bestand darin, dass er nur eine minimale Zauberausrüstung mitgenommen hatte. Gerade ausreichend für ein paar Illusionszauber, mit denen er die Hochzeitsgesellschaft unterhalten wollte.
Stirnrunzelnd musterte er seinen Aspiranten. Ja, manchmal war seine Magie sehr mächtig. Es war durchaus möglich, dass er dann unbewusst ein Tor zu einer anderen Dimension öffnete. Damit war auch das Rätsel gelöst, wer dem Dämon im Finanzamt Einlass gewährt hatte.
"Sieh mich nicht so an!", jammerte Ulfried. "Was kann denn ich dafür, dass hier ein Dämon herum läuft?"
"Eine ganze Menge", brummte Arwed, zog seinen Umhang enger um den Körper und schritt kräftig aus. "Warum hast du mich nicht gewarnt, du Nichtsnutz?", fragte er in seine Brusttasche.
Zuerst war gar nichts zu hören, dann bequemte sich Gaspard zu einem unwirschen "Ich kann mich doch nicht um alles kümmern." Er fing sich aber schnell und meckerte gleich los:
"Mach den Umhang dicht, es wird kalt!"
Ein Sonnenstrahl brach durch die Wolken und kündete das Ende des Regens an. Arwed schritt kräftig aus. In seinem Kopf drehten sich die Gedanken. Wenn er den Dämon bannen wollte, musste er Kräuter suchen. Es konnte Tage dauern, bis er alles beisammen hatte, falls überhaupt. Das wäre die leichte Variante, was den Aufwand an Magie betraf. Es gab aber auch Zauber, zu denen keine Kräuter benötigt wurden. Das wäre aber wesentlich anstrengender. Allerdings wäre dies aber die sicherste Methode, den Dämon fürs Erste unschädlich zu machen. Im Geist ging er Schritt für Schritt für so einen Zauber durch.
Er war so tief in Gedanken, dass er fast an der Poststation vorbei gegangen wäre. Diese hier diente nur dem Pferdewechsel. Sie bestand im Wesentlichen aus einer Hütte für den Pferdeknecht mit einem angeschlossenen Stall und einer Koppel. Unter einem weit ausladenden Vordach standen drei Pferde mit hängenden Köpfen und leckten gerade die letzten Krümel ihres Futters auf Die Postkutsche musste sie überholt haben während sie am Bach lagerten.
Arwed fand den Pferdeknecht hinter der Hütte, wo er ein müdes Pferd striegelte. Der Magier grüßte und erntete ein freundliches Lächeln.
"Es tut mir leid, edler Meistermagier", begann der Knecht nach einem Blick auf Arweds Magierabzeichen entschuldigend. "Ich bin hier nicht auf Gäste eingestellt. Was ich habe, werde ich aber gern mit dir teilen." Während er sprach war er mit Arwed um die Hütte herum gegangen. "Oh, du bist in Begleitung'", entfuhr es ihm als er Ulfried und den Agami sah.
"Wir haben genug Vorräte", wehrte Arwed ab. "Ich wollte dich fragen, ob ich deine Hütte für einen Zauber benützen darf."
Zuerst atmete der Bursche erleichtert auf, doch dann wurden seine Augen groß. "Diese Station ist Eigentum der königlichen Post", antwortete er gedehnt "Ich bin dafür verantwortlich."
"Dein Pflichtbewusstsein ehrt dich", lobte Arwed. "Ich muss jedoch einen Dämon bannen, den mein Aspirant unwissentlich freigesetzt hat. Für eventuelle Schäden kommt die Magische Universität auf"
Eine Weile dachte der Pferdeknecht nach, wobei er zur Unterstützung rhythmisch seinen Hinterkopf kratzte. "Nun, ja", sagte er dann. "Jetzt? Die Kutsche aus Ipsam kommt um vier Uhr nachmittags. Bist du bis dahin fertig?"
Es war jetzt kurz vor Mittag. Mit allen Vorbereitungen musste die Zeit locker reichen. Um auf keinen Fall gestört zu werden, jagte er alle hinaus. Der Pferdepfleger hatte ohnehin noch Arbeit mit den Tieren und Tschrt-schlog sollte Ulfried im Auge behalten. Nach den Erfahrungen im Finanzamt wollte er bei diesem Zauber ungestört sein.
Zuerst reinigte er die Hütte von allen negativen Einflüssen. Eine leichte Übung, denn es gab hier nur einen Tisch, einen Stuhl, einen Strohsack in einer Ecke und eine kleine Truhe. Sorgfaltig bereitete er den Zauber vor. Da er keine geweihte Kreide hatte, umgab er sich mit einem Schutzschild und versiegelte die Türen und Fenster. Dann arbeitete er einen Spruch aus. Zur Sicherheit schrieb er die Formel auf. Als er endlich an die Durchführung ging, hatte die Sonne den Zenit überschritten und sein Magen knurrte leise. Er wagte aber nicht, etwas zu essen, da ein voller Magen erfahrungsgemäß seine Konzentration minderte. Außerdem wollte er die Sache hinter sich bringen.
Der erste Schritt war das Rufen des Dämons. Das gelang tadellos. Arwed stand plötzlich sich selbst gegenüber. Ärgerlich schoss er einen Wahrheitszauber ab. Die Gestalt zerfloss und formte sich neu, nur um sich sofort wieder zu verändern. Diese ständige Metamorphose wurde von einem jämmerlichen Geheul begleitet.
"Halt ein!", rief der Magier und begleitete seine Worte mit einer Binderune. "Das wird dir eine Lehre sein!"
Nun stand ein kleiner, alter Mann vor ihm und grinste ihn zahnlos an. Das Gerücht, dass Täuscher keine eigene Form besaßen, schien sich zu bewahrheiten.
"Dein Name", forderte Arwed streng.
"Such dir einen aus. Ich habe tausende. Arwed würde mir am besten gefallen." Er fand diesen Vorschlag so lustig, dass er in wieherndes Gelächter ausbrach.
Zornesröte stieg in Arweds Gesicht. "Da habe ich bessere Vorschläge", knurrte er... Wie wäre es mit Qualle oder Schleimbatzen?"
Der Alte bleckte ein Raubtiergebiss, wusste er doch nur zu gut, dass ein Magier einen Namen fixieren konnte, den der Dämon dann sein Leben lang nicht mehr ablegen konnte. "Du kommst dir wohl besonders witzig vor", zischte er. "Ich bin Soborhali."
"Schön, Soborhali. Wo ist das Tor, durch das du gekommen bist?" Eine magische Geste ließ Soborhalis Zehen qualmen.
"In deinem Haus", heulte der Täuscher und hüpfte von einem Fuß auf den anderen. "In dem Zimmer, das nach Osten geht." Dann verzerrte Wut sein Gesicht. "Schick mich nach Hause und du siehst mich schon bald wieder in deiner Nähe." Spöttisch grinsend vollführte er einige Tanzschritte.
Arwed dachte an den magischen Schutz seines Hauses. Den Dämon in die eigene Dimension zu schicken, wäre für ihn ein Leichtes. Doch dann bliebe Soborhali in seinem Haus gefangen, sobald er wieder in diese Welt kam. Ihm graute bei der Vorstellung, was der Täuscher anstellen konnte, bis Arwed aus Marreno zurück kehrte. Er musste den Dämon bannen und befehlen, an einem genau begrenzten Ort zu bleiben. Um ihn in eine andere Dimension zu senden, dafür reichte seine Magie nicht mehr aus. Am Rückweg konnte er ihn leicht abholen und zu Hause den Rest erledigen. Ja, das könnte funktionieren.
Als Ort visualisierte er ihren Lagerplatz am Bach. Akribisch genau las er seinen Zauberspruch. Er fühlte auch, dass die Magie in Strömen von ihm floss und seine Kraft rapide abnahm.
Plötzlich, es fehlten nur noch zwei Worte, donnerten Hufe gegen die Holzwand. Schrilles Gewieher und die aufgeregten Stimmen der drei Männer erschallten. Mit letzter Kraft sprach er die Schlussworte. Die Wände der Hütte bebten. Fauchend löste sich der Dämon auf und hinterließ eine Wolke ekelerregenden Gestanks. Ein sirrendes Geräusch in Arweds Kopf ließ ihn aufstöhnen
"Da ist etwas schief gegangen", konnte er noch denken. Dann sank er besinnungslos zu Boden.
Etwas Nasses, Kaltes klatschte in Arweds Gesicht. Matt versuchte er den Kopf weg zu drehen, da das nasse Ding auch noch herb nach Pferd roch.
"Den Göttern sei Dank!", drang Tschrt-schlogs Stimme an sein Ohr. "Er kommt wieder zu sich
Schlagartig erinnerte sich der Magier. Der Zauber! Er versuchte, sich aufzusetzen, doch seine Glieder schienen aus Blei zu sein. Mit Mühe öffnete er ein halbes Auge und schielte auf den Hahn auf seinem Handgelenk. Er war kaum noch zu sehen.
"Wie spät ist es?", flüsterte er schwach.
"Es ist gleich Mittag", informierte ihn Tschrt-schlog bereitwillig. "Ich war auf der Jagd und habe auch schon gekocht für dich. Du musst doch einen riesigen Hunger haben.
"Du hast fast 24 Stunden geschlafen", ließ sich auch Ulfried hören.
Hunger? Arwed horchte in sich hinein. Oh ja! Sein Magen fühlte sich wie ein verschrumpelter Dudelsack an. Und von draußen kam lieblicher Bratenduft. Mühsam richtete er sich auf. Offenbar war dies hier er der Strohsack des Pferdeknechts. Ulfried und Tschrt-schlog packten jeder einen Arm und zogen ihn auf die Beine. Nun stand er schwankend da und sah sich um.
"Der Dämon! Wo ist er jetzt?", stieß er hervor. Schlagartig kam die Erinnerung Sein Zauber war gestört worden. Er hatte keine Ahnung, wie sich das auswirken würde.
Nun meldete sich der Pferdeknecht. "Der ist durch die Wand geschossen und weg war er", berichtete er und deutete dabei auf eine Stelle der Hütte, wo ein großes Loch notdürftig mit Brettern vernagelt war.
Arweds Knie wurden weich. Fürsorglich dirigierte ihn Tschrt-schlog zu dem einzigen Stuhl. "Du musst etwas essen!"
Sekunden später hatte Arwed einen Holzteller mit einem großen Stück Rehbraten vor sich stehen. Dazu gab es dunkles Brot, Karotten, Preiselbeeren und klares Quellwasser.
Arwed nahm zuerst einen großen Schluck Wasser und fühlte sich gleich besser. "Was war das für ein Lärm da draußen während ich hier arbeitete?", fragte er streng.
Alle drei begannen gleichzeitig zu reden, sodass kein Wort zu verstehen war.
"Tschrt-schlog!", brüllte Arwed in das Chaos. "Du zuerst."
"Ulfried wollte ein Pferd füttern und es hat ihn gebissen. Da schlug er ihm auf die Nase und das Pferd keilte aus und traf den Gaul daneben und der fetzte dann auch aus, und dann waren alle Pferde wild und der Knecht brüllte Ulfried an und Ulfried heulte wegen seiner Finger, dabei waren sie doch noch dran.
"Das waren die bösartigsten Pferde, die ich je gesehen habe!", rief nun Ulfried dazwischen.
"Du Trottel!", schrie jetzt der Pferdeknecht. "Jedes Kind weiß, dass man Pferden Futter auf der flachen Hand anbietet! Der Gaul hat nur die Karotte gerochen und danach geschnappt."
"Ich hab doch ganz vorsichtig...", begann Ulfried und verstummte.
Arwed seufzte. Das hatte er nun wirklich nicht voraussehen können. Auch Tschrt-schlog oder den Knecht traf keine Schuld. "Ich habe einen selbst kreierten Zauber gewirkt und dieses Theater hat ihn gestört."
Der Pferdeknecht wurde bleich. "Dann wird er hierher zurückkehren!", jammerte er.
"Ich werde die Station mit Schutzrunen sichern", beruhigte ihn Arwed. "ich weiß nur selber nicht, wo der Täuscher jetzt hingegangen ist."
Während dieses Gesprächs hatte er eine opulente Mahlzeit zu sich genommen. Doch ein Blick auf seinen Hahn zeigte ihm, dass er immer noch nicht fähig war, mehr als den angekündigten Schutzzauber zu wirken. So beschloss er, den Rest des Tages zu bleiben und erst am nächsten Morgen weiter zu reisen. Gleich nach dem Essen rollte sich Arwed wieder auf dem Strohsack zusammen und ruhte bis zum späten Abend.
Der Agami servierte ihm noch einmal Rehbraten. Jetzt wollte der Magier dem Pferdeknecht sein ärmliches Bett überlassen, aber der Mann wehrte sich dagegen. Zum Dank ließ Arwed glitzernde Sterne auf ihn regnen. Am nächsten Tag hatte er endlich die Strapazen überwunden und die kleine Gruppe machte sich wieder auf den Weg. nachdem Arwed den versprochenen Zauber fixiert hatte.
Da sie einen ganzen Tag verloren hatten, trieb Arwed seine Gefährten zur Eile an. Trotzdem ließ er keine Vorsichtsmaßnahme außer acht. Jeder Lagerplatz wurde sorgfältig nach Spuren des Dämons abgesucht. Auch unterwegs schickte Arwed seine Begleiter immer wieder ins Unterholz und scannte die Umgebung zudem magisch. Doch nirgends fand sich nur die geringste Spur. Der Täuscher war und blieb verschwunden. Sollte das Geschrei dem Zauber doch keinen Schaden getan haben? Arwed blieb misstrauisch.
Am späten Nachmittag des letzten Tages des Testmonats erreichten sie Ipsam. Arwed gab Ulfried Geld für ein Nachtlager und die Rückfahrt nach Golconda. Jetzt endlich konnte er aufatmen, dachte er, doch die erhoffte Entspannung kam nicht. Immer noch musste er an den Täuscher denken. Dass er so absolut keine Spuren von ihm gefunden hatte, machte ihn nur noch kribbliger.
Es war schon dunkel als der Magier und der Agami das Gehöft der Berengers erreichten. Es bestand aus einem großen Haupthaus, dem Wohngebäude der Familie und mehreren Nebengebäuden, Ställe, Hundezwinger, Schuppen.
Tschrt-schlog wurde tiefbraun vor Angst als drei marrenische Kampfhunde mit großen Sätzen auf sie zu stürmten. Schnell legte Arwed den Arm um Tschrt-schlog.
"Steh ganz ruhig und schau ihnen nicht in die Augen", befahl er.
Der Agami erstarrte. Doch seine Schuppen glänzten immer noch bräunlich. Jetzt waren die Hunde heran. Flüchtig schnupperten sie an dem Agami, dann begrüßten sie Arwed Schwanz wedelnd. Immer wieder sprang einer an ihm hoch und versuchte sein Gesicht zu lecken während die anderen kläffend um ihn herum sprangen.
"Na, wenn das nicht Arwed ist", hörte man eine Mannerstimme. Dann strömten Männer, Frauen und Kinder aus dem Haupthaus und umringten sie. Die Männer klopften dem Magier auf die Schultern, die Frauen umarmten ihn und die Kinder zupften an seinem Anzug. Begleitet wurde dieses Begrüßungsritual mit Fragen und Lachen und schön langsam schob man ihn ins Haus. wo seine Mutter bereits den Tisch für die Beiden gedeckt hatte. Tschrt-schlog blieb bescheiden an der Tür stehen.

"Setz dich zu mir, Tschrt-schlog", rief Arwed gut aufgeräumt. "Meine Mutter ist auch eine gute Köchin. Vielleicht könnt ihr ja Rezepte austauschen:'
Wie gewöhnlich lud seine Mutter ihm den Teller viel zu voll. "Du bist viel zu dünn", rechtfertigte sie sich. Nun ja, das sagte sie, seit er denken konnte.
Schließlich musste er erzählen, wie er die Reise überstanden hatte. In atemloser Spannung hörten alle den Bericht von dem Täuscher. Die Erwachsenen bekamen sorgenvolle Gesichter und die Kinder drängten sich an ihre Mütter.
‚Du wirst den Damon doch vernichten?", fragte Hadwin, Arweds ältester Bruder.
"Nur wenn es nicht anders geht", meinte Arwed. "Für gewöhnlich genügt es, ihn in seine Dimension zurück zu senden. Außerdem sind Dämonen sehr schwer tot zu kriegen. Auch von schwersten Verletzungen erholen sie sich erstaunlich schnell. Das Beste ist, sie in eine höhere Dimension zu schicken, da kommen sie meist nicht mehr heraus."
"Meister Arwed ist ein großer Magier", warf Tschrt-schlog ein.
Arwed errötete bei diesem Lob freudig. Für seine Familie war dies das Signal, den Magier mit Fragen zu bestürmen. So kam es, dass er noch bis spät in die Nacht von seinen Erlebnissen in Golconda erzählte. Deshalb verschlief er dann aber auch den halben Vormittag.
Beim verspäteten Frühstück fragte er nach Siegram und seiner Braut. "Ich möchte ihnen mein Hochzeitsgeschenk überreichen", erklärte er seiner Mutter.
"Oh! Petrissa fühlt sich ein wenig unpässlich", antwortete sie. "Es wird wohl die Aufregung sein. Sie hat sich hingelegt."
"Aber der Brauch verlangt es doch, dass ich dem Paar mein Geschenk am Tag vor der Hochzeit überreiche." Arwed war ein wenig enttäuscht. Seit der Brief gekommen war, hatte er sich überlegt, wen sein Bruder wohl heiraten würde. Petrissa. Als er nach Golconda ging um Magie zu studieren, war sie eine magere Sechzehnjährige gewesen. Wie sah sie jetzt aus?
"Ich werde es Siegram sagen", versprach seine Mutter. "Für kurze Zeit kann sie sicher das Bett verlassen." Damit legte sie ihm noch ein dickes Stück Honigkuchen auf den Teller.
Arwed wollte schon protestieren, dann dachte er, Gaspard könnte doch ... Plötzlich überfiel es ihn siedendheiß. Wo war Gaspard? Seit dem Zauber in der Poststation hatte er ihn weder gesehen, noch an ihn gedacht und das war jetzt fünf Tage her. In fieberhafter Eile suchte er in allen seinen Taschen.
"Gaspard! Wo bist du?", klagte er. Es war nichts zu machen. Sollte ihn der Kobold verlassen haben? Nein, sicher nicht. Es musste ihm etwas zugestoßen sein. Beunruhigt machte er sich auf die Suche nach Tschrt-schlog.
Der Agami hatte eine schlammige Grube gefunden und planschte vergnügt darin herum.
"Wo hast du Gaspard zuletzt gesehen?", fragte ihn Arwed.
Erschrocken schlug der Agami die schlammigen Hände zusammen. "Gaspard!", rief er. Der Schlamm spritzte nach allen Seiten. Arwed konnte seinen guten Anzug nur durch einen mächtigen Sprung retten. "Das war doch in der Poststation."
"Oje!" Arwed wandte sich ab. Nun fiel es ihm ein. Wie konnte er nur so einen Fehler machen? Kobolde reagierten sehr empfindlich auf selbst kreierte Zauber. Von schlimmen Vorahnungen geplagt ging er in sein Zimmer und aktivierte sein drittes Auge. Systematisch suchte er seine Sachen durch. Ja, hier, in der Brusttasche, da empfing er das Muster von Gaspards Aura. Vorsichtig steckte er die Hand hinein und fühlte einen kleinen, steifen Körper.
"Gaspard!" Er unterstützte den Ruf magisch. Ein schwaches Echo kam zurück. "Gaspard!" Nun bewegte sich der Körper. Arwed zog ihn heraus und konnte ihn jetzt auch sehen. Dünn und blass sah er aus. Kein Wunder, er hatte tagelang nichts gegessen.
‚Das wurde aber auch Zeit!", beschwerte sich der Kleine. "Hast du was zu essen? Ich könnte sieben Bären verschlingen."
"Wo warst du?", fragte Arwed, ging mit ihm in die Küche und setzte das Männlein vor den Honigkuchen.
Blitzschnell war das Backwerk verschwunden. "Das war für den hohlen Zahn. Wann gibt's etwas zum Essen? Aaah!" Er hatte einen Schinken und einen halben Laib Brot erspäht. Wenig später war nur noch ein blank abgenagter Knochen übrig. "So jetzt geht's mir besser", brummte er. ‚.Was wolltest du wissen? Wo ich war? Na, in deiner Brusttasche!"
"Es tut mir so Leid, Gaspard", begann Arwed. "Mein selbst kreierter Zauber .
"Hat mir nicht soviel ausgemacht. Dafür bin ich zu lange schon mit dir zusammen", unterbrach ihn der Kobold. "Das war der Täuscher. Er hat mich in eine magische Starre versetzt und dazu noch aus euren Gedanken gestrichen. Das Biest ist ganz schön gefährlich für einen von der zweiten Ebene."
Ja, es musste ein sehr alter Täuscher sein. Die waren echt fies. Arwed schüttelte bedauernd den Kopf. Einerseits war er erleichtert, dass er an Gaspards magischer Gefangenschaft nicht Schuld war, andererseits machte er sich wieder Sorgen.
"Dein Zauber ist gebrochen als der Krach mit den Pferden losging. Das Ekelpaket ist hier irgendwo. Ich rieche ihn."
"Kannst du ihn mir zeigen?" Angst um seine Familie und etwas wie Jagdlust bemächtigte sich Arweds.
"Wenn ich ihn sehe", bestätigte Gaspard.
"Gut. Aber zuerst möchte ich Siegram und Petrissa ihr Geschenk überreichen. Dann suchen wir den Täuscher." Er wartete nur auf Gaspards Nicken, setzte sich den Kleinen auf die Schulter und marschierte los, den Stoffballen unter dem Arm.
Siegram wartete mit seiner Braut in der großen Stube. Lächelnd standen die Beiden auf als Arwed auf sie zu trat. Ja, das war Petrissa. Aus dem mageren Mädchen war eine hübsche Frau geworden.
"Gaspard von den Hügeln", stellte er seinen Partner vor und fuhr fort: "Das ist mein Bruder Siegram und seine Braut.
"Er ist es!", schrie Gaspard und riss heftig an Arweds Ohr.
"Aua! Wer?" Vergeblich suchte er sein Ohr zu befreien. "Lass mein Ohr los, Gaspard!"
"Er ist es, du Trantüte! Sag seinen Namen!"
Ja, er hatte schon verstanden, was Gaspard meinte. Einer der Beiden war der Täuscher. Aber wer? Wenn er die falsche Person ansprach, gab er dem Dämon Zeit für einen Angriff So nah am Ziel würde der Täuscher hemmungslos kämpfen.
In diesem Moment betrat Tschrt-schlog das Zimmer. "Meister Arwed, ich habe eben. Oh. du hast ihn gefunden!" Er wollte wieder gehen.
Doch der Magier hielt ihn zurück. Er hatte gesehen, wie sich Petrissas Hand in die seines Bruders legte. Für einen Sekundenbruchteil war die zarte Mädchenhaut grün und warzig geworden.
"Was ist los, Arwed?", wunderte sich inzwischen sein Bruder.
"Tschrt-schlog, schlag Siegram nieder!", befahl der Magier.
Unverzüglich sprang der Agami auf den Hundetrainer los und knallte ihm die Faust ans Kinn. Ächzend brach Siegram zusammen. Durch den Sturz kam seine Hand frei. Und genau das hatte Arwed bezweckt.
"Soborhali!", schrie er die junge Frau an. Dazu zeichnete er seine stärkste Rune in die Luft. Feurig glühend hing das Symbol zwischen ihm und Petrissa. Schon dachte er, Gaspard hätte sich geirrt, da begann die Metamorphose. Bald stand wieder der Alte vor ihm, den er schon von der Poststation kannte. Hasserfüllt starrte er den Magier an.
Eben richtete sich Siegram benommen auf. "Spinnst du, Rooster?", krächzte er und rieb sich sein Kinn. Er setzte zu einer längeren Tirade an, doch die Verwandlung seiner Braut ließ ihn verstummen. Zudem kniete der Agami neben ihm und legte eine schuppige Klaue über seinen Mund.
"Was hast du mit dem Mädchen gemacht?", herrschte Arwed den Dämon an.
"Gefressen", grinste dieser. "Hat gut geschmeckt, sehr zart."
Von Siegram kam ein erstickter Aufschrei.
"Du lügst!", schrie ihn Gaspard an und hielt den linken Zeigefinger in seine Richtung. Ein grüner Blitz fuhr aus der Fingerspitze, stach in Soborhalis Schulter und blieb als grüner Stern dort haften.
Es war das erste Mal, dass Arwed den Kobold diese Art von Magie wirken sah. Obwohl er wusste, dass Kobolde, die selbst nur die Wahrheit sagen konnten, damit mächtige Zauber vollbringen konnten.
"Solange du meinen Stern trägst, wirst du die Wahrheit sagen", kicherte Gaspard boshaft. "Das wird dir hoffentlich eine Lehre sein. Mit mir legst du dich nicht mehr an!"
Heulend kratzte der Dämon an dem unerwünschten Schmuck, konnte ihn aber nicht entfernen.
"Wo ist Petrissa!", fragte Arwed noch einmal.
Der Täuscher bleckte nur die Zähne, sehr lange und sehr spitze Zähne, die er in der Poststation nicht gehabt hatte. Aus den Fingern wuchsen gebogene Krallen. Brüllend sprang er Arwed an. Ein Reflex ließ Arwed den Stoffballen schützend zwischen sich und das Ungeheuer halten. Die Klauen ratschten mühelos durch das edle Gewebe. Arwed warf ihm die Fetzen über den Kopf und schoss einen Feuerball in seinen rechten Fuß. Das Geheul wurde schriller. Sofort ließ Arwed weitere Feuerbälle folgen. Er placierte sie so, dass sie den Täuscher zwar schwächten, aber nicht töteten.
"Wo ist Petrissa?", donnerte er.
Noch rang der Dämon mit den Stofffetzen, schrie jedes Mal auf, wenn ihn ein Feuerball traf. Doch kein Wort kam über seine Lippen.
Verzweifelt sah sich Arwed nach etwas um, mit dem er sich schützen konnte. Für einen magischen Schild fehlte ihm jetzt die Zeit. Schon warf sich der Täuscher auf ihn. Der Magier wurde zu Boden geschleudert. Jeden Moment konnten sich die Klauen in seine Brust bohren. Arwed schloss die Augen und schrie ein Wort der Macht. Der Dämon flog gegen den Tisch, der krachend zusammen brach. Keuchend kam Arwed auf ein Knie, bereit einen weiteren Zauber zu wirken. Es war nicht mehr nötig. Tschrt-schlog wischte eben sein Schwert an den Resten des Damasts ab. Der edle Stoff qualmte und stank erbärmlich.
"Ist er tot?", fragte Arwed und ging zu dem reglosen Körper.
"Nicht ganz", antwortete ihm der Dämon. Tschrt-schlogs kaltes Eisen hatte seinen Oberkörper vom Hals bis fast zur Mitte gespalten.
"Wo ist Petrissa?", fragte der Magier noch einmal.
"Fahr zur Hölle, vermaledeiter Hexer!", fauchte Soborhali während grünes Dämonenblut die Trümmer des Tisches und die Fußbodenbretter zischend auflöste.
"Nun gut, ich schick dich auf die siebente Ebene." Schon hob er die Hand zu dem entsprechenden Zauber.
Da brach herzzerreißendes Gewinsel aus dem Täuscher. "Nicht die siebente! Bitte, bitte nicht! Dort war ich schon mal dreitausend Jahre gefangen!"
"Dann sag mir, wo Petrissa ist!"
"Im Keiler, hinter den großen Fässern."
Hinter Arwed polterte Siegram zur Tür hinaus.
"Sehr gut, verschwinde auf die sechste Ebene." Arwed sprach die Worte. Mit Heulen und Pfeifen verschwand der Täuscher.
"Du bist stets eine Quelle neuer Erkenntnisse", sagte Arwed zu Gaspard. Dann verbeugte er sich vor dem Agami. "Ich danke dir, Tschrt-schlog. Du hast mein Leben gerettet, mächtiger Krieger."
Der Agami wurde zuerst dunkelgrün vor Verlegenheit, das sich aber bald in stolzes Lila wandelte. "Ich bin dein Sklave und du bist so gut zu mir. Mein Schwertarm wird immer dir gehören."
"Du bist mein Angestellter", korrigierte Arwed automatisch.
"Arwed! Sieh!" Siegram kam mit Petrissa auf den Armen zurück. Ihre Brust hob und senkte sich schwach und die Augen waren geschlossen. Ich kann sie nicht wach kriegen", jammerte er.
Ein wenig Magie hatte er noch, sagte ihm die Farbe seines Hahns. So sah er die junge Frau mit seinem dritten Auge an. Ja, es lag ein Bann auf ihr, ein einfacher Schlafbann. Der Täuscher war in Eile gewesen. Ein kurzer Spruch hob ihn auf Petrissa erwachte und klammerte sich weinend an ihren Bräutigam. Es dauerte eine Weile bis sie sich beruhigt hatte. Doch dann dankte sie Arwed und dem Agami herzlich.
Erst jetzt kam Arwed zu Bewusstsein, dass der Kampf nicht spurlos an ihm vorbei gegangen war. Sein schöner Anzug war arg ramponiert, sein lockiges Haar zerzaust und jeder Knochen im Leib tat ihm weh. "Wie sehe ich aus!", rief er entsetzt. "Wo ist ein Spiegel'?"
"Im Badezimmer ist der Größte", grinste Siegram und auch Petrissa brachte schon ein kleines Lächeln zustande. "Landolf kann dir etwas für die Hochzeit borgen, er hat deine Größe und ist auch so dürr wie du."
"Ich bin schlank", berichtigte Arwed pikiert. Dann schlug er erschrocken die Hand vor den Mund. "Es tut mir so Leid", begann er verlegen. "Aber ich kann nicht dein Trauzeuge sein." Traurig deutete er auf die Damastfetzen. "Ich habe kein Geschenk für euch."
"Oh!" Tiefe Enttäuschung zeichnete die Gesichter des jungen Paares.
"Ähem", machte Tschrt-schlog auf sich aufmerksam. "Meister Arwed hat doch ein Geschenk. Mich."
"Nein, du bist mein Angestellter", protestierte der Magier empört. "ich habe dir schon hundert Male gesagt, dass du..."
"Ich werde den Hochzeitstanz der Agami für euch tanzen", fuhr Tschrt-schlog unbeirrt fort. "Da ich Meister Arweds Sklave bin, ist dies sein Geschenk als Trauzeuge."
Der Hochzeitstanz der Agami wurde gewöhnlich nicht vor Menschen vorgeführt. Doch wer ihn gesehen hatte, vergaß ihn sein Leben lang nicht mehr. Und so geschah es dann auch. Noch viele Jahre später sprachen die Leute von Marreno über Tschrt-schlogs wunderbare Darbietung.
Eine Woche nach der Hochzeit war Arwed wieder zu Hause in Golconda. Als Erstes schloss er das Dimensionstor. Zum Glück war in seiner Abwesenheit kein neuer Dämon erschienen. Dann verfasste er seinen Bericht über Ulfried und übergab ihn der Kommission.
Wenige Tage danach kam Ulfried zu ihm und beschwerte sich bitter, dass man seine Magie auf Lebenszeit blockiert hätte.
"Du bist Schuld!", ereiferte er sich. "Ich wäre ein guter Magier geworden. Ich konnte schon viele Zauber wirken. Du hast meine Zukunft zerstört."
"Dein Dämon hat Gaspard in unsichtbare Statik versetzt und dann hätte er beinahe meinen Bruder geheiratet", hielt ihm Arwed in kaltem Zorn entgegen. "Wer einen Täuscher begünstigt, hat keine Nachsicht verdient." Damit schob er ihn zur Tür hinaus.
"So hart kenne ich dich gar nicht", meinte Gaspard. "Der Junge hatte doch immer nur die besten Absichten.
"Das machte ihn ja so gefährlich. Außerdem, wenn's um meine Familie geht, kann ich noch viel härter sein", erklärte Arwed und stellte sich vor seinen schönen, großen Spiegel und ordnete seine Locken.


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