STORIES


GOLCONDA

Folge 8

von Susanne Stahr



Franticellos Gelage

"Du bist Schuld!", schrie Violetta außer sich vor Wut nun schon zum achten Mal. Arwed hatte mitgezählt. Zum Umfallen müde hing er in seinem Stuhl. Der tätowierte Hahn auf seinem Handgelenk war fast nicht mehr zu sehen, so ausgelaugt war er. Es störte ihn nicht einmal, dass Gaspard und Tschrt-schlog dieser Unterhaltung aufmerksam folgten.
"Vater hat versprochen, mich mit nach Arbela zu nehmen, wenn ich die Thaumaturgie für Fortgeschrittene schaffe. Und jetzt muss ich zu Hause bleiben, ganz allein mit der alten Tufa, die nur an mir herum nörgelt." Ihre kleine Faust hämmerte mit erstaunlicher Kraft auf Arweds Tisch. "Du bist Schuld! Nur du allein, weil du keine Zeit für mich hattest! Nur wegen deiner blöden Schutzzäune bin ich durchgefallen!"
Langsam wurde es Arwed leid, das Gezeter anzuhören. Das war nicht mehr Violetta, sondern eine rasende Furie. Ihr hübsches Gesicht war dunkelrot angelaufen und wutverzerrt. Keine Spur mehr von der sanften Schönheit, welche die Liebe in seinem Herzen genährt hatte. Auch ihr seidiges, honigblondes Haar hing strähnig und unfrisiert um ihren Kopf. Langsam richtete er sich in seinem Stuhl auf. Als wieder ein "Du bist Schuld!" auf ihn hernieder prasselte, riss sein ohnehin strapazierter Geduldsfaden. Jetzt war der Punkt erreicht, wo sein Ärger größer war als seine Müdigkeit. Eine schnelle Geste belegte sie mit einem Schweigebann. Der Redefluss stoppte abrupt.
"Du verzogenes Gör", brüllte er zurück. "Wer hat dir denn verboten, allein zu lernen? Bist du eine erwachsene Studentin oder ein kleines Kind, dem man jeden Handgriff vorsagen muss?! Wann wirst du endlich die Verantwortung für dein Leben selbst übernehmen?" Um noch eins drauf zu setzen, ließ er einige Blitze um sie zucken. Natürlich, ohne ihr gefährlich zu werden, aber doch nahe genug, um sie zu erschrecken. Dann hob er den Bann auf. Der Erfolg war verblüffend. Das Mädchen schien in sich hinein zu schrumpfen. Alles Blut wich aus ihrem Gesicht und sie wurde gefährlich mitleiderregend.
"Meister Arwed!", hauchte sie fast unhörbar. "So kenne ich dich ja gar nicht. Verzeih mir, bitte. Mein Temperament ist mit mir durchgegangen." Sie sah genauso aus als wollte sie jeden Moment zu weinen beginnen
Arwed betete, dass sie es nicht tat. Er wusste, dass seine ganze Strenge dann im Nu dahin schmelzen würde.
"Du hast mich auch noch nie so böse gemacht", bellte er mit dem Rest seines verrauchenden Zorns. "Sieh am Schwarzen Brett nach, wann der nächste Prüfungstermin ist und dann bitte Meister Balko, dich noch einmal antreten zu lassen. Er wird es dir sicher gewähren, wenn du dich entsprechend verhältst."
"Das hab ich schon getan", piepste sie nun. "Der nächste Termin ist in einer Woche. Und dann ... dann ..." Jetzt brach ein Strom von Tränen aus ihren hübschen Augen. "Ich hätte so gern einmal Arbela gesehen. Huhuhuhhh!"
Praktisch jeder in Golconda träumte davon, einmal nach Arbela, der Hauptstadt des Tyndelonischen Reiches zu kommen. Doch nur wenige Begüterte konnten die Reise und dann den kostspieligen Aufenthalt in der Königsstadt bezahlen.
"Komm morgen früh zu mir. Dann gehen wir den Stoff noch einmal durch", befahl er. Verzweifelt bemühte er sich, weiterhin streng drein zu schauen. "Und jetzt geh!" Schnell hielt er eine Hand über die Augen und hoffte, dass dies würdevoll aussah.
"Ja, Meister Arwed! Vielen Dank, Meister Arwed!", hörte er noch ihre piepsige Stimme, dann trippelte sie schniefend hinaus.
"Das war knapp", kicherte Gaspard als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte.
"Ach, du! Ich war auch noch nie in Arbela." Mit einer müden Geste ließ sich der Magier wieder zusammensinken. Er war wirklich müde. In den letzten Wochen rannten ihm die Leute die Tür ein, um von ihm einen magischen Schutz um ihre Häuser errichten zu lassen.
Golconda war immer eine einigermaßen sichere Stadt gewesen. Das schien nun nicht mehr so zu sein. Wohnungen und Läden wurden nachts geplündert. Das Krankenhaus quoll über von Menschen, die auf offener Straße nieder geschlagen und ausgeraubt worden waren. Der Statthalter hatte die Wache verdoppelt. Magier verdienten sich eine goldene Nase mit Schutzvorrichtungen und Amuletten gegen Diebstahl und Raub. Hohe Belohnungen wurden in Aussicht gestellt für sachdienliche Hinweise, wer für diese Zustände verantwortlich war. Hinter vorgehaltener Hand munkelten die einen von einer Bande fremder Diebe, die anderen von Dämonen. Doch keiner konnte etwas Genaueres sagen. Die Verbrecher schlugen blitzschnell zu und verschwanden wieder, keiner wusste wohin.
"Du hast heute noch gar nichts Ordentliches gegessen", meldete sich der Agami. "Ich habe einen guten Salat für dich gemacht, leicht und vitaminreich." Er war vor kurzem dazu über gegangen, zu seiner weißen Schürze eine hohe Kochmütze zu tragen. Da Agamis keine Ohren hatten, bestand immer die Gefahr, dass sie ihm übers Gesicht rutschte.
Ja, Tschrt-schlog hatte Recht, befand Arweds Magen. "Trag mich in die Küche, Tschrt-schlog", seufzte er, um im nächsten Moment ein erschrockenes "Huch?" auszustoßen.
Sein Diener hatte ihn tatsächlich hochgehoben und trug ihn jetzt die paar Schritte zur Küche. Eigentlich fühlte es sich gar nicht so übel an. Dankbar machte er sich über den Salat her. Er war noch nicht fertig, da klopfte es an der Haustür.
"Abwimmeln", sagte er auf Tschrt-schlogs fragenden Blick. "Schick ihn zu Nantwig, wenn er lästig wird."
Es dauerte ziemlich lange bis der Agami wieder in die Küche kam. Seine Schuppen waren dunkelgrün vor Verlegenheit. "Es tut mir Leid, Meister, ich hab's nicht geschafft. Sie hat mir eine furchtbar traurige Geschichte erzählt. Da konnte ich sie nicht abweisen."
"Aber ich bin todmüde, jammerte Arwed. "Ganz gleich was sie mir erzählt, ich werde kein einziges Wort mitkriegen von ... Was? Hast du ‚sie' gesagt?" Eine halbe Minute Aufmerksamkeit schaffte er, dann sank er wieder in sich zusammen. Für Diebstahlsicherungen kamen fast nur Männer. Eine Frau hatte vielleicht ein anderes Problem.
Ein wenig Abwechslung konnte nicht schaden.
"Das hab ich ihr gesagt", nickte Tschrt-schlog, dass seine Kochmütze in heftige Schwankungen geriet. "Sie will morgen wieder kommen."
‚Gut", grunzte der Magier. "Kannst du mir ein Bad richten?" Er wartete nicht mehr auf eine Zustimmung des Agami und ließ den Kopf auf den Tisch sinken. Sein Diener konnte gerade noch den leeren Teller wegnehmen, bevor Arweds Wange in die Salatsoße klatschte. Er bemerkte es gar nicht, da er bereits eingeschlafen war. Im nächsten Moment, so schien es Arwed jedenfalls, legte sich ein starker Arm um seine Schultern und die Welt begann zu schaukeln. Dann belehrte ihn Sandelholzduft, dass er sich in seinem Badezimmer befand. Agamiklauen nestelten an seinen Hemdknöpfen.
"Was ...?", fuhr er hoch und schob Tschrt-schlogs Hand müde weg. "Das kann ich schon selber. Danke, Tschrt-schlog." Eine halbe Stunde später kroch er in sein Bett und schlief wie ein Stein.
Die Sonne stand schon sehr hoch als Arwed durch ein fortgesetztes Flüstern geweckt wurde. Tschrt-schiog kniete neben seinem Bett.
"Was gibt es denn?", murmelte er und streckte sich, dass seine Gelenke knackten.
"Guten Morgen, Meister. Ich habe bereits sechs potentielle Kunden abgewiesen und Violetta wartet seit einer Stunde auf dich. Sie wird langsam ungeduldig."
Mit einem Ruck setzt sich Arwed kerzengerade auf. "Lass sie nicht aus der Küche!", befahl er streng. Bevor er seine Morgentoilette gemacht hatte, durfte sie ihn auf keinen Fall sehen. Das wäre eine grandiose Katastrophe.
.‚Schloggiiii!", hörte er die ungeduldige Stimme des Mädchens. "Wo bleibt er denn?"
Mit einer Handbewegung entließ er den Agami und schlüpfte schnell ins Badezimmer.
"Wenn ich es jetzt schaffe, darf ich in ein Gemälde gehen", erklärte sie begeistert. "Ist zwar nicht so toll wie Arbela, aber immerhin. Ich hab mir schon ein Bild ausgesucht ..."
"Fang mit dem Teil an, bei dem du durchgefallen bist", schnitt er ihren Redefluss ab.
Seit einigen Monaten gab es in Golconda Gemäldereisen. Gegen Entgelt konnte man in ein magisches Gemälde treten und das, was auf dem Bild zu sehen war, erleben. Arwed hatte auch schon daran gedacht, so eine Reise als Erholung zu machen. Mit einem Amulett, das seine Magie neutralisierte, wäre das schon möglich. Bisher hatte er noch nie das Geld dafür gehabt und jetzt fehlte ihm die Zeit.
"Die ‚17 Gesten des Mardonius', sagte sie gehorsam. Sie war von gestern noch so eingeschüchtert, dass sie ihm brav in die Küche folgte.
Schnell errichtete er ein Schutzfeld um sie. Dann schmierte er sich ein Brötchen. Die ersten sechs Gesten waren in Ordnung, aber dann ließ sie Nummer sieben aus und vollführte statt dessen Nummer 14. Der Rest war ein heilloses Durcheinander.
"Nein, so geht das nicht", stoppte er das Gemurkse. Seine geschmeidigen Finger beschrieben exakt und akzentuiert alle 17 Gesten.
"Das war viel zu schnell", beschwerte sich Violetta.
"Ich hab sie doch extra langsam gemacht", erklärte er ärgerlich. Aus seinem Zauberschrank holte er ein Büchlein "Hier sind alle Gesten drin. Du darfst nur die markierte Ecke jeder Seite berühren. Die Gesten werden mit dem 'Kleph' aktiviert. Die Geschwindigkeit regulierst du mit der Lautstärke, lauter ist schneller." Er schlug das Buch bei Nummer Sieben auf "Fang damit mal an."
"Meister Balko hat uns das 'KIeph' noch nicht gezeigt", murrte Violetta.
"Dann hast du nicht aufgepasst", widersprach er. "Das gehört zu den 9 Grundlauten der Magie."
"Du kannst das alles so gut", hauchte sie bewundernd und klimperte mit den Wimpern.
Eine Alarmglocke schrillte in Arweds Hinterkopf. Violetta startete den ersten Versuch, ihn um den Finger zu wickeln. "Ich habe mein Diplom nicht beim Würfeln gewonnen", gab er patzig zurück. Ihr verletzter Blick schnitt ihm ins Herz, aber er biss innerlich die Zähne zusammen und äußerlich in sein Brötchen.
Arwed hatte sein Frühstück längst beendet und Violetta übte noch immer Geste 7 als es an der Tür klopfte. Tschrt-schlog führte wenig später eine Elfenfrau in sein Arbeitszimmer. Dann kam er in die Küche.
"Lady Simonetta Ilmarinen", informierte er seinen Arbeitgeber.
"Nein!", quietschte Violetta und wollte ihn festhalten. "Du hast versprochen..."
"Violetta!", donnerte Arwed. "Du bleibst in der Küche und übst weiter. Ich prüfe dich, wenn ich mit Lady Simonetta gesprochen habe."
Mit hängendem Kopf piepste sie ein "Ja, Meister" und Arwed ging. Er entschuldigte sich bei der Dame und bot ihr einen Stuhl an. "Was kann ich für dich tun?", fragte er lächelnd und musterte sein Gegenüber unauffällig.
Für eine Elfe war Lady Simonetta groß. Ihr hochgestecktes, helles Haar, das ihre spitzen Ohren freiließ, unterstrich dies noch. Ein teures Kleid von schlichter Eleganz fiel bis zu ihren Knöcheln. Sorgenvoll blickten ihn dunkelgrüne, schräg gestellte Augen an. Ihre schmalen Hände kneteten unruhig eine kleine, bestickte Tasche als sie nach Worten suchte. "Mein Mann ist verschwunden", stieß sie schließlich hervor. "Seit fast einer Woche. Er kam nicht mehr nach Hause. Und die Polizei..." Nun kämpfte sie mit den Tränen.
Ja, die Polizei! Arwed wusste genau, wie es dort aussah. Eine sanfte Handbewegung ließ einen Beruhigungszauber über sie fließen. Sogleich entspannte sie sich.
"Ich bin schon ganz verzweifelt", fuhr sie etwas ruhiger fort. "Die Polizei ist vollkommen überlastet. Und die Zauberer sind alle unterwegs, um magische Sicherungen anzubringen. Dein Sklave hat mich gestern weggeschickt." Milder Vorwurf klang aus diesen Worten. "Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte, so habe ich es noch einmal versucht. Ich bin froh, dass du mich jetzt empfängst.
"Wann hast du deinen Gatten das letzte Mal gesehen?" forschte Arwed unbeeindruckt. "Gab es vielleicht eine ... äh, Unstimmigkeit? Oder hat er sich in letzter Zeit anders verhalten als sonst?
Lady Simonetta richtete sich stolz auf "Nein, Gaidulin war nicht anders als sonst. Er war immer liebevoll, gehorsam und absolut treu."
Aha, dachte Arwed, hier hat die Lady das Sagen. Elfenfrauen versteckten sich kurz vor der Trauung. Wenn dem Bräutigam sie nicht vor dem Hochzeitstag fand, musste er sich ihr unterordnen.
Inzwischen fuhr sie fort. "Der Mittwoch ist immer sein Uldila-Tag. Er spielt im Silberpalast. Seine Mitspieler sagten, alles wäre wie immer gewesen." Ihre Unterlippe begann zu zittern und Arwed schob eine magische Beruhigung nach.
Uldila war ein kompliziertes Brettspiel, das fast ausschließlich von Elfen gespielt wurde.
Ein Magier, ein Krieger, ein Bettler und ein Kobold sollten eine Zitadelle erobern. Jeder Spieler übernahm eine dieser Rollen.
"Wer sind seine Spielpartner? fragte Arwed. "Ich möchte sie befragen.
"Sie wissen doch nichts", meinte die Elfe.
"Nun, Vielleicht kann ich ihnen Fragen stellen, an die du nicht gedacht hast. Oder willst du mir vorschreiben, wie ich die Ermittlungen zu führen habe?" Simonetta war es offenbar so gewohnt, ihren Mann zu kommandieren, dass sie dieses Verhalten auch auf andere Männer auszudehnen suchte.
"Ach so." Sie musterte ihn irritiert. "Also, da ist Tribullan Toivanen, Firmillin Jurionen und Lagare Bolonen. Du kannst es ja versuchen, aber ich weiß nicht so recht, was das bringen soll."
Arwed hatte die Namen sorgfältig mitgeschrieben. "Wo wohnen denn die Spielpartner deines Gatten?" fragte er.
"Oh, die sind sehr oft im Silberpalast. Zur Teezeit kannst du sie sicher antreffen. Gaidulin war auch immer ..." Ihre Stimme verebbte. Auch wenn Lady Simonetta ihren Mann dominierte, es hinderte sie auf keinen Fall, ihn zu lieben. Sie holte einen kleinen Beutel aus einem Täschchen und legte es sacht auf den Tisch. "Sind zehn Golddublonen genug für den Anfang?"
"Ja, natürlich", beeilte sich Arwed zu bestätigen. Er war bisher nur selten mit Gold bezahlt worden. Eine Golddublone war 100 Silberdublonen wert. Das war auch der Grund, warum er sich von der Dame besonders liebenswürdig verabschiedete.
Ein lauter Schrei aus der Küche erinnerte ihn an seine Schülerin. Und da kam sie auch schon, mit zwei Fingern ihrer rechten Hand im Mund, während Tränen über ihre Wangen liefen.
"Beim Buhh ift bemein", nuschelte sie undeutlich. In der anderen Hand hielt sie das Büchlein mit den Zaubergesten. Bevor sie es ihm gegen den Kopf knallen konnte, entriss er es ihrer Hand.
"Hast du die Seiten außerhalb der Markierung berührt? Zeig mir deine Hand!", sagte er weich. Einen Arm fürsorglich um ihre Schulter gelegt, führte er sie in sein Arbeitszimmer und drückte sie auf einen Besucherstuhl.
Endlich nahm sie die Finger aus dem Mund. Der halbe Zeigefinger war eine einzige, große Brandblase. Am Mittelfinger gab es nur eine kleine Blase, aber die Rötung war beträchtlich.
Seufzend sprach Arwed einen Heilzauber. Der Mittelfinger normalisierte sich und die Blase am Zeigefinger schrumpfte auf die Hälfte ihrer Größe.
"Danke, piepste das Mädchen."
Der Magier kramte in seinem Zauberschrank. "Wo ist nur diese gute Brandsalbe?" brummelte er.
"Die war in der Küche, in Tschrt-schlogs Hausapotheke."
Gaspard war neben Violetta aufgetaucht und strich bereits die geleeartige Substanz auf ihren Finger. Sie seufzte erleichtert.
"Du solltest dich wirklich an meine Anweisungen halten", mahnte Arwed ernst. "Zeig mir jetzt Geste Sieben."
Violetta wackelte probeweise mit ihrem Finger. "Ich dachte ja nicht, dass das Buch gleich so rabiat wird", beschwerte sie sich. Langsam zeichnete sie die verlangte Geste in die Luft.
"War das richtig?"
Zustimmend nickte Arwed. "Setz dich in die Küche und übe die anderen Gesten. Wenn ich wieder zurück bin, zeigst du sie mir." Violettas Verletzung hatte ihn milde gestimmt. So klang auch seine Stimme weich.
"Du gehst weg?" Schon übte sie wieder ihren berückenden Augenaufschlag.
"Ja, aber ich bin spätestens zum Mittagessen zurück." Er legte das Zauberbuch auf den Küchentisch und verließ das Haus.
Der Silberpalast lag im nobelsten Teil des Elfenviertels. Hohe Eichen mit weit ausladenden Ästen umstanden ihn und spendeten Schatten. Die glänzenden Ebenholzwände des imposanten Baus waren über und über mit filigranen Silberarbeiten verziert. Um die runden Fenster rankten sich silberne Blumen und in die silberne Kuppel waren verschlungene Ornamente eingraviert. Eine versilberte Treppe führte zum Haupteingang, einer oben abgerundeten Doppeltür mir silbernen Löwenköpfen als Klinken.
Zwei Trolle in silbergrauen Uniformen standen neben der Treppe Wache. Die Farbe ihrer Kleidung im Verein mir ihrer fahlgrünen Haut ließ sie krank aussehen. Ein trügerischer Eindruck.
Als der Magier sich der Treppe näherte, machte einer der Trolle einen kleinen Schritt seitwärts. Damit war der Zugang blockiert. "Es tut mir Leid", grollte seine Stimme. "Der Zutritt ist nur Mitgliedern des Clubs erlaubt. Hast du eine Sondererlaubnis?" Er schicke ein wenig unsicher auf Arweds Magierabzeichen, blieb aber fest.
"Ich würde gern mit dem Meister Türhüter sprechen", bat Arwed höflich. "Im Zuge von Ermittlungen müsste ich mit einigen Mitgliedern des Clubs sprechen."
"Das ist mal eine neue Story um in den Club zu kommen", brummte der Troll grinsend. "Sieh zu, dass du weiter kommst. Du hast die Wette verloren."
Nun tauchte eine lange, gelbe Feder hinter Arweds Revers auf und eine Stimme krähte. "Ich, Gaspard von den Hügeln, engster Mitarbeiter Meister Arweds, kann bezeugen, dass der große Magier die Wahrheit spricht Und wenn du nicht augenblicklich spurst, macht er dir Feuer unter dem Hintern."
Der Troll ließ seinen Unterkiefer herunterklappen, dass seine Hauer in spitzem Winkel abstanden. "Was ist denn das?"
"Ein Kobold", stellte sein Kollege fest. "Wir sollten mal mit dem Meister Türhüter sprechen."
Arwed richtete ein tadelndes "Ts, ts! Welch eine ordinäre Ausdrucksweise!" an seine Brusttasche. Die Antwort war nur ein undefinierbares Brummen. Wenig später saß er in der Eingangshalle einem uralten Elf gegenüber. Ein magisch verstärkter Vorhang verwehrte die Sicht auf die anderen Räume. Das ausgemergelte Gesicht des Türhüters glich schon fast einem Totenkopf. Spinnengleiche Finger stellten ein Glas Choasp vor ihn hin, ein schwach alkoholisches Elfengetränk.
"Die Meister Firmillin, Gaidulin. Lagare und Triballan sind Mitglieder dieses Clubs", bestätigte er. "Du kannst mit ihnen zur Teezeit sprechen, heute."
Für Elfen war am frühen Nachmittag Teezeit. Tradition dabei war, dass alles andere als Tee getrunken wurde. Die drei Elfen boten einen erfrischenden Fruchtcocktail an. Als der Magier den Kobold auf den Tisch setzte, bekam auch dieser ein Glas.
Drei helle Augenpaare musterten die Beiden ernst und sorgenvoll. Alle drei Elfen waren gut gekleidet und hatten den zierlichen Körperbau der Elfen. Selbst Lagare, der Größte von ihnen, war noch um eine halbe Haupteslänge kleiner als Arwed. Firmillin und Lagare sahen einander so stark ähnlich, dass Arved eine enge Verwandtschaft vermutete. Schließlich ergriff Firmillin das Wort.
"Du kommst sicher wegen Gaidulin", vermutete er düster.
"Ja", nickte Arwed. "Lady Simonetta, seine Gattin, vermisst ihn sehr. Sie hat mich beauftragt ihn zu suchen. Kannst du mir genau erzählen, was letzten Mittwoch vorgefallen ist?"
"Wir haben uns wie üblich getroffen und Uldila gespielt." Er sah zuerst Lagare an, dann Triballan. Beide nickten zustimmend.
"Kamst du genauer werden?", forschte Arwed. "Ist etwas Besonderes vorgefallen? Wie lange hat das Spiel gedauert? Hat sich Meister Gaidulin anders verhalten als sonst?"
Ein dünnes Lächeln spielte um Firmilins Lippen. "Wir haben sehr lange gespielt. Gaidulin hat als Bettler mit seinen Charisma-Werten alle Wachen ausgetrickst. Gegen Mitternacht verließen wir den Silberpalast und trennten uns, wie üblich beim Eichenbrunnen." Er sah wieder seine Freunde an. "Es war doch fast Mitternacht, oder?"
Eifrig stimmten Lagare und Triballan zu.
"Hm. Arweds Blick richtete sich nachdenklich auf den Kobold. "Was sagst du dazu, Gaspard?
"Ein vorzüglicher Früchtecocktail. Gibt's noch mehr davon?" Er wischte sich zierlich mir einem hellgrünen Batisttuch über die Lippen.
Aus dem Nirgendwo tauchte der Türhüter auf und tauschte sein leeres Glas gegen ein volles.
"Gaspard!"
"Oh, du meinst die drei Uldila-Freunde? Er kicherte boshaft und nahm einen herzhaften Schluck. "Die sollten sich eine bessere Geschichte ausdenken, wenn sie mich unterhalten wollen." Er lehnte sich lässig gegen eine Zuckerdose. "Die Festung hat mindestens sechs Wachen und die Charisma-Werte sinken nach jedem Sieg um zwei Punkte. Auch wenn er die höchsten Werte hatte, könnte er nur vier schaffen."
"Du spielst Uldila?!", riefen vier erstaunte Stimmen fast gleichzeitig.
"Ich habe schon Uldila gespielt als ihr alle noch im Eintopf der Götter geschwommen seid, grinste der Kobold und polierte seine Fingernägel an seiner grünen Jacke. "Das war nur die erste Lüge", fügte er wie beiläufig hinzu.
"Ein Wahrheitsspürer, hauchte Lagare und erbleichte. Auch seine Freunde hatten alle Farbe verloren.
Gaspard grinste breit. Bevor Arwed es verhindern konnte, sagte er zu Firmillin: "Soll ich dir meinen Stern anheften?"
"Das ist eine Zumutung", empörte sich dieser. "Meine Frau hat großen Einfluss beim Statthalter. Sie wird dir die Lizenz entziehen lassen, wenn du deinen Kobold zu solchen Übergriffen anstiftest." Alle drei Elfen starrten den Magier finster an.
"Gaspard! Willst du mich ruinieren?" rief dieser aufgebracht.
Der Kobold zog seinen Rock glatt und den Bauch ein. "Ich bin ein freier Kobold und arbeite aus freiem Willen mit Meister Arwed zusammen. Also wenn schon, kannst du dich nur über mich beschweren. Und da bezweifle ich, dass das etwas nutzt. Mein Onkel Etienne ist Berater des Statthalters." Er verbeugte sich elegant. "Nichtsdestotrotz entschuldige ich mich in aller Form. Mein heißes Temperament, du verstehst, Meister Firmillin. Lügen sind so etwas Hässliches."
Inzwischen hatte sich Arwed gefasst. "Lügen bringen mich nicht weiter. Falls die Wahrheit einen von euch in Misskredit bringen könnte, kann ich versichern, dass ich eure Angaben vertraulich behandeln werde, bei meiner Magierehre."
Die drei Elfen wechselten Blicke, steckten die Köpfe zusammen und flüsterten. Sie konnten sich lange nicht einigen, denn Lagare zischte immer wieder "Nein, nein, nein!" Endlich schienen sie zu einem Ergebnis gekommen sein.
"Wir haben uns letzten Mittwoch hier getroffen, aber nicht Uldila gespielt", quetschte Firmillin zwischen den Zähnen heraus.
Gaspard lächelte und nickte. "Richtig."
"Wir sind woanders hin gegangen."
"Aber das wollen wir nicht sagen", fuhr Lagare schnell dazwischen.
"Dann werden wir nie erfahren, was aus Gaidulin geworden ist", kommentierte Gaspard trocken.
"Gaidulin hätte mit uns gehen sollen, dann‚" rief Triballan dazwischen. "Halt den Mund, du Esel!", fauchte Lagare.
"Nein!" widersprach der Elf. "Gaidulin ist mein Vetter."
"Ach! Vetter dritten Grades", schwächte Lagare ab.
"Wer weiß, was ihm zugestoßen ist. Vielleicht ist er ... lebt er ... oh, nein! Ich kann gar nicht daran denken!"
"Du sagst kein Wort mehr, Triballan, sonst ...!" Eine dunkle Drohung hing fühlbar im Raum.
"Aber Gaidulin", jammerte der Elf
Wieder steckten die Drei die Köpfe zusammen. Arwed lehnte sich zurück und gab vor, ihr Zischeln nicht zu beachten. Endlich schienen sie zu einem Entschluss gekommen zu sein.
Schließlich klopfte Lagare Triballan auf die Schulter. "Sag es ihm", brummte er unwirsch. "Gaidulin ist ein guter Elf", beeilte sich Triballan gleich als Erstes zu versichern. "Du darfst nicht schlecht von ihm denken. Aber das hätte sie nicht tun dürfen, damals."
"Was hätte sie nicht tun sollen?", fragte Arwed sanft.
"Sie hat versprochen, sich vor der Hochzeit fangen zu lassen. Aber dann ist sie nicht zu der verabredeten Stelle gekommen und Gaidulin verlor die Brautjagd. Er liebt sie über alles und würde sie auch nie betrügen, aber ihr Verrat hat ihn sehr verletzt."
"Was hat das denn mit Gaidulins Verschwinden zu tun?" Ein böser Verdacht stieg in dem Magier auf. Hatte der Elf seine Frau verlassen? Das, wie auch Scheidungen, kam höchst selten vor, aber ausgeschlossen war es nicht.
"Wir haben Ausflüge gemacht. Nur ganz kleine. Ein paar Stunden am Strand oder in den Bergen, ein Spaziergang durch den Wald. Es war doch nur ein Stückchen Freiheit, das wir wollten. Wir müssen immer das tun, was unsere Frauen wollen. Einmal ein paar Stunden frei sein ..." Er sah Arwed Verständnis heischend an. Eine Träne glitzerte in seinem Augenwinkel.
"Ausflüge?", fragte Arwed nach. Er begann etwas zu ahnen.
"Es waren Gemäldereisen", gestand Triballan. "Kennst du nicht das magische Reisebüro? Da kannst du überall hin kommen, mit einem Schritt."
Nun war es heraus. Eine Gemäldereise. Violetta hatte erst gestern davon gesprochen. "Ich habe davon gehört", sagte er. "Welche Reise habt ihr am letzten Mittwoch gemacht?"
"'Franticellos Gelage', unser Lieblingsbild. Seit das Reisebüro vor drei Monaten eröffnet hat, haben wir fast jeden Mittwochabend dort verbracht. Aber letzten Mittwoch wollte Gaidolin einfach nicht gehen. Er würfelte mit einem Gemalten und wollte nicht aufhören. Da gingen wir. Wir dachten, er würde uns bald folgen und warteten noch eine Weile. Aber er kam nicht. Seither ist er verschwunden." Ein treuer Hundeblick flatterte in Arweds Richtung. "Du wirst uns doch nicht verraten?"
"Natürlich nicht. Ich habe es doch versprochen, bei meiner Magierehre", erinnerte ihn Arwed. "doch werdet ihr einsehen, dass ich meine Ermittlungen fortsetzen muss. Allein dadurch könnte euer Geheimnis aufgedeckt werden. Was meinst du mit einem Gemalten?"
"Ein Gemalter ist kein echter Mensch. Er gehört zum Bild. Wir wollten wissen, ob das Geld, das man einem Gemalten abnahm auch in der realen Welt noch Geld war."
"Soso. Könnte Gaidulin noch in dem Gemälde sein?"
"Nein, ich ging gleich am nächsten Tag wieder in das Bild, Aber er war nicht mehr da und den Gemalten konnte ich auch nicht finden. Kannst du Gaidulin nicht finden, ohne dass unsere Frauen etwas von unseren Reisen erfahren?"
"Wenn es irgendwie möglich ist, aber ich werde nicht für euch lügen", versprach er.
"Wir hatten ein paar schöne Stunden", meinte Firmillin traurig und seine Freunde seufzten mit ihm im Chor.
Arwed musterte kritisch die Schatten. Die Sonne schickte sich eben an hinter den Eichen zu versinken und ein leichter Wind ließ ihre Blätter rauschen. Sollte er jetzt noch dem magischen Reisebüro einen Besuch abstatten?
"Sieh zu, dass wir nach Hause kommen, Langer", murrte Gaspard, der es sich wieder in einer Brusttasche bequem gemacht hatte.
"Zuerst möchte ich mir das magische Reisebüro ansehen", widersprach der Magier. "Es liegt in der ... äh, Goldregenstraße, wenn ich mich recht erinnere. Das ist doch nur ein kleiner Umweg."
"Du erinnerst dich richtig", seufzte der Kobold.
"Ich will mir nur ein Bild machen. Vor Einbruch der Dunkelheit sind wir zu Hause."
Arwed achtete nicht weiter auf das Grummeln aus seiner Brusttasche und schritt munter aus. Eine Abkürzung durch die Schwertlilienzeile brachte ihn direkt in die Goldregenstraße.
Das magische Reisebüro war nicht zu übersehen. Schon durch seinen leuchtend gelben Anstrich stach das einstöckige Backsteingebäude aus den anderen Häusern hervor. Links und rechts neben der Tür erschienen jeweils für einige Minuten Gemälde. Ein verdammt teurer Zauber, aber wirkungsvoll, dachte Arwed fachmännisch.
Immer wieder blieben Leute stehen um die Bilder zu betrachten. Damit sie auch wussten, wovor sie standen, prangte über der Tür in dicken, schwarzen Lettern: 'Williram Hakonen's magisches Reisebüro'.
Eben kam ein Zwergenpärchen fröhlich schnatternd aus dem Haus. Arwed ließ sie vorbei und betrat einen Raum, der von einem wuchtigen Schreibtisch dominiert wurde. Dahinter saß ein Mann um die 40. Tiefe Geheimratsecken ließen das ansonsten runde Gesicht mit der kleinen Stupsnase etwas länger erscheinen. Irgendwie kam er Arwed bekannt vor, obwohl der Magier sicher war, ihm noch nie begegnet zu sein. Das konnte nicht der Besitzer des Ladens sein, dessen Namen ihn als Elf auswies. Dieser hier war eindeutig ein Mensch. Wo hatte er den schon gesehen? Ein unbehagliches Gefühl beschlich ihn.
Ein öliges Lächeln unterbrach Arweds Grübeln. "Ich begrüße dich, Meister Magier", rief der Mann mit schriller Stimme. "Welch eine Ehre für unser Haus!" Er hievte seinen massigen Leib aus dem Stuhl und umrundete den Schreibtisch. "Ich bin Ladewig Edlinger, der Geschäftsführer. Darf ich dir unsere Kollektion zeigen?" Er vollführte eine Verbeugung, die die Nähte seiner Hosen ächzen ließ. Ein auffälliges Amulett rutschte aus seiner Weste und baumelte vor seiner Nase auf und ab. Der Name war Arwed vollkommen fremd, es musste wohl eine zufällige Ähnlichkeit sein.
"Gewiss findet sich etwas für deinen Geschmack". fuhr er geschäftig fort. "Suchst du Weisheit bei den Meistermagiern der Vorzeit? Oder soll es eine Erholung sein? Eine idyllische Waldwiese? Ein Tag am Meer? Oder vielleicht ein fröhliches Fest? Ein romantisches Abenteuer?
"Ich würde mich gerne einmal umsehen", unterbrach Arwed den Redefluss. "Ich bin Arwed Berenger."
Diensteifrig lief er auf eine oben abgerundete Tür zu und riss sie auf "Bitte sehr, Meister Arwed.
Ein langer Gang wurde sichtbar, dessen Ende ein dunkelroter Samtvorhang bildete. Dicht an dicht hingen dort an beiden Seiten die verschiedensten Gemälde. Über jedem Bild klebte ein Schild mit einer Nummer und dem Titel desselben. Der untere Rand jedes Bildes befand sich knapp über dem Fußboden, sodass man es bequem mit einem Schritt betreten konnte.
Neugierig trat Arwed ein. Ladewig dirigierte ihn geschickt zur rechten Seite. Das erste Bild zeigte eine Marktszene. Nach dem Schnitt der Kleider, die die Menschen trugen, musste es mehr als hundert Jahre alt sein. 'Der Markt von Bazeira' verkündete das dazugehörige Schild.
Arwed ging näher. Deutlich konnte er die Magie spüren. "Ist in diesem Bild gerade ein Reisender?"
Ladewig schüttelte den Kopf. "Nein. Aber hier, im 'Frühlingstanz" ist ein Besucher." Dem ausgestreckten Arm Ladewigs folgend, ging Arwed an einem halben Dutzend Bilder vorbei. Leicht bekleidete Elfen tanzten anmutig auf einer sonnenbeschienenen Waldwiese.
Männer und Frauen, die meisten Elfen, aber auch Menschen und Zwerge, saßen oder lagen im Gras und sahen dem Tanz zu. Suchend glitten seine Augen über die Szene. Da stach Ladewigs Zeigefinger in Richtung eines ältlichen Elfs. Überrascht erkannte Arwed seinen Vermieter Hilarion, um dessen Hals genauso ein Amulett hing, wie er es bei Ladewig gesehen hatte. Ist das die Eintrittskarte?" fragte Arwed und deutete auf das bunte Vieleck auf der Brust des Geschäftsführers.
Der wich ein wenig zurück und schob das Amulett in seine Weste. "Ja, ja, natürlich. Ich trage immer eins bei mir. Es könnte ja sein, dass ich ein Gemälde betreten müsste. Manche Leute vergessen die Zeit ... ähem." Er räusperte sich und zwinkerte vielsagend. "Sieh dich in Ruhe um. Ich bin im Vorzimmer." Überraschend schnell verließ er die Galerie.
Arwed zuckte mit den Achseln und ging auf die Suche nach 'Franticellos Gelage'. Am Ende des langgestreckten Raums entdeckte er es, auf der linken Seite.
Sorgfältig musterte er die Malerei. Soweit er feststellen konnte, befand sich kein Besucher in dem Gemälde. In einem Rosengarten saßen Männer und Frauen in Gewändern des vergangenen Jahrhunderts um einen langen Tisch, der sich unter den verschiedensten Köstlichkeiten bog. Am rechten Rand waren Musikanten zu sehen vor denen ein Hündchen auf den Hinterbeinen tanzte. Einige Paare drehten sich tanzend im Kreis.
Sinnend ging Arwed auf den Ausgang zu. im Vorübergehen entdeckte er in einigen Gemälden Besucher. Sie fügten sich ohne Ausnahme ins Bild. Nur das Amulett und ihre moderne Kleidung verriet ihre Herkunft.
"Hast du dir ein Bild ausgesucht?", empfing ihn Ladewig.
"Es gäbe mehrere Möglichkeiten", wich Arwed aus. "Ich möchte noch mehr über diese Reisen erfahren. Alle Besucher, die ich gesehen habe, bewegten sich nicht
"Das Bild ist das Tor", fiel ihm Ladewig geschäftig ins Wort. "Du trittst ein und dahinter liegt die Welt des Gemäldes. Dort kannst du dann hingehen, wohin du willst. Allerdings ist es nicht ratsam, sich zu weit von dem zentralen Geschehen zu entfernen. Für zwei Stunden zahlst du drei Golddublonen. Wenn du überziehst, muss ich für jede begonnene Viertelstunde eine Golddublone verrechnen.
"Was ist, wenn einem in einem Bild ein Unfall zustößt?", wandte Arwed ein. "Mit einem gebrochenen Bein könnte ich das Bild doch nicht mehr aus eigener Kraft verlassen:
"So ein Fall ist noch nie eingetreten", beeilte sich Ladewig zu versichern. "Aber auch da haben wir vorgesorgt." Er holte wieder das Amulett aus der Weste und tippte auf einen roten Kreis in der Mitte. "Du brauchst nur dieses Zeichen zu berühren und wir holen dich heraus."
"Und was passiert, wenn ich das Amulett verliere?"
"Die Reise erfolgt auf eigene Gefahr", war die glatte Antwort. "Nun, welches Bild soll es denn sein?"
"Franticellos Gelage", erklärte Arwed lächelnd.
"Eine wunderbare Wahl, Meister Arwed!", lobte der Geschäftsführer, öffnete eine Lade und nahm ein Reiseamulett heraus. Es unterschied sich von dem, das er selbst um den Hals trug, durch einen goldenen Stern in der Mitte. "Das macht dann drei Golddublonen. Viel Vergnügen"
Der Magier zahlte und legte die Kette mit dem Amulett um den Hals. Mit langen Schritten ging er zu dem Gemälde. Doch schon beim ersten Schritt ertönte ein lauter Gongschlag und er wurde sanft, aber unwiderstehlich weggeschoben. Vom Foyer hörte er Schritte. Dann stand Ladewig vor ihm. Arwed machte wieder einen Schritt auf das Bild zu und streckte die Hand aus. Erneut erklang der Gong. "Was soll das?", fragte er ungehalten.
"Der Gong ertönt, wenn ein Unbefugter ein Bild betreten will." Misstrauisch musterte er Arwed.
Aus Arweds Brusttasche tauchte ein grüner Hut mit einer gelben Feder auf Der Rest von Gaspard folgte. "Du meinst wohl mich", grinste er. "Mach deinen Ausflug, Langer, ich warte hier auf dich."
Ladewig räusperte sich. "Wir arbeiten noch an Reiseamuletten für Zauberwesen. Leider wird das noch eine Weile dauern."
Tut mir Leid, Meister Ladewig", entschuldigte sich Arwed. "Ich hatte gar nicht bemerkt, dass mein Kobold in meiner Brusttasche schlief: Es macht dir doch hoffentlich nichts aus, wenn er hier auf mich wartet."
"Auf deine Verantwortung." Ladewig seufzte und ging wieder zurück zu seinem Schreibtisch.
Nun konnte Arwed ungehindert das Gemälde betreten. Ein kalter Schauer überrieselte ihn, dann stand er in einem süß duftenden Rosengarten. Fröhliche Menschen tanzten einen altmodischen Hupftanz. Kläffend sprang das Hündchen auf den Hinterbeinen im Kreis. Ein Blick über die Schulter zeigte ihm das Tor als einen milchigen Fleck.
"Komm, setz dich zu uns!", rief ihm eine dralle Maid von einem der Tische zu und rutschte ein Stück zur Seite.
"Vielen Dank!" Arwed nahm Platz. Sogleich wurde ihm ein Becher mit Ale angeboten. Als er etwas zweifelnd hinein blickte, wurde ihm erklärt, dass dies völlig ungefährlich für Besucher sei. Ein kleiner Schluck beruhigte ihn. Es war wirklich Ale.
"Ich suche einen Freund", begann er. "Ein Elf Er war letzten Mittwoch mit drei anderen Elfen hier. Seine Freunde gingen, aber er blieb noch. Ist er noch da?"
"Ach, du meinst Gaidulin!", rief die Maid. "Er kommt jede Woche mit seinen Freunden." Verwirrt hielt sie inne. "Ah, gestern war auch Mittwoch und er war nicht da."
"Vielleicht ist er letzten Mittwoch gar nicht gegangen und er ist noch immer da", hakte Arwed nach.
"Oh, nein, er ist nicht mehr da. Er hat mit einem Mann noch eine Weile gewürfelt, nachdem seine Freunde gegangen waren. Dann ging er mit seinem neuen Freund."
"Weißt du, wohin sie gingen?"
"Sie verließen das Gelage durch das magische Tor." Einfältige, große Augen sahen ihn an.
"Er wollte mit ihm einen Waldspaziergang machen", rief ein alter Mann, der an einer riesigen Pfeife zog und ab und zu Rauchwolken in die Luft paffte. "Frag ihn doch selber, dort sitzt er!" Er deutete mit der Pfeife auf einen Mann in einem schmuddeligen, dunkelblauen Anzug.
Dankend stand Arwed auf und ging auf ihn zu. Doch der sprang auf und rannte auf den milchigen Fleck zu. Ohne Zögern sprang der Magier hinterher. Wieder überrieselte ihn eine kalte Dusche und er stand in der Galerie.
"Wohin ist er geflohen?", rief er Gaspard zu.
"Dort! ‚Die Tanzstunde!" Sein Finger deutete auf ein Bild, auf dem sich Damen in weißen Kleidern und Herren in schwarzen Anzügen im Tanz drehten. Die Wände des Tanzsaals waren in hellem Grün gehalten. Nur ein Strauß roter Rosen in einer Vase belebte das Bild.
Mit einem gewaltigen Sprung war Arwed in dem Bild. Dort herrschte Chaos. Eine Dame saß jammernd am Boden und umklammerte ihren Knöchel. Zwei junge Herren versuchten ihr beizustehen. Der Mann im blauen Anzug wurde von drei anderen Männern fest gehalten. Er wand sich in ihrem Griff und war nahe daran, sich zu befreien. Schon wollte Arwed einen Lähmungszauber sprechen als ihm einfiel, dass seine Zauberkraft ja hier nicht wirkte. Zu seinem Glück kam ein vierter Mann herzu und unterstützte die drei.
"Ich möchte doch nur mit dir sprechen", versuchte er den Fremden zu beschwichtigen.
"Was willst du von mir?", fragte dieser misstrauisch in breitem marrenischem Dialekt. Da er jetzt stillhielt, ließen ihn die Tänzer los und traten sogar ein wenig zurück.
"Du hast vorige Woche mit einem Elf gewürfelt, in dem anderen Bild. Was ist aus dem Elf geworden?", fragte Arwed.
"Von mir erfährst du gar nichts!", fauchte ihn sein Gegenüber an, stieß ihn vor die Brust und wollte sich an ihm vorbei drängen.
Reflexartig griff Arwed nach der Jacke des Mannes. Im nächsten Moment wurde ihm diese aus der Hand gerissen. Gleichzeitig fühlte er, dass er mit dem Stoff auch eine Kette erwischt hatte, die jetzt riss. Der Fremde stieß einen heulenden Schrei aus und zerfloss vor den Augen der Versammelten.
Nur ein schmieriger, blauer Fleck am Fußboden zeugte von seiner Anwesenheit. Und von Arweds Hand baumelte ein Reiseamulett an einer zerrissenen Kette. Automatisch steckte er es in die Rocktasche. Die Tänzer wichen entsetzt vor ihm zurück. Einige Damen fielen in Ohnmacht.
Arwed machte sich das darauf folgende Durcheinander zunutze um zu verschwinden. In der Galerie erwartete ihn schon der Kobold.
"Was hast du denn aufgeführt?", wollte Gaspard wissen. "Du hast das Bild beschädigt."
"Was?!" Erschrocken fuhr Arwed herum. Tatsächlich! Die ‚Tanzstunde' wies einen schmutzig-blauen Fleck im unteren Drittel auf. "Du liebe Zeit!" rief er aus. "Das sollte Ladewig nicht sehen!" Hastig nahm er das Amulett ab und gab es dem Kobold. Dann fuhren seine Hände blitzschnell durch die Luft während er einen Illusionszauber webte. Sekunden später strahlte das Bild wieder in makelloser Schönheit.
"Das hält ein Weilchen", brummte er und verließ pfeifend die Galerie.
"Oh! Schon zurück?", begrüßte ihn Ladewig. "Hat es dir nicht gefallen?"
"Oh, doch! Es war wunderbar", beeilte sich Arwed zu beteuern und legte das Amulett auf den Tisch. "ich habe nur noch einen dringenden Termin. Kann ich den Rest der Zeit ein andermal konsumieren?"
"Leider nicht", flötete der Geschäftsführer. "Wenn du früher zurück kommst, verfällt die restliche Zeit."
"Wie schade!"
Etwas überstürzt verabschiedete sich Arwed und ging. Sein Illusionszauber würde nicht viel länger als eine halbe Stunde vorhalten und dann wollte er weit weg sein.
Das Erlebnis in der ‚Tanzstunde' hatte ihn verwirrt. Wie konnte ein Mensch sich plötzlich in einen Farbfleck verwandeln? Oder war es gar kein Mensch? Die gemalten Personen konnten doch ihre Bilder nicht verlassen. Dieser aber hatte ein Reiseamulett besessen. Dazu kam noch sein Dialekt. So sprachen die einfachen Leute in Arweds Heimatdorf.
Tief in seine Grübeleien versunken machte er sich auf den Heimweg. Es war jetzt stockfinster. Dicke, graue Wolkenbänke verdeckten die meisten Sterne. Auch die dünne Mondsichel spendete kaum Licht. Nachdem er zweimal im Dunkeln gegen einen Laternenpfahl gelaufen war, entzündete er ein magisches Licht, das er vor sich her tanzen ließ.
Plötzlich schrillten in seinem Kopf Alarmglocken. Warum brannten die Laternen nicht? Er ließ das Licht am nächsten Mast hochsteigen, Das Glas der Laterne war zerbrochen, der Ölbehälter aus der Halterung gerissen und umgekippt. Aufgeregt rannte er weiter. Auch die nächste Laterne war mutwillig zerstört.
Fröstelnd stellte Arwed seinen Kragen auf, denn nun erhob sich auch noch ein kühler Wind. Er befand sich noch im Elfenviertel, das als sehr sicher galt. Trotzdem, die zerstörten Laternen verhießen nichts Gutes. Besorgt sah er auf den Hahn an seinem Handgelenk. Das Ergebnis beruhigt ihn ein wenig.
"Arwed! Pass auf, Räuber!", zischte es da aus seiner Brusttasche.
Ein Fingerschnippen ließ sein Licht hell aufflammen. Drei Männer mit vermummten Gesichtern standen plötzlich in helles Licht getaucht. Zwei von ihnen drohten mit langen Messern, einer mit einem Prügel.
"Ich bin ...", begann Arwed, da schlang sich ein kräftiger Arm von hinten um seinen Hals.
"Wer du bist, ist uns egal. Wir wollen nur deine Börse und alle sonstigen Wertsachen", unterbrach ihn eine raue Stimme. "Sonst müssten wir ..." Nun spürte er den Druck einer Messerspitze in der Nierengegend.
Angst und Wut ließen ihn zu einem der stärksten Mittel greifen, das er kannte. Wie ein brausendes Unwetter stürzten die Silben von 'Lanfals Sturm' von seinen Lippen. Eine magische Windhose erfasste die Räuber und wirbelte sie gegen die nächste Hauswand. Da der Mann in seinem Rücken nicht gleich losließ, wurde auch Arwed zu Boden gerissen
Es dauerte eine kleine Weile bis er ächzend wieder auf den Füßen stand. "Bist du verletzt, Gaspard?", war seine erste Frage während er die Straße nach den Räubern absuchte. Er konnte keine Spur von ihnen entdecken.
"Oh weh! Oh weh!", jammerte der Kobold. "Du hast mir sämtliche Knochen gebrochen!"
Bestürzt zog er das Männchen aus seiner Brusttasche. Gaspard bot tatsächlich einen zerdrückten Anblick. Doch eine schnelle Untersuchung ließ Arwed aufatmen. "Du hast nichts gebrochen, nur ein paar Prellungen", stellte er fest.
"Aber mein Hut!", greinte Gaspard und hielt ihm ein zerquetschtes Etwas mit zweimal geknickter Feder hin.
"Das sehe ich mir zu Hause an", versprach der Magier und ließ seinen kleinen Helfer wieder in die Brusttasche gleiten.
Da sah er etwas auf dem Pflaster glitzern. Erstaunt hob er die bunte Scheibe hoch. Das war doch eins dieser Reiseamulette. Vielleicht hatten die Räuber noch etwas Interessantes verloren. Suchend ließ er sein Licht zu der Hauswand schweben, gegen die die Räuber geprallt waren. Der graue Verputz wies einen großen, dunklen Fleck auf. Dort fand er noch ein Reiseamulett und einen kleinen Jutesack.
Zu Hause angekommen, leerte Arwed den Inhalt des Jutesacks auf seinen Schreibtisch. Drei wohl gefüllte Börsen, eine goldene Halskette und ein paar wertvolle Ringe kamen zum Vorschein.
"Das muss ich gleich morgen früh auf die Wache bringen", brummte er und legte die Reiseamulette dazu. ‚.Ein kleiner Happen und dann ins Bett."
"Was ist mit meinem Hut!" Gaspard hielt ihm das misshandelte Prachtstück anklagend hin. Ein paar Gesten und ein kurzer Spruch behoben den Schaden schnell.
Als er endlich zu Bett ging, machte er eine unangenehme Entdeckung. Am Rücken seines Jacketts war ein großer Schmutzfleck.
"Kannst du dir das morgen ansehen, Gaspard?", fragte er.
Der Kobold beugte sich über den Fleck und schnüffelte. "Riecht komisch", meinte er. "Das benötigt eine Sonderbehandlung."
"Woher hatten die Räuber die Reiseamulette?", brummte Arwed und stapelte die zwei Scheiben übereinander. Obenauf legte er das Amulett, das er dem Marrener in der ‚Tanzstunde' abgerissen hatte. Die bunten Symbole darauf waren nur Verzierung. Die Magie steckte vor allem im Inneren. "Ob es Stammkunden gibt, die ihre Amulette mit nach Hause nehmen dürfen?"
Er hatte sich gleich nach dem Frühstück an seinen Schreibtisch begeben. Sein Spürsinn sagte ihm, dass dieser Überfall eine besondere Bedeutung hatte.
"Was sollen die Räuber davon haben?" Gaspard saß auf einem Zauberbuch, das Arwed nicht weggeräumt hatte. Ladewig kennt doch sicher seine Kunden. Oder glaubst du, dass einige von ihnen unter die Räuber gegangen sind?"
Arwed sah kurz auf und schüttelte entschieden den Kopf. Gemäldereisen waren teuer. Wer sich das leisten konnte, lief nicht mit einem Messer durch dunkle Gassen. Mit spitzen Fingern reihte er die Scheiben nebeneinander. Sie waren völlig identisch. Ein magischer Urlaut aktivierte sein Drittes Auge. Nun umgab ein Kranz magischer Energie jedes Amulett. Unterschiede konnte er noch immer nicht feststellen.
"Ich verstehe das nicht", murmelte, er.
"Es gibt noch mehr Rätsel", sinnierte der Kobold. "Wohin sind die Räuber so schnell verschwunden? Und woher kommt der Fettfleck auf deiner Jacke?"
"Nun ja", überlegte der Magier. "Ich war durch den Sturz ein wenig benommen. Dazu kam noch die Sorge um dich
‚Hast du sie weglaufen gehört? Ich nicht."
"Ich auch nicht. Vielleicht ..." Arwed runzelte die Stirn.
"Natürlich! Sie sind geflogen", kicherte der Kleine. "Sie können auch den Zauber der Wolkenschuhe angewendet haben."
"Aber ..." Ratlos schüttelte Arwed den Kopf
"Oja! Welch mächtige Magier! Soviel Kraft möchte ich auch haben, dass ich noch zaubern kann, nachdem ich von einer Windhose gegen eine Wand geklatscht wurde. Hehehe!" Gaspard hielt sich den Bauch vor Lachen.
"Gaspard, spotte nicht!", rief Arwed ärgerlich. "Ich kann die Problematik dieses Falls durchaus erkennen. Hast du meine Jacke schon gereinigt?"
Nun machte der Kobold ein unglückliches Gesicht. "Ich bin noch dabei. Ölfarben sind fast nicht raus zu kriegen."
"Ölfarben?", wunderte sich Arwed.
"Du hast dich an ein Bild gelehnt."
"Nein!" Der junge Magier schüttelte den Kopf. "Sicher nicht!"
"Dann muss sich ein Bild an dich gelehnt haben, ohne dass du es bemerkt hast. Du bist ein Genie, Bohnenstange. Während dein Geist in unerreichten Höhen schwebte, hat dich ein Bild von hinten umarmt. War es vielleicht verliebt in dich?" Erbost stemmte er die Fäuste in die Hüften. "Ich weiß, wie Ölfarbe riecht und wie schwer sie aus Kleidern zu entfernen ist. Als ich unter Hasvarinos Bann stand, musste ich immer wieder seine Kleider putzen. wenn er seinem Maler die Bilder um die Ohren geschlagen hatte:
Arwed starrte ins Leere. Wenn Gaspard sagte, es sei Ölfarbe, dann war es Ölfarbe. Der Kleine hatte Recht. Der scharfe Geruch der Reinigungsflüssigkeit hatte ihn heute Morgen aus dem Schlaf geholt. Er hing noch jetzt in allen Räumen. Nein, dieses Problem würde er später lösen. Zuerst musste er Gaidulin finden und das schnell.
"Komm, Gaspard", meinte er, "wir gehen aus. Auf die Wache und noch mal zu Ladewig." Einladend hielt er seine Brusttasche auf. Dann steckte er den Kopf in die Küche. "Ich habe noch einiges zu erledigen, Tschrt-schlog!", rief er unternehmungslustig. "Bis Mittag bin ich wieder zurück. Nur für den Fall, dass Violetta nach mir fragt."
"Violetta hat heute ihre Prüfung". antwortete der Agami während er grüne Bohnen putzte.
"Ihre Zofe war heute früh da.
"Oh, ich dachte, die ist morgen. Nun ia, ich muss jetzt gehen."
Den Jutesack in der Hand, die Reiseamulette in der Tasche marschierte er die Krötenzeile hinunter. Mehr aus Gewohnheit blieb er vor der Nachrichtenwand an der Ecke Kröten- und Geckozeile stehen.
Eine dicke Schlagzeile sprang ihm in Auge: 'Ardarich Schmerlinger. Sohn des Präfekten verschwunden'. In dem dazugehörigen Artikel wurden einige wilde Theorien entwickelt, die Arwed alle ziemlich unwahrscheinlich vorkamen
Der junge Ardarich auf geheimer Mission? Nein, soviel Arwed wusste. hatte dieser feine Pinkel noch nie ernsthafte Arbeit geleistet. Durchgebrannt mit einem Trollmädchen? Nein, so verrückt war er nicht, auch wenn er immer wieder einen extravaganten Geschmack bewiesen hatte. Ardarich von Gangstern wegen gigantischer Spielschulden entführt? Das wäre möglich, doch wo blieb dann die Lösegeldforderung? Außerdem würde das sicher nicht in der Zeitung stehen. Ardarich als Mönch in einem Kloster? Der probierte es doch bei jeder Frau, die nicht schnell genug rennen konnte.
Mit hoch geschlagenem Kragen ging Arwed weiter. Ein kalter Wind riss gelbe und rote Blätter von den Bäumen und zauste sein Haar. Der herbe Duft von Chrysanthemen wehte aus einem Garten und ließ an den kommenden Winter denken. Arwed war froh als er die Wache erreichte. Vor einer blanken Fensterscheibe ordnete er sein Haar, zog die Jacke glatt Jetzt schnell noch vor dem nächsten Windstoß ins Haus!
Lärmend drängten sich gut gekleidete Menschen, Elfen und Zwerge um die Schreibtische hohläugiger Beamten. Jeder wollte einen Diebstahl, Raub oder Einbruch melden, innerlich aufatmend stellte er fest, dass keiner seiner jüngsten Kunden darunter war. Was war nur aus Golconda geworden? So schlimm war es doch noch nie!
Trotz heftiger Proteste drängte er sich zum Schreibtisch des höchstrangigen Beamten vor. Dort leerte er den Jutesack aus.
"Gestern Abend wurde ich in der Pfingstrosenstraße überfallen", begann er. "Offenbar haben die Räuber das da übersehen." Bezeichnend tippte er auf sein gelbes Magierabzeichen.
"Sie konnten es nicht sehen, weil du den Kragen hoch geschlagen hattest". erklärte Gaspard, der auf den Schreibtisch gehüpft war.
"Meine Halskette!", kreischte eine übergewichtige Dame und boxte den Magier in die Seite. "Und der Ring mit dem Saphir gehört auch mir."
"Nimm ihn dir doch und verschwinde", murrte ein Zwerg mit sorgfältig geflochtenem Bart. "Dann könnte man endlich Luft holen. Heh! Die schwarze Börse gehört ja mir!" Geschickt tauchte er unter Arweds Arm durch und schnappte sich sein Eigentum.
"Meine Damen und Herren! Ich bitte um Ruhe!", donnerte jetzt der Beamte. Erstaunlicherweise wirkte das. Der Lärmpegel sank rapide. "Wie ist dein Name, Meister Magier?", fragte er dann verbindlich lächelnd. "Was ist da geschehen'?"
Arwed stellte sich vor und erzählte mit knappen Worten sein Erlebnis. Einer inneren Eingebung folgend verschwieg er aber den Fund der vier Reiseamulette.
"Hin. hm", brummte der Mann nun. "Die Anrainer der Pfingstrosenstraße haben die zerstörten Laternen heute früh gemeldet. Nun, was ist aus den Räubern geworden?"
"Ich weiß es nicht", antwortete Arwed wahrheitsgemäß. .‚Sie waren verschwunden als ich wieder auf die Füße kam."
"Hat der Zauber sie verbrannt?"
"Nein!" Energisch schüttelte er den Kopf. "'Lanfals Sturm' ist eine starke, kalte Windhose. Dadurch kann man Angreifer wegschleudern kann. Aber verbrennen? Niemals! Zerschmettern wäre möglich, weil sie ja gegen eine Hauswand geschleudert wurden. Sie waren aber einfach nicht mehr da."
"Tja, das ist schade", meinte der Wachoffizier bedauernd. Mit akribischer Genauigkeit schrieb er alles auf was ihm Arwed erzählt hatte, schob die Diebesbeute trotz heftiger Proteste einiger Leute in eine Lade. "Ich werde das alles prüfen. Du kannst gehen, Meister Arwed. Sobald die Umstände geklärt sind, bekommst du Nachricht." Dann wandte er sich an aufgeregten Bürger. "Wenn jemand sein Eigentum erkannt hat..."
Arwed machte sich auf den Weg zum magischen Reisebüro. Da kam er auch an der Stelle vorbei, an der er überfallen worden war. Ein kleiner Elf stand mit Eimer und Bürste kopfschüttelnd vor dem Fleck an der Hauswand. Arwed trat zu ihm und grüßte freundlich.
Die Augen des Elfs blieben sekundenlang an Arweds Magierabzeichen hängen. Dann neigte er grüßend den Kopf. "Das Wetter wird immer schlechter", klagte er. "Dieser Sturm gestern Nacht!" Er tauchte die Bürste in eine schaumgekrönte Flüssigkeit. "Möchte nur wissen, wie dieser Dreck an mein Haus kam."
"Ich wurde gestern an dieser Stelle überfallen", erklärte der Magier. "Darf ich mich einmal hier umsehen? Vielleicht gibt es irgendwelche Spuren."
"Nur zu!" Der Elf trat einen Schritt beiseite. "Kannst du das da wegzaubern?", fragte er hoffnungsvoll auf den Fleck deutend.
Zuerst holte Arwed den Kobold aus der Brusttasche und setzte ihn auf seine Schulter. Dann trat er nahe an die Verunreinigung heran. In unregelmäßiger Form mischten sich Grün. Braun, Dunkelblau und Grau. Auch einige dumpfe Rottöne machte er aus.
"Das ist Ölfarbe". behauptete Gaspard und wandte sich an den Elf. Versuch's mal mit Terpentin. Damit schaffst du das Ärgste. Meister Arwed könnte sich dann eventuell um den Rest kümmern, gegen angemessene Bezahlung natürlich."
Der Elf sah seufzend auf seine Bürste, die bereits mit Farbe verklebt war. "Danke für den Tipp", sagte er und langte in seine Hosentasche. "Das hab ich hier gefunden. Vielleicht hilft es bei der Suche nach den Räubern." Er hielt Arwed zwei mit Farbe verschmierte Reiseamulette hin. Offenbar hatte er keine Ahnung, was er da in der Hand hielt.
Arwed nahm sie vorsichtig und wickelte sie in sein Taschentuch. "Das hilft mir enorm viel weiter", dankte er und ließ glitzernde Sterne auf den Elf rieseln. Nachdenklich machte er sich wieder auf den Weg.
"Jetzt hast du für jeden Räuber eins", flüsterte ihm Gaspard ins Ohr und ließ sich in die Brusttasche rutschen.
Abrupt blieb der Magier stehen. "Was hast du da gesagt, Stöpsel?" Mit langen Schritten ging er zurück zur letzten Kreuzung und bog in die Alraunenstraße ein. Bald hatte er die Magische Universität erreicht. Dort ging er schnurstracks in die Bibliothek. Eine volle Stunde studierte er "Spiegeleffekte der Magie".
"Jetzt hab ich's", brummte er endlich und stellte das Buch zurück ins Regal.
"Langsam lernst du denken", kam Gaspards Kommentar aus der Brusttasche.
"Sag bloß, du weißt schon, wo Gaidulin ist!"
"Oh nein!", wehrte der Kobold ab. "Ich hab an die Räuber gedacht. Vier auf einen Streich!
"Ja, das hab ich jetzt auch begriffen. Die Räuber stammen aus einem Gemälde. Sie haben Reisende überfallen und ihnen die Amulette abgenommen. Durch den Spiegeleffekt können sie damit in der realen Weit existieren. Mein Zauber hat sie ihnen entrissen und sie wurden zu Ölfarbe. Bääaah! Meine schöne Jacke! Jetzt müssen wir nur noch das Bild finden, aus dem sie kamen. Dann wissen wir, wo Gaidulin ist." Er überlegte eine Sekunde. "Der Marrener in der ‚Tanzstunde' muss auch einer aus diesem Verein sein", fügte er sinnend hinzu.
Im Laufschritt eilte er durch die Stadt zum Magischen Reisebüro. Ladewig saß mit hochrotem Gesicht hinter seinem Schreibtisch und redete auf einen langen, dünnen Mann ein. Wie Chilperich und Agobert, zwei Räuber aus der Vergangenheit Marrenos, schoss es ihm durch den Kopf. Nein, kam sofort die Stimme der Vernunft, die beiden Räuber waren doch seit sechzig Jahren tot.
"...nicht findest, gehst du nicht zurück!", fauchte wütend der Geschäftsführer.
"Aber mit drei Mann ...", protestierte der Dünne.
"Verschwinde!" brüllte Ladewig. Dann entdeckte er Arwed und räusperte sich. "Tut mir Leid, Meister Arwed. Immer Ärger mit den Angestellten. Nichts können sie richtig machen. Du kennst das sicher. Er wedelte mit seiner dicken Patschhand und der Dünne drückte sich an Arwed vorbei zur Tür hinaus. Sogleich erschien ein öliges Lächeln auf seinem Gesicht. "Möchtest du noch einen Ausflug machen?"
"Diesmal nicht. Aber ich habe meiner Tante von dem Ausflug erzählt und sie möchte es vielleicht ausprobieren. Allerdings sucht sie etwas Ruhigeres. Darf ich mir die Bilder noch einmal ansehen?"
"Aber sicher!" Schon wuchtete sieh Ladewig aus seinem Stuhl.
"Bleib nur sitzen, Meister Ladewig!", beeilte sich Arwed zu sagen. Du bist sicher sehr beschäftigt. ich weiß ja, wo's lang geht."
Schnaufend ließ sich der füllige Mann wieder in den Stuhl fallen und Arwed betrat die Galerie. Mit einem schmatzenden Geräusch kamen zwei junge Männer aus einem Bild, das schneebedeckte Berge darstellte
Jetzt brauche ich was Heißes", stieß der eine zähneklappernd hervor.
Der andere nickte und hauchte seine blau gefrorenen Hände an. "Das nächste Mal nehme ich Handschuhe mit."
Sie hasteten an dem Magier vorbei zum Ausgang, ihre Reiseamulette in den klammen Händen. Arwed ging von einem Bild zum anderen. Ein Wald oder ein kleines Dorf kam in Frage. Der 'Frühlingstanz'? Nein, das war es nicht. 'Blick auf Burg Arlak'? Wäre möglich. Vor hundert Jahren gab es dort einen Raubritter.
Wieder schmatzte ein Bild, dann ertönte eine wohlbekannte Stimme hinter Arwed. "Hallo, Rooster! Möchtest du auch eine Reise machen?"
Arwed fuhr herum. "Tonne!" Erfreut schlug er seinem Freund und Kollegen Nantwig auf die Schulter. "Ich suche noch das richtige Bild", entgegnete er. "Wie war die Reise?"
Der stämmige Erdmagier konnte nur aus 'Heilmars Wanderung' gekommen sein. Der Weise Heilmar wanderte hier durch einen lichten Forst. Interessiert betrachtete Arwed das Reiseamulett, das um Nantwigs Hals hing. Zum Unterschied zu den anderen Amuletten glänzte an diesem ein goldener Stern in der Mitte.
"Das war dienstlich", wehrte Nantwig mit gedämpfter Stimme ab.
"Dienstlich?" Eine steile Falte erschien zwischen Arweds Brauen. "Und? Fall gelöst?"
"Noch nicht", brummte sein Freund. ‚Aber ich verfolge eine Spur. Und du? Wenn du Urlaub machen willst, kann ich dir Heilmars Wanderung' wärmstens empfehlen."
"Vielen Dank", wehrte Arwed ab. "Aber ich bin auch dienstlich hier."
"So?" Misstrauisch musterte der Erdmagier seinen luftigen Kollegen. "Wilderst du in meinem Revier?"
"Das könnte ich dich genauso fragen. Was führt dich hierher?"
"Mein Fall geht dich nichts an. Es hat mich bereits einiges gekostet, diese Spur zu verfolgen."
Eine Idee schoss durch Arweds Kopf. Kritisch musterte er Nantwigs muskulöse Gestalt. Hatten sie in der Vergangenheit nicht schon gut zusammen gearbeitet. zum Vorteil beider Seiten?
"Warum tun wir uns nicht zusammen wie damals bei der Suche nach der Elfenbraut?" raunte er ihm zu. "Ich muss mir nur etwas ansehen. Dann könnten wir ein wenig plaudern.
"Du bittest um Hilfe? Der berühmte Arwed Berenger? Was könnte ein armer Erdmagier für dich tun?", spottete Nantwig.
Ja, es stimmte, dass sich Arwed eines guten Rufs erfreuen konnte, während Nantwig, trotz einiger namhafter Erfolge, hinter ihm zurück geblieben war. "Quatsch! Ich biete dir eine gleichberechtigte Partnerschaft."
Das Gesicht des Erdmagiers war ein einziges Fragezeichen. "Das muss ich mir anhören, Rooster", gestand er. "Du hast mich neugierig gemacht."
"Warte einen Moment." Sinnend ging er von Bild zu Bild. Etwas nagte in seinem Hinterkopf und ließ ihm keine Ruhe. Das fehlende Glied in der Kette. Was war es nur? In Gedanken verloren blieb er stehen und starrte auf ein Bild. Es stellte eine schäbige Hülle in einem dichten Wald dar. Auf dem Schild darüber stand: 'Marrenische Köhlerhütte'. Plötzlich fügte sich alles zusammen.
"Das ist es!", freute sich Arwed. "Komm, gehen wir!"
"In den ‚Strammen Finger'?"
Arwed wollte schon nicken, da tönte es aus seiner Brusttasche: "Nach Hause! Tschrt-schlog macht heute Bohnengulasch."

"So einen Koch hätte ich auch gern", lobte Nantwig und betupfte mit einer Serviette geziert die Lippen. "Ich zahle gut. Na, Tschrt-schlog, wie wär's?"
Die Schuppen des Agami irrlichterten im Lila des Stolzes und Grün der Verlegenheit.
Dazwischen blitzte es immer wieder Blau auf, was Freude bedeutete. "Es freut mich, dass es dir geschmeckt hat, Meister Nantwig. Leider ist dein Wunsch unerfüllbar, weil es Meister Arwed war, der mir auf den Fuß gestiegen ist. Möchtest du noch eine Portion?" Zu diesen Worten lächelte er so breit, dass fast alle seiner vielen, spitzen Zähne sichtbar wurden.
"Vielen Dank, ich bin satt." Eine Weile rührte er in seinem heißen Lays, einem süßen Getränk, dem eine verdauungsfördernde Wirkung nachgesagt und das deshalb gern nach dem Essen gereicht wurde. "Nun, Arwed, jetzt kannst du die Katze aus dem Sack lassen."
Der junge Luftmagier nickte. "Sag mir zuerst, weichen Fall du bearbeitest.
"Nein, nein, du willst etwas von mir. Also bist du zuerst dran."
Ärgerlich kaute Arwed auf seiner Unterlippe. "Ich suche eine vermisste Person. Nach meiner Theorie könnte sie in einem Gemälde sein."
Nantwig richtete sich kerzengerade auf. "War die Lady Thrasamunde auch bei dir?", zischte er.
"Thrasa... wer? Nein, ich arbeite für Lady Simonetta. Wer ist Lady Thrasamunde?"
"Lady Thrasamunde vermisst ihre Töchter Guntrud und Radelinde. Die Mädchen kamen vom Gesangsunterricht nicht nach Hause. Und jetzt wäre es nur fair, wenn du auch einmal mit ein paar Informationen heraus rückst." Nantwig nahm einen zu großen Schluck Lays und verbrannte sich die Zunge.
"Lady Simonetta vermisst ihren Ehemann Gaidulin", bequemte sich Arwed endlich zu sagen. Wenn ich Recht habe, wurde er von Räubern entführt. Sie könnten auch die Mädchen entführt haben, und auch noch Ladewig.
"Warum denn Ladewig?", rief sein Freund aus. "Der war doch gerade noch da.
"Du hast einen Mann gesehen, der sich Ladewig nennt, aber er ist es nicht.
"Waaas?", riefen Nantwig und Gaspard im Chor.
Es freute Arwed diebisch, dass er einmal etwas wusste, von dem Gaspard keine Kenntnis hatte. Bis jetzt war es ihm noch nie gelungen, den Kleinen zu überraschen.
"Kennst du die Geschichte von Marreno? Du vielleicht, Gaspard?"
"Ich weiß nur, dass du aus dieser Ecke stammst, aber ich war noch nie dort", gestand Nantwig. "Aber, was hat das mit den Vermissten zu tun?"
Gaspard äußerte sich nicht. Er nippte an seinem Lays, polierte seine Fingernägel an seinem Revers und tat auch sonst ziemlich uninteressiert.
"Vor etwa sechzig Jahren gab es im Marrenischen Wald eine Räuberbande. Ihr Anführer war Chilperich, ein schlauer Kerl, der in Ipsam einen Laden führte. Allerdings nur zur Tarnung. Jahrelang terrorisierte er die Gegend. Der König schickte Soldaten, aber sie fanden ihn nicht. Er hatte eine Höhle als Unterschlupf, deren Eingang von einem großen Haselstrauch verdeckt wurde. Ein Köhler entdeckte die Höhle durch Zufall als die Räuber gerade auf Beute gegangen waren und ging zum Bürgermeister von Marreno. Da taten sich die Männer zusammen und räucherten das Nest aus. Mein Großvater war dabei. Er hat uns oft davon erzählt. Die Bande wurde fast ganz aufgerieben. Nur Chilperich und seine rechte Hand Agobert konnten nach lpsam fliehen. Die Marrener folgten ihnen und prügelten sie zu Tode. Das ist jetzt 58 Jahre her. Und das Bild von der Köhlerhütte wurde vor 62 Jahren gemalt. Damals trieb die Bande noch ihr Unwesen."
"Eine sehr gewagte Theorie", meinte Nantwig zweifelnd. "Wenn das alles ist, was du hast, mache ich mich lieber wieder auf die Socken:
"Es ist noch nicht alles. Ladewig ist in Wahrheit Chilperich. Ich habe ihn erkannt. In der Marrenischen Chronik ist ein Bild von ihm und Agobert. Dazu kommt, dass ich gestern
Abend überfallen wurde
"Das kommt in letzter Zeit recht häufig vor", unterbrach ihn der Erdmagier.
"Ich habe die Räuber mit 'Lanfals Sturm' abgewehrt. Sie wurden gegen eine Hauswand geschleudert und waren plötzlich verschwunden. Nur an der Wand war ein großer Fleck Ölfarbe. Dafür habe ich das da gefunden." Grinsend legte er die fünf Reiseamulette auf den Tisch. "Spiegeleffekte", kommentierte er dies mit einem vielsagenden Nicken.
"Du warst schon immer gut in Theoretischer Magie", meinte Nantwig lakonisch und rieb sich das Kinn. "Wenn es so aussieht, könnte an der Sache was dran sein. Du meinst also, die Mädchen und der Elf werden in dem Bild gefangen gehalten?"
"Ja, das meine ich", nickte Arwed. "Chilperich hat damals auch manchmal Geisel genommen um Geld zu erpressen. Jetzt ging es ihm wohl um die Amulette. Er muss den echten Ladewig erwischt haben. Nachdem er ihm das Amulett gestohlen hatte, übernahm er einfach den Laden. Weitere Reisende wurden von seinen Leuten gefangen und die Bande kam heraus und raubte und stahl in Golconda."
"Du hast fünf von ihnen erledigt. Wie viele sind da noch drin? Wir können wohl nicht einfach in das Bild gehen und die Leute herausholen."
"Ich hörte heute früh den Rest eines Gesprächs zwischen Chilperich und Agobert. Sie sagten was von dreien. Außerdem weiß ich, dass die Bande nie mehr als ein Dutzend zählte. Wie du weißt, bin ich kein Krieger. Deshalb brauche ich dich."
Nantwig musterte den Luftmagier kritisch. "Richtig, du bist kein Krieger", stellte er fest. Vier Kerle wären aber auch für mich zuviel. Hast du einen netten Stock für mich?"
"Auf meinem Dachboden hab ich einen gesehen. Außerdem könnte ich Tschrt-schlog mitnehmen. Er ist ein mächtiger Krieger."
Der Agami wurde bei diesen Worten leuchtend lila vor Stolz. "Ich kämpfe für dich bis zum letzten Atemzug, bekräftigte er und schlug sich mit der Faust gegen die Brust.
Nantwig fand tatsächlich am Dachboden einen kräftigen Stock. "Wir können!" erklärte er und schwang probeweise seine Waffe.
Arwed nickte. "Du musst das Haus hüten, Gaspard", sagte er zu dem Kobold. "Tschrt-schlog geht mit uns."
Tschrt-schlogs begeistertes Grinsen wirkte im Verein mit dem Schwert an seiner Seite ausgesprochen bedrohlich. Allerdings wurde der Eindruck von der hohen Kochmütze auf seinem Kopf wieder zunichte gemacht.
"Willst du wirklich mit deiner Mütze in den Kampf ziehen?", wunderte sich der Luftmagier.
"Oh!" Tief grün vor Verlegenheit verschwand er um gleich wieder ohne seinen Kopfschmuck aufzutauchen.
Mit einem wohlwollenden Nicken öffnete Arwed die Tür. Im nächsten Moment hing ein duftendes Bündel an seinem Hals. Weiche Lippen pressten sich gegen seine Wange.
"Ich hab's geschafft, Meister Arwed!", quietschte Violetta überglücklich.
Da unterbrach ein dezentes Räuspern aus Nantwigs Richtung diese Wonne. Hastig löste sie sich von ihrem Nachhilfelehrer und trat einen Schritt zurück. Langsam röteten sich ihre Wangen.
"Das freut mich aufrichtig für dich. Herzlichen Glückwunsch!", gratulierte Arwed.
"Jetzt darf ich in ein Gemälde reisen. Morgen geht's los", schnatterte sie begeistert.
"Welches hast du dir denn ausgesucht?", wollte Arwed wissen.
"Ich werde ..." Das Mädchen unterbrach sich als es aus einem Fenster ihres Elternhauses wetterleuchtete. "Ich muss gehen. Mein Vater ruft mich. Ich werde dir berichten, versprochen!" Damit rannte sie über die Straße und verschwand im Haus der Zeilingers.
Mit großen Schritten strebte das ungleiche Trio nun dem Magischen Reisebüro zu. Die Goldregenstraße lag ruhig im Licht einer schwachen Nachmittagssonne. Der Wind spielte mit abgefallenen Blättern und trieb sie zu kleinen Haufen zusammen. Aus einem offenen Fenster kam der Duft von Bratäpfeln. Links und rechts neben der Tür des Reisebüros wechselten in ununterbrochener Reihenfolge die angebotenen Bilder.
Arwed wandte sich an Tschrt-schlog. "Du wartest besser heraußen bis wir dich rufen. Hier!" Er deutete auf einen dichten Goldregenstrauch neben der Reklame, der noch die meisten seiner Blätter hatte.
Geräuschlos glitt der Agami zwischen die Zweige. Da sprang auf der anderen Seite des Busches eine hochgewachsene Gestalt heraus und sauste mit Riesensprüngen um die Ecke des Gebäudes. Tschrt-schlog folgte ihm mit erhobenem Schwert. Ein jämmerlicher Schrei erklang. Nun rannten auch die Magier hinterher. Als sie den Agami erreichten, war von dem Langen weit und breit nichts zu sehen. Tschrt-schlog leuchtete in hellem Türkis vor Verwirrung.
"Ich habe ihn erwischt", rief er aus. "Und plötzlich war er verschwunden." Misstrauisch beäugte er ein paar Flecken auf seinem Schwert und wischte es dann an einem Grasbüschel sauber.
An dieser Hausseite gab es einen breiten Rasenstreifen, der von dichten Thujen begrenzt war. Vor dem Agami war der Rasen mit einer dunklen, schmierigen Substanz beschmutzt. Mitten in dem Fleck lag ein Reiseamulett.
"So war das nicht geplant", knirschte Nantwig und hob das Amulett auf
"Wer konnte denn wissen, dass sich Agobert gerade hier versteckt!", verteidigte sich Arwed. "Du kannst jetzt gleich mitkommen", entschied er dann. "Vielleicht erreichen wir Chilperich, bevor er in einem Bild verschwindet."
Im Laufschritt trabten sie zurück zum Eingang. Arwed erreichte die Tür als erster und riss sie auf eine Gruppe junger Mädchen kam ihm kichernd entgegen. Ab und zu konnte er einen Blick auf Chilperich erhaschen, der die Amulette entgegen nahm. Endlich war die Letzte gegangen. Nantwig stürmte hinein, gefolgt von Arwed und Tschrt-schlog.
Bei diesem Anblick wuchtete sich Chilperich aus seinem Stuhl und wollte in die Galerie laufen, aber Nantwig rezitierte schon einen Spruch. Der Bandit kam genau vier Schritte weit, dann tat sich unter ihm eine Grube auf. Schreiend verschwand er bis zur Mitte in dem Loch. Blitzschnell schloss sich der Boden fest um seinen Körper. Jetzt sprangen die beiden Magier herzu. Nantwig nahm den falschen Ladewig in den Schwitzkasten während Arwed nach dem Amulett suchte. Unter dem Hemd wurde er fündig. Ein grässliches Klagen entrang sich dem Räuber als Arwed die Kette zerriss. Sein Körper fiel buchstäblich in sich zusammen. Übrig blieb nur ein großer Fleck Ölfarbe auf dem Fußboden. Auch Nantwigs Anzug war damit beschmiert.
Der Erdmagier schüttelte sich. "Das möchte ich nicht noch mal erleben", brummte er. "Brrr! Er fühlte sich an wie ein Mensch und plötzlich ... Ich kann das Gefühl gar nicht beschreiben. Abscheulich!" Angeekelt wischte er sich die Hände am Vorhang ab.
"Das wird dem echten Ladewig nicht gefallen", meinte Arwed grinsend.
Doch sein Freund zuckte nur mit den Schultern. "Die Spezialamulette", sagte er nur. "Sie müssen in Ladewigs Schreibtisch sein." Mit drei Schritten umrundete er das Möbel und zog an der obersten Lade rechts.
Ein Sammelsurium an Stiften, Büroklammern und anderem Schreibmaterial bot sich ihren Blicken dar. Die nächste Lade war voll Papier und in der untersten fand sich nur eine angebrochene Fasche Birnenschnaps und eine ältere Ausgabe des ‚Guckloch', eines Herrenmagazins.
"Das kenne ich noch gar nicht", murmelte Nantwig und nahm das Heft heraus.
"Tonne!", fuhr ihn Arwed an. "Das kannst du dir ansehen, wenn wir die Gefangenen befreit haben."
Seufzend wandte sich der Erdmagier den Laden auf der anderen Seite zu. Gleich die oberste gab nicht nach.
"Magisch gesichert", stellte Arwed düster test. "Das hätten wir uns denken können.
"Wenn ich den Zauber breche, geht ein Feuerwerk los, dass ganz Golconda zusammen läuft. Aber mit einem normalen Amulett kommen wir nicht hinein."
"Das müssen wir riskieren", meinte Arwed achselzuckend. "Gemeinsam!"
Nantwig nickte. Nebeneinander stehend vollführten sie dieselben Gesten, sprachen dieselben Silben. Die Antwort war ein dröhnendes Krachen und die Tischplatte zerplatzte. Der Agami warf sich zu Boden während sich die Magier durch Zauberei vor den umher fliegenden Trümmern schützten.
"Schnell weg jetzt!", riet Nantwig und hielt Arwed ein Magieramulett hin. Dieser warf Tschrt-schlog ein normales Reiseamulett zu, dann rannten sie in die Galerie.
"Halt! Im Namen des Präfekten ‚ riet eine harte Stimme. Mehr konnten sie nicht mehr hören. Das Gemälde hatte sie aufgenommen. Beim Durchgang verspürte Arwed wieder den kalten Schauer. Dann standen sie vor der Köhlerhütte im Marrenischen Wald.
Es war früher Vormittag im Sommer. Ein Kuckuck rief und im Unterholz raschelte es. Zwischen den Bäumen sahen sie den Meiler. Sein Rauch überdeckte fast den frischen Geruch der Föhren.
Arwed ging um die Hütte herum. Dahinter führte ein schmaler Trampelpfad in den Wald hinein.
"Die Höhle liegt nur etwa zehn Minuten von hier entfernt." Er drehte sich noch einmal um seine Achse. "Der Wald sieht so anders aus ..."
"Sag' jetzt ja nicht, du kennst dich nicht aus", drohte Nantwig.
"Doch, doch!" Entschlossen zwängte sich Arwed zwischen zwei Büschen durch und blieb abrupt stehen. Ein kleines Tier war über den Weg gehuscht.
"Was ist denn jetzt wieder?", fragte Nantwig.
"Gar nichts. Das war nur eine Ratte." Er drehte sich zu seinen Gefährten um. "Leise jetzt."
Schweigend und im Gänsemarsch gingen sie weiter. Endlich blieb Arwed stehen. Dichtes Gebüsch umgab sie, aus dem da und dort Föhren oder Buchen ragten.
"Hier muss es irgendwo sein. Seine Augen suchten die Sträucher ab.
Da kam ihm Tschrt-schlog zur Hilfe. Mit dem Schwert bog er einige Zweige zur Seite. Grauer Fels kam darunter zum Vorschein.
‚Wo ist der Eingang?", flüsterte Nantwig.
Vorsichtig arbeiteten sie sich an der Felswand weiter. Da sprangen drei wilde Gestalten brüllend auf sie zu. Der Agami stieß seinen Herrn so kräftig zur Seite, dass dieser in einen dichten Busch fiel. Seine Schuppen leuchteten in kampflustigem Gelb. Klirrend parierte er den Hieb eines Räubers.
"Du Monster!", kreischte der Bandit.
"Agami", verbesserte Tschrt-schlog grimmig. Sein Schwert fand eine Lücke in der Deckung des Gegners und versank tief im Körper des Mannes. Röchelnd ging der zu Boden. Sogleich wandte sich der Agami einem neuen Gegner zu.
Nantwig wurde von den zwei anderen Räubern bedrängt, hatte sich aber bis jetzt gut gehalten. Da streifte die Keule eines Banditen seine Schulter. Stöhnend sank er auf ein Knie. Tschrt-schlog köpfte einen der Männer von hinten. Fairness hielt er in dieser Situation nicht für angebracht. Nun hatte auch Nantwig die Oberhand über den letzten Gangster gewonnen. Ein mächtiger Faustschlag schickte ihn ins Land der Träume. Tschrt-schlog sprang sofort herzu und schlitzte ihm den Bauch auf.
Inzwischen hatte sich Arwed aus dem Busch befreit. Sinnend stand er vor einem mächtigen Haselstrauch.
Nantwig stellte sich neben ihn und rieb seine Schulter. "Der ist nicht echt", sagte er. "Siehst du nicht, dass die Blätter viel müder wirken als die dort zwei Schritte weiter."
"Du hast recht", stimmte Arwed zu und zog an den Zweigen. Ein großer Ast glitt aus dem Gewirr. Seine Freunde griffen nun auch zu. Ast um Ast wurde entfernt. Dahinter kam der Eingang zur Höhle zum Vorschein.
"Jetzt wundert es mich nicht mehr, dass die Marrener so lange brauchten bis sie die Bande fangen konnten", brummte Nantwig.
Die Höhle war annähernd kreisrund und etwa zehn Schritte tief. An der linken Wand stapelten sich Truhen und Kisten. Daneben hockten blinzelnd etliche Gefangene, gefesselt und geknebelt. Arwed erkannte zwei Elfen. Der Rest waren Menschen. Es war ein trauriger Haufen. Schmutzig, die Kleider teilweise zerrissen, das Haar wirr und ungekämmt. Da sie sich viele Tage lang nicht gewaschen hatten, rochen sie auch nicht sehr gut. Einige der Männer hatte auch Verletzungen. Unverzüglich machten sich die Drei daran, die Gefangenen zu befreien. Während er einem Elf die Fesseln löste, stellte Arwed sich und seine Freunde vor.
"Meister Gaidulin?", fragte er dann.
"Ich bin Williram", widersprach der Elf. "Gaidulin wird gerade von dem Agarni befreit." "Williram Hakonen? Der Besitzer des Magischen Reisebüros?", fragte Arwed. "Ja, der bin ich", antwortete der Elf mit Würde.
"Was ist geschehen? Wie kamst du denn in die Gewalt der Räuber?"
"Ich wollte alle Bilder auf ihre Sicherheit überprüfen", erklärte Williram. "Die Reisenden sollten doch nicht plötzlich vor einem Abgrund stehen oder in ein Loch fallen. An eine Räuberbande habe ich nicht gedacht. Sie schnappten mich und nahmen mir mein Amulett weg. Dann lockten sie Ladewig auch herein. Chilperich gab sich als Reisender aus und sagte, ich hätte mir das Bein gebrochen. Ladewig wusste, dass ich ab und zu Freunde zu so einer Reise mitnahm und glaubte ihm.
"Und dann übernahmen sie den Laden. Chilperich war bekannt für seine Schlauheit. Ich kenne seine Geschichte, weil ich aus Marreno stamme", ergänzte Arwed.
"Wenn ich das gewusst hätte!" Williram schüttelte traurig den Kopf
Schon bald waren alle befreit. Die beiden Mädchen hingen weinend vor Erleichterung an Nantwigs Hals, was dieser sehr zu genießen schien. Da tat sich eine neue Schwierigkeit auf Arwed hatte nur fünf Reiseamulette bei sich. Dazu kam noch das, das Agobert getragen hatte.
Es befanden sich aber insgesamt neun Gefangene in der Höhle und keiner von ihnen wollte auch nur eine Sekunde langer hier bleiben als unbedingt nötig.
"Ich bleibe auf keinen Fall zurück!". brüllte ein junger Mann in einem teuren, jetzt aber sehr schmutzigen Anzug. "Ich bin Ardarich Schmerlinger!"
Arwed erinnerte sich an den Artikel in der Wandzeitung. Nun war auch dieses Rätsel gelöst. Williram und Ladewig erboten sich, zurück zu bleiben. Der Dritte, der noch warten sollte, wurde ausgelost. Es traf einen kleinen Mann mit einer großen Nase. Arwed führte die Gruppe zu dem magischen Tor und betrat mit den sechs Geretteten die Galerie. Eine Zehnschaft Wachen empfing sie mit grimmigen Gesichtern.
"Ihr seid alle verhaftet", knurrte ein Offizier.
Ardarich drängte sich vor. "Hol mir einen fliegenden Teppich. Mann", befahl er hochmütig.
Der Offizier starrte ihn an und verbeugte sich dann tief "Meister Ardarich!". Rief er aus. "Ein fliegender Teppich, kommt sofort." Auf seinen Wink rannte ein Wachmann los. "Aber ihr anderen seid verhaftet."
"Verzeih, edler Wächter", begann Arwed. "Aber in dem Bild warten noch drei Männer auf ihre Rettung. Ich hatte nicht genug Amulette bei mir um alle auf einmal heraus zu bringen."
"Wie? Was? Wer wurde gerettet?"
Nun redeten alle gleichzeitig. Jeder wollte seine Geschichte erzählen. Der Offizier wusste nicht, wem er zuerst zuhören sollte. In diesem Durcheinander holte Arwed drei Reiseamulette und stieg noch einmal in das Gemälde.

"Du bist Schuld!", schrie Violetta wutentbrannt. "Warum konntest du nicht noch einen Tag mit der Befreiung der Gefangenen warten? Jetzt ist das Magische Reisebüro geschlossen und niemand weiß, ob und wann es wieder geöffnet wird."
"Ich konnte doch gar nicht wissen, dass der Präfekt eine Prüfung aller Gemälde anordnen würde", verteidigte sich Arwed. Gleichzeitig versuchte er das Feixen des Kobolds zu ignorieren.
"Wozu hab ich wie eine Irre gebüffelt!?", ging die Anklage weiter. "Du hast mich um meine Belohnung gebracht. Ich durfte nicht nach Arbela und jetzt hast du mir auch noch die Gemäldereise versaut." Nun stürzten Tränen aus ihren Augen. Haltlos schluchzend warf sie sich an seine Brust. "Das ist zuviel." Ihre kleinen Fäuste trommelten gegen sein Brustbein.
Vorsichtig fing Arwed ihre Handgelenke und sah Gaspard hilfesuchend an. Der hielt ihm eine Büttenkarte mit Goldrand und dem Siegel des Präfekten unter die Nase. Es war eine Einladung vom Präfekten zu einem Bankett anlässlich der Befreiung seines Sohnes Ardarich. "Für Meister Arwed Berenger und eine Begleitung". stand da.
"Violetta ...", begann er schüchtern und schob sie ein wenig von sich.
"Du bist so gemein", schniefte sie. "Du Scheusal!"
"Violetta", Arwed straffte sich und machte eine artige Verbeugung, "ich bitte dich, mich zum Bankett des Präfekten zu begleiten. Vorausgesetzt, dein Vater ist einverstanden."
"Was? Sie hob einen Ärmel um sich die Nase zu putzen. Schnell gab ihr Arwed sein Taschentuch.
"Die Einladung gilt für zwei Personen."
‚Oh, Meister Arwed! Wieder lag sie an seiner Brust. Doch diesmal drückte sie ihm einen dicken Kuss auf die Wange.


zurück