SCHWERPUNKTTHEMA


ZWERGE


ZWERGE

von Andreas Leder



Das ursprüngliche Wissen über die Zwerge entstammt ganz offensichtlich der nordischen Schriftensammlung Edda. Hier wird beschrieben, dass die Zwerge aus dem Blut des Riesen Brimir und den Knochen des Riesen Blainn erschaffen wurden, andererseits wird auch berichtet, dass die Zwergen Maden im Fleisch des Urriesen Ymir waren, denen die Götter Verstand gegeben haben.
In der nordischen Mythologie werden die Zwergen als unterirdisch lebende Wesen beschrieben, die häufig über Zauberkräfte verfügen, besonders listig sind und sich vor allem im Bereich der Schmiedekunst unübertroffene Werke schaffen.
Jahrhunderte lang haben die Zwerge nach Edelmetallen geschürft und durch ihren Drang sich und ihre Höhlen zu schmücken haben sie es beim Schmieden, hauptsächlich von Gold, zu wahrer Meisterschaft gebracht. Daher haben sie ihre besten Stücke auch für die Götter geschaffen.
Die Zwerge haben für den Göttervater Odin den Speer Gungnir geschmiedet und für Heimdall, den Wächter der Regenbogenbrücke Bifröst, die Midgard und Asgard verbindet, den Ring Draupnir. Ebenso entstammt Thors Hammer, Mjölnir, der Schmiedekunst der Zwerge sowie das goldene Haar von Thors Ehefrau Sif.
Das Schiff Skibladnir, in dem alle Asen mit ihren Rüstungen Platz hätten und das immer mit Wind im Rücken segelte und Freyas Halsschmuck Birsingamen, der ihre Zauberkräfte verstärkte, sind ebenfalls unvergleichliche Schmiedearbeiten der Zwerge.
Selbst das Schwert Gram, das Siegfrieds Vater Sigurd führte, stammte aus der Schmiede der Zwerge.
Das allgemeine Bild der Zwerge hat sich im Lauf der Jahrhunderte natürlich verändert. Dass sie kleinwüchsig sein sollen, dürfte erst mit den klassischen Märchen der Brüder Grimm aufgekommen sein, in der nordischen Sage wird nur berichtet, dass sie besonders hässlich seien, lange Nasen haben und Bärte tragen.
Erst im Mittelalter dürfte sich das Bild der Bergleute und der Zwerge vermischt haben. Die Bergleute, die durch Jahre hindurch ohne Sonnelicht lebten, litten unter Kleinwuchs und aufgrund der schweren körperlichen Arbeit unter Verwachsungen. Weil sie kein Geld für Helme hatten, trugen sie spitze Filzhüte, die auch ganz gut gegen Steinschlag schützten.
In den überlieferten Geschichten aus Österreich werden immer wieder Zwerge erwähnt. Mal sind es gute Wesen, dann auch wieder Böse, oder sie spielen den Menschen, besonders wenn diese ein bisschen einfältig sind, Streiche. Dann und wann werden die Menschen, die den Zwergen begegnen, reichlich beschenkt oder belohnt, wenn sie ihnen kein Leid antun.
Immer wieder gelangen Menschen in das Reich der Zwerge oder werden von ihnen in Höhlen, tief in den Bergen, geführt. Wenn die Menschen zurück an die Eroberfläche kommen, ist viel mehr Zeit vergangen, als ihnen bewusst ist. Manchmal sind es nur Tage, die sie verloren haben, es wird aber auch von Jahren berichtet, die die Menschen verschwunden waren, ihnen selbst ist es aber nur wie ein Tag vorgekommen.
Natürlich kommen Zwerge nicht nur in Fantasy-Erzählungen vor, auch in der Science Fiction bedient man sich, wenn auch im geringeren Umfang, dieser Figuren. Es gibt Geschichten, in denen die Menschen auf der Erde aufgrund der herrschenden Überbevölkerung auf genetischem Weg klein gehalten werden (kleine Menschen brauchen weniger Platz), oder aber die Zwerge (Phänotyp: kleiner Mensch mit langem Bart) als Astronauten auf die Erde kommen. Die Bärte sind aber technische Geräte, die vermutlich der Kommunikation dienen. Irgendwo habe ich in Erinnerung, dass die 7 (!) Zwergenastronauten mit ihren medizinischen Kenntnissen und Geräten helfen, Schneewittchen die Vergiftung zu überwinden. Es ist aber schon so lange her, dass ich das gelesen habe, dass ich
überhaupt nichts mehr zum Titel oder Autor der Geschichte sagen kann.
Natürlich sind mir die kleinwüchsigen Siganesen aus der Perry-Rhodan-Serie in Erinnerung. Menschen sind als Kolonisten auf einem Planeten gelandet, dessen Sonne den Kleinwuchs hervorgerufen hat. Zu Beginn der Serie wurden diese Menschen gerade mal 15 cm groß, dafür waren sie aber besonders langlebig, so an die 1000 Jahre und mehr. Nach Gen-Experimenten von bösen Machthabern erreichen die Siganesen in der derzeitigen Handlung eine Körpergröße von etwa 50 cm und eine Lebenserwartung von etwa 400 Jahren.
Selbst die Astronomie hat sich der Bezeichnung "Zwerg" angenommen und bezeichnet Sterne am Ende ihres Lebenszyklusses mit einem Durchmesser von wenigen tausend Kilometern als weiße Zwerge, die, wenn sie auch die letzten Reste von Kohlenstoff und Sauerstoff verbraucht haben zu schwarzen Zwergen werden. Braune Zwerge hingegen sind irgendwo zwischen den Sonnen und den Gasriesen angesiedelte stellare Objekte, die zwar Energie abgeben, eine Wasserstofffusion aber nicht stattfindet. Als rote und orange Zwerge werden kleinere Sonnen mit einer geringeren Leuchtkraft - als unsere - bezeichnet.
Doch genug der astronomischen Sichtweisen, die heutige Sichtweise unserer kleinwüchsigen Mitbewohner auf diesem schönen Planeten wird sehr wahrscheinlich mehr von Fernsehen, Film und Computerspielen
geprägt, als vom Märchen von Schneewittchen und den sieben Zwerge, obwohl das Abbild des Zwerges mit der roten Zipfelmütze vermutlich aus der Kinderliteratur herrührt. Kinderbücher müssen bunt sein, da bietet sich natürlich so eine rote Zipfelmütze an.
Die allerdings entsprang ausschließlich der Fantasie des Zeichners, war roter Farbstoff noch vor einigen Jahrhunderten für den durchschnittlich kleinwüchsigen Bergwerks-arbeiter schlicht und einfach unerschwinglich. Sein Filzhut war grau oder graubraun, auf jeden Fall erd- oder naturfarben und natürlich staubig.
Der Zwerg mit der roten Zipfelmütze hat
überlebt. Keine Frage, er ist das, was heute bei den meisten Menschen als Bild im Kopf existiert, wenn sie an Zwerge denken. Fahren wir mit dem Auto übers Land und bereits in den Gärten der Vorstädte oder den neuen Siedlungen der Städter außerhalb der Ballungszentren stoßen wir auf mehr oder weniger lustige oder kitschige Gartenzwerge. Darüber ließe sich natürlich ein eigener Artikel schreiben, doch das Schwerpunktthema heißt "Zwerge" und nicht "Gartenzwerge" und wir veröffentlichen ein Fanzine, das sich mit dem phantastischen Genre auseinandersetzt und nicht mit der Gestaltung unseres Vorgartens.


zurück