STORIES


ST. MARTIN DU BOIS

Folge 4

von Fred H. Schόtz



Der Drachenstein machte das Atmen schwer. Er hob den Arm um das Ding von seiner Brust zu schieben - das heißt, er wollte den Arm heben, aber der gehorchte seinem Willen nicht. Der Arm war weg …
Rupert öffnete schlaftrunkene Augen die blicklos vor sich hinstarrten. Er hätte genauso gut blind sein können aber das machte keinen Unterschied. Er lag, völlig aufgelöst, in wohliger Lethargie und seine Nüstern atmeten den unbeschreiblichen wohlvertrauten und bislang doch so fremden Duft - was war es eigentlich?
Es war die Last an seiner Seite die den Duft verströmte und die Last war ein Teil seiner selbst. Der Last verdankte er die wohlige Wärme die ihn einhüllte - und irgendwo dahinter eine unbestimmte Angst die ihm verbot zu erwachen … weil er sie sonst verlöre …
Der Drachenstein hatte seidenweiches Blondhaar das seine Wange kitzelte und eben jetzt öffnete sich darunter ein Auge - ob der Nähe riesig - dessen kreisrunde Pupille vom Licht getroffen zu einem schmalen querliegenden Schlitz zusammenschnurrte und die Iris golden schimmern ließ. Die Gestalt an seiner Seite erstarrte und machte ihn gewahr, daß sie auf seinem Arm lag, nur spürte er den Arm nicht.
Gott, die Schmerzen die er ausgehalten hatte! Zwei Tage lang hatte er seine Arme nicht bewegen können und Mona hatte ihm in allen Verrichtungen helfen müssen - sogar gefüttert hatte sie ihn!
Wie lange war das jetzt her? Drei Wochen? Drei Wochen! Seit drei Wochen waren sie verheiratet - quasi verheiratet - und ihre Liebe hatte keinen Deut nachgelassen, war im Gegenteil noch gewachsen!
Mona … Wenn er sie jetzt verlöre … Eine unbeschreibliche, undeutbare Angst erfüllte ihn - was war es das ihm solche Angst bereitete …?
"Hast du das gehört?" flüsterte sie, die Engelsstimme kaum vernehmbar.
Geräusche drangen in sein Bewußtsein, Stimmengewirr, lautes Getrappel … Stakkatoschritte harter Sohlen die sich rasch näherten …
Mona rappelte sich hoch und sprang aus dem Bett. Sie hatte sich kaum den Hausmantel übergezogen - was ihn mit Bedauern erfüllte weil das Stück ihren herrlichen Körper seinen Blicken entzog - als die Zimmertüre aufgerissen wurde.
Solν stand in der Tür, schwer atmend, die Augen weit aufgerissen. "Mona, rasch! Sleipnir …!" Die Erregung machte seine Stimme heiser.
"Was!" Mona, im Begriff den Gurt zu binden, der das Kleidungsstück halten sollte, hielt inne, stand steif. "Was ist mit Sleipnir?"
Gestern Abend war der alte Drache noch guter Dinge gewesen.
"Er ist tot!" krächzte der Mann. Er japste nach Luft.
"Tot?" Monas entsetzter Schrei klang eine Oktave höher. "Sleipnir?" Der Gurt entglitt ihrer Hand.
"Tot, ja!" Solν japste immer noch. "Kommen Sie, rasch!"
Mona beugte sich zu Rupert herunter und gab ihm einen raschen Kuss. Der offene Hausmantel umwogte ihn mit ihrem unnachahmlichen Parfum. Ihr Bauch schien dunkler als sonst. "Liebling, kommst du zurecht? Die Köchin …" Und schon jagte sie zur Tür. Der Hausmantel wehte hinter ihr wie ein Banner.
Die Tür fiel krachend ins Schloß. Er hörte Mona sagen "Wie ist das pass …" und dann verlor sich ihre Stimme.
"Verdammt, mein Frühstück kann ich mir selbst machen!" knurrte Rupert. Seine Erstarrung löste sich. "Dazu brauche ich keine Köchin!"
Er sprang aus dem Bett, achtete nicht auf die tausend Nadelstiche die seinem Arm hochjagten als Gefühl in ihn zurückkehrte. Rasch warf er sich in Hose und Hemd - verdammt, die Schnallen der Sandalen gehorchten wieder mal nicht den fummelnden Fingern! - und brummte dabei, "Wer kann jetzt an Essen denken!"
Er erblickte Monas Hausschuhe und den Gurt einträchtig nebeneinander auf dem Fußboden und riß sie an sich, bereits auf dem Weg zur Tür.
Draußen auf dem Flur waren die Stimmen deutlicher, hallten im Treppenschacht wie das Echo einer Fata Morgana. Er eilte hinterdrein, knallte gegen die Balustrade am Kopfende der Treppe und rannte die Treppe hinunter so rasch er vermochte.
Aber er hütete sich Stufen zu überspringen - wie damals als er Eckhardt nachhetzte; der verknackste Knöchel war zu schmerzhaft gewesen und er hatte tagelang gehumpelt.
Der Klang vieler Stimmen leitete ihn zu Sleipnirs Zimmer dessen Türe weit offen stand. Der weite Raum war voller Gestalten, hohen - das waren die Patienten - und kleineren. Doktor Fraiser war die kleinste. Monas Vater saß auf dem Fußboden weil die Zimmerdecke hoch über Rupert für ihn immer noch zu niedrig war.
Die Halle war der einzige Raum im Haus wo Dr. Saebius aufrecht stehen konnte.
Als Rupert sich zwischen den Drachen hindurchzwängte fand er Mona über den toten Sleipnir gebeugt. Ihr Hauskleid hing offen.
Gerade als er sie erreichte richtete sie sich auf und raffte das Kleid zusammen. "Kann mir denn niemand eine Kordel besorgen? Dieses verdammte Kl-" In diesem Moment gewahrte sie Rupert und sah was er in Händen hielt. "Liebling, dich schickt der Himmel!"
Sie nahm ihm die Sachen ab, schlüpfte mit den Füßen in die Hausschuhe und als sie sich den Gurt umband entfuhr Francois ein bedauerndes "Oh …"
Mona sah auf. "Jetzt reicht's aber, Leute! Ihr seht doch genug wenn ihr mich beim Duschen beobachtet!"
Die drei Pfleger bekamen rote Köpfe und Jean stieß hervor, "Das weißt du!" In seiner Stimme klang Überraschung.
"Klar doch!" Mona lachte. "So wie ihr euch anstellt …"
"Warum hast du denn nie etwas gesagt?"
Sie zuckte die Schultern. "Weil's mir egal ist." Dann sah sie Ruperts betretenes Gesicht auf dem sich Verlegenheit und offene Wut spiegelten und legte ihm rasch den Arm um den Hals. "Aber Liebling, dir sollte es doch auch egal sein! Unter Drachen …"
Dr. Severances trockenes Hüsteln unterbrach sie. "Mona, wenn wir jetzt …?"
"Natürlich, Doktor." Mona gab Rupert einen flüchtigen Kuß auf die Wange und wandte sich dem Bett und den Ärzten zu. In diesem Augenblick trat auch Dr. Beaumont ein und gesellte sich zu seinen Kollegen.
"Tut mir leid, ich hab's eben erst erfahren," keuchte er. Er schwitzte heftig.
Während Mona und die Ärzte sich um den toten Sleipnir bemühten stand Rupert daneben und bemühte sich seine Gedanken zu ordnen. Er war verstört. Die Ereignisse der letzten Minuten machten ihm zu schaffen.
Mona hatte geduscht, wohl wissend, daß andere ihr dabei zusahen, hatte sich ihnen also nackt gezeigt. Das war ein Schlag für sein Moralempfinden. Daß sie auch mit ihm zusammen geduscht hatte, fiel nicht ins Gewicht - er dachte nicht einmal daran - weil er das als normal empfand. Verheiratete Leute duschen eben miteinander, nichtwahr …
Er beschloß ein ernstes Wort mit ihr darüber zu reden. Aber nicht jetzt.
Jetzt hieß es sich um ein Ereignis zu kümmern, das allen im Raum - das waren alle Bewohner des Hauses - arg zusetzte. Es lag bleich und steif vor ihm auf der Liege die dem Drachen als Bett gedient hatte.
Rupert hatte noch nie einen Toten gesehen. Nun hatte er quasi einen Logenplatz am Fußende des Bettes. Sleipnir lag auf dem Rücken, die Arme schlaff an den Seiten. Seine Augen waren geschlossen, aber ob das hieß, daß er im Schlaf gestorben war oder ob sie jemand für ihn geschlossen hatte war für Rupert nicht erkennbar. Es fiel ihm auch nicht ein Mona darüber zu befragen.
Eben jetzt zog Dr. Severance dem Toten ein Augenlid hoch und leuchtete mit einer kleinen Lampe ins Auge. Die Pupille war geweitet, der Augapfel nicht mehr weiß sondern bräunlich-orange. "Hm," brummte der Arzt.
"Was meinen Sie, Doktor?" fragte Dr. Fraiser und Dr. Beaumont machte auch "Hm."
"Ich habe nichts erkennen können," sagte Mona.
Rupert überlegte ob sie damit die Todesursache meinte und auch die einsilbigen Äußerungen der Ärzte sich darauf bezogen. Er wurde in dieser Ansicht bestärkt als Dr. Saebius sich räusperte.
Aller Augen richteten sich auf ihn. Der riesige Drache saß noch gemächlich auf seinem Platz auf dem Fußboden und überragte dennoch alle Anwesenden. Alle bis auf Tiamat, nach ihm der größte der Drachen.
Tiamat blickte mit geweiteten Augen auf ihn hinab. "Was meinst du, Seibeiuns?"
Rupert zuckte zusammen. Hatte Tiamat gerade "Sei bei uns" zu Monas Vater gesagt? Als ob das ein Name wäre! War er das wirklich? War er vielleicht ein Kosewort in der Drachensprache oder …?
Sei bei uns - Saebius … Welcher war der echte Name? Meinte Tiamat damit den Teufel, so wie es unsereiner sagt wenn er den Teufel meint? Lag hierin der Grund für Ruperts konstante Furcht vor Monas Vater?
"Er wurde vergiftet," sagte der riesige Drache ruhig. So ruhig wie einer der sagt, "Bei schlechtem Wetter gehe ich nicht ohne Schirm aus dem Haus …"
Ein allgemeiner Schreckenslaut erklang von den Anwesenden und Mona schrie auf, "Vater!" Sie starrte ihn entsetzt an.
Unbeirrt und ebenso ruhig wie vorher setzte Dr. Saebius fort, "Und ich denke ich weiß von wem." Seine Augen wanderten mit strengem Blick von einem zum anderen.
"Woran wollen Sie erkennen, daß er vergiftet wurde?" fragte Dr. Fraiser. Ihre Augenbrauen waren zusammengezogen und der Blick mit dem sie ihn anschaute ebenso streng wie der des Drachen. "Dazu brauchen wir eine Gewebeprobe oder," setzte sie fort, "zumindest muß sein Blut untersucht werden!"
"Das gestatte ich nicht!" sagte Dr. Saebius. Sein Ton war scharf.
"Hä? Äh - wieso?" stotterte Dr. Beaumont und Dr. Severance sagte kühl, "Es ist aber die übliche Methode eine Todesursache zu eruieren."
"Wie sonst sollen wir sie feststellen?" warf Dr. Fraiser ein. Sie blickte Monas Vater immer noch streng an und jetzt war auch ihr Ton streng.
"Ich weiß was ich zu tun habe," versetzte der Drache kalt. Er begann sich aufzurichten, stieß mit dem Kopf an die Zimmerdecke und gab einen verärgerten Laut von sich. Er blieb auf den Knien hocken. "Jedenfalls wird Sleipnirs Körper nicht verletzt!"
"Das ist doch keine Verletzung!" Dr. Beaumonts aufbrausendes Temperament brach durch. "So ein kleiner Nadelstich …"
"Ich habe gesagt er wird nicht verletzt und dabei bleibt es!" Dr. Saebius sprach in ruhigem Ton aber Rupert vermeinte den eisigen Luftzug zu spüren der von ihm ausging.
Dr. Fraiser nahm einen tiefen Atemzug und stieß die Luft aus wie eine kleine Explosion. "Na schön. Dann gehe ich jetzt die Behörden verständigen." Sie wandte sich zum Gehen.
Dr. Saebius' Ausruf stoppte sie. "Nein!"
Sie schaute zurück, deutlich bemüht sich zu beherrschen. "Nein?"
"Dr. Fraiser," sagte der Drache mild, "Sie sind die Chefärztin hier. Sie stellen den Totenschein aus. Geben Sie Altersschwäche als Todesursache an."
Die Ärztin gab einen Ton von sich der wie Stöhnen klang, ein kurzes bitteres Lachen. "Na, wenigstens das darf ich tun! Schön, daß Sie mich als Chefärztin anerkennen!" Das Wort "Chefärztin" kam aus ihrem Mund ebenso bitter wie ihr Lachen.
"Natürlich, Doktor." Seine Lippen verbreiterten sich zu einem Lächeln in dem kein Humor zu erkennen war. "Ich werde Sleipnir untersuchen. Mona wird mir assistieren. Das Ergebnis werde ich Ihnen alsbald mitteilen. Wahrscheinlich kann ich Ihnen dann auch sagen welches Gift benutzt wurde."
"Den Namen des Mörders auch?" fragte Dr. Fraiser mit einem Anflug von bitterem Humor.
"Den auch, aber später," erwiderte der Drache ernst. "Zunächst-"
"Was ist mit den Formalitäten," warf die Ärztin ein, "die Bestattung-"
"Die übernehmen wir," erwiderte er. Er blickte in die Runde und die Drachen nickten zustimmend. Er fuhr fort, "Er wird in vollem Ornat bestattet, wie es ihm zukommt."
"Wo?" fragte die Ärztin. "Ein Leichnam seiner Größe-"
"An geheimem Ort," erwiderte Dr. Saebius.
Dr. Severance räusperte sich. "An geheimem Ort," wiederholte er die Worte des Drachen, "ist dies der Grund warum niemals Überreste von Drachen aufgetaucht sind?" Er mußte den Kopf weit zurückneigen um Dr. Saebius ins Gesicht zu sehen.
Der blickte ihn forschend an, die Brauen gefurcht. Merkwürdig sieht er aus, dachte Rupert. Sein Blick wanderte von einem zum anderen, dann sah er wie der Drache kaum merklich nickte. Warum zögerte er es zuzugeben? Es war doch offensichtlich, oder?
Dr. Severance räusperte sich wieder. "Warum soll Mona Ihnen assistieren? Warum nicht einer von uns Ärzten? Sie hat ja nicht einmal die Verfärbung der Augen an der Leiche beachtet!"
"Hat sie nicht?" fragte Dr. Saebius mild und blickte Mona an die still vor sich hin lächelte.
In ungewohnt scharfem Ton sagte der Arzt, "Sie ist vollkommen ungeeignet! Die nötige Erfahrung haben nur ich und meine Koll-"
"Sie rühren den Toten nicht an!" Der Drache hatte die Stimme nicht erhoben, dennoch bewirkte ihr Hall daß Rupert zusammenzuckte. Er blickte sich um und sah, daß auch die anderen Menschen im Raum erschraken. Nur Mona nicht die immer noch still lächelte.
Dann fuhr der Drache fort und seine Stimme war so mild wie vorher, "Sie könnten Spuren verwischen. Mona aber weiß was zu tun ist." Dann wandte er sich wieder der Ärztin zu, "Können wir?"
Dr. Fraiser nickte stumm und setzte ihren Gang zur Tür fort. Die Ärzte folgten zögernd wobei Dr. Severance eindringlich auf seinen Kollegen einsprach. Die Pfleger eilten hinterdrein, offensichtlich froh daß sie sich nicht um den Toten kümmern mußten.
Die Drachen gingen als letzte, nicht ohne eine stumme Ehrenbezeugung für den Toten, so anrührend, daß sie Rupert Tränen in die Augen trieb. Die Türöffnung war zu niedrig für Drachen und sie mußten sich bücken, was für Rupert den Eindruck der stillen Trauer noch verstärkte.
Als er sich anschickte den Raum zu verlassen, sagte Dr. Saebius freundlich, "Du kannst bleiben wenn du möchtest," aber Mona wandte ein, "Laß ihn gehen, Vater!"
Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und raunte in sein Ohr, "Geh, laß dir von der Köchin das Frühstück bereiten! Ich komme dann später zu dir."
Mona auch nur einen Augenblick zu verlassen fiel schwer, aber sie hatte Recht. In der Tür wandte er sich noch einmal um, einen letzten Blick auf sie zu erhaschen. Mona und ihr Vater hatten die Decke weggezogen und waren dabei den Toten zu entkleiden. Dr. Saebius brachte sein Gesicht ganz nah an den toten Körper und schien zu schnüffeln.
Wie ein Hund der die Fährte wittert, dachte Rupert.
Etwa eine Stunde später betrat Dr. Saebius das Ordinationszimmer der Ärztin. Sie war offensichtlich dabei den Totenschein auszufüllen, hielt aber inne als er eintrat. "Nun?"
Er war tief gebückt eingetreten. Nun ließ er sich auf den Fußboden nieder um nicht oben anzustoßen. "Es war wie ich gedacht hatte," sagte er, "Arsen."
Die Ärztin runzelte die Brauen. "Arsen?"
Er nickte. "Rattengift! Das haben Sie doch im Haus, nichtwahr?"
"Ja, sicher! In diesem alten Gemäuer-"
"Nun, so hatte der Mörder leichtes Spiel! Er muß es ihm ins Abendessen praktiziert haben … Sleipnir ist während der Nacht gestorben. Sein Tod war qualvoll!"
Die Ärztin erschauerte. "Während wir alle friedlich schliefen! Schrecklich!" Sie ergriff den Federhalter den sie niedergelegt hatte als er eintrat. "Ich werde also als Todesursache eintragen-"
"Natürliche Todesursache: Altersschwäche!" sagte er schnell. "Wie ich es Ihnen bereits sagte."
"Es widerstrebt mir die Wahrheit zu verschleiern."
"Wir wollen aber die Behörden nicht alarmieren! Sie können sich sicher vorstellen, was hier los wäre, wenn die Behörden erführen, daß hier ein Mord stattgefunden hat! Eine Herde von Beamten würde sich im Haus breit machen und mit unserer Ruhe wäre es vorbei! Nebenbei," setzte er hinzu, "würden sie, ungeschickt wie sie nun einmal sind, alle noch vorhandenen Spuren verwischen!"
Dr. Fraiser blickte nieder und schrieb ein paar Worte. Dann sah sie auf. "Sie wollten doch bekannt geben wer der Mörder ist …?"
"Das war ein Bluff," gab er zu. "Es kann nur jemand aus diesem Haus gewesen sein und-"
Die Ärztin zeigte sich verblüfft. "Was!"
"Natürlich!" entgegnete der Drache. "Oder haben Sie in letzter Zeit einen Fremden hier gesehen?"
"N-nein …"
"Sehen Sie," bemerkte er trocken. "Alles was hier im Haus lebt war vorhin in Sleipnirs Zimmer versammelt, folglich auch der Mörder. "Ich hoffte, daß er sich irgendwie verraten würde wenn er meine Behauptung hörte. Leider," fügte er hinzu und wiegte den Kopf, "hatte ich damit kein Glück. Er muß über eine außerordentliche Selbstbeherrschung verfügen …"
"Vielleicht weiß er garnicht, daß er es getan hat," bemerkte die Ärztin.
Der Drache sah sie scharf an. Dann nickte er bedächtig. "Das ist auch eine Möglichkeit," gab er zu.
"Was gedenken Sie nun zu tun?"
Er zuckte die mächtige Achsel. "Das beste wäre, wenn wir feststellen könnten wer noch Spuren von Arsen an den Händen hat …"
"Wie wollen Sie denn das bewerkstelligen? Wir können sie doch nicht einfach hereinrufen und sagen 'nun zeigt mal schön eure Händchen'!"
Wider Willen mußte er lachen. "Natürlich nicht!" Er seufzte. "Es war auch nur so ein Gedanke. Außerdem wird er sich längst gründlich die Hände gesäubert haben. Es würde nicht einmal auffallen. Wer wäscht sich nicht am Morgen …"
Während er sprach nahm sein Gesicht einen nachdenklichen Ausdruck an. Er begann sich aufzurappeln …
"Wo ist eigentlich Mona?" fragte die Ärztin plötzlich. "Sie hat ihren Dienst noch nicht angetreten, und außerdem brauche ich sie dringend!"
So wie der Drache dastand, den Kopf unter die Zimmerdecke geduckt, sah er aus als hielte er sie mit den Schultern hoch - Wie Atlas die Weltkugel, dachte sie.
Er lächelte, ob der Haltung etwas gequält. "Finden Sie Rupert und Mona wird nicht weit von ihm sein! In ihrem Zimmer, vermutlich."
Er hatte Recht. Für das, was sich während dieses Gesprächs dort abspielte bekam Rupert die Quittung als er auf seiner Abendrunde bei Dr. Saebius eintrat.
Er fand seinen Schwiegervater auf dem gigantischen Bett liegend und in einem der Riesenfolianten blätternd, die Rupert bei seinem Antrittsbesuch im Ordinationszimmer von Dr. Fraiser gesehen hatte.
Der Drache schaute auf als Rupert zur Tür hereinkam und ließ das gewichtige Buch aufs Bett sinken. "Junger Mann," knurrte er und Rupert stand wie vom Donner gerührt, "ich habe Monas Wahl nicht widersprochen weil ich dich für einen intelligenten Burschen hielt. Augenscheinlich habe ich mich geirrt!"
"Ich - ich," stotterte der Angesprochene der seine Knie erzittern fühlte, "ich verstehe nicht …"
Die goldenen Augen des Drachen wuchsen ins Unermeßliche und betäubten ihn als er aller Gedanken unfähig dastand. Die milde Stimme schien zu dröhnen. "Was hast du dir nur dabei gedacht?"
"B-bei was?" Seine Stimme versagte. "Bei was, bitte?"
"Mona sitzt in ihrem Zimmer und heult sich die Augen blind!" sagte Dr. Saebius und seine Stimme hallte in Ruperts Ohr wie Thors Donner. "Junge, was hast du ihr getan?"
Rupert, dessen Glieder schlotterten wie Espenlaub, raffte das letzte Quentchen Mut zusammen. "Ich - ich." Er holte tief Luft. "Ich habe ihr gesagt, daß ich es unehrenhaft finde wenn sie nackt vor anderer Augen duscht. Das -"
Diesmal wurde Dr. Saebius wirklich laut; er lachte schallend. "Wenn sie nackt duscht! Wie um alles in der Welt soll sie denn duschen? Etwa im Winterpelz?"
"N-nein! Ich meine, ja! Ich meine, daß sie in Gegenwart anderer nicht nackt sein sollte!"
"Nicht nackt …" Sein Gegenüber schien ehrlich verblüfft. "Das ist alles? Darüber regst du dich auf?" Seine Augen durchbohrten den jungen Mann wie ein Speer der einen Wurm aufspießt. Daß der Vergleich mehr als realitätsfern war, kam Rupert nicht in den Sinn.
Jetzt wurde die Stimme des Drachen wirklich streng. "Sofort gehst du zu Mona und bittest sie um Vergebung!"
"Ja, Sir! Sofort!" Wie von Furien gehetzt wandte sich Rupert. In seinem Hirn brannte das Bild Monas wie sie weinte. Wegen ihm! Das durfte nicht sein …
"Rupert." Er war schon an der Tür als ihn die Stimme des Drachen noch einmal aufhielt. Der saß auf seinem Bett und schaute ihm nach. "Rupert, du weißt, daß Mona die Tochter eines Drachen ist! Folglich ist sie auch eine Drachin. Und …"
Seine Stimme nahm einen merkwürdigen Klang an der in Ruperts Seele einen Widerhall fand. "Du hast deine Entscheidung getroffen, Rupert, als du dich in sie verliebtest. Nun, ob du es so willst, ist nicht mehr entscheidend - du gehörst dazu!"

Fortsetzung folgt


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