STORIES


NOCH EIN RÄTSEL


von Fred H. Schütz



Unser Freund lebte zu der Zeit, als ein Preußenkönig das Flötenkonzert in Sanssouci pflegte (womit klar ist, daß es sich um einen Kerl handelt, wenngleich keinen langen) und gehörte dem niederen Adel an. Als solchem - besonders wenn er nicht der älteste Sohn war und sein Temperament ihm nicht gestattete Priester zu werden - blieb ihm wohl kaum eine andere Wahl als die Militärlaufbahn einzuschlagen und so kaufte er sich ein Offizierspatent.
Ja, damals gab es eine Militärpflicht - mitsamt Zwangsrekrutierung - nur für einfache Leute. Das heißt, wer von Adel war, wurde Offizier und das Patent dazu mußte er kaufen. Wobei wohl die Summe die hinzublättern er willens oder imstande war über den Dienstgrad entschied.
Jedenfalls wurde unser Freund Offizier und als er älter wurde pflegte er des abends gern der geselligen Unterhaltung bei einem Glas Port - oder von mir aus auch Bärenfang - und gerne durften es auch deren mehrere werden. Er war von Natur aus ein leutseliger Mensch und der Alkohol löste seine Zunge. Was er erlebte oder erlebt haben will wurde von einem einfachen Bürger der aufmerksam zuhörte aufgezeichnet und so für die Nachwelt erhalten.
Ob Offizier oder Gemeiner, ein Soldat hatte es seinerzeit schwer, solange nicht Krieg war (siehe hierzu Andersens Märchen Das Feuerzeug) und so zog es ihn nach Russland, der Zarenarmee im Kampf gegen die Türken beizustehen. Nun war aber gerade Winter mit Eis und Schnee und es war bitterkalt. Als er eines Abends anhielt, war weit und breit kein Haus wo er hätte Unterschlupf für die Nacht finden können. Also band er den Zügel seines Pferdes an einen Stecken der aus dem Schnee ragte und legte sich in seinen schönen warmen Umhang gehüllt zur Ruhe.
Während er also friedlich schlief setzte Tauwetter ein und als er am Morgen erwachte fand er sich mitten auf einem Dorfanger. Sein Pferd aber hing, mit dem Zügel festgebunden am Wetterhahn des Kirchturms! Also nahm er die Pistole die er immer bei sich trug und schoß den Zügel entzwei um sein Pferd wiederzubekommen.
Danach setzte er die Reise mit der Postkutsche fort. Der Kutscher zückte sein Horn und schmetterte ein Lied nach dem anderen, aber kein Ton war zu hören. Es war so verdammt kalt, daß das Horn erfroren war. Als man am Abend zur Rast in die Poststation einkehrte, hing der Kutscher das Instrument an einem Haken in der Gaststube auf. Wie man also dasaß und sich wärmte, fing das Ding plötzlich zu spielen an und erfreute die Gäste mit seinem Konzert. Die eingefrorenen Töne waren in der Wärme des Kamins aufgetaut!
Noch war unser Freund nicht angekommen. Er mietete sich also einen Schlitten mit Gaul davor und ließ diesen traben. Mit den Wölfen aber hatte er nicht gerechnet; die hetzten nebenher und wollten ein Stück von ihm und seinem Gespann. Der mutigste und stärkste der Wölfe sprang, unser Freund duckte sich und die Bestie flog über ihn hinweg, geradewegs auf das Pferd. Dort biß sie sich fest, und als das schmerzgepeinigte Tier wie von Furien gehetzt dahinraste fraß sie sich von hinten nach vorn durch, sodaß plötzlich der Wolf anstelle des Pferdes im Geschirr hing. Da gab ihm unser Freund die Peitsche zu spüren und, gibst du was hast du, ging es über Stock und Stein! War das eine Gaudi als er mit dem Wolf als Gespann in Skt. Petersburg einfuhr!
Dort blieb er nur solange, um dem Zaren seine Aufwartung zu machen und dieser schickte ihn auch gleich an die Front. Dort war die Angelegenheit jedoch zu einer Art Stellungskrieg verkommen, in dem nichts geschah, als daß man sich gelegentlich mit Kanonen beschoß. Das war für unseren Freund lange nicht genug und als gerade eine Kanone abgeschossen wurde - eigentlich wollte er sich nur sein Pfeifchen an der Lunte anzünden - sprang er hurtig auf die Kugel und ritt diese durch die Lüfte hinüber zum Lager der Türken. Nun hatten jene auch gerade eine Kanone abgeschossen und als deren Kugel vorüberflog wechselte er mitten im Flug die Richtung und ritt die Türkenkugel zurück ins eigene Lager. Als er nun seinem Kommandanten berichtete was er beim Feind gesehen hatte war es ein Leichtes die Türkenfestung einzunehmen und der Krieg war gewonnen.
Mit Pferden hatte unser Freund so seine Erfahrungen. Eines mit dem er in den Krieg geritten war soff eines Tages einen ganzen Brunnen leer bis sein Reiter begriff daß er auf einem halben Pferd saß. Das Hinterteil des Gauls hatte eine Kanonenkugel weggerissen! Ein anderes Pferd hatte Kirschen gefressen. Die hatte es zwar verdaut aber die Kerne schlugen in seinem Magen Wurzel und - siehe da - ein Kirschbaum wuchs hinter dem Sattel empor. Da hatte unser Freund es gut: er saß immer im Schatten und die Kirschen wuchsen ihm geradewegs in den Mund!
Ja, und da war auch noch die Begebenheit mit dem Morast. Er war auf einem Erkundungsritt gewesen als er sah, daß sich zwischen ihm und der Gegend wo er hin wollte ein breiter und tiefer Sumpf befand. Nun war er schon immer ein kühner Kerl gewesen und Umwege machen war nicht seine Art. Er beschloß hinüber zu springen zumal er auch sehr gut beritten war. Er nahm also einen gehörigen Anlauf und ließ sein Pferd hüpfen. Er hatte jedoch die Rechnung ohne den Wirt gemacht und ehe er sich versah, stak er bis zum Hals im Dreck. Aber der Mut verließ ihn nicht. Er faßte nur einfach hinter sich, packte seinen Zopf - im Gegensatz zur holden Weiblichkeit trugen die Herren seiner Zeit nicht zweie sondern nur einen Zopf - und zog daran nicht nur sich selber, sondern auch sein Pferd, daß er fest mit den Beinen umklammert hielt aus dem klebrigen Brei!
Wer solche Leistungen zuwege bringt dem ist auch ein Trip auf den Mond zuzutrauen. Wie kam er dort hinauf? Nun, er hatte seinem silbernen Hackebeil beim Werfen einen zu kräftigen Schwung verliehen und es war auf den Mond gefallen. Da er sich gerade in türkischer Kriegsgefangenschaft befand wo es Türkenbohnen im Überfluß gibt war rasch Abhilfe geschaffen: er brauchte nur einfach eine solche in den Boden zu pflanzen. Gesagt, geschehen! Kaum hatte er die Bohne gepflanzt da wuchs sie schon so rasch und kräftig daß sie ihn im Nu zum Mond empor trug. Dort fand er sein Hackebeil nach langer Suche auf einem Haufen Häcksel, aber als er zur Erde zurückkehren wollte war die Bohnenranke bereits in der Sonnenhitze verdorrt. Da aber unser Freund um guten Rat nie verlegen war flocht er einfach das auf dem Mond gefundene Häcksel zu einem langen Seil und ließ sich daran herab. Wie er jeweils am unteren Ende des Seils ankam schnitt er die überflüssige Strecke über sich ab und knüpfte sie unten an. Auf diese Weise kam er ziemlich weit, aber dann riß das überbeanspruchte Seil und er stürzte zu Boden, wo er mit solcher Wucht aufprallte, daß er neun Klafter tief in die Erde versank. Als großer Held, der er war, hatte er jedoch keinerlei Schwierigkeiten aus dem Loch wieder ans Tageslicht zu klettern.
Hierüber war der Sultan so entzückt, daß er ihm ein Geheimnis anvertraute. Er wollte nämlich einmal einen guten Wein goutieren, obwohl der Genuß von Alkohol dem Muselmann eigentlich verboten ist. Da wußte unser Freund sogleich Rat. Er schickte seinen Diener, der ein vortrefflicher Läufer war los eine Flasche des besten Weins der Welt, nämlich Tokajer, aus dem Keller der Kaiserin in Wien auf der Stelle herzuschaffen. (Ich darf an dieser Stelle einflechten daß er Don Quijote nicht kannte der in der Landschaft La Mancha in Spanien zuhause war; der hätte ihn was die Güte des Weins anbelangt eines Besseren belehrt!) Der Mann rennt also los. daß die Erde raucht, ist um zehn Uhr früh in Wien, holt den Wein und langt wieder in Konstantinopel an gerade als die Turmuhr die Mittagsstunde schlägt!
Unser Freund hat noch viele den oben Beschriebenen ähnliche Abenteuer erlebt. So wurde er einmal mitsamt seinem Schiff von einem riesigen Wal verschluckt und mußte wochenlang in dessen Magen ausharren bis es ihm gelang mit Hilfe von ein paar Masten die er zu einer Art Zahnstocher zusammenband und dem Fisch (damals hielt man bekanntlich den Wal noch für eine Fischart!) ins Maul klemmte worauf es nicht mehr zuklappen konnte und es nun für ihn sehr leicht war in die Freiheit hinaus zu schwimmen.
Des Reisens müde ist er wohl nie geworden. Er ist zu den Säulen des Herkules gelangt, ebenso zu Scilla und Charybdis, mit welch Letzterer er eine Weile schäkerte wo er doch bei der holden Weiblichkeit stets gut angesehen war. In den Schlund des Ätna ist er hinabgestiegen und auf dem Meeresgrund spazieren gegangen. Selbst auf dem Mond ist er noch einmal gewesen, wiewohl nicht so ganz freiwillig.
Das kam so: er war mit einer Reisegesellschaft in der Südsee gewesen als ein Sturm von solch ungeheurer Wucht aufkam das eine Riesenwelle das Schiff gewissermaßen von der Anziehungskraft der Erde löste. Sie segelten darauf eine Weile im Himmelsmeer umher bis sie auf dem Mond landeten. Hier nahm unser Freund die Gelegenheit beim Schopfe endlich doch einmal die Gegend in Augenschein zu nehmen - was er bekanntlich bei seinem ersten Besuch versäumt hatte. Er stellte fest, daß auf dem Mond alles viel größer ist als bei uns auf der Erde - so besaß ein Rettich dort die Länge eines irdischen Wurfspießes. Natürlich waren auch die Mondmenschen wahre Riesen an Gestalt. Eine Besonderheit ihrer Rasse war, daß sie ihre Körperglieder untereinander tauschen konnten; es waren gerade rote Augen groß in Mode, sodaß die Lieferanten den Aufträgen nicht nachkommen konnten und ersatzweise grüne lieferten. Auch kamen die Menschen dort nicht wie wir zur Welt sondern wuchsen als nußartige Frucht auf Bäumen. Diese Nüsse konnte man lagern und erst dann aufknacken wenn man gerade wieder neue Menschen brauchte.
Der Mondkönig hätte unsern Freund gerne als Offizier für seine Mondarmee gewonnen, alldieweil gerade ein Krieg gegen die Sonne im Gange war. Dieser war auch garnicht abgeneigt, aber es kam ein neuer Sturm auf just als er sein Gepäck vom Schiff holen wollte, und dieses wurde mit allem was sich darauf befand weggeschwemmt. Schließlich landete es im Nordmeer in der Gegend von Schottland und so benutzte er die Gelegenheit zu einem Ausflug an den Nordpol.
Hier will ich nun ein Ende setzen, obwohl noch vieles über unseren Freund zu erzählen wäre. Ich habe den Urheber dieser Lügengeschichten seinerzeit als eines meiner literarischen Vorbilder bezeichnet - es waren deren drei; die anderen beiden sind Karl May und Groucho Marx - und so wird es dem Leser sicher nicht schwer fallen, festzustellen von wem hier die Rede war.


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