REZENSION


HOUSE OF FLYING DAGGERS

von Fred H. Schütz



VRC/HK‚ 04 - gesehen am 4.4.09 bei Pro7

Mir scheint, chinesische Kung-Fu-Akteure schwingen sich gar zu gerne durch Bambuswipfel. In Kung-Fu-Filmen taucht diese schnell wachsende Pflanze (die kein Baum ist) jedenfalls ständig auf. Nun befinden sich diese riesigen Bambushaine aber in der westlichen Provinz Szechuan und die ist in ein paar Stunden - wie in diesem Film - nicht zu Pferd zu erreichen sondern bestenfalls mit dem Flugzeug.
Der Film spielt aber im zehnten Jahrhundert.
Niemand, auch der beste Kung-Fu-Kämpfer nicht, kann ein Wurfmesser über eine Distanz von einhundert Metern schleudern (ich selber habe mal dreißig Meter geschafft und mir dabei fast den Arm ausgerenkt.) Und niemand kann auf große Entfernung mit dem Messer punktgenau treffen. Schon garnicht fliegt ein Messer die letzten zwanzig Meter mit der Spitze voran; nein, es schwirrt über die gesamte Strecke um die eigene Achse bis es auftrifft. Der Werfer muß also die Entfernung genau abschätzen können und das Messer dementsprechend an der Spitze oder am Griff fassen. Ein Messer das immer mit der Spitze auftrifft wenn man es am Griff hält gibt es nicht.
Hier hat also Regisseur Zhang Yimou der Dramaturgie zuliebe ein bißchen zu sehr aufgeschnitten.
Aber genug der Kritik (die ich ausnahmsweise an den Beginn meiner Rede gestellt habe.) Ich möchte nicht den Eindruck entstehen lassen, daß ich diesen Film für schlecht hielte …
Das Kaiserreich ist wie so oft in der viertausendjährigen Geschichte Chinas im Aufruhr; Rebellen wollen das System stürzen. Besonders tut sich hierin eine Gruppe namens "Haus der fliegenden Messer" hervor. Daher erhalten die Polizisten Leo (Andy Lau) und Jin (Takeshi Kaneshiro) den kaiserlichen Befehl gegen diese Rebellen vorzugehen.
Kurze Zwischenbemerkung: Trotz des japanischen Namens ist Takeshi Kaneshiro kein Japaner. Sein Vater stammt aus Taiwan (Formosa) wo japanische Besatzer seinerzeit japanische Namen für die einheimische Bevölkerung durchsetzten.
Jin und Leo vereinbaren folgende Strategie: Jin begibt sich in ein gewisses Etablissement, in dem man den Sitz der Bande vermutet und spielt den Betrunkenen. Die Madame - als Chefin der Bande verdächtigt - macht das Spiel mit und stellt Jin den Star der Truppe, die blinde Tänzerin Chao Mei (Zhang Ziyi) vor.
(Es würde mich nicht wundern, wenn der Regisseur und die Hauptdarstellerin miteinander verwandt wären; darauf deutet jedenfalls der gemeinsame Familienname Zhang.) Es folgt eine der für mich schönsten Szenen des Films: Zhang Ziyi liefert eine Tanznummer an der sich so manche europäische Diva eine Scheibe abschneiden könnte (auch, wenn hier eine erfolgreiche Kameraarbeit nicht unbeteiligt ist …)

Jin und Chao Mei werden "verhaftet" und Chao Mei verhört. Indessen verkleidet sich Jin als Kung-Fu-Kämpfer und befreit sie aus dem Gefängnis um mit ihr zu fliehen. Ziel dieser Flucht zu Pferde ist natürlich der Sitz der Bande.
Leo folgt ihnen unauffällig. Warum er das tut wird später klar. Aber nicht nur er folgt den beiden; eine Bande von Rebellen (oder Räubern) tut es auch, nur nicht so unauffällig, denn sie greift die beiden an.
Hier beweist Chao Mei wozu eine Blinde fähig ist, und bestätigt außerdem den Filmtitel: sie tut was mich schon am Anfang auf die Palme brachte und läßt die Messer fliegen! Nicht ohne Erfolg, auch wenn die beiden geheimnisvolle unsichtbare Helfer haben die ebenso gut mit dem Messer umgehen, und der heimtückisch aus den Bambuswipfeln heraus geführte Angriff bringt nur den Verderbern Verderben.
Während ihrer Flucht kommen sich die beiden näher, wobei allerdings Chao Mei zu seiner Bestürzung Jins Avanzen abwehrt. Warum sie das tut wird später klar - es wird aber auch klar, wie stark sie von ihm berührt ist.
Schließlich treten ihnen die geheimnisvollen Retter entgegen. Es sind die "fliegenden Messer", eine Gruppe von Frauen denen bodenlange grasgrüne Gewänder und tief ins Gesicht gezogene Kulihüte eine uniforme Anonymität verleihen.
Jin und Chao Mei haben sich hinter einer Barrikade aus grünem Bambus in Sicherheit gebracht, aber ein von geschickter Hand geworfenes Messer reicht aus, um die Feste in einen Haufen Streichhölzer zu verwandeln …
Jin und Leo werden gefangen genommen und in Fesseln der Anführerin vorgeführt: es ist "Madame" aus dem Etablissement!
Als Chao Mei ihr eine Tasse Tee serviert sieht Jin mit befremdetem Erstaunen daß sie gar nicht blind ist. Nein, wird sie ihm später gestehen, die wahre blinde Tochter des ermordeten Anführers der "Messer" wurde selber ein Opfer von Meuchlern und seitdem spielt sie - Chao Mei - ihre Rolle.
Madame befiehlt Cao Mei Leo zu töten und als die beiden außer Hörweite sind erzählt sie Jin, daß sie das Mädchen wegen seiner Schönheit gern als Lockvogel für die "Messer" einsetzt. Sie hat wohl bemerkt, daß Jin und Chao Mei einander nicht gleichgültig sind und besteht auf Heirat, worauf Jin nur zu gern einwilligt. Augenscheinlich bedarf es im chinesischen Film nicht eines Jawortes der vorgesehenen Braut …
Indessen hat Chao Mei Leo dahin geführt, wo sie keiner sieht. Mit gekonntem Schwerthieb haut sie seine Fesseln entzwei und befiehlt ihm zu fliehen. Er aber denkt nicht daran. Es stellt sich heraus, daß sie einander schon kennen, seit sie vor Jahren zusammen eine Bande von Verbrechern ausgehoben haben. Damals hatten sie sich ineinander verliebt. Jetzt fordert Leo alte Rechte aber Chao Mei weist ihn zurück. Sie hat sich in Jin verliebt und Leo muß einsehen, daß er den Fehler begangen hat den jeder Liebhaber begeht, der sein Liebchen mit seinem besten Freund zusammen losschickt: er verliert die Braut ebenso wie den Freund.
Immerhin werden sie von Madame in flagranti ertappt. Somit hat Chao Mei gegen den Ehrenkodex der "fliegenden Messer" verstoßen und was die Strafe dafür ist, kann nur ein Hirn ersinnen, das in einem Land und zu einer Zeit lebt, wo ein Menschenleben nichts wert ist.
Wieder eilt Jin zur Rettung herbei. Er und Chao Mei fliehen zu Pferde und Leo geht endgültig der Gaul durch: wenn er sie nicht haben kann soll sie niemand haben! Er läßt sein Messer fliegen und Chao Mei stürzt getroffen vom Pferd.
Das kann Jin garnicht haben! Er kehrt um, es Leo heimzuzahlen und die beiden ebenbürtigen Schwertkämpfer hauen einander buchstäblich in Stücke.
Während sie miteinander kämpfen wandelt sich der Sommer in Winter. Ein Schneesturm zieht auf und dicke Flocken fallen so dicht, daß man die Hand vor Augen nicht sehen kann. Im nu ist die Landschaft fußhoch mit Schnee bedeckt.
Chao Mei rappelt sich noch einmal hoch, und obwohl Jin sie beschwört nur ja das Messer nicht aus der Wunde zu ziehen weil sie sonst verblutet, weiß sie, daß ihr nichts übrig bleibt als gerade das zu tun. Sie reißt sich die Klinge aus dem Leib und bricht sterbend zusammen.
Jin stürzt zu ihr hin und während der Verzweifelte sie in Armen hält tut sie ihren letzten Atemzug. Schnee deckt die beiden zu wie ein Leichentuch.
Leo, der einen langen, langen Moment dagestanden hat, wie sein eigenes Monument, schleppt sich wankend als kaum sichtbare Silhouette durch das Schneetreiben - wohin weiß niemand.
Was soll ich sagen: was sich liest wie eine Erzählung der Pilcher stellt sich im Film ganz anders dar, nämlich mit größter Eindringlichkeit. Dies ist eine Romanze ebenso wie ein Abenteuerfilm. Es wird gekämpft aber nicht in unerträglicher Martial-Arts-Manier. Wer erschlagen wird bleibt tot liegen - und zum Schluß sterben auch die Hauptdarsteller.


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