STORIES


EIN RÄTSEL


von Fred H. Schütz



Vor langer, langer Zeit, sagen wir frühes Mittelalter oder vielleicht sogar noch davor, da lebte nahe der Mündung eines großen durch das ganze Land von Süd nach Nord fließenden Stroms (dessen Wasser auch heute noch gern mit Wein verglichen wird, auch wenn es mit dem edlen Stoff keinerlei Ähnlichkeit mehr besitzt) ein König. Dieser hatte einen Sohn und der hatte außer Flausen nichts anderes im Kopf, als daß er ein starker und berühmter Held werden wollte.
Der König sah das auch ein - schließlich war es damals so üblich - aber als unser junger Freund seinem Knappen gebot ihm die Rüstung anzulegen und sein Pferd zu satteln fuhr er dazwischen. "Nichts da!" sagte er, "geh du mal schön allein und versuch dein Glück! Der Knappe bleibt da. Er soll sein Brot verdienen indem er Wild für meine Tafel jagt, oder wenn ihm sonst nichts einfällt, kann er von mir aus Stricken lernen."
Nun, dem jungen Prinzen blieb nichts anderes übrig als seinem Erzeuger zu gehorchen - auch das war damals so üblich - und so zog er los, bar und bloß und ohne alles. Nicht einmal ein bißchen Kleingeld durfte er mitnehmen, um ein Stückchen Käse zu kaufen.
Nicht lange, da traf er einen kleinen Mann, der hatte einen Bart, gewiss noch länger als das ganze Kerlchen hoch war und auf dem Kopf eine spitze Mütze. Dieser teilte sein Mahl mit ihm denn damals war Gastfreundschaft noch Landessitte, und sah dabei ganz unglücklich drein.
Als sein Gast ihn deswegen befragte sagte er, "Eigentlich hätte ich ja guten Grund zu Frohsinn, denn ich besitze einen Schatz von reichem Geschmeide, aber da ist dieser Drache, der mein Gold für sich haben will. Wenn nun einer käme, der dem Untier den Garaus macht würde ich ihn reich belohnen."
"Das könnte ich machen," sagte der junge Mann, "aber wie du siehst habe ich keine Waffe."
"Wenn's weiter nichts ist," entgegnete ihm der Kleine, "ich habe hier ein Schwert das ist sogar ein Zauberschwert. Das schlüge dem Drachen schon fast von alleine den Kopf ab!"
"Warum machst du's denn nicht selber?" fragte der Prinz.
"Weil's viel zu schwer für mich ist!"
"Gib mal her!" sagte der Prinz und nahm die Waffe an sich. Dann ließ er sich noch den Weg zeigen und als er nicht lange gegangen war, stand er schon vor der Höhle, in welcher der Drache hauste.
"Drache, komm raus!" rief er hinein, "ich will dir den Kopf abschlagen!"
"Was, du auch?" staunte der Drache und trat wirklich heraus. "Da müßtest du aber ein Zauberschwert haben!"
"Nun, ich habe gerade eins dabei," sagte unser Held angelegentlich und mit einem Hieb schlug er dem Drachen den Kopf herunter.
Ei, wie da das Blut spritzte! Ganz schwarz und ölig schillernd soll es gewesen sein. Jedenfalls passierte jetzt etwas, womit unser Held garnicht gerechnet hatte.
Es kann ja sein, daß er auf der Blutlache ausrutschte, oder vielleicht fiel ihm ein, daß er noch nicht gebadet hatte. Er lag also der Länge nach in dem Blut das nicht aufhören wollte zu fließen - also, wenn das Wein gewesen wäre, es hätte für eine Hochzeitsgesellschaft zum Feiern gereicht - und dabei überzog er sich von oben bis unten mit dem Drachenblut. Nur an einer Stelle auf dem Rücken, wo er weder mit der rechten noch mit der linken Hand rankam, blieb die Haut von dem Blut frei.
Und als das Blut antrocknete war es ein Panzer so hart wie Stahl - und Stahl gab es damals bekanntlich noch nicht.
Das Schwert aber wischte er fein säuberlich ab, damit es rein und vor allem scharf blieb. Wer weiß, das Drachenblut hätte das Schwert womöglich stumpf werden lassen.
Dann ging unser junger Freund zu dem kleinen Mann zurück um seinen Lohn zu kassieren. Der zeigte sich aber plötzlich ganz geizig. "Wer weiß ob du den Drachen wirklich getötet hast!" rief er höhnisch. "Das Schwert ist ja ganz sauber und auch den Drachenkopf hast du nicht als Beweis mitgebracht!"
Ei, wurde der Recke da zornig! Sich um den Lohn für die Mühe betrogen zu sehen paßte ihm garnicht. Also schlug er auch dem Kleinen den Kopf herunter.
Dann suchte er in dessen Behausung nach dem Schatz und als er ihn gefunden hatte, schwang er ihn sich auf den Rücken. Schließlich nahm er noch dessen spitze Mütze an sich, denn er hatte gehört, daß die Mützen der kleinen Leute Tarnkappen sind.
Das funktioniert wie Sympathiezauber. Zieh die Mütze über die Augen herunter dann siehst du nichts mehr, und wenn ich dich nicht sehe siehst du mich auch nicht!
Das konnte er auch gleich ausprobieren, denn der Wirt des Gasthofs in dem er logierte, hatte eine Tochter und die wollte an dem gerade stattfindenden Schwimmwettbewerb teilnehmen. Also zog er sich die Mütze über's Gesicht und mit dem Mädchen auf dem Rücken schwamm er quer über den Fluß - einmal hinüber und dann wieder zurück. Klar doch, daß die Kleine als Siegerin gefeiert wurde, als sie diesseits wieder aus dem Wasser stieg.
Den Lohn für seine gute Tat kassierte er auch gleich ein, indem er sich in der folgenden Nacht mit der Kleinen vergnügte.
So ändern sich die Zeiten: heute käme er wegen Mißbrauchs einer Abhängigen ins Gefängnis!
Dann wanderte er weiter und als er eine Weile gewandert war, gelangte er an einen Königshof, wo er als Sohn eines fremden Monarchen mit großen Ehren empfangen wurde. Der König hatte eine Schwester, die unserem jungen Freund außerordentlich gut gefiel - und als die hörte, daß er ein Held war, weil er einen Drachen getötet hatte, verliebte sie sich auf der Stelle in ihn.
Nun lebte am Hofe aber auch eine Schildmaid, in die der König ungeheuer verknallt war, aber sie hatte geschworen, sie würde sich nur dem hingeben der sie in drei Sportarten besiegte.
Da war guter Rat teuer. Der König war zwar ein leidlicher Schachspieler aber mit Kriegssport - andere Sportarten gab's ja damals nicht - hatte er kaum etwas im Sinn. Er hätte die Jungfrau nie für sich gewinnen können, wenn …
Aber wozu hat man einen angehenden Schwager, der eine Tarnkappe besitzt! Also legten die beiden Kämpen am Tage des Wettstreits identische Tuniken an (Tunika nannte man lang herabhängende Oberhemden, wie sie der gut gekleidete Herr seinerzeit trug) und dann stülpten sie sich abwechselnd gegenseitig die Tarnkappe über, sodaß immer nur einer sichtbar war. Das Ende vom Lied war, daß es so aussah als sei es der König gewesen, der die Lanze warf, den Stein wuchtete und im Wettlauf schneller war als die Maid.
Diese schäumte vor Wut, aber es blieb ihr nichts anderes übrig: sie mußte zugeben, daß der König sie besiegt hatte. Also war der Bund beschlossen und es wurde eine Doppelhochzeit gehalten, die wohl eine Woche lang gefeiert wurde, und alle waren guter Dinge.
Nur die frisch vermählte Königin nicht. Ihr schwante Übles. Nur, wie konnte sie herausfinden, daß man sie hereingelegt hatte?
Die Lösung trug eine Augenklappe. Das war ein Ritter, der wohl ebenso finster dreinschaute, wie er die Welt ansah, und augenscheinlich hatte er nicht nur ein Hühnchen mit unserem Freund zu rupfen, sondern außerdem auch ein Faible für die junge Königin. Der steckte er sogleich brühwarm, wer wie des Königs angeblichen Sieg bewirkt hatte, um sich sodann an dero frischgebackene Schwägerin heranzumachen. Dieser gaukelte er vor ihr Freund zu sein und er wolle ihrem Gatten im Kampf seinen Schild fürhalten (vorhalten) wenn sie nur die Stelle markiere, wo er ungeschützt war (der junge Idiot hatte wohl zu oft und zu laut mit seinem Drachenblutpanzer geprahlt.)
Das leichtgläubige Bräutchen tat wie ihr geheißen und stickte ein Kreuz aus rotem Faden auf den Rücken der Tunika - und keiner sah's außer der mit der Augenklappe.
Nun begab es sich, daß über kurz oder lang zur Jagd geblasen wurde (für die illustre Gesellschaft von damals war die Jagd ja nicht nur Sportvergnügen sondern stellte auch eine Bereicherung ihrer Tafel dar. Bauern waren nicht so dumm das Vieh, das sie für Milch und Wolle hielten auch noch zu schlachten.) Wie nicht anders zu erwarten, tat sich unser Held besonders hervor, erlegte nicht nur die längste Strecke jagdbaren Wilds sondern erledigte auch noch einen Bären, indem er ihm seinen Dolch in den Leib rammte.
Aber Jagen macht nicht nur Spaß und Freude sondern der Sport ist gleichfalls erhitzend und ermattend. Also streckte sich unser Freund vor einer Quelle (von der man nicht genau weiß wo sie liegt; darum wurden seither mehrere Stellen zwischen Hunsrück und Spessart so ausgezeichnet) auf den Boden, nahm einen kräftigen Schluck kühler und erfrischender Nässe und wollte sich gerade einem kleinen Schlümmerchen hingeben
als …
der herbeigeeilte finstere Ritter mit der Augenklappe die zu nämlichem Zweck mitgeführte Saufeder (das war ein kurzer Spieß mit Querstange die verhindern sollte daß der aufgespießte Eber daran hoch kroch um den Jäger in die Hand zu beißen) dem jungen Helden genau durch ("X markiert die Stelle") das Fadenkreuz und tief ins Herz stieß.
Der war so tapfer, daß er ihm noch eine kurze Strecke nacheilte, um seinen doch eher wohl augenblicklichen Tod zu rächen.
Natürlich geht die Historie weiter. Sie erzählt, zum Beispiel, wie der Meuchler sich selber ans Messer liefert, indem er an die Bahre herantritt und die Wunde des Toten wieder zu bluten beginnt - solches wurde damals als sicherer Hinweis auf die Identität eines Mörders gewertet. Sie erzählt auch, wie die nach Rache dürstende Witwe den von langer Hand vorbereiteten Tod aller an dem Mord Beteiligten durch Schwert und Feuersbrunst herbeiführt, sodaß das Königreich … eieiei, jetzt hätte ich beinahe aus der Schule geplaudert!
Aber hier, an dieser Stelle, ist die Lebensgeschichte dieses weltberühmten, ach so jung dahin gemeuchelten Heros zu Ende!
Wer war's?


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