SCHWERPUNKTTHEMA


ZWERGE


ZWERGENMAGIE

von Susanne Stahr



Drei Köpfe beugten sich über das auf dem Tisch ausgebreitete Pergament. Einer gehörte Wintras von Garschill. Seine scharf gezeichneten Gesichtszüge trugen einen eingebrannten Ausdruck von Dringlichkeit. Neben ihm saß der grobschlächtige Trazo, sein treuer Gefolgsmann. Er konnte zwar nicht lesen, wollte aber offenbar Interesse an den Angelegenheiten seines Herrn zeigen. Der dritte im Bunde war an den spitzen Ohren, die zwischen seinem langen, grüngoldenen Haar hervorragten, leicht als Elf zu erkennen. Es war Sisilias, ein gewitzter Bursche, der sich gern für die Aussicht auf ein Abenteuer anheuern ließ.
"Der direkte Weg wäre hier." Ein manikürter Finger tippte auf eine Stelle der Landkarte, die das Pergament zierte.
"Da laufen wir Harpa und seiner Bande von Halsabschneidern direkt in die Arme", warf der Elf trocken ein.
"Und wenn wir durch den Hermolanischen Wald gehen?"
"Dort soll ein Glatisant wohnen", murmelte Trazo und sah seinen Herrn fragend an. "Unter anderem."
"Wir würden ihn hören", meinte Sisilias nachdenklich. "Außerdem muss ein Glatisant nicht unbedingt bösartig sein."
"Wunderbar", freute sich Wintras. "Dann ist es nur noch ein Katzensprung zu der Burg meiner Vorfahren."
"Zu der Ruine", verbesserte Sisilias unerbittlich. "Außerdem müssen wir den Lermion überqueren, der zu dieser Zeit möglicherweise noch Hochwasser führt."
"Hast du Angst vor ein bisschen Wasser?" spottete Wintras. Er wusste genau, dass der Elf unfreiwillige Bäder verabscheute.
Der Elf stieß ein ärgerliches Knurren aus. "Hast du dir überlegt, wie du die zwergischen Siegel brichst? Wie du sicher weißt, haben in den letzten 100 Jahren die Zwerge deine Ruine als Lager für ihr magisches Zeugs verwendet. Die Kellerräume dürften noch ganz gut in Schuss sein."
"Wie wär's denn, wenn du deine Magie auspacken würdest?" Wintras wurde langsam ärgerlich.
"Ich hab's dir schon hundertmal erklärt!", seufzte Sisilias. "Es ist Zwergenmagie! Wie Zwerg, kleiner Mann mit Bart, erdgebunden. Meine Magie kommt aus den Sphären. Ich würde mir bloß verbrannte Augenbrauen holen. Du brauchst einen Zwerg."
"Hast du einen in der Hosentasche?", keifte Wintras.
Der Elf setzte zu einer geharnischten Antwort an. Doch kaum hatte er den Mund geöffnet, da flog die Tür der Kaschemme auf und brachte einen Schwall kalter Luft in den Raum.
"Tür zu!", brüllte ein halb betrunkener Kaufmann.
"Da ist ja gar keiner", warf sein Kumpel ein und stieß im nächsten Moment ein erschrecktes Keuchen aus als ein unangenehm scharfer Dolch seinen Bauch kitzelte.
"Mach die Tür zu, Kleiner", brummte der Zwerg, der das Gasthaus betreten hatte. Dann schlenderte er zur Theke und bestellte einen Humpen Bier. Obwohl er dem ohnehin kleinwüchsigen Wirt nur knapp bis zum Magen ging, schaffte er es irgendwie auf ihn herab zu sehen.
"Da hast du deinen Zwerg", flüsterte Sisilias. "Das ist Hunald, der Ausgestoßene. Wenn du ihm ein wenig zahlst..., Hunald braucht immer Geld. Man darf ihn nur nicht ‚Zwerg' nennen."
Wintras hatte schon von Hunald gehört, getroffen hatte er ihn aber noch nie. Möglichst unauffällig musterte er den Neuankömmling, von seinem in ordentliche Zöpfe geflochtenen, braunen Bart über die breite Statur bis zu den derben Stiefeln. An seinem Gürtel hing eine Kampfaxt, deren Griff von häufigem Gebrauch zeugte.
Inzwischen hatte der Zwerg sein Bier getrunken und kramte einige kleine Münzen hervor. Flugs winkte Sisilias der Bedienung, einer dralle Maid mit vorstehenden Zähnen.
"Gib dem Herrn mit dem eindrucksvollen Bart noch einen Humpen", orderte er.
"Dem Zwerg?", fragte das Mädchen.
"Ich sagte, dem Herrn mit dem eindrucksvollen Bart. Du weißt genau, wen ich meine."
Mit einem Nicken gehorchte sie. Überrascht sah sich der Zwerg um als so plötzlich ein Bier vor ihm auftauchte. Sisilias hob sein eigenes Glas zum Gruß und deutete auf einen freien Stuhl an ihrem Tisch. Vorsichtig näherte sich der kleine Mann.
"Wem verdanke ich diese milde Gabe?", fragte er und legte den Kopf schief, die Runde misstrauisch musternd.
"Graf Wintras von Garschill", antwortete der Elf und deutete auf den Genannten. "Nehmt doch Platz, edler Herr."
"Aha." Hunald ließ sich würdevoll auf dem Stuhl nieder und nahm einen Schluck. "Graf Wintras von Garschill", wiederholte er nachdenklich. "Und was will der Herr Graf von mir? Euer Gnaden sehen nicht wie die Mildtätigkeit in Person aus, wenn Ihr versteht, was ich meine."
Wintras, der von Sisilias' Aktion etwas überrumpelt war, hatte sich nun gefangen und antwortete: "Wir sind auf einer Queste und es fehlt uns ein Mann, der in zwergischer Magie bewandert ist. Ihr scheint mir diese Fähigkeit zu besitzen, oder irre ich mich da?"
"Eine Queste", sinnierte der Zwerg. "Und wo soll es hin gehen?"
"Zur Burg meiner Ahnen", erklärte Wintras würdevoll.
Der Zwerg machte auf dem Stuhl einen Hüpfer und hustete. Bier spritzte aus seinem Mund und den Nasenlöchern. Sisilias klopfte ihm freundschaftlich auf den Rücken.
"Na, na", meinte er. "Ich wusste gar nicht, dass unser Ziel den edlen Herrn so begeistert."
Hunald holte aus einer Hosentasche ein riesiges, rot kariertes Taschentuch und schnäuzte sich lautstark. Dann nahm er einen kräftigen Schluck Bier. "Was sucht ihr auf der Feste Garschill?", fragte er mehr als nur ein bisschen unfreundlich. "Mächtige Zauber schützen die tief liegenden Gewölbe. Der Glatisant streift durch die Ruinen und verschlingt jeden, der sich in die Nähe wagt. Skvader und Schabbock stehen ihm zur Seite. Ihr müsst verrückt sein." Genüsslich trank er das Bier aus und erhob sich. "Vielen Dank für das Bier, aber ich möchte noch länger leben. Sucht Euch einen verrückteren Kerl als ich bin." Damit erhob er sich und wollte gehen.
"Ich zahle zwei Goldstücke im Voraus und bei Erfolg nochmals fünf", sagte Wintras leise.
Hunald stockte. "Zwei G-Goldstücke?", stotterte er. "Du bist nicht nur verrückt, sondern auch lebensmüde und verschwenderisch."
"Schade, dass ich Euer Interesse nicht wecken konnte", erklärte nun Wintras glatt. "Da werden wir uns schnell nach einem anderen Kameraden umsehen müssen, denn wir reisen morgen früh ab."
"Ich wünsche euch eine erfolgreiche Queste. Und habt Dank für das Bier." Der Zwerg verbeugte sich leicht und verließ das Gasthaus.
Wintras versank in düsteren Gedanken. "Das war's wohl mit dem Zwerg, der so dringend Geld braucht.", brummte er.
"Häh?", machte der Elf. "Hast du nicht zugehört? Er hat zugesagt."
"Da muss mir was entgangen sein", meldete sich Trazo.

Auf dem Dachboden der Schänke saß Hunald und brütete vor sich hin. Garschill, das war der Grund für seine Verbannung. Er wollte doch nur sein Wissen über einige Zaubersprüche auffrischen. Und weil das Wetter so schön war, nahm er das Buch und setzte sich in den ehemaligen Garten der Burg. Er war so vertieft in seine Lektüre, dass er die Annäherung des Schabbocks nicht bemerkte. Er dachte, die Sonne schiene so heiß. Aber nein, es war der glühende Kopf des Schabbocks, der noch dazu mit seinem glühenden Birkenbesenschwanz wedelte. In Panik wollte er das Buch zurück in die Bibliothek zaubern. Und da unterlief ihm ein verhängnisvoller Fehler. Das Buch landete..., ja, wo eigentlich? Schnell wollte er seinen Fehler korrigieren. Doch der Bibliothekar hatte eben bemerkt, dass er, entgegen der strengen Vorschriften, ein Buch hinaus in Freie genommen hatte und schlug Alarm. Hunald wurde verbannt, obwohl sich erbot, das Buch wieder zu beschaffen.
Vielleicht könnte er mit den drei Abenteurern ... Das wäre doch eine Chance. Allein war er immer von einer Reise nach Garschill zurückgeschreckt, aber zu viert? Er wusste genau, dass das Buch noch nicht aufgetaucht war.
Mit dem Glatisant, einem Schlangenkopf auf dem Körper einer Großkatze mit den Beinen eines Hirsches würde er schon fertig werden, dachte er grinsend. Man konnte ihm auch leicht ausweichen, weil dieses Questentier erheblichen Lärm machte. Wirklich bösartig wurde er nur, wenn er verletzt wurde. Da war der Skvader, ein Hase mit Flügeln und Schwanz eines Auerhahns, schon gefährlicher. Und weil er erheblich kleiner war als der Glatisant, bewegte er sich doch ungleich schneller. Er konnte sich auch leicht in einem Baum verstecken und sich von dort auf einen ahnungslosen Reisenden stürzen. Am gefährlichsten war aber der Schabbock.
Ungefährlich war die Queste nicht, doch Hunald sehnte sich nach der Gesellschaft von seinesgleichen. Mehr als ein Jahr war er schon verbannt. Sein jüngster Sohn müsste nun schon laufen gelernt haben. Würde er ihn wieder erkennen? Eine dicke Träne versickerte in seinem Bart. Hunald schniefte. Ich muss mich ausschlafen, damit ich die Party nicht verpasse, dachte er und wickelte sich in seinen Mantel.

Als die drei Abenteurer das Gasthaus verließen, stand Hunald schon bereit. Er hielt die Zügel eines kräftigen, dunkelbraunen Ponys mit einem weißen Fleck auf der linken Schulter. Sisilias grüßte ihn freundlich und auch der Graf und sein Gefolgsmann nickten ihm zu. Zwei Goldstücke wechselten wortlos ihren Besitzer.
Der Elf ließ den Grafen und Trazo vorausreiten und gesellte sich zu dem Zwerg. Eine Weile ritten sie schweigend nebeneinander, dann hielt es Hunald nicht mehr aus.
"Wie schätzt du die Erfolgschancen ein?", fragte er und bemühte sich um einen beiläufigen Ton.
Sisilias strich eine widerspenstige Locke aus der Stirn. "Das ist mir im Grunde egal", bekannte er flüsternd. "Aber ich bin sicher, es wird ein großer Spaß."
"Spaß?" Hunald musterte seinen Gefährten und versank wieder in Schweigen. Dafür waren aber seine magischen Sinne umso aktiver. Mit schief gelegtem Kopf horchte er in den Mischwald, der die Abenteurer in sich aufzusaugen schien. Noch befanden sie sich in den Ausläufern des Hermolanischen Waldes. Doch mit jedem Schritt verdichtete sich die Magie, rückten die Bäume näher, klang der Wind in den Baumkronen warnender, drohender.
Der Zwerg hatte diesen Wald schon des Öfteren durchquert und fürchtete sich deshalb nicht vor dessen Bewohnern. Was ihm am meisten Sorgen machte, waren die zwergischen Hüter der Ruine Garschill.
Als es langsam dunkelte, sah er sich nach einem guten Platz für ein Nachtlager um. Wieder zeigte sich die Magie des Waldes. Gerade als sie kaum noch etwas sehen konnten, traten die Bäume zurück und gaben den Weg zu einer kleinen Lichtung frei. Haselnuss und Holunder bildeten einen Halbkreis um ein Plätzchen mit samtweichem Rasen. Niemand sagte ein Wort. Es war ganz klar, dass dies ihr Nachtlager war.
Während Wintras ihre Vorräte auspackte, fand Sisilias am Rand der Lichtung einen toten Baum mit vielen dürren Ästen. Trazo entdeckte einen Strauch mit Goldbeeren, eine Frucht, die erst durch den Frost reifte und als erste Nahrung im Frühling sehr geschätzt wurde.
Leises Plätschern ließ einen Bach oder eine Quelle in der Nähe vermuten. Ein Lächeln leuchtete durch Hunalds Bart als er sich die Wasserschläuche schnappte und dem Geräusch folgte. Er fand seine Vermutung bestätigt. Am Ufer eines Bächleins kniete eine ältere Frau und wusch Garn. Aufgeschreckt durch seine Schritte fuhr sie herum und zischte.
"Guten Abend, Mütterchen", grüßte Hunald höflich. "Kann ich dir behilflich sein?"
Scharfe, helle Äuglein blickten ihn durch ein Gewirr von grauen Haaren an. "Auch ich wünsche dir einen guten Abend", dankte sie. "Es ist nett, einen so höflichen ... Mann zu treffen." Sie warf ihre Garnbündel in einen Korb und richtete sich auf. Nun war deutlich zu sehen, dass sie einen Ziegenfuß hatte. Sie war eine Anguane, eine Hexenfrau. "Ich habe meine Arbeit bereits beendet. Du könntest mir aber den Korb auf die Schulter heben."
Hunald fiel die kleine Pause in ihrer Rede sehr wohl auf und er war dankbar, dass sie ihn nicht ‚Zwerg' genannt hatte.
Sie beugte sich ein wenig herab, als Hunald ihrem Wunsch nachkam, denn sie überragte ihn um fast zwei Ellen. Wie zufällig trafen sich ihre Hände und etwas blieb an Hunalds Fingern hängen. Neugierig sah er auf seine Hand und da klebte ein kleiner goldener Stern auf seinem Zeigefinger.
"Vielen Dank, Mütterchen!", rief er, aber die Anguane war bereits verschwunden. Schnell füllte er die Wasserschläuche und kehrte zum Lager zurück.
Trazo hatte bereits Feuer gemacht und wartete ungeduldig mit dem Wasserkessel in der Hand. "Was hast du denn so lange gemacht?", wollte er wissen.
"Nur eine kleine Unterhaltung mit einer Bewohnerin des Waldes", warf der Zwerg hin und überreichte ihm einen Wasserschlauch. Die anderen beiden legte er auf den Boden. Dann setzte er sich und sah verstohlen auf seinen Zeigefinger. Es war ein Finger, sonst nichts. Der kleine Stern war verschwunden als wäre er nie da gewesen.
Bald war süßer Kräutertee fertig und die Gefährten beschäftigten sich mit ihrem Mahl. Als sie fertig waren, wollte Trazo die Reste wegräumen. Doch Hunald hielt ihn zurück. Er legte ein Stück Brot und eine Scheibe Käse auf ein großes Huflattichblatt, legte zwei Kekse aus seinem eigenen Bestand dazu und platzierte sie unter dem Holunder. Auf die fragenden Blicke der anderen meinte er nur trocken: "Wir befinden uns im Wohnzimmer einer Koboldfamilie. Dafür haben sie doch eine Entschädigung verdient, oder?"
Sisilias lächelte. "Ich dachte es mir schon als ich das ständige Gekicher hörte." Plötzlich erschien eine Lakritzestange in seiner Hand. Mit einer kleinen Verbeugung legte er sie zu den Gaben des Zwergs.

Nach einer friedlichen Nacht mit erholsamem Schlaf ritten die Gefährten weiter. Der Pfad war so eng geworden, dass sie hintereinander reiten mussten. Hunald, der den Weg am besten kannte, ritt voraus. Schon hörte er das Tosen des Lermion, da erklang hinter ihm ein Schrei. "Tengus!" Tiefrote Geschöpfe brachen durchs Unterholz und fielen über die Gruppe her. Jedes dieser Wesen trug menschliche Merkmale, aber auch die von Krähen. Allerdings sah jedes anders aus. Sie kämpften mit Krallen, Schnäbeln und Knütteln.
Trazo und Wintras trugen unter der Oberbekleidung Kettenhemden. So konnten ihnen die Tengus nicht viel anhaben. Auch Sisilias war ihnen aufgrund seiner elfischen Gewandtheit überlegen. Doch Hunald hatte einige Mühe, die Angreifer abzuwehren. Das Gekreisch der Tengus war ohrenbetäubend. Maßlose Wut ergriff den Zwerg. Seine Kampfaxt fuhr auf einen roten Schädel nieder und spaltete ihn bis zum Kinn. Mit einem Ruck befreite er die Klinge und köpfte mit dem Schwung einen anderen Tengu. Da trafen ihn schwarze Schwingen und warfen ihn vom Pferd. Hunald rief ein Wort der Macht und sein Pony blieb wie versteinert stehen. Dann versuchte er den Tengu, der sich in seinem Haar verkrallt hatte, abzuschütteln. Doch er befand sich, da er auf dem Bauch lag, in einer ungünstigen Position. Scharfe Krallen bohrten sich in seinen Nacken. Wütend über ein derart unwürdiges Ende brüllte der Zwerg auf und strampelte mit Armen und Beinen. Es half nichts. Sein Quälgeist riss kreischend an seinem Fleisch und sprang dabei auf seinem Rücken auf und ab.
Plötzlich verschwand das Gewicht des Tengus. Kräftige Hände stellten ihn auf die Füße und er blickte in ein grinsendes Elfengesicht.
"Tut mir Leid, dass ich nicht früher kommen konnte", meinte Sisilias. "Musste vorher noch einige der Bande erledigen."
Hunald legte eine Hand auf seinen Nacken und stöhnte. Der Tengu hatte ihn böse zerkratzt. Auch Trazo hatte einen tiefen Kratzer in der Wange, hielt aber mit stoischer Miene die Zügel der Pferde. Wintras und der Elf war unverletzt. Ein Fingerschnippen des Zwergs löste die Starre des Ponys. Ächzend stieg er auf.
"Das Ufer des Lermion ist nahe. Dort können wir unsere Wunden lecken." Als er Trazos misstrauischen Blick sah, fügte er hinzu: "Die Tengus greifen an einem Tag nie zweimal an."
Wenig später wusch Sisilias die Wunden aus und versah sie mit einem Heilzauber nebst einem sauberen Verband.
Der Lermion wälzte sich mit leichtem Hochwasser in seinem Bett dahin, was dem Elf ein missbilligendes Naserümpfen entlockte. Hunald schätzte die Lage nicht so übel ein. Ein Blick auf die Schäfchenwolken am Himmel sagte ihm, dass es in nächster Zeit nicht regnen würde. Dass die Fluten des Flusses nur trüb und nicht braun waren, zeigte ihm außerdem, dass der Pegel im Sinken war. Allerdings fand er auch Spuren eines Aigipans. Das war ein Wesen, halb Ziege, halb Fisch. Hunald hatte noch nie persönlich mit einem Aigipan zu tun gehabt. Doch den Erzählungen nach, war es ein zwar reizbares Wesen, das man aber auch leicht überlisten konnte. Mehr fiel ihm im Moment nicht ein. Aus diesem Grund hoffte er, dem Aigipan nicht zu begegnen.
Diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Kaum hatten sie ihre Sachen wieder verpackt, da tauchte ein Ziegenkopf aus dem Wasser auf.
"Na, was sehe ich denn da?", rief eine meckernde Stimme fröhlich. "So eine zerzauste Gesellschaft. Sieht mir ganz nach den Überresten einer Tengumahlzeit aus."
Wintras' Gesicht überzog sich mit Zornesröte. Schon wollte er eine geharnischte Antwort geben, doch Sisilias' Hand hielt ihn zurück. "Lass Hunald ran", flüsterte er dem Grafen zu.
Der Zwerg verneigte sich und seine Gefährten taten es ihm nach einem energischen Wink nach. "Du hast recht gesprochen, oh Herrscher des Flusses", flötete er. "Wir sind nur knapp einem Tenguangriff entgangen. Nun suchen wir eine Weg, diesen schönsten aller Flüsse zu überqueren."
"Nichts leichter als das", meinte der Aigipan gnädig. "Geht einfach rüber."
"Leider ist uns nicht gegeben, über Wasser zu gehen, oh du Unvergleichlicher", antwortete der Zwerg nun.
"Ach so", kicherte das Wasserwesen und schnalzte mit der Zunge. Die Wogen erstarrten. "Nun könnt ihr rüber, sofern ihr den Fluss liebt und mir vertraut." Ein hämisches Grinsen begleitete diese Worte.
Der Zwerg zögerte nur kurz, dann trat er auf die erstarrten Wellen und marschierte drauflos. Wenig später erreichte er trockenen Fußes das andere Ufer. Nun gab sich Wintras einen Ruck und trat vorsichtig auf das fest gezauberte Wasser. Trazo folgte ihm vertrauensvoll. Er würde seinem Herrn auch durch die Hölle folgen. Nun Sisilias ging unschlüssig am Ufer auf und ab. Doch dann gab er sich einen Ruck und rannte los. Bei diesem Tempo würde er noch vor Wintras das andere Ufer erreichen. So sah es zumindest aus. Doch zwei Schritt vor seinem Ziel gab das Wasser nach und der Elf versank bis zum Hals. Schreiend schlug er um sich während Wintras und Trazo unbehelligt das Trockene erreichten. Endlich begriff Sislias, dass er nicht weiter unterging und arbeitete sich ans Ufer. Patschnass und mit Schlamm bespritzt erreicht er es endlich, begleitet von dem meckernden Gelächter des Aigipans.
"Dieser Mistkerl!", schimpfte er. "Warum hat er gerade mich einsinken lassen?" Es bildete sich bereits ein kleiner See um seine Füße. "Und was ist mit unseren Pferden?"
"Kein Problem." Hunald pfiff einen Dreiklang und die Pferde stürzten sich in die von ihrem Zauber befreiten Fluten. Als sie bei ihren Herren anlangten, sahen diese, dass ihr Gepäck staubtrocken war. Das Pferd des Elfs trug außerdem noch eine kleine Tasche um den Hals, die vorher nicht da gewesen war. Neugierig öffnete sie Sislias und zog ein hauchdünnes Tuch hervor. Es hatte die Farben der Wellen und des Himmels.
"Na, wenigstens hab ich etwas zum Abtrocknen", brummte er und wischte damit über Gesicht und Haar. Wo das Tuch ihn berührt hatte, verschwand das Wasser. Sisilias' Augen wurden groß. Vorsichtig fuhr er damit über seine Kleidung. Auch diese trocknete blitzschnell. Da drehte er sich zum Fluss und verbeugte sich. "Habt Dank, edler Beherrscher der Wellen", rief er und ein leises Meckern antwortete ihm.
Der Nachmittag war bereits fortgeschritten. Trotzdem ritten die Gefährten noch ein ordentliches Stück weiter. Auch wenn sich der Aigipan als hilfreich erwiesen hatte, wollten sie doch soviel als möglich Abstand zwischen sein Reich und ihr nächstes Nachtlager bringen.

"Heute werden wir die Ruine Garschill erreichen", erklärte Hunald seinen Gefährten beim nächsten Frühstück. "Ich schätze, dass wir gegen Mittag dort sein werden. Achtet auf die Äste über euch. Von dort könnte sich der Skvader auf euch stürzen. Den Glatisant werden wir hören, wenn er sich nähert. Und den Schabbock werden wir an der Hitze erkennen, die er verbreitet."
Mit diesen guten Ratschlägen machten sie sich auf den Weg. Eine gewisse Aufregung hatte die Gruppe ergriffen, die jedes Gespräch unterband. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Wintras sah sich schon von Reichtümern umgeben. Sisilias Gedanken drehten sich um obskure magische Gegenstände. Hunalds Streben war nur auf das verlorene Buch und seine Rehabilitierung gerichtet. Nur Trazo folgte unbeschwert seinem Herrn.
Langsam änderte sich die Landschaft. Das Gelände stieg merklich an, sodass sie das Tempo zurücknehmen mussten. Der Pfad schlängelte sich zwischen immer weiter auseinander tretenden Bäumen hindurch und zwischen ihnen lagen Felsbrocken. Je weiter sie kamen, umso größer wurden diese Felsen. Schon konnten sie zwischen den Wipfeln der Bäume ab und zu eine abgebröckelte Mauer sehen. Ein leichter Wind strich über sie hinweg. Nur das Rascheln der Blätter begleitete sie.
Plötzlich ertönte vor ihnen ein ohrenbetäubender Lärm. Hunalds Mund formte das Wort ‚Glatisant'. Hören konnten sie bei diesem Krach absolut nichts. Wintras und Trazo griffen nach ihren Schwertern. Sisilias zügelte sein Pferd und ließ sich ein wenig zurückfallen. Nur der Zwerg ritt unbekümmert weiter. Obwohl niemand das für möglich gehalten hätte, der Lärm steigerte sich noch. Dann erschien hinter einer Wegbiegung ein Schlangenkopf, der auf dem Körper einer Großkatze saß, welcher wiederum von Beinen getragen wurde, die jedem Hirsch zur Ehre gereicht hätten.
Nun holte der Glatisant Luft und für Sekunden erstarb der Lärm. Die Männer konnten nur das Klingen in ihren Ohren hören. Wieder brüllte das Untier los. Allerdings kam es nicht näher. Da griff Hunald in seine Satteltasche und holte etwas hervor. Einen saftigen Apfel. Der Glatisant schien ihm egal zu sein. Jedenfalls betrachtete er nur die köstliche Frucht, roch daran und lächelte selig. Wieder erstarb der Lärm. Der Schlangenkopf näherte sich neugierig. Die gespaltene Zunge schoss hervor und wurde mit einem Schmatzen wieder zurück gezogen.
"Hallo, Vanessa!", rief der Zwerg. "Wie geht's denn immer so?"
"Hassst du wasss Gutesss für mich?", zischte das Ungeheuer.
"Was? Ach so, das ist nur ein Apfel. Ist vom Frühstück übrig geblieben. Ich wollte ihm eigentlich meinem Pony verfüttern...."
"Ohhh!" Der Glatisant holte Luft.
"Aber ich könnte es mir auch überlegen."
Mit einem mächtigen Zischen ließ das Questentier die Luft wieder ab. "Ja?"
"Natürlich wäre so ein schmackhafter Happen nur für einen Freund. Hast du eine Ahnung, ob ein solcher hier irgendwo in der Nähe ist?"
"Aber, Hunald! Hier sssteht doch einer!"
"Tatsächlich? Meinst du etwa dich selbst? Da bin ich mir nicht so sicher. Als ich dich das letzte Mal sah, hast du mich den Berg hinunter gejagt und gebrüllt wie 30 Hunde."
"Ach, dasss war doch nur gessschäftlich", meinte der Glatisant verlegen und schielte nach dem Apfel. "Du weissst doch, dasss ich im Dienst der Zsswerge stehe. Da musss ich doch alle Feinde verjagen."
"Das heißt also, dass ich doch ein Feind bin", stellte Hunald fest. "Nun, meinem Pony wird der Apfel sicher schmecken."
"Nein, warte!" Nun kam er ein wenig näher. "Ich bin doch ein Freund. Ich kann es sogar beweisen. Gib mir den Apfel und ..."
Ein Aufschrei Trazos unterbrach das seltsame Gespräch. Von einem nahen Baum hatte sich ein Geschöpf auf den Gefolgsmann den Grafen gestürzt, das keiner der Anwesenden bemerkt hatte. Aus dem Körper eines Hasen wuchsen die Flügel und der Schwanz eines Auerhahns. Nun peitschten die Flügel gegen den Kopf Trazos während die Hinterpfoten gegen seinen Rücken trommelten. Mit den Vorderpfoten hielt sich das Wesen an dem Gefolgsmann fest. Nachdem dieser den ersten Schreck überwunden hatte, zog er seinen Dolch und griff gleichzeitig in seinen Nacken. Mit einem Ruck riss er den Skvader los und versuchte, ihm die Kehle durchzuschneiden. Das war leichter gesagt als getan, denn dieser wand sich und schnappte mit seinen Nagezähnen nach dem Arm des Kriegers.
"He! Das ist mein Freund!", brüllte der Glatisant los, allerdings nur mit halber Lautstärke. "Den darfst du nicht umbringen! Mit wem soll ich denn sonst Mühle spielen?"
Überrascht ließ Trazo den Dolch sinken. Sogleich drehte der Skvader den Kopf und versuchte, ihn zu beißen. Da warf ihn der Mann dem Glatisant an den Kopf.
"Da hast du deinen Freund", knurrte er unwirsch. "Wenn er mich aber noch mal angreift, ist er Hasenbraten."
Der Skvader stieß ein helles Quieken aus und versteckte sich hinter seinem größeren Freund. "War doch nur geschäftlich", piepste er beleidigt.
"Vanessa, ich mach dir einen Vorschlag", nahm der Zwerg wieder den Faden auf. "Du lässt uns die Ruine durchsuchen und erhältst dafür diesen Apfel."
"Hm, nur einen?"
"Du wirst doch nicht habgierig werden, meine liebe Freundin?", erkundigte sich Hunald nun mit gespielter Besorgnis. Dann legte er die Stirn in nachdenkliche Falten. "Nun, wenn ich mich recht erinnere, gibt es noch ein paar Äpfel in unserem Gepäck. Was meint Ihr, Herr Wintras?" Bei den letzten Worten hatte er sich dem Grafen zugewandt und ihm heimlich zugeblinzelt.
"Ohhh! Ich denke, das könnte stimmen", spielte der Graf sofort mit.
"Nun, dann ist doch alles in Butter, oder? Vanessa?"
"Ich kann nur für mich und Blasius sprechen", erklärte der Glatisant und schnappte nach dem Apfel. "Alfred ist ein Widerling. Er hat mir schon zwei Spielbretter verbrannt. Außerdem ist er entsetzlich stur."
"Das ist schon in Ordnung," meinte der Zwerg leichthin. "Wir haben für ihn etwas Besonders." Er überreichte dem Glatisant den Apfel, den dieser mit drei Bissen verlang. "Wir können jetzt weiter reiten", meldete er dem Grafen und setzte sich in Bewegung.
Die beiden Wächtertiere zogen sich in den Wald zurück und ließen die Gefährten vorbei. Schon bald erreichten sie, was von der Burg Garschill übrig geblieben war.
"Willkommen daheim!", rief Sisilias sarkastisch.
Wintras antwortete mit einem Grunzen. Sein Blick glitt über die abbröckelnden Mauern, die teilweise von Efeu überwuchert waren. Die Tore der Burg waren verschwunden. Nur rostige Scharniere zeugten von ihnen. Im Hof, der früher für Waffenübungen genutzt worden war, lagen riesige Schutthaufen. Mit einem Seufzer ging er über die, Oh Wunder!, noch intakte Zugbrücke. Die abgerissenen Ketten zeigten ihm jedoch, dass die Brücke auch weiterhin dort bleiben würde, wo sie jetzt war.
Der Zwerg hatte sich ein wenig zurückfallen lassen. Er hatte den Schmerz über den Verfall in den Zügen des Grafen gesehen. Jetzt aber schloss er wieder auf und leitete Wintras geschickt hinter den ehemaligen Küchentrakt. Aus dem Backofen starrten die Knopfaugen einer Ratte grimmig auf die Eindringlinge. Wo früher ein Gemüsegarten war, wucherte nun das Unkraut. Ab und zu konnte man aber eine Karotte oder eine Zwiebel entdecken, die sich mühsam behauptete. Mitten im Garten gab es eine glasklare Quelle, die ihr Wasser in ein, wieder Oh Wunder!, sauberes, intaktes Marmorbecken ergoss. Eine Rinne am Rand leitete das überschüssige Wasser in die unergründlichen Tiefen einer Zisterne.
"Wartet mal!", rief der Zwerg und steuerte auf ein großes Loch in der Mauer zu.
Die Rückwand der Küche fehlte zum großen Teil. Auf dem großen Herd hatte sich Moos angesiedelt. Da aber noch ein Teil des oberen Stockwerks vorhanden war, gab es einen trockenen Teil, in dem Hunald nun ihr Lager aufschlug.
"Das muss doch irgendwo hier sein", murmelte er und kramte in einer dunklen Ecke. Nach einer Weile hörten seine Gefährten ein "Ahh!". Dann kam er mit einem Stapel Ledereimer wieder zum Vorschein.
"Was soll denn das?", wollte der Graf wissen. Er fieberte danach, die Ruine zu untersuchen.
"Wir haben es immer noch mit Alfred, dem Schabbock, zu tun", erklärte der Zwerg. "Da sollte jeder zumindest einen Eimer Wasser bei sich haben."
"Mein gutes Schwert ..." begann Wintras, wurde aber sofort von Hunald unterbrochen.
"... nutzt dir überhaupt nichts gegen den Schabbock. Sein Kopf glüht dermaßen, dass dein Schwert so heiß würde, dass du es nicht mehr halten kannst. Vielleicht würde es sogar schmelzen." Ungerührt begann der Zwerg die Eimer zu füllen. Trazo half ihm nach kurzem Zögern. Der kleine Gefährte hatte sich auf dieser Fahrt soweit bewährt, dass der Krieger ihm bedingungslos glaubte.
"Hier trennen sich unsere Interessen", erklärte Hunald und hielt Wintras die Hand hin.
Mit stoischer Miene zählte der Graf fünf Goldstücke in die kleine Hand. "Was hast du nun vor?", fragte er in beiläufigem Ton.
"Ich werde mich in den Ruinen ein wenig umsehen." Damit ergriff Hunald einen vollen Eimer und wanderte los in Richtung der ehemaligen Stallungen.
"Das ist auch mein Ziel", erklärte Sisilias und tat es dem Zwerg gleich. Allerdings wandte er sich den Resten des Bergfrieds zu.
Trazo ergriff gleich zwei Wassereimer und sah seinen Herrn fragend an. "Wohin?"
"Die Halle", entschied Wintras. "Vielleicht finde ich dort einen Hinweis."
Die Stallungen waren nicht wirklich interessant für Hunald. Er wollte nur unbeobachtet sein. So setzte er sich auf einen Balken, der früher einmal zur Dachkonstruktion gehört hatte und betrachtete sinnend seinen Zeigefinger.
"Hexenfrau, was hast du mir da geschenkt?", murmelte er. Da erschien der goldene Stern auf der Spitze seines Zeigefingers, löste sich und schwebte vor dem Zwerg her. Ohne zu zögern folgte ihm Hunald. Sein Weg führte ihn zur Burgkapelle. Auch hier war das Dach eingefallen. Die Trümmer lagen über dem Altar. Dort leuchtete der Stern auf und verschwand.
Neugierig kletterte er über einen Haufen Schutt und sah unter einem zerborstenen Brett einen roten Einband. Das Buch! Voll Eifer stürzte er sich darauf. Doch bevor er es ergreifen konnte, schnappte es ihm eine schlanke Hand vor der Nase weg.
"Pech gehabt", grinste Sisilias. "Ich habe es zuerst gesehen." Besitzergreifend drückte er den Band an die Brust.
"Das gehört mir!", schrie Hunald.
"Irrtum!", donnerte eine, dem Zwerg wohlbekannte Stimme. "Dieses Buch gehört keinem von euch beiden. Es gehört nur der zwergischen Bibliothek."
"Ich habe es gefunden!", rief Hunald verzweifelt.
Der Elf wollte den Streit der Zwerge dazu benutzen, leise zu verschwinden. Aber da hatte er nicht mit dem Bibliothekar gerechnet. Eine beiläufige Handbewegung ließ die schlanke Gestalt erstarren. Ohne Eile ging der diese nun hin und nahm das Buch aus Sisilias Händen während die Augen des Elfs wütende, aber wirkungslose Blitze aussandten.
"Dies ist ein sehr wertvolles Werk", dozierte der Bibliothekar. "Deshalb soll jeder von euch seinen Lohn bekommen." Diesmal sprach der Zwerg ein Wort der Macht und schon befanden sich die Abenteurer in einem kostbar ausgestatteten Gemach. Der Bibliothekar saß nun hinter einem Ebenholzschreibtisch, flankiert von zwei uralten Zwergen. Hexenlichter erhellten den Raum und ließen die vollgestopften Bücherregale erkennen, die drei Wände bedeckten.
Wintras und Trazo machten verwundete Gesichter. Sie konnten sich nicht erklären, wie sie plötzlich hier her gekommen waren. Sisilias Miene war wutverzerrt. Nur Hunald wartete ergeben und hoffnungsvoll auf das Urteil der drei.
Einer der Uralten ergriff nun das Wort. "Mut, List, Verzweiflung und Habgier haben euch hier her geführt", sagte er. "Ihr habt viele Gefahren bestanden, um so weit zu kommen. Deshalb bekommt nun jeder von euch seinen Lohn." Er kam hinter dem Schreibtisch hervor und trat vor den Elf.
"Sisilias, du kamst aus Abenteuerlust und Habgier. Das Buch, das du gefunden hast, gehört uns Zwergen. Dennoch soll deine Mühe nicht umsonst sein." Plötzlich hatte er einen kleinen Lederbeutel in der Hand. "Diese magischen Steine werden deiner Art viel eher gerecht."
Bei dieser Rede hatte sich Sislias' Miene langsam erhellt. Nun äugte er neugierig in den Beutel. Ein erfreutes "Ohhh!" entschlüpfte ihm. "Vielen Dank, edle Herren!", sagte er artig und verbeugte sich. Im nächsten Moment war er verschwunden.
"Nun zu dir, Trazo." Mit einem warmen Lächeln überreichte er dem Krieger eine Pergamentrolle. "Dieses Dokument beweist, dass du der Erbe von Besitztümern derer von Garschill bist. Dazu gehören diese leider zerstörte Burg, der Hermolanische Wald und etliche Meiereien, sowie ein hübsches Landhaus. Ich denke, dass deine Zukunft damit gesichert ist, sofern du weise wirtschaftest."
Fassungslos starrte Trazo auf die Schriftrolle, die ihm der Zwerg in die Hand gedrückt hatte. "A-a-aber der G-g-graf....", stotterte er.
"Der Graf von Garschill bist du, Trazo", lächelte der Uralte. "Wintras ist zwar auch ein Graf, aber da liegt die Sache anders. Geh nun, dein Pferd kennt den Weg." Eine zwergische Handbewegung und Trazo fand sich bei seinem Pferd wieder. Es war gesattelt und in den Satteltaschen waren ausreichend Vorräte. Wie im Traum stieg er auf und ließ sich in eine völlig unerwartete Zukunft tragen.
"Nun zu dir, Graf Wintras." Der Uralte seufzte. "Du hast das Pech, dass einer deiner Vorfahren Burg Garschill überfallen hat und sich hier ein Räubernest einrichtete. Der König hat es aber bald ausgeräuchert und dabei wurde die Burg zerstört. Deine Familie wurde in die Nordländer verbannt. Das ist nun drei Generationen her. Du hast nun zwei Möglichkeiten. Du kannst den König um Gnade bitten und wenn er sie dir gewährt, in seinen Dienst treten oder in die Nordländer zurückkehren. Wähle!"
"Ich verstehe nicht", entgegnete Wintras. Wie kommt es, dass Trazo ...?" Er brachte es nicht fertig, die Tatsache auszusprechen. "Ich habe ihn an der Grenze angeheuert. Er ist doch nichts als ein ..."
"... der letzte Nachkomme derer von Garschill", ergänzte der Zwerg. "ich weiß, du wusstest das nicht. Die Mächte haben dich zu ihm geführt. Manchmal dauert es lange, aber irgendwann schenken sie doch Gerechtigkeit." Wieder eine Geste und Wintras war verschwunden.
"Tja, Hunald." Der Uralte sah auf den Artgenossen. "Du hast die harte Arbeit geleistet um deinen Fehler wieder gut zu machen. Du wirst wieder in die Gemeinschaft der Zwerge aufgenommen. Ein Jahr wirst du in der Bibliothek dienen, dann kannst du dich wieder deinen Geschäften zuwenden."
Ein erlösender Seufzer entrang aus Hunalds Brust. Am liebsten hätte er die drei nacheinander umart. Das wagte er aber nicht. So bedankte er sich nur wortreich. Dann machte er sich auf um endlich seine Familie wieder zu sehen.


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